Das System der ambulanten Patientenversorgung steht mittelfristig vor einer völligen Umwälzung, was nicht das Ende der Freiberuflerpraxis bedeutet, wohl aber den Wegfall des Freiberuflers als Regelfall der ärztlichen Versorgung.
Infolge des Gesetzes zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheitsreform 2004) sind sogenannte Medizinische Versorgungszentren (MVZ) zum 01.01.2004 als neue Form der Leistungserbringung neben Vertragsärzten, ermächtigten Krankenhausärzten, ermächtigten ärztlich geleiteten Einrichtungen, Zahnärzten und Psychotherapeuten in die ambulante vertragsärztliche Versorgung eingeführt worden und für das gesamte Bundesgebiet zugelassen.
Historische Ursprünge der heutigen Medizinischen Versorgungszentren in Form der Polikliniken des 18. Jahrhunderts gehen auf Christoph Wilhelm Hufeland zurück. Während des Ärztestreiks in Deutschland 1926/27 gründeten die gesetzlichen Krankenkassen Ambulatorien und Polikliniken unter eigener Anstellung von Ärzten als Streikbrecher. Im Dritten Reich verschwanden die Polikliniken als Versorgungsform, wurden nach dem Zweiten Weltkrieg in der sowjetischen Besatzungszone als staatliche flächendeckende ambulante Versorgungsform jedoch reetabliert. Entsprechend waren in der DDR niedergelassene Leistungserbringer meist in diesen Polikliniken, welche nach den folgenden Prinzipien agierten: staatlicher Charakter, Unentgeltlichkeit und allgemeine Zugänglichkeit, Primat der Prophylaxe, Einheit von Vorbeugung, Behandlung und Nachsorge sowie die Steuerung durch eine zentrale Gesundheitsverwaltung. Den Polikliniken kam eine herausragende Bedeutung als Träger der ambulanten „Versorgung unter einem Dach“ in der Deutschen Demokratischen Republik zu.
Bis 1989 gab es noch etwa 1.650 Polikliniken und Ambulatorien in der DDR. Mit der Deutschen Wiedervereinigung wurde auf dem Gebiet der neuen Bundesländer nach dem etablierten Westdeutschen Modell ärztliche Niederlassung in Arztpraxen im Rahmen des Vertragsarztsystems errichtet und somit die ehemaligen Polikliniken nahezu vollständig verdrängt.
Inhaltsverzeichnis
A Einführung
B Rahmenbedingungen
1 Fächerübergreifende Versorgung
2 Gründung durch Leistungserbringer
3 Organisations-/Rechtsformen
4 Ärztliche Leitung
5 Arztregister
6 Zulassung
7 Ärztliche Tätigkeit
8 Vertragsarztsitzprinzip
C Chancen und Potenziale
A Einführung
Das System der ambulanten Patientenversorgung steht mittelfristig vor einer völligen Umwälzung, was nicht das Ende der Freiberuflerpraxis bedeutet, wohl aber den Wegfall des Freiberuflers als Regelfall der ärztlichen Versorgung.1
Infolge des Gesetzes zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheitsreform 2004) sind sogenannte Medizinische Versorgungszentren (MVZ) zum 01.01.2004 als neue Form der Leistungserbringung neben Vertragsärzten, ermächtigten Krankenhausärzten, ermächtigten ärztlich geleiteten Einrichtungen, Zahnärzten und Psychotherapeuten in die ambulante vertragsärztliche Versorgung eingeführt worden und für das gesamte Bundesgebiet zugelassen.2 3
Historische Ursprünge der heutigen Medizinischen Versorgungszentren in Form der Polikliniken des 18. Jahrhunderts auf Christoph Wilhelm Hufeland zurück. Während des Ärztestreiks in Deutschland 1926/27 gründeten die gesetzlichen Krankenkassen Ambulatorien und Polikliniken unter eigener Anstellung von Ärzten als Streikbrecher. Im Dritten Reich verschwanden die Polikliniken als Versorgungsform, wurden nach dem Zweiten Weltkrieg in der sowjetischen Besatzungszone als staatliche flächendeckende ambulante Versorgungsform jedoch reetabliert. Entsprechend waren in der DDR niedergelassene Leistungserbringer meist in diesen Polikliniken, welche nach den folgenden Prinzipien agierten: staatlicher Charakter, Unentgeltlichkeit und allgemeine Zugänglichkeit, Primat der Prophylaxe, Einheit von Vorbeugung, Behandlung und Nachsorge sowie die Steuerung durch eine zentrale Gesundheitsverwaltung. Den Polikliniken kam eine herausragende Bedeutung als Träger der ambulanten „Versorgung unter einem Dach“ in der Deutschen Demokratischen Republik zu.4
Bis 1989 gab es noch etwa 1.650 Polikliniken und Ambulatorien in der DDR. Mit der Deutschen Wiedervereinigung wurde auf dem Gebiet der neuen Bundesländer nach dem etablierten Westdeutschen Modell ärztliche Niederlassung in Arztpraxen im Rahmen des Vertragsarztsystems errichtet und somit die ehemaligen Polikliniken nahezu vollständig verdrängt.
Nur Einrichtungen nach § 311 SGB V a. F. (Dispensaire-Einrichtungen) hatten unter Umständen Bestandsschutz, von denen etwa dreißig unter der Bezeichnung „Gesundheitszentren“, mehrheitlich in Berlin und Brandenburg, zunächst mit Befristung bis zum 31.12.1995 weitere Zulassung behielten. Entsprechend einer Gesetzesänderung im Rahmen des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 01.10.1992 erhielten sie schließlich unbefristete Teilhabe an der Sicherstellung der ambulanten medizinischen Versorgung, ohne dass zunächst neue Versorgungszentren errichtet werden durften.
Unter der Vorstellung des Erhalts dieser besonderen ambulanten Versorgungsform -speziell in Berlin und Brandenburg- wurde unter maßgeblicher Mitgestaltung der ehemaligen Ministerin für Arbeit, Soziales und Gesundheit, Dr. Regine Hildebrandt (SPD), die Umwandlung der Gesundheitszentren in Medizinische Versorgungszentren forciert. So erhielten seit 2002 die MVZ die rechtliche Option auf Aufnahme neuer Ärztinnen und Ärzte. Infolge des GKV-Modernisierungsgesetztes vom 14.11.2003 können seit dem 01.01.2004 neben Vertragsärzten und ermächtigten Ärzten auch Medizinische Versorgungszentren auch in den alten Bundesländern gegründet werden und an der ambulanten Versorgung der gesetzlich Krankenversicherten teilnehmen.5 Das gesetzgeberische Konzept der medizinischen Versorgungszentren hatte die ehemaligen Polikliniken zum Vorbild.
Damit wurde der Weg frei gemacht, die ökonomischen und qualitativen Vorteile der Medizinischen Versorgungszentren auch in den alten Bundesländern zu etablieren.
B Rahmenbedingungen der MVZ
Unter einem medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) im Sinnes des Gesetzes zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) ist als fächerübergreifende, ärztlich geleitete Einrichtung der ambulanten Versorgung zu verstehen, das im Rahmen eines Zusammenschlusses zugelassener Leistungserbringer nach SGB V fungiert (§ 95 Abs. 1 Satz 1 SGB V).6
Im Folgenden werden Ausgestaltungsaspekte der medizinischen Versorgungszentren aufgezeigt.
1. Fachübergreifende Versorgung
In der Intention stellen Medizinische Versorgungszentren fächerübergreifende ambulante Versorgung unter Zusammenschluss zugelassener Leistungserbringer (s.u.) dar.7 Der Gesetzgeber ist der Begriff „fächerübergreifend“ nicht näher spezifiziert, so dass hier Interpretationspielraum auch i.S.e. sektorenübergreifenden Versorgung mit Einbezug auch nicht-ärztlicher Leistungsanbieter denkbar ist. In der Gesetzesbegründung heißt es, dass sich MZV durch interdisziplinäre Zusammenarbeit von ärztlichen und nicht-ärztlichen Heilberufen auszeichnen und den Patienten eine Versorgung aus einer Hand anbieten.8 Die fächerübergreifende Positionierung eines MVZ ergibt sich zwanglos aus der definitionsgemäßen Vertretung mindestens zweier unterschiedlicher Fachrichtungen, Schwerpunkten oder Versorgungsgebiete in Form angestellter oder Vertragsärzte (§ 73 Abs. 1 Satz 1)
Hinsichtlich Größe, Ausgestaltung und Bandbreite der angebotenen medizinischen Leistungen eines MVZ ergeben sich keine spezifischen Vorschriften.
2. Gründung durch Leistungserbringer
Die Begründung eines MVZ kann ausschließlich durch Leistungserbringer im Sinne des SGB V, die aufgrund von Zulassung, Ermächtigung oder Vertrag an der medizinischen Versorgung der Versicherten teilnehmen. Hierzu gehören z.B. (Fach-) Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Apotheker, Pflegedienste, Rehabilitationseinrichtungen, Zahntechniker, Hebammen, Physiotherapeuten, Heil- und Hilfsmittelerbringer, Personen der Haushaltshilfe und der häuslichen Krankenpflege.9 10
Herausgestellt sei insbesondere die mögliche Gründung durch zugelassene Krankenhäuser mit der Option auf verbesserte Verzahnung ambulanter und stationärer Versorgung. Die Träger der Gesetzlichen Krankenversicherung gehören explizit nicht zu den Leistungserbringern.
3. Organisations- / Rechtsformen
§ 95 Abs. 1 Satz 3 SGB V definiert ausdrücklich und bewusst, dass alle zulässigen Organisationsformen eines MVZ erlaubt sind. Insbesondere ist auch eine Ausgestaltung in der Rechtsform als juristische Person möglich. Damit kann das MVZ in Form einer Kapitalgesellschaft (GmbH, AG), Personengesellschaft (GbR, OHG, KG,GmbH & Co. KG, Partnerschaftsgesellschaft) oder andere Vereinigung (e.V., e.G. Stiftung, EWIV) betrieben werden.
4. Ärztliche Leitung
Gemäß § 1 Abs. 2 BÄO ist der als Arzt ausgeübte Beruf ein „seiner Natur nach freier Beruf“ und die ärztliche Tätigkeit dem Sinne nach „freiberuflich“. In medizinischen Fragestellungen ist der Arzt weisungsfrei von Nicht-Ärzten und damit Entscheidungsträger. Hiervon abgeleitet ergeben sich Konsequenzen hinsichtlich der Strukturen eines MVZ:
In der Ausgestaltung muss der Geschäftsführung der Trägergesellschaften eines MVZ mindestens ein Arzt angehören. Eine ärztliche Leitung ist Voraussetzung für Gründung und Fortbestand eines MVZ, wobei die Gesamtverantwortung eines oder mehrerer Ärzte, demgegenüber der Träger des MVZ keine Weisungsbefugnis hat, Bedingung ist. Der ärztliche Leiter muss Mitglied der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) sein, in deren Bezirk das MVZ seinen Sitz hat. Angemerkt sei an dieser Stelle die Tatsache, dass der Begriff derr ärztlichen Leitung im Bereich der ambulanten Versorgung ein Novum darstellt. Der ärztliche Leiter ist in medizinisch-fachlicher Hinsicht weisungsungebunden und fachlicher Vorgesetzter der ärztlichen und nicht-ärztlichen Mitarbeiter des MVZ und somit gesamtverantwortlich bezüglich der erbrachten vertragsärztlichen Leistungen. Im Fall eines reinen Vertragsarzt-MVZ ist keine ärztliche Leitung erforderlich, da die tätigen Vertragsärzte begründet ihrer Zulassung jeweils selbst die ärztliche Leitung innehaben.
5. Arztregister
Die Eintragung in das Arztregister ist Voraussetzung sowohl für die angestellte als auch vertragsärztliche Tätigkeit in einem MVZ (§ 95 Abs 2 Satz 3 Nr. 1 SGB V). Der Eintragung in das Arztregister ist gem. § 95a Abs. 1 SGB V die Approbation als Arzt sowie der Abschluss entweder einer allgemeinmedizinischen Weiterbildung oder die Befugnis zum Führen einer Gebiets- bzw. Facharztbezeichnung zugrunde gelegt.
6. Zulassung
Medizinische Versorgungszentren unterliegen der Zulassungsbeschränkung. Sie erhalten Genehmigung zur vertragsärztlichen Versorgung durch den Zulassungsausschuss der zuständigen kassenärztlichen Vereinigung (KV). Diese wird für den Ort der Betriebsstätte erteilt, die Zulassung fließt in das MZV ein. Unter den Voraussetzungen des Vorliegens von Approbation und Weiterbildung unter Beachtung der Bedarfsplanung und Eintragung in das Arztregister erfolgt die Anstellung von Ärzten nach Genehmigung ebenso durch den Zulassungsausschuss. Für den Fortbestand ist beachtenswert, dass unmittelbar ausschließlich Leistungserbringer gemäß SGB V als Gesellschafter des MZV auftreten. Die mittelbare Beteiligung von Nicht-Leistungserbringern über einen Leistungserbringer ist jedoch denkbar. Mit der Beschränkung auf GKV-Leistungserbringer in der Trägergesellschaft eines MVZ soll sichergestellt sein, dass die Führung solcher Zentren nach medizinischen Vorgaben gewährleistet ist.
Tritt nach MVZ-Gründung ein nicht zugelassener Leistungserbringer als Gesellschafter in das MVZ ein, muss dem Zentrum die Zulassung entzogen werden. Damit soll die Überlagerung der medizinischen Gesichtspunkte durch ökonomische Interessen vermieden werden.
[...]
1 Vgl. Blumenbach-Ostermann, K: 2004
2 Vgl. Armbruster S et al. 2006, A2278
3 Vgl. Rau S. 2004. S. 667-72
4 Vgl. Blumenbach-Ostermann, K: 2004
5 Vgl. Bundesministerium für Gesundheit, http://www.die-gesundheitsreform.de/zukunft_entwickeln/medizinische_versorgungszentren/hintergruende/index.html]
6 § 95 SGB V
7 Wigge P, 2004, 9: 241-244.
8 Vgl. Redaktionsbüro Gesundheit 2006
9 Fahlbusch, R. et al. 2005, S. 67
10 Behnsen E, 2004, 9: 698-702.
- Arbeit zitieren
- Dr. Manuel Anhold (Autor:in), 2006, Die Umwälzung der ambulanten Patientenversorgung. Medizinische Versorgungszentren (MVZ) als neue Form der Leistungserbringung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/497114
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