In der vorliegenden Bachelorarbeit wird der Bilanzposten Rückstellungen erläutert. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf die Bilanzierung von Rückstellungen im Zuge des Volkswagen Konzernabschlusses nach International Financial Reporting Standards gelegt. Im weiteren Verlauf der Arbeit wird der DAX-30 Konzern Volkswagen untersucht. Hier werden besonders die sonstigen Rückstellungen analysiert, da diese im Abgasskandal zu erheblichen Sondereffekten geführt haben. Der Konzern wird über einen sechsjährigen Zeitraum von 2013 bis 2018 betrachtet.
Der Untersuchungsschwerpunkt liegt dabei auf dem Ansatz, der Bewertung und dem Ausweis von vorher spezifizierten sonstigen Rückstellungsarten. Um die Untersuchung zu stützen, werden Unternehmenskennzahlen aus der Gewinn- und Verlustrechnung und der Bilanz herangezogen. Diese Kennzahlen sollen mögliche Ermessensspielräume in der IFRS Rechnungslegung verdeutlichen.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Problemstellung der Arbeit
1.2. Zielsetzung und methodischer Aufbau der Arbeit
2. Bilanzierung von Rückstellungen nach IFRS
2.1. Definiti on von Rückstellungen
2.2. Ansatzkriterien von Rückstellungen
2.2.1. Gegenwärtige Verpflichtung
2.2.2. Wahrscheinlichkeit Ressourcenabfluss
2.2.3. Verlässliche Schätzung
2.3. Bewertung von Rückstellungen
2.3.1. Bestmögliche Schätzung
2.3.2. Barwertmethode
2.3.3. Weitere Bewertungsgrundsätze
2.4. Ausweis und Angabepflichten nach IFRS
2.5. Folgebewertungen von sonstigen Rückstellungen
2.5.1. Zuführung von sonstigen Rückstellungen
2.5.2. Auflösung von sonstigen Rückstellungen
2.5.3. Inanspruchnahme von sonstigen Rückstellungen
2.6. Theoretische Grundlagen zu ausgewählten sonstigen Rückstellungen
2.6.1. Gewährleistungs- und Produkthaftungsrückstellungen
2.6.2. Prozess- und Rechtsrisiken
3. Analyse ausgewählter sonstiger Rückstellungen des Volkswagen Konzerns
3.1. V orstellung des V olkswagen Konzerns
3.2. Der Abgasskandal im V olkswagen Konzern
3.3. Konzernabschlussdaten des Volkswagen Konzerns
3.3.1. Bilanzdaten des Konzerns
3.3.2. GuV Daten des Konzerns
3.3.3. Daten der Kapitalflussrechnung des Konzerns
3.4. Ansatz sonstiger Rückstellungen im Volkswagen Konzern
3.4.1. Ansatz von Rückstellungen für Verpflichtungen aus dem Absatzgeschäft
3.4.2. Ansatz von Rückstellungen für Prozess- und Rechtsrisiken
3.5. Bewertung sonstiger Rückstellungen im Volkswagen Konzern
3.5.1. Bewertung von Rückstellungen für Verpflichtungen aus dem Absatzgeschäft
3.5.2. Bewertung von Rückstellungen für Prozess- und Rechtsrisiken
3.6. Ausweis sonstiger Rückstellungen im Volkswagen Konzern
3.6.1. Ausweis von Rückstellungen für Verpflichtungen aus dem Absatzgeschäft
3.6.2. Ausweis von Rückstellungen für Prozess- und Rechtsrisiken
3.7. Bilanzielle Auswirkungen der sonstigen Rückstellungen im V olkswagen Konzern .
4. Fazit
Anhang
Literaturverzeichnis
Kurzfassung
In der vorliegenden Bachelorarbeit wird der Bilanzposten Rückstellungen erläutert. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf die Bilanzierung von Rückstellungen im Zuge des Volkswagen Konzernabschlusses nach International Financial Reporting Standards gelegt. Im weiteren Verlauf der Arbeit wird der DAX-30 Konzern Volkswagen untersucht. Hier werden besonders die sonstigen Rückstellungen analysiert, da diese im Abgasskandal zu erheblichen Sondereffekten geführt haben. Der Konzern wird über einen sechsjährigen Zeitraum von 2013 bis 2018 betrachtet. Der Untersuchungsschwerpunkt liegt dabei auf dem Ansatz, der Bewertung und dem Ausweis von vorher spezifizierten sonstigen Rückstellungsarten. Um die Untersuchung zu stützen, werden Unternehmenskennzahlen aus der Gewinn- und Verlustrechnung und der Bilanz herangezogen. Diese Kennzahlen sollen mögliche Ermessensspielräume in der IFRS Rechnungslegung verdeutlichen.
Abstract
In this bachelor thesis the balance sheet item Provisions is explained. Special attention is given to the accounting of provisions in the context of consolidated financial statements in accordance with International Financial Reporting Standards. In the further course of the work, the DAX-30 Group Volkswagen will be examined. Other provisions are examined in particular, as they have led to considerable special effects in the emissions scandal. The Group is examined over a six-year period, from 2013 to 2018. The focus of the investigation is on the recognition, measurement and disclosure of previously specified other types of provisions. To support the investigation, key figures from the income statement and the balance sheet are used. These key figures are intended to clarify possible discretionary scope in IFRS accounting.
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Von einer Auflistung gängiger Abkürzungen wurde abgesehen.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Abgrenzung Rückstellungen, Eventualverbindlichkeiten und Eventualforderungen
Abbildung 2: Darstellung Ansatzkriterien von Rückstellungen
Abbildung 3: Allgemeiner Rückstellungsspiegel
Abbildung 4: Rückstellungsspiegel des Volkswagen Konzerns
Abbildung 5: Marken des Konzernbereichs Automobile
Abbildung 6: Ziele „Together- Strategie 2025“
Abbildung 7: Aktienkurs der Volkswagen AG
Abbildung 8: Kopf des Rückstellungsspiegels des Volkswagen Konzerns
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Übersicht Rückstellungsarten
Tabelle 2: Standards im IFRS die Rückstellungen behandeln
Tabelle 3: Die Inhalte des IAS 37
Tabelle 4: Übersicht zur Wahrscheinlichkeit des Bestehens einer Verpflichtung
Tabelle 5: Übersicht zur Wahrscheinlichkeit des Ressourcenabflusses
Tabelle 6: Finanzielle Kennzahlen des Volkswagen Konzerns
Tabelle 7: Umsatzerlöse der Segmente des Volkswagen Konzerns
Tabelle 8: Regionale Aufteilung der Umsatzerlöse des Volkswagen Konzerns
Tabelle 9: Chronologie des Abgasskandals
Tabelle 10: Wichtige Daten der Bilanz 2013 - 2015
Tabelle 11: Wichtige Daten der Bilanz 2016 - 2018
Tabelle 12: Ausgewählte Rückstellungsarten im Vergleich
Tabelle 13: Wichtige Daten der GuV
Tabelle 14: Vergleichsdaten der Kapitalflussrechnung und GuV
Tabelle 15: Entwicklung der Rückstellungen für Verpflichtungen aus dem Absatzgeschäft .
Tabelle 16: Zuführung für Rückstellungen für Verpflichtungen aus dem Absatzgeschäft
Tabelle 17: Entwicklung der Rückstellungen für Prozess- und Rechtsrisiken
Tabelle 18: Zuführung für Rückstellungen für Prozess- und Rechtsrisiken
Tabelle 19: Sondereffekte des Abgasskandals und deren Auswirkungen
Tabelle 20: Übersicht der Rückstellungsbewegungen und deren Auswirkungen
1. Einleitung
1.1. Problemstellung der Arbeit
Die Globalisierung der Märkte schreitet immer weiter voran und dementsprechend müssen sich die Rechnungslegungsvorschriften verändern. Es reicht nicht mehr, viele nationale Sprachen zu sprechen, die Rechnungslegung muss internationalisiert werden. Genau diesem Ziel hat sich das International Accounting Standards Board (IASB) verschrieben und hat die IFRS Rechnungslegungsstandards geschaffen.1
Die International Financial Reporting Standards müssen ab dem Jahr 2005 von allen börsennotierten Unternehmen zwingend angewendet werden. Das erklärte Gesamtziel der IFRS ist die internationale Harmonisierung der Rechnungslegung. Besonders wichtig ist dies für externe Bilanzadressaten. Unter anderem soll eine Vergleichbarkeit von Jahresabschlüssen durch die Standards gewährleistet sein.2
Die IFRS bieten den großen Konzernen jedoch immer wieder Ermessensentscheidungen an und liefern damit Spielräume innerhalb der Bilanzpositionen. Besonders große Spielräume gibt es zum Beispiel im Zusammenhang mit Unternehmenskäufen und dem dazugehörigen Goodwill (Geschäfts- oder Firmenwert). Dieser kann sich nur durch außerplanmäßige Abschreibungen verringern und bietet somit Spielraum für Bilanzkosmetik.3
Ein weiterer Posten, der Möglichkeiten für größere Manipulationen zulässt, sind die Rückstellungen aufgrund der eigenen Schätzungen, die durch das Unternehmen vorzunehmen sind. Dies bezieht sich auf die Höhe der Rückstellungen sowie auf deren Eintrittswahrscheinlichkeit. Im Verlauf dieser Arbeit soll auf diese Unsicherheiten im Rahmen der Rückstellungsbilanzierung eingegangen werden. Des Weiteren wird der Volkswagen Konzern im Zuge des Abgasskandals und des daraus resultierenden Rückstellungsaufbaus untersucht.
1.2. Zielsetzung und methodischer Aufbau der Arbeit
Die Zielsetzung dieser Arbeit ist die Untersuchung der bilanziellen Auswirkungen von Rückstellungen im Volkswagen Konzern im Zuge des Abgasskandals. Einen besonderen Fokus bilden insbesondere die sonstigen Rückstellungen, da diese direkt durch den Abgasskandal beeinflusst worden sind. Im Verlauf der Arbeit wird daher geprüft, welche Ergebnisauswirkungen die gebildeten Rückstellungen haben.
Die vorliegende Arbeit besteht aus vier Kapitel. Im ersten Abschnitt werden die Grundlagen der Rückstellungsbildung erläutert, bevor im weiteren Abschnitt die Volkswagen Konzernabschlüsse analysiert und ausgewertet werden. Nach einer Einführung in das Thema, der Problemstellung der vorliegenden Bachelorarbeit sowie der Zielsetzung und dem methodischen Aufbau im ersten Kapitel, wird im zweiten Kapitel auf die Bilanzierung von Rückstellungen innerhalb der IFRS Rechnungslegung eingegangen.
Im ersten Schritt werden Rückstellungen definiert und ihre Ansatzkriterien dargestellt. Im Folgenden wird auf die Bewertung und Folgebewertung von Rückstellungen eingegangen. Des Weiteren werden Rückstellungen und die daraus resultierenden notwendigen Anhangsangaben in einem IFRS Konzernabschluss näher betrachtet. Abschließend wird im zweiten Kapitel auf zwei Arten der sonstigen Rückstellungen eingegangen. Die Rückstellungen aus Gewährleistungs- und Produkthaftungen und Prozess- und Rechtsstreitigkeiten werden betrachtet, da diese im Volkswagen Konzern signifikante Auswirkungen im Konzernabschluss im Zuge des Abgasskandals hatten.
Im praktischen Hauptteil der vorliegenden Bachelorarbeit, dem Kapitel drei, werden die theoretischen Ansätze mit einer praktischen Untersuchung der Volkswagen Konzernabschlüsse aus den Jahren 2013 bis 2018 verknüpft. Dabei wird insbesondere die Frage beantwortet, ob die Rückstellungen im Zusammenhang mit dem Abgasskandal gemäß der geltenden IFRS Richtlinien korrekt angesetzt, bewertet und ausgewiesen worden sind. Im Verlauf der Bachelorarbeit wird aufgezeigt, welche Auswirkungen die Sondereffekte aus der Bildung und Inanspruchnahme der sonstigen Rückstellungen im Zuge des Abgasskandals auf die Bilanz des Konzerns hatten.
In einem Fazit werden die untersuchten Ergebnisse zusammengefasst.
2. Bilanzierung von Rückstellungen nach IFRS
2.1. Definition von Rückstellungen
Die entscheidende Informationsquelle für den Bilanzadressaten ist der Jahresabschluss. Dieser soll dem Leser einen umfassenden Blick auf die wirtschaftliche Lage des bilanzierenden Unternehmens gewähren.4 Die Geschäftsführung, der Betriebsrat sowie die Belegschaft gehören zu den internen Adressaten des Jahresabschlusses. Aktionäre, Kunden und Investoren sind externe Adressaten.5 Damit ein umfassender Blick auf die wirtschaftliche Lage des bilanzierten Unternehmens möglich ist, ist die korrekte Erfassung und Ausweisung von Verpflichtungen (liabilities) einer der wichtigsten Aufgaben der Abschlussersteller.6 Eine direkte Auswirkung auf die Vermögens-, Ertrags-, und Finanzlage des bilanzierenden Unternehmens stellen die Verpflichtungen dar.7
Gemäß der IFRS Rechnungslegung zählen die Rückstellungen (provisions) zu den Schulden eines Unternehmens.8 Für die Definition von Rückstellungen, ist es daher sinnvoll, in einem ersten Schritt den Begriff „Schuld“ zu definieren. Gemäß IFRS Framework F.49 (b) ist eine Schuld folgendermaßen definiert:
„Eine Schuld ist eine gegenwärtige Verpflichtung des Unternehmens, die aus Ereignissen der Vergangenheit entsteht und deren Erfüllung für das Unternehmen erwartungsgemäß mit einem Abfluss von Ressourcen mit wirtschaftlichem Nutzen verbunden ist. “9
IAS 37.10 ergänzt die Definition um den Begriff Rückstellung:
„Eine Rückstellung ist eine Schuld, die bezüglich ihrer Fälligkeit oder ihrer Höhe ungewiss ist. “10
Im IAS 37 werden neben den Rückstellungen auch Eventualschulden und Eventualforderungen behandelt.11 In der vorliegenden Arbeit geht es jedoch nur um Rückstellungen. Für eine bessere Abgrenzung zwischen Eventualschulden und Eventualforderungen soll folgendes Schaubild dienen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Abgrenzung Rückstellungen, Eventualverbindlichkeiten und Eventualforderungen12
Im Gegensatz zu Rückstellungen kann die Höhe der Verpflichtung bei Eventualschulden nicht ausreichend korrekt geschätzt werden, da die Wahrscheinlichkeit eines Abflusses wirtschaftlicher Ressourcen geringer ist oder eine Verpflichtung erst durch den Eintritt eines zukünftigen Ereignisses entsteht.13
Da die Höhe und/oder der Zeitpunkt des zukünftigen Ressourcenabflusses ungewiss ist, können Rückstellungen ganz klar von den anderen Schulden eines Unternehmens abgegrenzt werden, wie beispielsweise Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen.14 Die Schulden eines Unternehmens setzen sich folglich aus Verbindlichkeiten und Rückstellungen zusammen.15
Zu den Rückstellungsarten gehören unter anderem:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Übersicht Rückstellungsarten16
Viele Rückstellungsarten innerhalb der IFRS Rechnungslegung verweisen auf eigene Standards, die entsprechend anzuwenden sind.17 Sofern keine spezifischen Standards für die Bilanzierung einzelner Rückstellungsarten vorliegen, gilt der IAS 37 und ist entsprechend anzuwenden.18
In der nachfolgenden Darstellung sind beispielhaft verschiedene Rückstellungen dargestellt, die in einem eigenen Standard explizit geregelt sind:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2: Standards im IFRS die Rückstellungen behandeln19
In der vorliegenden Arbeit werden die sonstigen Rückstellungen für Gewährleistungs- und Produkthaftungsverpflichtungen sowie die sonstigen Rückstellungen aus Rechtsstreitigkeiten genau- estens betrachtet. Im Zuge des Abgasskandals ergaben sich für den Volkswagen Konzern in diesen beiden Positionen besonders große bilanzielle Spielräume.
Die nachfolgende Tabelle zeigt eine inhaltliche Übersicht über den hier zu behandelnden IFRS Standard IAS 37. In diesem Standard sind bereits wie erwähnt Rückstellungen, Eventualschulden und Eventualforderungen geregelt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 3: Die Inhalte des IAS 3720
Rückstellungen können konzeptionell unterschiedlich gesehen werden, je nach bilanztheoretischer Perspektive. In der statischen Bilanztheorie werden Schulden als Verpflichtung gesehen, denen das Unternehmen am Bilanzstichtag ausgesetzt ist und in ihrer Existenz, dem Fälligkeitszeitpunkt und/oder in der Höhe ungewiss sind.21 Sofern eine Außenverpflichtung gegenüber einer dritten Partei besteht, sind diese ungewissen Schulden am Bilanzstichtag zu erfassen, um einen vollständigen Schuldenausweis gewährleisten zu können.22
Die dynamische Bilanztheorie verfolgt einen anderen Ansatz. Für diese Theorie gelten diese Schulden als Abgrenzungsposten, um Aufwendungen zu erfassen, die wirtschaftlich der abgelaufenen oder einer vorherigen Periode zuzuordnen sind und erst in einer der folgenden Perioden zum Ressourcenabfluss mit wirtschaftlichem Nutzen führen.23 In der dynamischen Bilanztheorie können somit Rückstellungen, die das Innenverhältnis betreffen, bilanziert werden, sogenannte Aufwandsrückstellungen.24 Der statische Rückstellungsbegriff ist somit deutlich enger gefasst als der dynamische. In dem IFRS Standard wird weitestgehend der Begriff der statischen Bilanztheorie verwendet.25
Dagegen sind Eventualforderungen Vermögenswerte, die aus vergangenen Ereignissen resultieren und deren Existenz durch das Eintreten oder Nichteintreten eines oder mehreren unsicheren, in die Zukunft gerichteten Ereignisse erst bestätigt wird.26 Diese Ereignisse stehen nicht unter vollständiger Kontrolle des bilanzierenden Unternehmens. Als Beispiel kann hier ein Anspruch gelten, den das Unternehmen in einem unsicheren Gerichtsverfahren durchsetzen will.27
2.2. Ansatzkriterien von Rückstellungen
Die Ansatzkriterien für die Bildung einer Rückstellung sind im IAS 37.14 klar definiert.28 Drei Bedingungen müssen kumulativ erfüllt sein, damit die Bildung einer Rückstellung gemäß IFRS für den Jahresabschluss zulässig ist.29
Rückstellungen sind gemäß IAS 37.14 dann anzusetzen, wenn:
a) „einem Unternehmen aus einem Ereignis der Vergangenheit eine gegenwärtige Verpflichtung (rechtlich oder faktisch) entstanden ist;
b) der Abfluss von Ressourcen mit wirtschaftlichem Nutzen zur Erfüllung dieser Verpflichtungen wahrscheinlich ist.
c) eine verlässliche Schätzung der Höhe der Verpflichtung möglich ist. “30
Das folgende Schaubild verdeutlicht schematisch die Ansatzkriterien und ihre Anwendung. Eine Rückstellung darf, wie bereits oben erwähnt, nur angesetzt werden, wenn alle drei Bedingungen gleichzeitig erfüllt sind.31
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Darstellung Ansatzkriterien von Rückstellungen32
2.2.1. Gegenwärtige Verpflichtung
Das Ansatzkriterium für eine gegenwärtige Verpflichtung (present obligation) muss als erstes erfüllt sein und setzt sich aus zwei Bestandteilen zusammen.33 Die Verpflichtung muss zum Bilanzstichtag vorhanden sein und sie muss durch Ereignisse aus der Vergangenheit begründet sein.34 Es kann sich dabei sowohl um eine rechtliche als auch um faktische Verpflichtungen handeln.35
Gemäß IFRS Framework wird eine Verpflichtung als eine Pflicht oder Verantwortung definiert, die vorgibt, in bestimmter Weise zu handeln oder eine Leistung zu erbringen. Eine Verpflichtung besteht dann, wenn eine andere Partei betroffen ist. Dabei ist es unerheblich, ob es sich hierbei um einen konkreten Dritten oder um die Öffentlichkeit in ihrer Gesamtheit handelt.36 Daraus folgt, dass die IFRS eine Außenverpflichtung voraussetzen. Eine Bilanzierung von Rückstellungen, die aus einer Innenverpflichtung resultieren, sind daher unzulässig.37 Ein grundsätzliches Ansatzverbot für Aufwandsrückstellungen im Innenverhältnis wie zum Beispiel Instandhaltungsrückstellungen ist daraus abzuleiten. Restrukturierungsmaßnahmen sind davon, obwohl ein Innenverhältnis vorliegt, ausgenommen, da diese explizit im IAS 37.70ff geregelt sind.38
Die rechtliche (legale) gegenwärtige Verpflichtung ergibt sich laut Definition im IAS 37.10 aus den folgenden Fällen:
a) „ einem Vertrag (aufgrund seiner expliziten oder impliziten Bedingungen);
b) Gesetzen; oder
c) sonstigen unmittelbaren Auswirkungen der Gesetze. “39
Die Definition nach IAS 37.10 zeigt, dass es unerheblich ist, ob eine rechtliche Außenverpflichtung aus dem Zivilrecht oder aus dem öffentlichen Recht begründet ist.40 Eine gesetzliche Verpflichtung kann auch dann bestehen, wenn eine geplante Gesetzesänderung noch nicht tatsächlich verabschiedet wurde.41 In der Praxis ist es jedoch schwierig, dies vorherzusagen. In Deutschland gilt daher, dass der Bundesrat das Gesetz bereits verabschiedet hat und nur die Billigung des Bundespräsidenten noch ausstehend ist.42
Eine faktische Verpflichtung liegt laut IAS 37.10 dann vor, wenn das Unternehmen durch sein Geschäftsgebaren oder öffentliche Ankündigungen gegenüber einer dritten Partei bzw. gegenüber der Öffentlichkeit in ihrer Gesamtheit, die Übernahme gewisser Verpflichtungen angedeutet hat oder bei der dritten Partei eine gerechtfertigte Erwartung zur Übernahme der Verpflichtung geweckt wurde.43 In IAS 37.20 wird dieser Ansatz konkretisiert. Eine Entscheidung des Managements bzw. eines Gremiums, das diese Entscheidung treffen kann, reicht nicht aus, um eine Verpflichtung zum Bilanzstichtag zu begründen. Die Entscheidung der Übernahme der Verpflichtung muss der entsprechenden Partei ausreichend und ausführlich mitgeteilt worden sein.44
Sollte das Bestehen einer gegenwärtigen Verpflichtung unklar sein, beispielsweise bei einem Gerichtsverfahren, so muss mit einer Wahrscheinlichkeit höher als 50 Prozent (more likely than not) davon ausgegangen werden, dass eine Verpflichtung am Bilanzstichtag bestehen könnte, damit das erste Ansatzkriterium einer gegenwärtigen Verpflichtung erfüllt ist.45 Diesen Sachverhalt soll das folgende Schaubild verdeutlichten.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 4: Übersicht zur Wahrscheinlichkeit des Bestehens einer Verpflichtung46
Des Weiteren ist es zwingend notwendig, dass die Verpflichtung aus einem Ereignis der Vergangenheit resultiert.47 Mit dieser Voraussetzung soll sichergestellt werden, dass keine zukünftig zu erwartenden oder geplanten Ereignisse im Vorhinein durch eine ergebniswirksame Rückstellung in der aktuellen Periode abgebildet werden.48 Ein weiteres Merkmal ist, dass aufgrund von wirtschaftlichen oder faktischen Zwängen ein Leistungsentzug durch das Unternehmen nicht möglich ist.49
2.2.2. Wahrscheinlichkeit Ressourcenabfluss
Das zweite Ansatzkriterium für Rückstellungen muss kumulativ zum ersten Ansatzkriterium erfüllt sein. Hier ist der wahrscheinliche Abfluss von Ressourcen mit wirtschaftlichem Nutzen im Zusammenhang mit der Erfüllung der Verpflichtung relevant.50 Gemäß IFRS Framework F.62 kann die Erfüllung einer gegenwärtigen Verpflichtung auf verschiedene Weise erfolgen. Dazu zählen unter anderem die Bezahlung per flüssiger Mittel, Dienstleistungserbringung oder durch das Übertragen von anderen Vermögenswerten.51
Eine wirtschaftliche Belastung des Unternehmens im Zusammenhang mit der Verpflichtung muss also vorliegen, um eine Rückstellung bilanzieren zu dürfen.52 Des Weiteren wird im IAS 37.23 spezifisch geregelt, dass der Nutzenabfluss im Zusammenhang mit der Erfüllung der Verpflichtung wahrscheinlicher sein muss, als deren Nichtabfluss.53 Daraus folgt, dass hier erneut eine Wahrscheinlichkeitskomponente verknüpft wird, die eine eigenständige Einschätzung des zu bilanzierenden Unternehmens notwendig macht.54 Die Standardliteratur spricht von einer mehr als 50 prozentigen Wahrscheinlichkeit, die erfüllt sein muss, um eine unsichere Schuld als Rückstellung bilanzieren zu dürfen.55 Der Maßstab ist somit identisch wie bei der Frage, ob eine gegenwärtigen Verpflichtung vorliegt. In diesem Zusammenhang wird der Begriff der doppelten Wahrscheinlichkeit in der Literatur verwendet.56
Bereits an dieser Stelle wird deutlich, dass die bilanzierenden Unternehmen gewisse Handlungsspielräume haben, die sie für eine Ergebnisglättung nutzen können.57
So müssen Unternehmen nicht jede Schuld einzeln nach der Wahrscheinlichkeit des Ressourcenabflusses bewerten und einstufen.58 Bei einer Vielzahl von gleichartigen Verpflichtungen, zum Beispiel bei Garantiezusagen, wird eine Portfolio Betrachtung der gesamten Gruppe angestrebt und hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit des Ressourcenabflusses geschätzt.59 Diese Portfolio Betrachtung nutzt der Volkswagen Konzern bei seiner größten Rückstellungsgruppe, Rückstellungen für Verpflichtungen aus dem Absatzbereich. Diese Rückstellungsart wird im praktischen Teil der Arbeit analysiert.
Um das Wahrscheinlichkeitsprinzip (more likely than not) zu verdeutlichen, soll folgende Tabelle unterstützen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 5: Übersicht zur Wahrscheinlichkeit des Ressourcenabflusses60
In der Grafik wird deutlich, dass eine Rückstellung nur bei einem wahrscheinlichen Ressourcenabfluss von mehr als 50 Prozent anzusetzen ist. Liegt die Wahrscheinlichkeit unter 50 Prozent, ist die Schuld als Eventualschuld im Anhang anzugeben. Ist der Ressourcenabfluss sehr unwahrscheinlich (remote, unter 10 Prozent) ist keine Anhangsangabe durchzuführen.61
2.2.3. Verlässliche Schätzung
Das letzte Ansatzkriterium, das für die Bilanzierung einer Rückstellung kumulativ erfüllt sein muss, ist die verlässliche Schätzung (reliable estimate).62 Das Kriterium wird in IAS 37.25 definiert und die Formulierung impliziert bereits, dass eine verlässliche Schätzung nur in absoluten Ausnahmesituationen nicht vorgenommen werden können sollte.63 Rückstellungsbilanzierungen, die aufgrund mangelnder Schätzbarkeit nicht realisiert werden, sind in der Praxis im Vergleich zu schätzbaren Rückstellungen kaum vorhanden.64 Der Standard geht hier davon aus, dass das zu bilanzierende Unternehmen verschiedene Möglichkeiten hat, um eine Schätzbarkeit zu realisieren.65 Unternehmensinterne oder -externe Erfahrungswerte, Gutachten, Sachverständige oder Vergleichsstudien können Möglichkeiten für eine verlässliche Schätzung sein.66
In der Praxis gibt es jedoch vereinzelt Situationen, in denen eine verlässliche Schätzung nicht möglich ist. Der Volkswagen Konzern weist in seinem Geschäftsbericht im Jahr 2015 offene Rechtsstreitigkeiten als Eventualverbindlichkeiten aus, da diese sich in einem sehr frühen Stadium befinden und eine Höhe nicht verlässlich zu schätzen ist. Besonders betroffen sind davon eingereichte Sammelklagen und Strafverfahren außerhalb der USA und Kanada.67
Das Ansatzkriterium der Schätzbarkeit ist im Standard sehr weich formuliert und hier wird bereits deutlich, dass es sich eher um ein formelles Kriterium handelt, dem keine sehr hohe Bedeutung beigemessen wird.68 Sollte der unwahrscheinliche Fall eintreten und eine Schätzung tatsächlich nicht möglich sein, sieht der Standard ein Passivierungsverbot vor. Das zu bilanzierende Unternehmen muss die Verpflichtung als Anhangsangabe in Form einer Eventualverbindlichkeit aufnehmen.69
2.3. Bewertung von Rückstellungen
Die Bewertung von Rückstellungen sind im IAS 37.36-52 und IAS 37.59-60 geregelt. Dabei wird nicht zwischen einer Zugangsbewertung und einer Folgebewertung unterschieden. Für diese beiden Verfahren sieht der Standard keine Differenzierung vor.70
2.3.1. Bestmögliche Schätzung
Gemäß IAS 37.36-41 sind Rückstellungen mit dem Betrag anzusetzen, der die bestmögliche Schätzung (best estimate) der zukünftigen Verpflichtung darstellt, die vermutlich am Abschlussstichtag beglichen werden soll.71 Das Ansatzkriterium der Schätzung wird mit diesem Bewertungsgrundsatz stark konkretisiert.72 Im Detail heißt es im IAS 37.36:
„Der als Rückstellung angesetzte Betrag stellt die bestmögliche Schätzung der Ausgabe dar, die zur Erfüllung der gegenwärtigen Verpflichtung zum Abschlussstichtag erforderlich ist. “73
Geschätzt werden soll also der Betrag, den das Unternehmen vernünftigerweise am Bilanzstichtag zahlen würde, um die Verpflichtung zu begleichen oder auf eine dritte Partei zu übertragen.74 In IAS 12 sind mögliche Steuereffekte geregelt, daher ist der Betrag als Nettobetrag anzusetzen.75 Der IASB verlangt eine vorsichtige bestmögliche Schätzung von den Unternehmen, damit die Rückstellungen nicht zu niedrig angesetzt werden. Gleichzeitig wird in IAS 37.43 jedoch klar geregelt, dass Unsicherheiten in der Schätzung eine zu hohe Ansetzung von Rückstellungen nicht rechtfertigen. Der Standard soll damit der Bildung von stillen Reserven entgegenwirken. Die Unternehmen haben sonst ein bilanzpolitisches Werkzeug, mit dem unter anderem der Gewinn direkt beeinflusst werden kann und somit auch die daraus resultierenden Steuerzahlungen. Die vorsichtige Bilanzierung wird damit eingeschränkt.76
Die bestmögliche Schätzung soll durch das Management und dessen Urteilsvermögen des zu bilanzierenden Unternehmens durchgeführt werden.77 Der Sachverstand von unabhängigen Experten sowie Erfahrungen mit vergleichbaren Sachverhalten können als zusätzliche objektive Informationsquelle dienen.78 Wertaufhellende Ereignisse, die nach dem eigentlichen Bilanzstichtag stattfanden, sind in jedem Fall mit zu berücksichtigen.79
Ein genauer Betrag kann für zukünftige ungewisse Verpflichtungen in der Regel nicht bestimmt werden. Das Management wird daher in den meisten Fällen versuchen, eine realistische Spanne des zu zahlenden Betrags anzugeben.80 IAS 37.39 gibt in solchen Fällen an, wie die Vorgehensweise ist. Hängt der zu schätzende Betrag von einer Vielzahl an gleichartigen Sachverhalten ab (z.B. Gewährleistungsverpflichtungen), so muss die Erwartungswertmethode eingesetzt werden.81 Dabei wird der bestmöglichste Schätzwert als Durchschnitt der einzelnen Verpflichtungsbeträge mit ihren jeweiligen Eintrittswahrscheinlichkeiten gewichtet und berechnet.82 Bei einer Spanne von gleichwahrscheinlichen Werten wird somit der mittlere Betrag als Rückstellung an- gesetzt.83
Bei der Ermittlung des Betrags einer einzelnen Verpflichtung sollte das wahrscheinlichste Ergebnis die bestmöglichste Schätzung darstellen. Das Unternehmen sollte dennoch auch andere wahrscheinliche Möglichkeiten in Betracht ziehen.84 Um einen verzerrten Wertansatz vermeiden zu können, sind einzelne Zu- oder Abschläge vorzunehmen. Dies ist besonders ratsam, wenn die anderen wahrscheinlichen Ergebnisse größtenteils unter- oder oberhalb des wahrscheinlichsten Einzelergebnisses liegen.85
2.3.2. Barwertmethode
Der Zins- und Zinseszinseffekt ist, sofern nicht unwesentlich, zu berücksichtigen. Dies gilt für Rückstellungen, die aus Verpflichtungen resultieren, die weit in der Zukunft beglichen werden müssen.86 Besonders betroffen davon können Rückstellungen aus Prozess- und Rechtsrisiken sein, da sich komplizierte Gerichtsprozesse in der Regel über einen längeren Zeitraum ziehen. Eine Überbewertung von Rückstellungen soll durch die Ansetzung des Barwerts als Rückstellungshöhe vermieden werden.87 Der Standard regelt jedoch nicht explizit, ab welchem Zeitpunkt die Barwertmethode angewendet werden muss.88 In der Regel gilt dieser Sachverhalt für alle Verpflichtungen, deren Inanspruchnahme mindestens ein Jahr nach Aufnahme der Rückstellung liegt. Sollte der Rückstellungsbetrag sehr hoch sein kann dies aber auch unterjährig eine Rolle spielen. Der Standard trifft zu diesem Sachverhalt jedoch keine genaue Aussage.89
Die zukünftig erwarteten Ressourcenabflüsse sind zu diskontieren.90 Gemäß IAS 37.47 ist ein Marktzinssatz vor Steuern, der die spezifischen Risiken der Rückstellung berücksichtigt, zu wählen.91 Eine eindeutige Regelung ist auch hier nicht getroffen. In der Praxis haben sich die Zinssätze für die fristadäquate Fremdkapitalaufnahme, Marktzins für fristadäquates Fremdkapital oder der Zinssatz für fristadäquate risikolose Anleihen bewährt.92
Der Volkswagen Konzern zinst alle Rückstellungen ab, die nicht schon im nächsten Geschäftsjahr zu einem Abfluss von Ressourcen führen. Das Unternehmen geht von einem durchschnittlichen Zinssatz im Euro Währungsraum von 0,20 % aus.93
2.3.3. Weitere Bewertungsgrundsätze
IAS 37.42-44 definiert Risiken und Unsicherheiten bei der bilanziellen Bewertung von Rückstellungen. In IAS 37.42 heißt es:
„Bei. der bestmöglichen Schätzung einer Rückstellung sind die unvermeidbar mit vielen Ereignissen und Umständen verbundenen Risiken und Unsicherheiten zu berücksichtigen. “94
Der Begriff Risiko wird in IAS 37.43 als die Unsicherheit zukünftiger Entwicklungen beschrieben.95 Durch eine Risikoanpassung kann der ursprünglich bilanzierte Betrag der Verpflichtung erhöht werden. Der Standard weist jedoch explizit darauf hin, dass bei einer Beurteilung unsicherer Umstände Vorsicht geboten ist, um Erträge bzw. Vermögenswerte nicht zu hoch und Aufwendungen und Schulden nicht zu niedrig zu bewerten.96
Bei der Bewertung von Rückstellungen sind zukünftige Ereignisse zu berücksichtigen, sofern genügend objektive substanzielle Hinweise vorliegen, dass diese Ereignisse eintreten werden und den Wert der Rückstellung beeinflussen können.97
Technologischer Fortschritt darf nur dann berücksichtigt werden, sofern nachweisbar ist, dass zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Rückstellung neue Techniken zur Verfügung stehen werden. Um dies ausreichend nachweisen zu können, müssen technisch qualifizierte objektive Beobachter den künftigen Stand der Technik, unter Berücksichtigung aller substanziellen Hinweise, dokumentieren.98 Der Volkswagen Konzern bildet Rückstellungen für Verpflichtungen aus dem Absatzgeschäft. In dieser Rückstellungsgruppe sind unter anderem Rückstellungen enthalten, die Risiken aus dem Verkauf von Originalteilen abdecken wie beispielsweise Gewährleistung. Werden zum Beispiel zukünftig Autobatterien entwickelt, die sich nie entladen oder unbegrenzt funktionsfähig sind, könnte Volkswagen die gebildete Rückstellungshöhe senken.
Sofern ausreichend objektive substanzielle Hinweise vorliegen, können auch Gesetzesänderungen Auswirkungen auf die Höhe der Rückstellungen haben.99 In der Praxis kann dies jedoch nur schwer umgesetzt werden, da oftmals nicht genug hinreichende objektive substanzielle Hinweise für ein sicheres in Kraft treten des Gesetzes in seiner spezifischen Form vorliegen.100
Erwartete Gewinne aus dem Abgang einzelner Vermögensgenstände sind bei der Rückstellungsbildung nicht zu berücksichtigen.101 Dies ist ebenfalls für Vermögensgegenstände, die eng mit der Verpflichtung verknüpft sind, unzulässig.102
2.4. Ausweis und Angabepflichten nach IFRS
Der Anhang (notes) ist ein zentraler Bestandteil eines Jahresabschlusses nach IFRS.103 Der Ab- schlussersteller findet in IAS 37 umfangreiche Angabe- und Ausweispflichten für Rückstellungen.104 Im vorliegenden Kapitel soll jedoch erst, um ein tieferes Verständnis zu schaffen, ganz allgemein auf die Funktionen und Anforderungen des Anhangs eingegangen werden. Diese sind in IAS 1 geregelt.105
Allgemeines Ziel eines IFRS Konzernabschlusses ist die Vergleichbarkeit und Vereinheitlichung von Jahresabschlüssen.106 Im Anhang werden daher die wesentlichen Bilanzierungs- und Bewertungsvorschriften erläutert, sowie weiterführende Beschreibungen und Zahlenangaben zu bestimmten Sachverhalten.107 Ziel des IFRS Anhangs ist es, Fehlinterpretationen zu vermeiden, indem zusätzliche Angaben geliefert werden und andere Rechnungslegungsinstrumente dadurch entlastet werden können.108
Explizit bedeutet das für die vorliegende Arbeit, dass Rückstellungen getrennt von anderen Schulden betrachtet werden müssen und die Anhangsangaben systematisch und strukturiert darzustellen sind.109 Alle Posten innerhalb der Bilanz, der Kapitalflussrechnung und der Gesamtergebnisrechnung sind mit einem Verweis zum Anhang darzustellen.110 Um die Vergleichbarkeit von Konzernabschlüsse zu gewährleisten, sind gem. IAS 1.114 die Anhangsangaben in einer festgelegten Reihe vorzunehmen. Nach der Bestätigung der Übereinstimmung des Anhangs mit den IFRS Richtlinien werden die angewandten Rechnungslegungsmethoden, die wesentlich sind, zusammengefasst dargestellt. Des Weiteren werden weiterführende Informationen zu den Positionen der Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, Eigenkapitalveränderungsrechnung und der Kapitalflussrechnung dargestellt. Abschließend werden sonstige Angaben, insbesondere auch Angaben zu Eventualverbindlichkeiten, aufgeführt.111
In der internationalen Rechnungslegung sind Rückstellungen ein Teil der bilanzierten Schulden und somit auf der Passivseite einer Bilanz darzustellen. Die Fristigkeit entscheidet darüber, ob diese Darstellung im lang- oder kurzfristigen Fremdkapital stattfindet.112 Gemäß IAS 1.54 (1) und IAS 37.11 sind Rückstellungen als ein gesonderter Posten in der Bilanz darzustellen.113 Nach IAS 1.78 (d) erfolgt die Darstellung des Ansatzes im Anhang oder in den jeweiligen Rechenwerken der Bilanz unter Beachtung der Größe, Art und Fristigkeit der jeweiligen Rückstellung. Hier wird unter anderem zwischen Rückstellungen für Leistungen an Arbeitnehmer oder sonstige Rückstellungen unterschieden.114
Veränderungen von Rückstellungen sind gemäß IAS 37.84f. zusammengefasst in homogene Gruppen in der Berichtsperiode detailliert zu beschreiben.115 Beispiele für diese zusammengefassten klassifizierten Gruppen aus der Praxis sind unter anderem:116
a) Rechtsstreitigkeitsrückstellungen
b) Gewährleistungs- und Produkthaftungsrückstellungen
c) Umweltschutzrückstellungen
Die Angaben des Rückstellungsspiegels für den Anhang werden ebenfalls im IAS 37 geregelt. Demnach sind die Buchwerte der einzelnen Rückstellungen im Rückstellungsspiegel anzugeben. Des Weiteren müssen Angaben zu Inanspruchnahmen, Zuführungen, Auflösungen und Wertänderungen getätigt werden.117 Die folgenden Abbildungen enthalten zwei Rückstellungsspiegel, die den eben geschilderten Sachverhalt verdeutlichen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Allgemeiner Rückstellungsspiegel118
30. Lang- und kurzfristige sonstige Rückstellungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Der Eröffnungsbilanzwert wurde angepasst (siehe Erläuterungen zu IFRS9 und IFRS15).
Abbildung 4: Rückstellungsspiegel des Volkswagen Konzerns119
Abbildung 4 zeigt den Rückstellungsspiegel des Volkswagen Konzerns für das Geschäftsjahr 2018. In diesem sind detaillierte Informationen zu der Entwicklung der verschiedenen Rückstellungsgruppen im Konzern enthalten.
Gemäß IAS 37.92 kann sich ein Unternehmen in besonderen Fällen von bestimmten Angaben befreien, sofern sich die Angabe der Daten negativ auf die wirtschaftliche Lage des Unternehmens auswirken könnte.120 Dies ist unter anderem denkbar, wenn sich das bilanzierende Unternehmen in einem Rechtsstreit mit einer dritten Partei befindet und bestimmt Angaben in diesem Zusammenhang gegen das Unternehmen verwendet werden könnten.121 Gemäß IFRS sind diese Fälle jedoch äußerst selten. Sofern sich ein Unternehmen darauf beruft, muss es im Anhang auf den gegenwärtigen Rechtsstreit hinweisen und genau darlegen, warum die Informationen zurückgehalten worden sind.122
2.5. Folgebewertungen von sonstigen Rückstellungen
Angesetzte Rückstellungen sind zu jedem folgenden Abschlussstichtag abermals zu prüfen, um zu eruieren, ob im laufenden Geschäftsjahr Änderungen in den Ansatz (Wahrscheinlichkeit) - und/oder Bewertungskriterien (Höhe des Betrags) erfolgt sind.123 Sollten sich Änderungen ergeben, sind die bilanzierten Rückstellungen zu korrigieren und die Änderungen zu dokumentie- ren.124
In den folgenden Kapiteln werden die theoretischen Grundlagen für Zuführung, Auflösung und Inanspruchnahme erläutert und mit einem praktischen Beispiel aus der Analyse verknüpft.
2.5.1. Zuführung von sonstigen Rückstellungen
Stellt das bilanzierende Unternehmen in der Folgeperiode fest, dass der angesetzte Rückstellungsbetrag aufgrund neuer Erkenntnisse nicht mehr ausreichend ist, muss der ursprünglich angesetzte Rückstellungsbetrag erhöht werden, damit das Ansatzkriterium der bestmöglichen Schätzung gewährleistet ist.125 Das Unternehmen muss den Unterschiedsbetrag als Zuführung erfolgswirksam über die Gewinn- und Verlustrechnung auf den ursprünglich angesetzten Rückstellungsbetrag addieren. Dieser Vorgang ist vergleichbar mit der Erstbewertung einer Rückstellung. Der Betrag ist als Aufwand zu deklarieren.126
Der Volkswagen Konzern musste im Zuge des Abgasskandals Rückstellungen bilden und zuführen. Im Geschäftsjahr 2015 hat der Konzern ca. 7,7 Mrd. Euro innerhalb der sonstigen Rückstellungen für Prozess- und Rechtsrisiken zugeführt. Von diesem Betrag entfielen ca. 7,0 Mrd. Euro auf Rückstellungen resultierend aus dem Abgasskandal. Der Buchungssatz innerhalb des Konzerns lautete wie folgt:
sonstiger betrieblicher Aufwand 7,0 Mrd. Euro
an sonstige Rückstellungen für Prozess- und Rechtsrisiken 7,0 Mrd. Euro
Durch die Buchung erhöhte sich der sonstige betriebliche Aufwand für das Geschäftsjahr 2015 um 7,0 Mrd. Euro und das operative Ergebnis (EBIT) verringerte sich um 7,0 Mrd. Euro. Des Weiteren erhöhte sich der bilanzierte Rückstellungsbetrag um 7,0 Mrd. Euro.
2.5.2. Auflösung von sonstigen Rückstellungen
Für den Fall, dass die Kriterien die zur Bilanzierung führten nicht mehr gegeben sind, wird somit eine Auflösung der bilanzierten Rückstellungen notwendig.127 Mögliche Gründe für eine Auflösung sind:128
a) Rückstellung muss nicht mehr in Anspruch genommen werden
b) Geringerer Erfüllungsbetrag aufgrund veränderter Schätzungen
[...]
1 Vgl. Wiley-VCH (2018), S. 4f.
2 Vgl. Botzem (2010), S. 20ff.
3 Vgl. Reifenberger (2016), Goodwill-Abschreibungen steigen auf Rekordwert.
4 Vgl. Wehrheim (2007), S. 183.
5 Vgl. Buschhüter / Striegel (2009), S. 65f.
6 Vgl. Binger (2009), S. 9ff
7 Vgl. Driesch u.a. (2016), S. 650f
8 Vgl. Bergs (2006), S. 250.
9 Wiley-VCH (2018), F.49. S. 18.
10 Ebenda. IAS 37.10. S. 526.
11 Vgl. Haas (2011), S. 78.
12 Eigene Darstellung des Verfassers in Anlehnung an: KPMG AG WPG (2010), S. 100.
13 Vgl. Hachmeister (2006), S. 104f
14 Vgl. Müller / Saile (2018), S. 167.
15 Vgl. Buschhüter / Striegel (2009), S. 227.
16 Eigene Darstellung des Verfassers.
17 Vgl. Buschhüter / Striegel (2011), S. 959.
18 Vgl. Binger (2009), S. 118.
19 Eigene Darstellung des Verfassers.
20 Eigene Darstellung des Verfassers in Anlehnung an: Wiley-VCH (2018), IAS 37. S 524.
21 Vgl. Pellens u.a. (2017), S. 509.
22 Vgl. Coenenberg / Haller / Schultze (2018), S. 434.
23 Vgl. Pellens u.a. (2017), S. 509.
24 Vgl. Coenenberg / Haller / Schultze (2018), S. 434f
25 Vgl. Binger (2009), S. 235f
26 Vgl. Müller (2008), S. 67.
27 Vgl. Zülch / Hendler (2009), S. 343f
28 Vgl. Buschhüter / Striegel (2009), S. 229.
29 Vgl. Binger (2009), S. 119.
30 Wiley-VCH (2018), IAS 37.14. S. 528.
31 Vgl. Pellens u.a. (2017), S. 510.
32 Eigene Darstellung des Verfassers in Anlehnung an: Coenenberg / Haller / Schultze (2018), S. 459.
33 Vgl. Kirsch (2016), S. 174f
34 Vgl. Pellens u.a. (2017), S. 511.
35 Vgl. Löw (2004), S. 156f
36 Vgl. Kaiser (2009), S. 40.
37 Vgl. Müller / Saile (2018), S.172.
38 Vgl. Binger (2009), S. 121f.
39 Wiley-VCH (2018), IAS 37.10. S. 526.
40 Vgl. Pellens u.a. (2017), S. 511.
41 Vgl. Binger (2009), S. 121f.
42 Vgl. Bieg u.a. (2006), S. 225.
43 Vgl. Kaiser (2009), S. 62.
44 Vgl. Buschhüter / Striegel (2009), S. 230.
45 Vgl. Theile (2012), S. 648.
46 Eigene Darstellung des Verfassers in Anlehnung an: Grünberger (2010), S. 167.
47 Vgl. Buschhüter / Striegel (2011), S. 961.
48 Vgl. Hachmeister (2006), S. 122ff
49 Vgl. Müller (2008), S. 67.
50 Vgl. Löw (2004), S. 158.
51 Vgl. Wiley-VCH (2018), F.62. S. 20.
52 Vgl. Binger (2009), S. 123.
53 Vgl. Bergs (2006), S. 252.
54 Vgl. Bieg u.a. (2006), S. 219.
55 Vgl. Kaiser (2009), S. 70.
56 Vgl. Pellens u.a. (2017), S. 511.
57 Vgl. Wehrheim (2007), S. 196f.
58 Vgl. Buschhüter / Striegel (2009), S. 230.
59 Vgl. Müller / Saile (2018), S. 172.
60 Eigene Darstellung des Verfassers in Anlehnung an: Buchholz (2013), S. 249f.
61 Vgl. Grünberger (2010), S. 166f.
62 Vgl. Bergs (2006), S. 250.
63 Vgl. Bieg u.a. (2006), S. 219.
64 Vgl. Müller / Saile (2018), S. 168.
65 Vgl. Binger (2009), S. 124ff.
66 Vgl. Hachmeister (2006), S. 125.
67 Vgl. Geschäftsbericht Volkswagen AG (2015), S. 287ff.
68 Vgl. Kaiser (2009), S. 77f
69 Vgl. Bergs (2006), S. 252.
70 Vgl. Zülch / Hendler (2009), S. 346.
71 Vgl. Buschhüter / Striegel (2009), S. 231.
72 Vgl. Buchholz (2013), S. 249f
73 Wiley-VCH (2018), IAS 37.36. S. 532.
74 Vgl. Löw (2004), S. 171.
75 Vgl. Pellens u.a. (2017), S. 514.
76 Vgl. Buschhüter / Striegel (2011), S. 964.
77 Vgl. Kaiser (2009), S. 119.
78 Vgl. Bergs (2006), S. 253.
79 Vgl. Müller / Saile (2018), S. 176f
80 Vgl. Hachmeister (2006), S. 126ff.
81 Vgl. Buschhüter / Striegel (2009), S. 231.
82 Vgl. Kresse / Leuz / Leuz (2002), S. 179.
83 Vgl. Theile (2012), S. 656.
84 Vgl. Buschhüter / Striegel (2011), S. 965.
85 Vgl. Bieg u.a. (2006), S. 224.
86 Vgl. Kirsch (2016), S. 179.
87 Vgl. Pellens u.a. (2017), S. 516.
88 Vgl. Kaiser (2009), S. 178.
89 Vgl. Hachmeister (2006), S. 135f.
90 Vgl. Müller / Saile (2018), S. 178.
91 Vgl. Buschhüter / Striegel (2011), S. 963f.
92 Vgl. Zülch / Hendler (2009), S. 348f.
93 Vgl. Geschäftsbericht Volkswagen (2018), S. 230.
94 Wiley-VCH (2018), IAS 37.42. S. 534.
95 Vgl. Pellens u.a. (2017), S. 517.
96 Vgl. Hachmeister (2006), S. 129f.
97 Vgl. Buschhüter / Striegel (2009), S. 232.
98 Vgl. Bergs (2006), S. 260.
99 Vgl. Kaiser (2009), S. 44.
100 Vgl. Driesch u.a. (2016), S. 665.
101 Vgl. Zülch / Hendler (2009), S. 349.
102 Vgl. Bergs (2006), S. 254.
103 Vgl. Coenenberg / Haller / Schultze (2018), S. 877ff.
104 Vgl. Bieg u.a. (2006), S. 228.
105 Vgl. Hachmeister (2006), S. 194.
106 Vgl. Coenenberg / Haller / Schultze (2018), S. 877f
107 Vgl. Buschhüter / Striegel (2009), S. 95ff.
108 Vgl. Binger (2009), S. 55ff
109 Vgl. Hayn / Waldersee (2000), S. 142f
110 Vgl. Driesch u.a. (2016), S. 703ff.
111 Vgl. Wiley-VCH (2018), IAS 1.114. S. 68.
112 Vgl. Pellens u.a. (2017), S. 526f
113 Vgl. Buschhüter / Striegel (2009), S. 85ff.
114 Vgl. Driesch u.a. (2016), S. 704ff
115 Vgl. Pellens u.a. (2017), S. 527.
116 Vgl. Driesch u.a. (2016), S. 703ff
117 Vgl. Zülch / Hendler (2009), S. 354f
118 Entnommen aus: Lüdenbach (2016), S. 216.
119 Entnommen aus: Geschäftsbericht Volkswagen AG (2018), S. 274.
120 Vgl. Pellens u.a. (2017), S. 528.
121 Vgl. Buschhüter / Striegel (2015), S. 105.
122 Vgl. Buschhüter / Striegel (2011), S. 970.
123 Vgl. Müller / Saile (2018), S. 182.
124 Vgl. Driesch u.a. (2016), S. 669f
125 Vgl. Hachmeister (2006), S. 148f.
126 Vgl. Wacker (2019), S. 115.
127 Vgl. Binger (2009), S. 235.
128 Vgl. Hachmeister (2006), S. 149f.
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