Dieser Essay untersucht den evolutionären Ansatz und seine Abgrenzung innerhalb der Wirtschaftsgeographie. Konkret geht es dabei um Aspekte der Evolutionsbiologie in der Regionalentwicklung.
Das auf den ersten Blick biologisch konnotierte Thema der Evolution hat im Bereich der Ökonomie vor allem durch Giovanni Dosi und Richard R. Nelson bereits seit längerer Zeit Bezug gefunden. Ebenso sind die Gesellschaftstheoretiker Karl Marx und Adam Smith auf die Materie eingegangen. Innerhalb der Geographie sind es speziell die Ansätze der Wirtschaftsgeographen Ron A. Boschma, Jürgen Essletzbichler, Gernot Grabher und Ron Martin, die ihre Kerngedanken mit evolutionärem Hintergrund in den Vordergrund rückten. Die evolutionäre Wirtschaftsgeographie erlangte in den vergangenen drei Jahrzehnten steigende Bekanntheit innerhalb der Forschungstätigkeit und beinhaltet sowohl Konzepte der Evolutionsbiologie als auch der -ökonomie. Aufgrund der Vielzahl an Theorien innerhalb des Ansatzes, bestehen auch gegenwärtig noch Probleme für die Entwicklung und Etablierung der Theorie.
Demnach stellen sich die Autoren der unterschiedlichen Abhandlungen beispielsweise die Frage, warum sich manche Regionen in deren Fähigkeit unterscheiden, sich zu entwickeln, andere nachzuahmen oder neue Vielfalt zu generieren, sowie welche ökonomischen und institutionellen Strukturen gegeben sein müssen, damit eine Region ihre Konkurrenzposition sichern oder sogar ausbreiten kann.
Aspekte der Evolutionsbiologie in der Regionalentwicklung – Ist der evolutionäre Ansatz ein klar abzugrenzender innerhalb der Wirtschaftsgeographie?
1. Einleitung
Das auf den ersten Blick biologisch konnotierte Thema der Evolution hat im Bereich der Ökonomie vor allem durch Giovanni Dosi und Richard R. Nelson bereits seit längerer Zeit Bezug gefunden. Ebenso sind die Gesellschaftstheoretiker Karl Marx und Adam Smith auf die Materie eingegangen. Innerhalb der Geographie sind es speziell die Ansätze der Wirtschaftsgeographen Ron A. Boschma, Jürgen Essletzbichler, Gernot Grabher und Ron Martin, die ihre Kerngedanken mit evolutionärem Hintergrund in den Vordergrund rückten. Die evolutionäre Wirtschaftsgeographie erlangte in den vergangenen drei Jahrzehnten steigende Bekanntheit innerhalb der Forschungstätigkeit und beinhaltet sowohl Konzepte der Evolutionsbiologie als auch der -ökonomie. Aufgrund der Vielzahl an Theorien innerhalb des Ansatzes, bestehen auch gegenwärtig noch Probleme für die Entwicklung und Etablierung der Theorie (vgl. Essletzbichler & Rigby 2007: 549). Grabher (2009: 120) betont gar den zusammenhanglosen Charakter und somit den Zweifel an der sozialen und politischen Relevanz der Disziplin. Nichtsdestotrotz gehen Boschma & Frenken (2006: 273) davon aus, dass die evolutionäre Wirtschaftsgeographie ein wachsendes Paradigma in regionalentwicklungsbezogenen Diskussionen darstellt. Demnach stellen sich die Autoren der unterschiedlichen Abhandlungen beispielsweise die Fragen, warum sich manche Regionen in deren Fähigkeit unterscheiden sich zu entwickeln, andere nachzuahmen oder neue Vielfalt zu generieren sowie welche ökonomischen und institutionellen Strukturen gegeben sein müssen, damit eine Region ihre Konkurrenzposition sichern oder sogar ausbreiten kann (vgl. Boschma & Lambooy 1999: 412).
In der vorliegenden Arbeit wird speziell auf die Ideen von Essletzbichler und Rigby eingegangen, die unter anderem den „Generalized Darwinism“ (Essletzbichler & Rigby 2007: 551) als wichtigen Aspekt innerhalb der evolutionären Wirtschaftsgeographie deuten. Dieser soll in der Folge durch weitere Beiträge der bereits zitierten Wissenschaftler ergänzt werden. Insgesamt soll im Hauptteil der Arbeit der Frage nachgegangen werden ob der evolutionäre Ansatz klar von anderen Forschungsrichtungen innerhalb der Wirtschaftsgeographie (z.B. relationale oder institutionelle Wirtschaftsgeographie) abgegrenzt werden kann oder ob möglicherweise zu viele Parallelen zwischen den Richtungen bestehen, um eigens abgesteckt werden zu können. Im Schlussteil wird neben einer kurzen Zusammenfassung zudem ein Bezug zur Regionalentwicklung hergestellt.
2. Kerngedanken des evolutionären Ansatzes
Nach Essletzbichler und Rigby (2007: 551) ist in der Entwicklung der Evolutionsökonomik speziell der Generalisierte Darwinismus hervorzuheben. Hierbei wird davon ausgegangen, dass bestimmte Prinzipien der Evolution – in diesem Kontext speziell die Vielfalt, Selektion und das Fortbestehen – einen theoretischen Rahmen liefern, um evolutionäre Veränderungen in allen Bereichen (von physikalischen bis hin zu sozialen Systemen) erklären zu können (ebd.). Forscher der Evolutionsökonomik gehen von einem Akteur aus, der sich von anderen Akteuren unterscheidet, sich im Laufe der Zeit mehr oder weniger stark verändert sowie seine Umwelt beeinflusst und umgekehrt. Bezogen auf die Ebene von Unternehmen hilft die dynamische Sichtweise des Ansatzes dabei, das Verhalten der Marktumwelt nachvollziehen zu können. Die angesprochene Vielfalt bzw. Heterogenität von Firmen gilt als ein Nebenprodukt von Konkurrenz und Innovationsdenken. Selektionsmechanismen haben den Effekt, dass zum einen bestimmte Betriebe vom Markt vertrieben werden und zum anderen neue hinzukommen (vgl. Essletzbichler & Rigby 2007: 552). Das evolutionäre Prinzip des Fortbestehens zeigt sich speziell in den Routinen, die für das Argumentieren mit evolutionsökonomischen Hintergrund unabdingbar sind (vgl. Essletzbichler & Rigby 2007: 553). Routinen bestehen zu einem Großteil aus dem „tacit knowledge“ (Boschma & Frenken 2006: 278), einer Art nicht kodifizierbarem Wissen sowie dem Erfahrungswissen, die beide schwer von anderen Firmen zu kopieren sind. Zudem sind Routinen zwischen den jeweiligen Organisationen unterschiedlich und zugleich beständig. Sie resultieren aus vergangenen Erfahrungen und Aktivitäten, womit deutlich wird, dass die Disziplin im Allgemeinen nicht ohne die Berücksichtigung vergangener Ereignisse zu verstehen ist. Vertreter der Evolutionsökonomik analysieren hauptsächlich die Bildung und Verteilung von neuen Routinen und die Mechanismen, durch welche die Verteilung von ‚geeigneteren’ Routinen zu Stande kommen (ebd.).
Die Idee der Pfadabhängigkeit sowie des damit zusammenhängenden lock-ins sehen Essletzbichler & Rigby (2007: 559) als Ergebnis von verschiedenen kausalen Mechanismen wie beispielsweise die Präsenz von natürlichen Ressourcen oder kulturellen Traditionen. Pfadabhängigkeit beinhaltet die Gefahr einer gewissen „inertia“ oder eines „negative lock-in“ (Boschma & Lambooy 1999: 416). Das heißt, dass industrielle Regionen nach einer gewissen Zeit möglicherweise Opfer ihres früheren Erfolges werden und ihre innovative Kapazität verlieren, da sie zu sehr an den etablierten Mustern festhalten (vgl. Boschma & Lambooy 1999: 416). In aktueller Hinsicht trifft das in den Folgejahren aller Voraussicht nach auf die Atomindustrie in Deutschland, aufgrund des politisch initiierten Ausstiegs aus der Atomkraft zu.
Räumliche Muster erfolgreicher Firmen sind das Ergebnis von Selektionsmechanismen, die jedoch nicht immer bewusst ablaufen. Demnach haben räumliche Effekte eher einen wahrscheinlichkeitstheoretischen als einen deterministischen Hintergrund, da Entscheidungen der Standortwahl, speziell zu Beginn einer neu aufkommenden Industrie nicht selten zufällig getroffen werden (vgl. Boschma & Lambooy 1999: 414). Der angesprochene Zufall und steigende Rückkopplungseffekte zeigen sich zum Teil in Spin-off Prozessen, unter denen unter anderem ein evolutionärer Mechanismus des Wissenstransfers und Lernens zwischen Organisationen gemeint ist. Sie sind wichtig für das Wachstum von High-Tech Standorten. Der Zufall ist hier im Sinne der zufälligen Abfolge neuer Spin-offs involviert (vgl. Boschma & Lambooy 1999: 417). Ferner kann eine neue Vielfalt in Form von Diskontinuität auf der einen Seite mit unvorhergesehenen, zufälligen Geschehnissen verbunden sein. Auf der anderen Seite kann sie als zufälliges Ergebnis eines Forschungsprozesses, das jedoch eher vorhersagbar war, weil es durch existierende Pfad ausgelöst wurde und in diese eingebettet ist, gesehen werden. Der Zufall ist dann relevant, wenn es unvorhersehbar ist, wo ein spezifischer Auslöser (z.B. technische Probleme, Arbeitskonflikte, Marktmöglichkeiten, etc.) das Emporkommen eines neuen Industriezweigs einleitet (vgl. Boschma & Lambooy 1999: 421f.). Nach Boschma & Frenken (2006: 295) bietet die evolutionäre Wirtschaftsgeographie Erklärungen für unterschiedliche Phänomene, wie das Standortverhalten eines Betriebs, die räumliche Entwicklung von Sektoren und Netzwerken, die Co-Evolution von Firmen, Technologien und territorialen Institutionen oder die Konvergenz bzw. Divergenz in räumlichen Systemen. Es stellt sich jedoch auch die Frage, welche anderen Ansätze diese Erklärungen unterstützen können.
3. Ähnlichkeiten und Abgrenzungen zu anderen Konzepten der Wirtschaftsgeographie
Nahezu alle Vertreter der evolutionären Wirtschaftsgeographie lehnen neoklassische Sichtweisen ab. Dazu zählt neben der Rationalität der Akteure im Sinne eines homo oeconomicus beispielsweise auch das Prinzip der perfekten Information oder die zu statische Interpretation ökonomischer Prozesse (vgl. Boschma & Lambooy 1999: 414; Essletzbichler & Rigby 2007: 550). Neoklassische Theorien konnten Phänomene wie beispielsweise wirtschaftliches Wachstum, den technologischen Wandel, die industrielle Entwicklung, die Natur des Wettbewerbs, die Rolle von Institutionen und Routinen die das individuelle Verhalten beeinflussen, nicht genau genug erklären (vgl. Essletzbichler & Rigby 2007: 550).
Bezogen auf den relationalen Ansatz ist speziell das Konzept der räumlichen Nähe wichtig. Diese ist essenziell, da sie einen Prozess kollektiven Lernens stimuliert, Transaktions- und Forschungskosten mindert und die Koordination zwischen Akteuren ermöglicht. Damit einher gehen die Mobilität von Humankapital, dichte Netzwerke, gemeinsame lokale Vertrauenskulturen und einen regionsspezifischen Wissensüberschuss. Dies ergibt folglich einen komparativen Vorteil, der nur schwer zu kopieren und in anderen Regionen übertragbar ist (vgl. Boschma & Lambooy 1999: 415). An dieser Stelle wird die Parallele zu den bereits erwähnten Routinen deutlich.
Der Zusammenhalt im räumlichen Kontext ist wichtig, da er Vielfalt und den Prozess der Innovation begünstigt, was mit dem Begriff der „innovative milieus“ (Boschma & Lambooy 1999: 415) zu verbinden ist. Innovation kann in diesem Zusammenhang auch als kreativer Prozess gesehen werden, der generische Ressourcen (z.B. Grundwissen und -fähigkeiten) zu spezifischen Stärken (spezielles Wissen und Fähigkeiten) umwandelt und eine Region folglich für techno-industrielle Aktivität attraktiver werden lässt (Boschma & Lambooy 1999: 423). Die Autoren sprechen hier auch von „localization economies“ (Boschma & Lambooy 1999: 425). Auch an dieser Stelle ist die Verbindung zur evolutionären Wirtschaftsgeographie zu nennen, denn Essletzbichler & Rigby (2007: 555) betonen, dass auf der Mikrolevel-Ebene die bereits angesprochene begrenzte Rationalität und Routinen in Firmen wichtig für Innovations- und Adaptionsprozesse sind.
Zusätzlich betonen sie die Wichtigkeit von Institutionen auf der Meso- und Makrolevel-Ebene respektive der Regionen, da diese den Technologiepfad in eine bestimmte Richtung lenken können (ebd.). Die Hervorhebung formaler Strukturen (Regeln, Gesetze, technologische Standards, usw.) sowie informeller Strukturen (Verhaltensregeln, Kulturen, Konventionen, usw.), die sich zum Teil den evolutionstheoretisch wichtigen Routinen ähneln, wird genutzt um Unterschiede der jeweiligen Leistungsfähigkeit darlegen zu können (vgl. Essletzbichler & Rigby 2007: 557).
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- Quote paper
- Andreas Ditzig (Author), 2016, Über den evolutionären Ansatz und seine Abgrenzung in der Wirtschaftsgeographie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/495508