Sexueller Kindesmissbrauch durch Frauen stellt auch heute noch eines der größten Tabuthemen dar. Diese Arbeit hat sich das Ziel gesetzt die Ursachen und Hintergründe aufzuzeigen, weshalb Frauen als Kindesmissbraucherinnen von der Gesellschaft, als auch von Experten/innen lange Zeit gänzlich ausgeblendet wurden.
Hierbei wird sich dem Thema literarisch mit der Hilfe von englischsprachiger (Estela Welldon, 2003; David Finkelhor, 1979, 1984, Jane Kinder Mathews, Ruth Matthews & Kathleen Speltz, 1991, etc.) und deutschsprachiger Literatur (Gerhardt Amendt, 1993; Dirk Bange,1996, Alexander Markus Homes, 2004, etc.) angenähert. Ein besonderes Augenmerk wurde auf die perverse Fürsorge gelegt um aufzuzeigen wie schleichend sexuelle Übergriffe in die alltägliche Körperroutine zwischen Frau und Kind einfliessen können. Weiteres wird die zyklische Weitergabe des Missbrauches genauer untersucht und aufgezeigt wie diese verhindert werden kann, da eine Prädisposition eine eigene Täterschaft positiv begünstigen kann.
INHALTSVERZEICHNIS
I.EINLEITUNG
1.Auftretende Fragen, Hypothesen oder beides
2.Zielsetzung der Diplomarbeit
3.Aufbau der Diplomarbeit
4.Methoden
5.Forschungsproblematik
II . DEFINITION UND ABGRENZUNG
1. Sexueller Missbrauch, sexuelle Gewalt, sexuelle Ausbeutung- eine Frage des Ausdrucks
1.1. Sexueller Missbrauch
1.2. Formen des sexuellen Kindesmissbrauchs
1.3. Häufigkeit des sexuellen Kindesmissbrauchs durch Frauen
III . TABU
1. Frauen als Täterinnen- ein Tabu unserer Gesellschaft
- Alte psychoanalytische Sichtweise auf die Frau als Sexualtäterin
2. Das Rollenbild der Mutter- eine heilige Maria
2.1. Mutterinstinkt, die angeborene Mutterliebe
2.2. Die Umstrukturierung des Mutterbildes im Wandel der Zeit
- Entstehung des heutigen Mutterbildes im Wandel der Zeit
IV . URSACHEN
1. Psychosoziale Erklärungsmodelle des sexuellen Kindesmissbrauchs durch Frauen
1.1. Feministische Theorie
1.2. Familiendynamische Theorie
1.3. Soziologische Theorien
1.4. Psychopathologische Theorie
2. Die Hintergründe des sexuellen Kindesmissbrauchs und deren theoretische Erklärungsansätze
2.1. Kontrolle und Sicherheitsbedürfnis als Motiv für den sexuellen Kindesmissbrauch
2.2. Sexueller Missbrauch als Resultat der patriarchalen Gesellschaft
2.3. Kontrolle und Sicherheitsbedürfnis
2.4. Zyklische Weitergabe des sexuellen Kindesmissbrauchs
- Kritik an der Theorie der zyklischen Weitergabe
2.5. Missbrauchszyklen und deren verschiedene psychologische Paradigmenstandpunkte
2.5.1. Modelling durch frühe Kindheitserfahrungen
2.5.2. Konditionierung in der Kindheit
2.5.3. Identifikation mit dem/der Aggressor/in
2.5.4. Reinszenierung des Traumas
2.5.5. Begünstigende Faktoren, die die Weitergabe des zyklischen Missbrauchs verhindern/fördern
2.6. Neuentstehung von sexuellem Missbrauchsverhalten
2.7. Organische Gründe für die Begehung von sexuellem Kindesmissbrauch
2.8. Suchtabhängigkeit und sexueller Kindesmissbrauch durch Frauen
2.9. Vier-Faktorenmodell von Finkelhor (1984)
3. Psychische Störungen - Mitursache des sexuellen Kindesmissbrauchs
3.1. Weibliche Perversion
3.2. Weibliche Perversion, die latente Perversion
3.3. Das Konzept der weiblichen Perversion
3.4. Identität und Geschlechtsidentität, Problematiken als Ursprung der weiblichen Perversion
3.5. Sexualisierung
3.6. Perversion als Abwehrmechanismus
3.7. Wann scheint eine weibliche Perversion auf?
V . VORGANGSWEISE UND TYPOLOGIEN
1. Das Kind als Missbrauchsobjekt
2. Mechanismen der Frau, um das Kind an sich zu binden
2.1 Grooming und Targeting
2.2 Symbiotische Beziehung
- Bindung auf der Über-Ich Ebene
- Bindung auf der Ich-Ebene
2.3 Parentifizierung
2.4 Partnerersatz
- Bindung auf der ES-Ebene (affektiven Ebene)
- Psychoanalytische Betrachtung von physischer Gewalt
2.5 Perverse Mütterlichkeit
2.5.1 Die Beschämung und das mütterliche Wunschbild des asexuellen Kindes
2.5.2 Perverse Mütterlichkeit beispielhaft an der mütterlichen Brust aufgezeigt
2.5.3 Grenzüberschreitende Sexualaufklärung
2.5.4 Kindliche Genitalwaschung bei Buben durch Frauen
2.6 Das Kind als Intimpartner
2.6.1 Im Bett der Mutter schlafen, wenn der Partner nicht da ist
2.6.2 Mutter-Sohn Inzest
3 Typologie der Täterinnen
3.1 Persönlichkeitsmerkmale der Täterinnen
3.2 Persönlicher Hintergrund der Täterinnen
4 Frauen und ihr sexuelles Missbrauchsverhalten
4.1 Einzel- und Co-Täterin
4.2 Opferanzahl von Täterinnen
4.3 Geschlechterverteilung der Opfer
- Frauen, die Mädchen missbrauchen
4.4 Pädophilie bei Frauen, die Kinder missbrauchen
4.5 Typisierung nach Mathews, Matthews und Speltz (1991)
- Ergebnisse der Studie von Mathews et al. (1991)
4.6 Typisierung nach Sandler und Freeman (2007)
VI . SEXUELLER MISSBRAUCH AUS DER SICHT DER OPFER
1. Wie Kinder den Missbrauch wahrnehmen
1.1. Beschämung
1.2. Das Kind als Opfer
2. Wie die Gesellschaft den Missbrauch von Mädchen und Jungen unterschiedlich wahrnimmt
2.1 Wie Buben den Missbrauch durch eine Frau wahrnehmen
2.2 Wie Mädchen den Missbrauch durch eine Frau wahrnehmen
3.Auswirkungen des sexuellen Kindesmissbrauchs auf die Opfer
3.1. Physische Auswirkungen durch den Kindesmissbrauch
3.2. Auswirkungen im Sozialverhalten
3.3. Auswirkungen, wenn das Kind als Intimpartner herangezogen wird
3.4. Identifikation mit der Aggressorin
3.5. Geschlechtsproblematik als Auswirkung einer perversen Mutter
3.5.1 Frühe Schwangerschaft
3.5.2 Männliche Identifizierung
3.6. Borderline–Erkrankungen als Auswirkung sexuellen Kindes-missbrauchs
3.7. Ursachen für die Verzögerung der Auswirkungen des Missbrauchs bei Kindern
4.Opferverhalten
VII . THERAPIE UND BEHANDLUNGSMÖGLICHKEITEN FÜR OPFER UND TÄTERINNEN
1. Therapie für die Täterinnentypologien nach Mathew und Matthews
1.1. Therapie von Teacher/Lover-Täterinnen
1.2. Therapie von prädisponierten Täterinnen
1.3. Therapie der von Männern gezwungenen Täterinnen
2. Folgen der Therapie für Täterinnen
3. Therapie von Opfern
VIII . RESÜMEE 135
1. Schwierigkeiten während der Erstellung der wissenschaftlichen Arbeit
2. Forschungsausblick
3. Fazit
IX . LITERATURVERZEICHNIS
- Abbildungen
ABSTRACT
Sexueller Kindesmissbrauch durch Fauen stellt auch heute noch eines der größten Tabuthemen dar. Diese Arbeit hat sich das Ziel gesetzt die Ursachen und Hintergründe aufzuzeigen, weshalb Frauen als Kindesmissbraucherinnen von der Gesellschaft, als auch von Experten/innen lange Zeit gänzlich ausgeblendet wurden.
Hierbei wird sich dem Thema literarisch mit der Hilfe von englischsprachiger (Estela Welldon, 2003; David Finkelhor, 1979, 1984, Jane Kinder Mathews, Ruth Matthews & Kathleen Speltz, 1991, etc.) und deutschsprachiger Literatur (Gerhardt Amendt, 1993; Dirk Bange,1996, Alexander Markus Homes, 2004, etc.) angenähert. Ein besonderes Augenmerk wurde auf die perverse Fürsorge gelegt um aufzuzeigen wie schleichend sexuelle Übergriffe in die alltägliche Körperroutine zwischen Frau und Kind einfliessen können. Weiteres wird die zyklische Weitergabe des Missbrauches genauer untersucht und aufgezeigt wie diese verhindert werden kann, da eine Prädisposition eine eigene Täterschaft positiv begünstigen kann.
I . Einleitung
„Das, was für mich bis heute, am schwersten zu erklären und zu ertragen ist, dass ich meine Mutter auch in dieser Zeit noch geliebt habe, als meine Mutter. Man kann nur als Kind nicht anders als seine Eltern lieben“ (simsalabim006, 2011). Das angeführte Zitat aus dem Videomitschnitt Von der Mutter sexuell missbraucht - 2007 gibt erschreckend deutlich wieder, wie sich Betroffene fühlen, welche Opfer sexueller Übergriffe der eigenen Mutter geworden sind. Die Öffentlichkeit wird immer öfters Zeuge davon, dass sexueller
Kindesmissbrauch viel häufiger vertreten ist, als vermutet wird. Jedoch beginnen wir „. . . erst in allerjüngster Zeit . . . wahrzunehmen, daß [ sic ] auch Frauen, Mütter, Tanten, Schwestern, Erzieherinnen (ihre) Kinder sexuell mißbrauchen [ sic ]" (Bruder, 1997, S. 4; zitiert nach Rossilhol, 2005b, S. 7).
Die gerichtliche Kriminalstatistik der Statistik Austria (2012) verzeichnete im Jahre 2010 153 Anzeigen nach Tatbestand § 207 StGB des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen (§ 207a und § 207b mit inbegriffen) und nach § 206 StGB des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen. Davon wurden nur 15 Frauen gerichtlich entsprechend des Tatbestands verurteilt. Die Dunkelziffer der Frauen, welche einen sexuellen Missbrauch an Kindern verüben, liegt jedoch laut Schätzungen deutlich höher. Die Zahlen unterscheiden sich allerdings in den unterschiedlichen Quellen. Besonders auffallend ist dabei, dass statistisch gesehen mehr unbekannte Täterinnen aufscheinen als Täterinnen aus dem Familienkreis (Bange, 1996), die Mehrzahl der befragten Opfer jedoch über Täterinnen innerhalb der Familie berichtet (Gerber, 2004).
1 . Auftretende Fragen, Hypothesen oder beides
Welche Missstände müssen auftreten, damit Frauen zu diesen Taten fähig sind? Gibt es in der menschlichen Entwicklungsgeschichte Hinweise auf sexuellen Kindsmissbrauch durch Frauen, welche dieses Verhalten evolutionär rechtfertigen? Sind diese Täterinnen nur Einzelfälle oder eine logische Konsequenz aus der heutigen Emanzipation? Wie gehen betroffene Kinder (die potenziellen Opfer) damit um und inwieweit kann es zu einer generativen Weitergabe des Missbrauchs kommen? Inwieweit spielen bei der sexuellen Ausbeutung die Schutzbefohlenen auch eine tragende Rolle? Ist es ein weiteres Tabu für die Misshandelten, den stattgefundenen Missbrauch „kurzzeitig aus einem Spieltrieb“ heraus als gut empfunden zu haben? Auch stellt sich die Frage, warum heterosexuelle Täterinnen Mädchen sexuell missbrauchen, obwohl sie keine lesbischen Tendenzen aufweisen.
Weiteres wird auch erläutert werden, wie die Öffentlichkeit mit dem Thema Sexueller Kindesmissbrauch durch Frauen umgeht. Darüber hinaus soll unter anderem das Phänomen des Madonna-Huren-Komplexes näher untersucht werden, um zu verstehen, warum diese Art des Missbrauchs bis heute eines der größten Tabuthemen unserer deutschsprachigen Gesellschaft darstellt. Diese und viele weiteren Fragen sollen mit Hilfe dieser wissenschaftlichen Arbeit untersucht werden.
2 . Zielsetzung der Diplomarbeit
Ausgehend von der oben skizzierten Ausgangslage ist das Ziel dieser Diplomarbeit, einen Beitrag zur Erfassung und Erklärung des Verhaltens von Frauen, die Kinder sexuell missbrauchen, zu leisten. Diese wissenschaftliche Arbeit zeigt die gesellschaftliche Unwissenheit des sexuellen Kindesmissbrauchs durch Frauen auf und setzt sich mit den Verstrickungen einer sexuellen Mutter-Kind-Beziehung in ihrer Vielschichtigkeit auseinander. Außerdem befasst sie sich mit der nicht minder wichtigen Rolle, der vorhandenen oder nicht vorhandenen Beziehung zwischen dem/der Partner/in und der Täterin. Hinsichtlich der Komplexität des Themengebietes dieser wissenschaftlichen Arbeit werden mehr Fragen auftreten als beantwortet werden können.
3 . Aufbau der Diplomarbeit
Diese wissenschaftliche Arbeit ist in acht Kapitel unterteilt:
I. Einleitung
II. Definition und Abgrenzung
III. Tabu
IV. Ursachen
V. Vorgangsweisen und Typologien
VI. Sexueller Missbrauch aus der Sicht der Opfer
VII. Therapie und Behandlungsmöglichkeiten für Opfer und Täterinnen
VIII. Resümee
Eines der größten Tabuthemen in der deutschsprachigen Gesellschaft ist die Frau als Kindesmissbraucherin. Um sich mit dem Thema besser auseinander setzen zu können, ist es wichtig die Definition des Begriffes sexueller Missbrauch sowie die Häufigkeit des sexuellen Kindesmissbrauchs durch Frauen aufzuzeigen. Dafür wurde Datenmaterial aus dem angelsächsischen, amerikanischen und skandinavischen Raum herangezogen, da im katholisch geprägten Raum die Tabuisierung dieses Themas die Forschungsdaten möglicherweise maßgeblich beeinträchtigt.
Im Kapitel „Tabu“ wird unter anderem das Thema behandelt, weshalb Frauen als sexuelle Kindesmissbraucher von der Gesellschaft ausgeblendet werden und es wird der Frage nachgegangen, inwieweit das religiös behaftete Rollenbild der Mutter das Bild der Frau als Nicht-Täterin begünstigt.
Im folgenden Kapitel „Ursachen“ wird ein Überblick über die multifaktoriellen, psychosozialen Ursachen und die Theorie der zyklischen Weitergabe des sexuellen Kindesmissbrauchs durch Frauen gegeben. Darüber hinaus behandelt dieses Kapitel auch die weniger häufige Ursache des sexuellen Kindesmissbrauchs, nämlich die der weiblichen Perversion, und die Frage inwiefern psychische Erkrankungen eine Mitursache von sexuellem Kindesmissbrauch sein können.
Das fünfte Kapitel „Vorgangsweisen und Typologien“ befasst sich mit fundierten Studienergebnissen renommierter Forscher/innen zu besagtem Thema, um die Persönlichkeit und die vielseitigen Herangehensweisen der Täterinnen aufzeigen zu können.
Im sechsten Kapitel „Sexueller Missbrauch aus der Sicht der Opfer“ wird die Missbrauchssituation aus der Sichtweise des missbrauchten Kindes beschrieben. Das ist deswegen so wichtig, da davon ausgegangen werden kann, dass eine eigene Missbrauchserfahrung eine zukünftige Täterschaft positiv begünstigt. Darüber hinaus wi rd in diesem Kapitel auch auf die psychischen und sozialen Auswirkungen und auf die Folgen des sexuellen Kindesmissbrauchs eingegangen.
Im folgendem Kapitel „Therapie und Behandlungsmöglichkeiten für Opfer und Täterinnen“ werden die Grundvoraussetzungen für einen positiven Therapieanfang beschrieben und die einzelnen Therapien komprimiert beschrieben, mit welchen die Täterinnen behandelt werden können, um sich aus der Täterinnenrolle lösen zu können.
Am Ende der Diplomarbeit, im Kapitel „Resümee“, wird eine kurze Zusammenfassung die Arbeit beschließen und Denkanstöße geben, wie das Thema Sexueller Kindesmissbrauch durch Frauen im öffentlichen Raum weitestgehend entta buisiert werden könnte.
4 . Methoden
Primär ist diese wissenschaftliche Arbeit eine literarisch gestützte Diplomarbeit. Aufgrund der Komplexität des Themengebietes werden wissenschaftlich anerkannte Studien und Forschungen aus dem angelsäsischen ( Allen, 1991; Bumby & Bumby, 1997; Faller, 1995; Kaplan & Green, 1995; Mathews, Matthews & Speltz, 1991; Welldon, 2003; Vandiver & Kercher, 2004; etc.) und deutschsprachigen Raum (Amendt, 1993; Herste, 2009; Homes, 2004; etc.) miteinander verglichen und in Kontext gesetzt.
5 . Forschungsproblematik
Die Problematik des derzeitigen Forschungsstandes besteht darin, dass viele Erkenntnisse über Frauen, die sexuellen Kindesmissbrauch begehen, größtenteils nur auf den retrospektiven Aussagen der Opfer beruhen (siehe Finkelhor, 1979; Fritz, Stoll & Wagner, 1981, etc.). Aus diesem Grund ist die Erstellung eines objektiven Täterinnenprofils sehr schwierig. Die befragten Opfer, oftmals Kinder, haben wenig bis überhaupt keine Kenntnisse über die Lebensgeschichte der Missbraucherin, sind nicht in der Lage, Auskünfte über die Sexualität, sexuellen Phantasien der Täterinnen zu machen oder inwiefern die Sexualität sonst ausgelebt wurde. Dies ist jedoch unumgänglich für die Erarbeitung der Persönlichkeit der Täterin und deren Typisierung und macht es schwierig, ein einheitliches Klassifikations- konzept zu erstellen, da häufig nur die beschriebene subjektive Wahrnehmung des Opfers das Bild der Täterin determiniert. Zusätzlich besteht aufgrund der geringen Fallzahl der Missbrauchsfälle das Problem, dass die Studien die wissenschaftlichen Kriterien (Repräsentativität aufgrund der zu kleinen Stichproben kaum gegeben, siehe die Studie von Chasnoff et al. 1986; Kaplan & Green, 1995, etc.), nicht oder kaum erfüllen können und somit nicht verallgemeinert werden dürfen. Auch als weit erführendes Forschungsmaterial können diese Studien nur bedingt angewendet werden, da die Befragung oftmals auf freiwilliger Basis beruht und einer moglichen sozialen Erwtinschtheit unterliegt (siehe die Studie von Gerhard Amendt, 1993, Wie Mutter ihre Sohne sehen).
II . Definition und Abgrenzung
1 . Sexueller Missbrauch, sexuelle Gewalt, sexuelle Ausbeutung- eine Frage des Ausdrucks
Neben dem Terminus sexueller Missbrauch wird eine Vielzahl von Begrifflichkeiten in der Literatur verwendet, wie z. B. sexuelle Gewalt oder sexuelle Ausbeutung. Gerade für die weiterführende Forschung, Diagnostik und Therapie wäre es jedoch wichtig, eine einheitliche Definition zu gebrauchen, um Missverständnisse zu minimieren. Neben dem gebräuchlichsten Ausdruck des sexuellen Missbrauchs werden gleichbedeutend auch Begriffe wie sexuelle Gewalt, sexuelle Ausbeutung und sexueller Übergriff in der Fachliteratur und im alltäglichen Journalismus verwendet. Bis dato gibt es jedoch keine valide Definition von sexuellem Kindesmissbrauch. Die jeweiligen Definitionen können lediglich in verschiedene Systeme kategorisiert werden. Es wird grob unterteilt in weite und enge Definitionen. Die weite Definition beinhaltet sämtliche Handlungen die Schädigungen hervorrufen können z. B. Exhibitionismus, auch ohne jeglichen Körperkontakt.
Die enge Definition sieht hingegen nur solche Handlungen als sexuellen Missbrauch an, welche tatsächlich als schädigend identifiziert sind oder als solche gehandhabt werden (Wetzels, 1997; Bange, 1996).
Welche Begrifflichkeit verwendet wird, hängt demnach von der Orientierung der jeweiligen Autoren ab und davon, welchen Aspekt des Missbrauchs sie in den Vordergrund stellen (die Art und Weise der Tat, die Beziehung zwischen Opfer und Täter/in, das Alter des Opfers, die Gewalt oder Machtausübung des/der Täter/in, die kognitive, emotionale Entwicklung des Opfers oder auch die Auswirkungen). Bei vielen nicht wissenschaftlichen Artikeln über die besagte Thematik werden die Begrifflichkeiten synonym verwendet, aber auch in fachwissenschaftlichen Artikeln sind klar abgegrenzte Definitionen eine Seltenheit (Kinder- und Jugendanwaltschaft Oberösterreich [KiJA Oö], 2010).
Auch die Begriffsbezeichnungen für missbrauchte Personen, sind je nach dem, -an wen es sich richten soll, unterschiedlich. In der Fachliteratur, die sich speziell an Betroffene richtet, wird häufig der Ausdruck Überlebende/r anstatt des Begriffes Opfer verwendet. In der Betroffenenliteratur wird der Terminus Opfer kaum verwendet, da unterbunden werden soll, dass bei den Betroffenen ein Gefühl der Machtlosigkeit erneut entsteht bzw. aufgezwungen wird. Die Psychologin Beate Balzer (1998) drückt dies so aus:
„Einige Autoren [/innen] halten den Termini ‘Opfer’ und ‘Täter’ für problematisch, da der Begriff ‘Opfer’ die Gefahr impliziere, dass betroffene Mädchen (Jungen) in eine ‘Opfer-Rolle’ gedrängt würden, die ihnen jegliche ‘Zurechnungsfähigkeit’ abspräche . . .“ (S. 46, zitiert nach Gerber, 2004, S. 21).
Der Begriff Überlebende/r ist hinsichtlich dieser wissenschaftlichen Arbeit jedoch nicht relevant. Kinder, die von ihrer Mutter missbraucht worden sind, sind in erster Linie immer Opfer, ungeachtet der Tatsache, dass auch sie Gefallen an den sexuellen Handlungen mit der Täterin finden können. In Anbetracht dessen wird in dieser Arbeit der Terminus Überlebende/r laut Ansicht der Diplomandin nicht verwendet, da er die Komplexität der Beziehung zwischen Täterin und Opfer unzureichend erfasst.
Hinsichtlich des Faktums, dass einige Frauen ihre Kinder missbrauchen und im Vorfeld selbst in ihrer Kindheit missbraucht worden sind, sind diese Frauen trotz allem in erster Instanz als Missbraucherinnen anzusehen und er st an zweiter Stelle als Opfer.
1.1. Sexueller Missbrauch
Der Terminus des sexuellen Missbrauchs schließt alle mannigfaltigen Faktoren eines sexuellen Vergehens mit ein und wird im weiteren Verlauf der Arbeit dazu verwendet, um sexuelle Übergriffe an einem Kind auszudrücken.
Die Definition der Dipl. Pädagogin und Traumatherapeutin Ursula Enders spezifiziert kurz und prägnant den Begriff des sexuellen Kindesmissbrauchs wie folgt:
Missbrauch findet statt, „wenn ein Mädchen oder Junge von einem Erwachsenen oder älteren Jugendlichen als Objekt der eigenen sexuellen Bedürfnisse benutzt wird“ (2003, zitiert nach KiJA Oö, 2010, S. 4) sowie wenn „Kinder und Jugendliche aufgrund ihrer kognitiven und emotionalen Entwicklung nicht in der Lage [sind], sexuellen Beziehungen zu Erwachsenen wissentlich zuzustimmen. Fast immer nützt der Täter ein Macht- oder Abhängigkeitsverhältnis aus“ (2003, zitiert nach KiJA Oö, 2010, S. 4). Durch die Definition von Enders wird die emotionale und kognitive Entwicklung des Kindes sowie das vorherrschende Machtungleichgewicht zwischen dem Opfer und dem/der Täter/in besonders gut hervorgehoben.
Die Definition des sexuellen Missbrauchs des American Academy of Pediatrics – Committee on Child Abuse and Neglect Policy Statement betont die moralischen Werte der Gesellschaft und besagt, dass jede „. . . Einbeziehung eines Kindes in eine sexuelle Handlung verstanden [wird], für die es entwicklungsmäßig noch nicht reif ist, die es daher nicht überschauen kann und/oder die die sozialen und legalen Tabus der Gesellschaft verletzt“ (1991, zitiert nach Hardt & Engfer, 2012, S. 683). Ein Sexualdelikt entsteht somit, wenn die „. . . sexuelle Integrität oder die sexuelle Selbstbestimmtheit eines anderen verletzt wird“ (Lackinger, 2008, S. 28), ganz gleich ob diese Handlungen bewusst oder unbewusst durchgeführt worden sind (Haag, 2006). Diese Konkretisierung bezieht sich auf jede ungewollte sexuelle Handlung der Kinder vor dem 14ten Lebensjahr mit Personen, die mindestens fünf Jahre älter sind (Hardt & Engfer, 2012).
Jedoch unterstellen Täterinnen ihrem Opfer oftmalig, den sexuellen Missbrauch willentlich zugestimmt zu haben. Der deutsche Erziehungswissenscha ftler Dirk Bange und der deutsche Diplompsychologe Günther Deegener (1996) begründen dieses Verhalten mit Hilfe des Konzepts des wissentlichen Einverständnisses (Bange, 1996, S. 31). Da das Kind sowohl kognitiv, sprachlich, psychisch als auch körperlich nicht in der Lage ist ein reziproker Partner für die Erwachsene zu sein, ist das Kind einem permanenten Machtgefälle ausgesetzt. Es ist dem Kind somit nicht möglich den sexuellen Kontakt mit einer erwachsenen Frau wissentlich zuzustimmen oder abzulehnen, weshalb jeder sexuelle Kontakt der zwischen einer Erwachsenen und einem Kind ausgeführt wird als sexueller Missbrauch anzusehen ist (Bange, 1996).
1.2.Formen des sexuellen Kindesmissbrauchs
„Misshandlung ist jede in erzieherischer Absicht erfolgte Einwirkung auf das Kind, die nach ihrem Grund, ihrer Stärke und ihrer Häufigkeit eine bedeutende Schädigu ng hervorruft“ (Asperger, 1966; zitiert nach Ulonska & Koch 1997, S. 33; zitiert nach Kapella & Cizek 2001, S. 82). Die frühe Definition des österreichischen Kinderarztes Hans Asperger ist als problematisch anzusehen, da dieser die Schädigung als Folge einer Misshandlung in den Vordergrund stellt. Dadurch wird denjenigen Kindern, die über ausreichende Reslienzfaktoren verfügen und mit keinen negativen Folgen zu rechnen haben, abgesprochen überhaupt missbraucht worden zu sein (Amann & Wipplinger, 1997; Bange, 1996).
Wobei sexueller Kindesmissbrauch nur selten ohne jegliche Form von Misshandlung einhergeht, ganz gleich ob subtil vom Kind wahrgenommen, als Verführung getarnt oder anhand mannigfaltiger Repressalien.
Da sexueller Kindesmissbrauch durch Frauen sehr häufig verkannt wird und stattdessen als überfürsorgliche Mutterliebe, besonders offene Sexualerziehung oder beides angesehen wird, soll eine Auflistung von Handlungen erkenntlich machen, wann ein sexueller Kindesmissbrauch beginnt und dieser strafrechtlich im österreichischen Gesetzbuch nach Tatbestand § 207 StGB des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen und nach § 206 StGB des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen verurteilt wird (Statistik Austria, 2012).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(vgl. KiJA OÖ, 2010, S. 5)
1.3.Häufigkeit des sexuellen Kindesmissbrauchs durch Frauen
Die statistische Erhebung der Häufigkeit des sexuellen Kindesmissbrauchs durch Frauen ist sehr variabel. Bei Heranziehung des Zahlenmaterials muss darauf geachtet werden, aus welchem Land die Daten erhoben worden sind, da der kulturelle Hintergru nd eine Forschungsstudie maßgeblich beeinflussen kann. In Nordamerika sowie in den skandinavischen Ländern herrscht eine größere Offenheit gegenüber dem Thema sexueller Kindesmissbrauch durch Frauen. In katholisch geprägten Ländern wie Italien, Spanien, Brasilien sowie in deutschsprachigen Ländern liegt hingegen eine größere Tabuisierung vor, weshalb von einer höheren Dunkelziffer in diesen Ländern ausgegangen werden k ann (Gerber, 2004). Die meisten Studien sind im angelsächsischen Raum durchgeführt worden.
Trotzdem können die Studien nicht ohne weiteres Hinterfragen miteinander verglichen werden, da die Studien untereinander sehr divergent sind. Die Differenzen ergeben sich au s der Definition des Ausdrucks Sexueller Missbrauch, der oftmaligen Nichtunterscheidung von Taten einer Co-Beteiligung oder einer Alleintäterschaft oder der Tatsache, dass die Frau nur den sexuellen Kindesmissbrauch ihrem/ihrer Partner/in erlaubt hat (siehe American Humane Association Study [AHA], 1981) sowie, dass in den meisten Untersuchungen lediglich die Opfer hinsichtlich der Misshandlung befragt worden sind (Finkelhor, 1979; Fritz, Stoll & Wagner, 1981; etc.), die Täterinnen hingegen kaum oder nur unzureichend.
Auch kann von keiner konkreten Anzahl von Fällen ausgegangen werden, da die Epidemiologie von sexuellem Kindesmissbrauch meist nur auf der Inzidenz (bestimmter Zeitraum, meistens von einem Jahr) von aktenkundigen Fällen (Jugendamt, polizeiliche Kriminalstatistik, Jugendämter, etc.), innerhalb der Population zurückzuführen ist. Zahlen über Prävalenzfälle (bestimmte Periode z. B. Missbrauch in der Kindheit) werden selten in der Fachliteratur aufgeführt, aufgrund der ethnischen Schwierigkeiten mit den Täterinnen oder den Kindern gleich nach dem Missbrauch darüber zu sprechen. Darüber hinaus werden die Taten lange bis ins Erwachsenenalter von den Opfern, aber auch von den Täterinnen verschwiegen oder gänzlich verheimlicht so, dass die Fälle nicht mehr in der Epidemiologie der Inzidenz aufgezeigt werden. Aufgrund dessen ist die Epidemiologie nur auf verurteilte Straffälle sowie auf Jugendämterdaten und auf die Polizeiliche Kriminalstatistik zurückzuführen, weswegen mit einer sehr hohen Dunkelziffer zu rechnen ist (Bange, 1996; KiJA OÖ, 2010).
Die Häufigkeit von weiblichen Sexualtäterinnen, die Kinder missbrauchen, ist divergent. Die internationale Studie von Cortoni, Hanson und Coache, 2010, (aktualisierte Version der Studie von Cortoni & Hanson, 2005) die sich unter anderem mit der Prävalenz von weiblichen Sexualstraftäterinnen in Kanada, den Vereinigten Staaten von Amerika, Australien, Neuseeland, England und Wales auseinandersetzte, konnte aufzeigen, dass nur circa 4 bis 5 % der Sexualstraftäter weiblich sind. Die frühe Studie von dem US- amerikanischen Sozialwissenschaftler David Finkelhor und der südafrikanischen Soziologin Diana Russell (1984) verglich zahlreiche Studienergebnisse bezüglich der Prävalenz der weiblichen Kindesmissbrauchtäterschaft und konnte ein widersprüchliches Ergebnis aufzeigen. Finkelhor und Russell (1984) kamen zu der Erkenntnis, dass eine weibliche Kindesmissbrauchtäterschaft von 20 % (schwankend zwischen 14 % und 27 %) für männliche Kinder und circa 5 % (schwankend zwischen 0 % bis zu 10 %) für Mädchen in den Vereinigten Staaten von Amerika als realistisch erachten werden kann.
Auch die retrospektive frühe Stichprobenstudie des amerikanischen Psychologen Nicholas Groth (1979) bestätigt die Annahme von Finkelhor und Russell (1984). Von 348 untersuchten Sexualstraftätern gaben 8,3 % an, in ihrer Kindheit von einer Frau sexuell missbraucht worden zu sein (Groth, 1979). In einer persönlichen Unterhaltung zwischen Finkelhor, Russell und Groth (1983), bestätigte Groth seine frühe Studie von 1979 und kam zu einem ähnlichen Ergebnis. 51 % der von Groth untersuchten Sexualstraftäter gaben an, in ihrer Kindheit sexuell missbraucht worden zu sein und 25 % davon wurden von einer Frau sexuell missbraucht (vgl. Finkelhor & Russell, 1984, S. 176). Die amerikanische Studie der Psychologen Michael Petrovich und Donald Templer (1984) konnte sogar noch einen höheren Anteil von weiblichem sexuellem Missbrauch aufzeigen. In der Stichprobe von Petrovich und Templer (1984) sind von den 83 Vergewaltigern, die selbst in der Jugend sexuell belästigt worden sind, 49 Personen (59 %) von einer Frau sexuell missbraucht worden.
In der aktualisierten Version der früheren internationalen Studie von Cortoni und Hanson (2005), haben Cortoni et al. (2010) feststellen können, dass das Verhältnis von männlicen Sexualstraftätern zu weiblichen Sexualstraftäterinnen 1: 20 beträgt. Wird diese Relation angewendet in Hinblick auf die international erschienene Metaanalysestudie von Pereda, Guilera, Forns, und Gómez-Benito (2009) in der festgestellt wurde, dass fast 20 % Frauen und 8 % Männer vor ihrem 18ten Lebensjahr sexuell missbraucht worden sind, ergibt sich daraus, dass 1,4 % aller Sexualopfer von einer Täterin missbraucht worden sind.
Österreichweit wird hingegen angenommen, dass circa 5-10 % der sexuellen Übergriffe an Kindern von Frauen durchgeführt werden, unbeachtet der Tatsache ob die Frau Mittäterin oder Alleintäterin ist (Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend [Bmwfj], 2013). Darüber hinaus konnte die Sprecherin der Vorarlberger Landespolizeidirektion Susanne Dilp aufzeigen, dass die Anzahl der Anzeigen von Kindesmissbraucherinnen in Österreich eine geografische Inkongruenz aufweist. Sexueller Missbrauch wird statistisch betrachtet häufiger in dichter besiedelten Gebieten (Stadt Wien) als in ländlichen Gegenden angezeigt. So sind in Vorarlberg kaum Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch durch Frauen bekannt (Sturn, 2013).
2010 sind in Österreich lediglich acht Frauen (über 18 Jahren) nach § 207 StGB des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen und nur sieben Frauen nach § 206 StGB des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen verurteilt worden. Auch 2012 wurden in Österreich nur 25 Frauen verurteilt, Delikte nach § 207 StGB und nach § 206 StGB begangen zu haben.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(vgl. Bundesministerium für Inneres [BMI], 2012, S. 16/B9)
Aufgrund der geringen Anzahl der Täterinnen wird davon ausgegangen, dass es in Österreich nicht ausreicht bzw. nicht wichtig genug ist, über dieses Klientel dezidiert Forschung zu betreiben (Statistik Austria, 2012). Die unterschiedlichen Forschungsergebnisse aus dem internationalen Raum (Cortoni et al., 2010; Finkelhor & Russell, 1984; Groth, 1979, 1983; Petrovich & Templer; 1984; etc.), die die Inkongruenz der statistischen Verteilung von Frauen, die Kinder missbrauchen, sichtbar machen, legitimieren jedoch die Forschung von weiblichen Kindesmissbrauchstäterinnen in Österreich erheblich.
III.Tabu
1.Frauen als Täterinnen- ein Tabu unserer Gesellschaft
Die Thematik, dass Frauen Kinder sexuell missbrauchen, stellt in der deutschsprachigen Gesellschaft nach wie vor ein Tabu dar. Durch die Erforschung des Inzesttabus nach Freud lassen sich jedoch Rückschlüsse über die Gründe der Tabuisierung von weiblichen Sexualstraftätern ziehen.
Das Wort Tabu stammt aus dem Polynesischem und bedeutet übersetzt unverletzlich, verboten als auch geheiligt. Ursprünglich wird das Tabu als eine Verhaltensnorm angesehen, die einen religiös-kultischen Charakter besitzt und primär bei Naturvölkern vorzufinden ist.
Diese Verhaltensnorm soll Menschen dazu bewegen, dass bestimmte Personen, Dinge, Tiere, die oftmals als „heilig“ angesehen werden, zu meiden, nicht anzugreifen oder bestimmte Wörter nicht auszusprechen, um dadurch ein übernatürlich bewirkendes Unheil zu vermeiden (vgl. Clauß, 1995, S. 457). In diesem Sinne wird das Tabu in der Gesellschaft als ein Verbot aufgefasst. Es ist kulturübergreifend, unbekannter Herkunft, unhinterfragt, oftmals unverständlich, trotz alledem unterwerfen sich die Menschen diesem Regelwerk stillschweigend (Freud, 1913/1924). Der Mitbegründer der Völkerpsychologie Wilhelm Wundt beschreibt den Begriff des Tabus daraus wie folgt: „Das Tabu [ist] der älteste ungeschriebene . . . Gesetzeskodex der Menschheit“ (Wundt, 1906, S. 308).
Der Psychoanalytiker Sigmund Freud fügt diesbezüglich noch hinzu, dass das Tabu „. . . selbst die Wurzel unserer Sittengebote und unsere Gesetze geworden ist“ (Freud, 1913/1924, S. 34). Freud baut dahingehend auf den Erklärungsansatz von Wundt auf und sieht das Tabu als eine sozialpsychologische Funktion an, die eine wirksame Einschränkung der Triebbefriedigung bedingt, um ein geregeltes und soziales Leben miteinander zu ermöglichen. Somit sieht er die „Grundlage des Tabus [als] ein verbotenes Tun [an], zu dem eine starke Neigung im Unbewußten [sic] besteht“ (Freud, 1913/1924, S. 42). In seinem Buch Totem und Tabu (1913/1924), setzt sich Freud unter anderem mit dem Inzesttabu auseinander. Dahingehend interpretiert Freud, dass der Ursprung des Inzesttabus, welches er als die Voraussetzungen für die Entwicklung der menschlichen Kultur versteht, darin begründet liegt, dass der Mensch eine natürliche Inzestneigung in sich verspürt, die aufgrund kultureller Gegebenheiten unterdrückt werden muss. Als Anhaltspunkt hierfür vergleicht Freud das Seelenleben von Aborigines, seiner Meinung nach dem primitivsten Volk, und einem zivilisierten Neurotiker.
Der Neurotiker ist der Ambivalenz, dem natürlichen Verlangen der Befriedigung seiner Triebbedürfnisse nachzugeben (Begehren) und der bewussten Einschränkung (Verbot), dies nicht zu tun, unterworfen. Parallelen zieht Freud hier mit den Aborigines, die auf „. . . eine[r] gut erhaltene[n] Vorstufe unserer eigenen Entwicklung . . .“ (Freud, 1913 /1924, S. 5) stehen und einem beständigen Kampf zwischen den natürlichen Trieben und den kulturellen Einschränkungen unterworfen sind. Darüber hinaus merkte Freud an, dass bei den Aborigines eine sehr starke Inzestscheu vorherrsche und die Verhütung von diesen Geschlechterbeziehungen mit peinlichster Strenge eingehalten werde (Freud, 1913/1924). Im Zusammenhang damit bemerkte er das Fehlen von einer religiösen oder sozialen Ordnung, was jedoch durch das System des Totemismus ausgeglichen wird. Der Totemismus entspricht laut Freud der ersten Kulturphase, die bei allen Kulturen ubiquitär ist, und „. . . bringt das Verbot der inzestuösen Objektwahl mit sich“ (Freud, 1930/2015, S. 22), wodurch der Totemismus mit der Exogamie in Verbindung gesetzt wird. Die Exogamie besagt, dass „Mitglieder desselben Totem nicht in geschlechtliche Beziehung zueinander treten, also auch einander nicht heiraten dürfen“ (Freud, 1913/1924, S. 8). Das jeweilige Totem wird bei den Aborigines hierbei von den Müttern an ihre Söhne weitergegeben, was bedeutet, dass jeglicher Inzest zwischen Müttern und Kindern, Schwestern und Brüdern zur Gänze unterbunden wird, gleichzeitig jedoch auch impliziert, dass sexueller Verkehr mit dem Vater nicht ausdrücklich verboten wird. Freud (1913/1924) schließt daraus, dass das Totemverbot sich in erster Linie gegen die inzestuösen Gelüste des Sohnes richtet und die Mutter vor seinen kindlichen Triebbegierden schützen soll. Demnach ist der Ursprung der Exogamie und dem damit einhergehenden Totemverbot und resultierenden Inzesttabu, ausgehend von Freud, im Ödipuskomplex begründet, der ebenfalls als Kernkomplex von Neurosen verstanden wird, wodurch sich hierbei wiederum die Verbindungen mit dem Neurotikern abbilden lässt.
Das gemeinschaftliche Tabu von Frauen als Sexualstraftäterinnen geht einher mit einer enormen emotionalen Aufladung und einem kollektiven Verdrängungsmuster („Frauen machen so etwas nicht“). Ein Tabubruch wird infolge dessen von der Gesellschaft mit Sanktionen bis hin zu einem sozialen Ausschuss geahndet, weswegen speziell Mütter, die in der deutschsprachigen Gesellschaft den fast gänzlich unantastbaren Status einer liebevoll, umsorgenden Frau innehalten, dazu geneigt sind ihre Taten zu verheimlichen oder gänzlich zu negieren, nur um den gesellschaftlichen Schein zu wahren.
Die englische Kinderpsychologin Michele Elliott (1995), welche im Alter von vier Jahren von ihrer eigenen Mutter und ihrer Großmutter sexuell missbraucht worden ist, drückt die Tabuisierung von sexuellen Kindesmissbraucherinnen und dem damit verbundenen kollektiven Verdrängungsmechanismus mit dem Satz „ Kein Mensch wird von einer Frau sexuell mißbraucht [sic]. Ich muß [sic] verrückt sein“ (S. 11), treffend aus. Sie war der Meinung, dass das, was passiert war, so abartig gewesen sei, dass es gar nicht wirklich passiert sein könne.
Wird der sexuelle Kindesmissbrauch einer Frau, dann doch zug estanden, kommt es häufig zu eine Bagatellisierung der Tat. Der Psychologe Robert Hodgson drückt mit dem Satz: „there is somehow more a feeling of normality about being abused by a man“ (1992, zitiert nach Forbes, 1992, S. 319), die Normalität von sexuellem Missbrauchstätern an, gleichzeitig wird dadurch, aber die Frau als Sexualstraftäterin gänzlich determiniert. Die miteinhergehende Verharmlosung des sexuellen Missbrauchs durch Frauen geht oftmalig mit einer Unwissenheit von der weiblichen Sexualität einher und wird durch den Satz von dem Psychiater James L. Mathis (1972) „That she might seduce a helpless child is unthinkable, and even if she did so, what harm can be done without a penis?“ (S. 54), ausdrucksvoll beschrieben.
Die gesellschaftliche Erwartungshaltung gegenüber sexuellem Kindesmissbrauch durch Frauen zeigt sich auch repräsentativ in der Studie der Psychologin Sylvia Broussard, William G. Wagner und Richard Kazelskis (1991). Es wurden 180 weibliche und 180 männliche Studienanfänger/innen über die möglichen Folgen von sexuellem Kindesmissbrauch befragt. Ganz wie erwartet, wurde die sexuelle Interaktion zwischen einer Täterin und einem männlichen Opfer als weniger traumatisierend, als bei umgekehrten Interaktionsmuster, angesehen. Bisweilen zeigen Forschungsergebnisse jedoch auf, dass sexueller Kindesmissbrauch durch Frauen nicht weniger schlimm ist als der Missbrauch du rch eine männliche Person (Rossilhol, 2005b). Ruth Rüdisser, Expertin für das Institut für Sozialdienste (IfS) in Bregenz, vertritt sogar die Meinung, dass der Missbrauch durch eine Frau oft schlimmer im Erleben von den Kindern wahrgenommen werde, da die Frau meistens die Hauptbezugsperson und die Schutzbefohlene des Kindes sei (Sturn, 2013).
Wird zu der Annahme des Inzesttabus von Freud die These der Archetypen und des kollektiven Unbewussten von dem Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung (2011) herangezogen, ergeben sich dadurch neue Ansätze, die sich er gänzen, und darüber hinaus über mögliche weitere Ursachen über die Nichtanerk ennung der Frauen als Täterin Auskunft geben können. Aufgrund dessen soll aufzeigen werden wie die Rolle der Frau und Mutter sich im Wandel der Zeit verändert hat. Weiteres soll ein kurzer Exkurs Einblick darüber geben, worin die lange vorherrschende psychoanalytische Sichtweise von Sigmund Freud, der den sexuellen Missbrauch durch Frauen lange Zeit als eine reine Phantasievorstellung des Opfers abgetan hat, seinen Ursprung hat.
- Alte psychoanalytische Sichtweise auf die Frau als Sexualtäterin
Als sich Sigmund Freud mit dem prekären Thema des sexuellen Missbrauchs durch Frauen konfrontiert sah, vertrat er die Meinung, dass es sich hierbei um eine reine Phantasievorstellung der Frauen/Männer handle, damit sich diese nicht mit der Realität und dem eigentlichen Täter Mann auseinandersetzen müssen. Seine insistierende Haltung, dass Frauen keine sexuellen Täterinnen sein können, begründet sich möglicherweise auf einer unbewussten Abwehrreaktion gegenüber seiner eigenen traumatischen Erfahrung mit seinem Kindermädchen. Aus den privaten Briefen von Sigmund Freud an Wilhelm Fließ geht hervor, dass Freud anhand der Selbstanalyse seiner Träume entdeckt hat, dass er in seiner Kindheit von seinem Kindermädchen in „rotem Badewasser“ gebadet wurde. Seiner Annahme nach war dies das Menstruationsblut seiner Kinderfrau (Menninghaus, 2006). Da Freud mitansehen konnte, wie sich das Kindermädchen vorher ebenfalls in ihrem Menstruationsblut gewaschen hatte, entstand eine grenzüberschreitende perverse Situation, indem Freud nun „. . . auch das Blut als sexuell erregend [wahrnimmt]“ (Freud, 1986, S. 236; zitiert nach Menninghaus, 2006, S. 98). Freud sah das libidinöse Besetzen von Menstruationssekreten als ein Relikt von altertümlicher, tierischer Sexualität an. Erst durch den Kulturprozess des aufrechten Gangs und der Hochhebung der Nase und der damit resultierenden „Distanzierung vom (tierischen) Riechen an sexuellen Sekreten und Exkrementen“ (Menninghaus, 2006, S. 93) wurden die Menstruationssekrete fortan als ekelhaft angesehen. Durch die erregende Wahrnehmung des Blutes war Freud nun der Annahme, er sei ekelresistent, was er als förderlich für seine psychoanalytische Sichtweise ansah. Aus diesem Erlebnis zog Freud die Konsequenz, dass er die im 18ten Jahrhundert verteufelte Rolle der Alten aus der antiken Literatur daraufhin umkehrte. Freud sah nun „die prähistorische Alte“ (sein Kindermädchen) (Freud, 1986, S. 236; zitiert nach Menninghaus, 2006, S. 98) und die perverse Praktik, ihn in ihrem Menstruationsblut zu baden, als eine dankbare Bereicherung für sein weiterführendes Leben als „ekelresistenter“ Psychoanalytiker an. Aufgrund dessen kommt er möglicherweise zu dem Fazit, dass besonders ältere Frauen keine sexuelle Bedrohung für die Sexualität des männlichen Kindes darstellen, sondern vielmehr eine Bereicherung seien.
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- Arbeit zitieren
- Catherina-Anna Jansche (Autor:in), 2015, Sexueller Missbrauch an Kindern durch Frauen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/495280
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