Um der Frage nach der Bedeutsamkeit der Koedukation auf den Grund zu gehen, bedarf es einer geschlechtsspezifischen Sozialisationsforschung. Doch hat geschlechtsspezifische Sozialisationsforschung einen Sinn? Denn schließlich ist „ bislang weder der Begriff der Geschlechtersozialisation expliziert noch das neue Gesicht der Geschlechtersozialisation ausgearbeitet worden“.
Es scheint in der Tat keine Thematik zu sein, die sich so eindeutig bearbeiten, oder aufklären lässt, wie eine Formel in der Mathematik. Ich habe es mir dennoch zur Aufgabe gemacht, im ersten Teil dieser Arbeit einige Thesen und Forschungsergebnisse Anderer aufzugreifen, um die Thematik der Koedukation und somit auch der Geschlechtersozialisation, etwas transparenter werden zu lassen.
Helga Bilden versteht unter Sozialisation oder Entwicklung einen „Prozeß, in dem aus einem Neugeborenen ein in seiner Gesellschaft handlungsfähiges Subjekt wird (und bleibt)“. Den Grund für die mangelhaften Forschungsergebnisse der geschlechtspezifischen Sozialisation sieht sie in dem Problem der „Konstruktion eines bipolaren Geschlechterdualismus.“ Denn die Frage nach der geschlechtsspezifischen Sozialisation bedeutet gleichsam die Sozialisationsbedingungen geschlechtsdifferenzierend zu untersuchen; was auch bedeutet, nach Unterschieden bei den Geschlechtern im Fühlen, Denken usw. zu suchen. So konstruiert man sich zwangläufig einen männlichen und weiblichen Sozialcharakter und „reproduzier[t] den schematischen Dualismus von männlich und weiblich.“ Diesem Ansatz möchte ich zu Beginn meiner Arbeit etwas näher auf den Grund gehen. Zudem werde ich einige Untersuchungen und Beobachtungen aus der Schulpraxis, in geschlechts-soziologischer Sicht, beschreiben und auswerten.
Um einer möglichst ganzheitlichen Betrachtung der Thematik gerecht zu werden, soll, neben den vordergrüngig theoretischen Betrachtungen der Koedukation im ersten Teil der Arbeit, auch den empirischen Belegen Beachtung geschenkt werden: Im zweiten Teil dieser Arbeit wird der Fokus daher auf konkrete praktische Realisierungsmöglichkeiten
geschlechterbewusster schulischer Sozialisation gerichtet werden. Hierfür soll der Blick auf die Laborschule in Bielefeld gerichtet werden, da hier in den letzten Jahren zahlreiche Beispiele eines kritischen Umgangs mit der Koedukation zu verzeichnen sind.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretische Sinnbestimmung der Koedukation
2.1 Einige Thesen zur geschlechterspezifischen Sozialisation
2.2 Die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Koedukation
3 Ein bewusster praktischer Umgang mit der Koedukation: Die Laborschule in Bielefeld
3.1 Ein kurzer zeitlicher Abriss der koedukativen Entwicklung in der Laborschule
3.2 Die aktuelle Realisierung der Koedukation in der Laborschule
4 Fazit
5 Literatur
1 Einleitung
Um der Frage nach der Bedeutsamkeit der Koedukation auf den Grund zu gehen, bedarf es einer geschlechtsspezifischen Sozialisationsforschung. Doch hat geschlechtsspezifische Sozialisationsforschung einen Sinn? Denn schließlich ist „bislang weder der Begriff der Geschlechtersozialisation expliziert noch das neue Gesicht der Geschlechtersozialisation ausgearbeitet worden“[1].
Es scheint in der Tat keine Thematik zu sein, die sich so eindeutig bearbeiten, oder aufklären lässt, wie eine Formel in der Mathematik. Ich habe es mir dennoch zur Aufgabe gemacht, im ersten Teil dieser Arbeit einige Thesen und Forschungsergebnisse Anderer aufzugreifen, um die Thematik der Koedukation und somit auch der Geschlechtersozialisation, etwas transparenter werden zu lassen.
Helga Bilden versteht unter Sozialisation oder Entwicklung einen „Prozeß, in dem aus einem Neugeborenen ein in seiner Gesellschaft handlungsfähiges Subjekt wird (und bleibt)“[2]. Den Grund für die mangelhaften Forschungsergebnisse der geschlechtspezifischen Sozialisation sieht sie in dem Problem der „Konstruktion eines bipolaren Geschlechterdualismus.“[3] Denn die Frage nach der geschlechtsspezifischen Sozialisation bedeutet gleichsam die Sozialisationsbedingungen geschlechtsdifferenzierend zu untersuchen; was auch bedeutet, nach Unterschieden bei den Geschlechtern im Fühlen, Denken usw. zu suchen. So konstruiert man sich zwangläufig einen männlichen und weiblichen Sozialcharakter und „reproduzier[t] den schematischen Dualismus von männlich und weiblich.“[4] Diesem Ansatz möchte ich zu Beginn meiner Arbeit etwas näher auf den Grund gehen. Zudem werde ich einige Untersuchungen und Beobachtungen aus der Schulpraxis, in geschlechts-soziologischer Sicht, beschreiben und auswerten.
Um einer möglichst ganzheitlichen Betrachtung der Thematik gerecht zu werden, soll, neben den vordergrüngig theoretischen Betrachtungen der Koedukation im ersten Teil der Arbeit, auch den empirischen Belegen Beachtung geschenkt werden: Im zweiten Teil dieser Arbeit wird der Fokus daher auf konkrete praktische Realisierungsmöglichkeiten geschlechterbewusster schulischer Sozialisation gerichtet werden. Hierfür soll der Blick auf die Laborschule in Bielefeld gerichtet werden, da hier in den letzten Jahren zahlreiche Beispiele eines kritischen Umgangs mit der Koedukation zu verzeichnen sind.
2 Theoretische Sinnbestimmung der Koedukation
Doch zunächst sollen die theoretischen Betrachtungen dieses Kapitels das Grundgerüst für die praktischen Untersuchungen bzw. Darstellungen des darauf folgenden Kapitels konstruieren. Der nun folgenden theoretischen Sinnbestimmung geht die Darstellung einiger Thesen zur geschlechterspezifischen Sozialisation voraus:
2.1 Einige Thesen zur geschlechterspezifischen Sozialisation
Auch Berno Hoffmann[5] erkannte die Unzufriedenheit mit dem Stand der Sozialisationsforschung in diesem Bereich. Als Gründe dafür nannte er z.B. die fehlende Männlichkeitsforschung. Man findet hier kaum Persönlichkeitsforschung für Jungen. Das bedeutet auch, die geschlechtliche Identität der Jungen ist in der Forschungswelt ein eher unerforschtes Gebiet und man besitzt kaum pädagogische oder sozialisationstheoretische Arbeiten über Jungen.
Nun stellt sich freilich die Frage: Was sind die Gründe für das Fehlen der Forschungsarbeiten in männlichen Bereichen? Eine mögliche Antwort wäre die Fortsetzung des Gedankens von Helga Bilden (welchen ich in der Einleitung anführte). Denn wenn man nach typischen Sozialisationsprozessen und Sozialcharakteren von Frauen und Männern forschen will, muss man nach geschlechtsdifferenzierten typischen Sozialisationsbedingungen und Geschlechtsunterschieden im Verhalten, Denken und Fühlen fragen. Dies wiederum hätte zur Folge, dass man einen männlichen und weiblichen Sozialcharakter konstruieren und somit den schematischen Dualismus von männlich und weiblich reproduzieren müsste. Jedoch glaubt man heute nur bedingt an den psychischen Geschlechtsunterschied. Allein der Forschungsansatz scheint in einer „Zwickmühle“ zu sein. Zum einem scheint die Kategorie der „Geschlechtersozialisation“ noch nicht expliziert und zum anderen der Wandel der Lebensverhältnisse von der geschlechtsspezifischen Sozialisationsforschung noch nicht verarbeitet worden zu sein.[6] Dies sind zwei sehr bedeutende und ungelöste Forschungsprobleme, die diese Krise in der geschlechtsspezifischen Sozialisationsforschung erklären könnten.
An dieser Stelle führt Hoffmann einen Lösungsvorschlag an – eine thesenartige Skizzierung von Grundelementen einer kritischen Theorie zeitgenössischer Geschlechtersozialisation.[7] So sollte z.B. der Forschungsstand aus diesem Gebiet historisch-systematisch aufbereitet werden sowie auch aus Gebieten angrenzender Wissensbereiche. Des Weiteren gibt er die Methode der dialektisch-hermeneutischen Selbstexplikation des Bewusstseins an. Es ist also an dem, sich mit dem eigenen Selbst intensiv auseinander zu setzen, es zu erklären und zu verstehen. Wie er sich das im Speziellen vorstellt, klärt er an dieser Stelle jedoch nicht auf. Zu guter Letzt ist es von Bedeutung, während der Forschung den Fragen nachzugehen, wie Männer und Frauen werden und warum sie so werden. Den entscheidenden Vorteil an dieser Herangehensweise sieht er darin, dass hier nun nicht mehr von einer Geschlechtsdifferenzierung ausgegangen wird. Der Geschlechtsunterschied entsteht durch die Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Unwelt.
Bei dem Nachgehen der Frage: „wie werden Männer und Frauen zu denen, [was] sie sind [?]“[8], das bedeutet bei der Theoriebildung der Mann- und Frauwerdung, legt Hoffmann zwei Idealtypen der Geschlechtersozialisation dar: Zum einem existiert die bipolare und zum anderen die biplurale Geschlechtersozialisation, wobei die zweitgenannte eine Antithese zur erstgenannten darstellt[9]:
1) Die bipolare Geschlechtersozialisation besagt, dass es keinen Menschen gibt – es existieren nur Mann und Frau. Das heißt auch, dass sich daraus polar-komplementäre Geschlechtsrollenstereotypen ergeben wie z.B.: Der Mann ist aktiv, die Frau ist passiv oder die Frau ist emotional, der Mann ist rational oder der Mann ist aggressiv, die Frau ist friedlich u. v. m. (diese Beispiele sind nicht nur auf Deutschland bezogen). Als Erklärung hierfür wäre zum einen der biologische Ansatz zu nennen, der die geschlechtsspezifischen Anlagen hervorhebt und zum anderen der sozialisationstheoretische Ansatz, der sich auf die Geschlechtsrolle und das Geschlechtsverhalten konzentriert. Der biologische Ansatz spielt in der Wissenschaft jedoch heute keine Rolle mehr – der sozialisationstheoretische Ansatz dafür umso mehr. Er bedient sich der Psychoanalyse, Kognitionspsychologie, der kulturhistorischen Schule usw. und unterteilt sich in folgende Segmente: den affirmativen Ansatz und den kritischen Ansatz.[10] Beide Ansätze haben ihre Vorstellungen wie eine „gesunde“ Frau und ein „gesunder“ Mann zu sein hat. So liegt der affirmative Ansatz wert darauf, dass der Mann männlich ist und die Frau weiblich; wogegen der kritische Ansatz in einer Persönlichkeit (egal ob sie Mann oder Frau ist) die Verkörperung beider Eigenschaften als „gesund“ ansieht. Jedoch liegt in eben diesem kritischen Ansatz eine eher geringe Bedeutung. Sie rüttelt auch keineswegs an dem Bild der dominanten Vorstellung, denn vielmehr von Bedeutung ist die Tatsache, dass eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung existiert. Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung wird demnach sehr stark mit dem bipolaren Geschlechtscharakter verbunden. Nun stellt sich die Frage, welche Rolle haben die Selbstrelativierungen? Sind sie Verweise auf die Schwäche der Argumentationen? Für Hoffmann ist dies ein starker Beweis.[11]
2) Dem gegenüber stellt er nun den Idealtypus der bipluralen Geschlechtersozialisation. Dieser Typus negiert den bipolaren Typus gänzlich. Er besagt, dass die Gemeinsamkeiten zwischen den Geschlechtern größer sind als deren Unterschiede, was Untersuchungen zahlreicher psychischer Variablen ergeben. Höchstens vereinzelte geschlechtsspezifische Besetzungen von Extremwerten sind aus den Untersuchungen zu erkennen. So ergibt sich, dass folgende Subtypen existieren können: „Androgyne“, „Feminine“, „Maskuline“ und „Neutrale“[12]. Wobei es hier nicht von Bedeutung ist, wer von einem Mann oder einer Frau besetzt ist; d. h. jeder Typ kann von einem der beiden Geschlechter besetzt werden. Einen entscheidenden Kritikpunkt sieht der Autor jedoch darin, dass in der bipluralen Geschlechtersozialisation keine Nachweise für die geschlechtspezifische Erziehung (weder in der Schule, noch in der Familie) zugelassen werden. Die Lebenserfahrungen scheinen hier gänzlich ignoriert worden zu sein. So verfestigt sich die Vermutung noch mehr, dass der Idealtypus der bipluralen Geschlechtersozialisation nur eine Reaktion auf die bipolare ist und somit nur als Antithese zu verstehen ist. Des Weiteren ist als Kritik anzuführen, dass auch sie nicht expliziert ist.
Aus diesen unbefriedigenden Tatsachen heraus kam der Entschluss eine neue These zu erstellen: die subjekttheoretische Geschlechtersozialisation.[13] Als ersten Schritt trennt man an dieser Stelle die Kategorie Mensch (mit ihren psychischen und sozialen Merkmalen) von der Kategorie Geschlecht. Untersucht man nun eben diese Kategorie des Geschlechtes, dann geht man der subjekttheoretischen Geschlechtersozialisation auf den Grund. Hier stellt sich heraus, dass sich die psychische Mann- und Frauwerdung durch folgendes Geschlechterverhältnis entwickelt: zum einem durch das vorhandene Geschlechtersystem, was die biologische Geschlechterspezifik meint und zum anderen die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, womit die Primärzuständigkeit der Geschlechter gemeint ist. Die Neugeborenen eignen sich beides erst an. Von Natur gegeben ist demnach keines der beiden eben genannten Geschlechterverhältnisse. Die einzigen Kriterien, die einen Mann und eine Frau unterscheidbar machen, sind demnach das Geschlechtersystem und die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung.[14]
Hoffmann geht noch einen Schritt weiter, indem er die gesellschaftliche Erwartung anspricht und sagt: „die Erwartung lautet: Vergesellschafte dich als Individuum!“[15] Was er mit diesem Satz meint, ist der Interrollenkonflikt, in dem der Mensch gezwungen wird, den Status „Individuum“ zu verlassen, um dann zu Mann und Frau zu werden. Man ist also gezwungen, anstelle der Rolle des Individuums eine Geschlechterposition einzunehmen. Hoffnung setzt er nun in eine neue Geschlechtersozialisation, in der die Legitimation der Geschlechtsidentität nicht in der Tradition gesucht wird, sondern in der Begründung durch das Subjekt selbst.[16] Das bedeutet, die Geschlechtsidentität muss reflektiert werden und den eigenen Bedürfnissen und Interessen des Subjektes entsprechen, anstatt blind übernommen zu werden. Gesprochen wird hier von einem „reflexiv modernisiertem Geschlechtsverhältnis“[17].
[...]
[1] Hoffmann, Berno (1997): Thesen zur Theorie geschlechtsspezifischer Sozialisation. S.328.
[2] Bilden, Helga (1991): Geschlechtsspezifische Sozialisation. S.279.
[3] Ebd.
[4] Ebd.
[5] Vgl. Hoffmann, Berno (1997): Thesen zur Theorie geschlechtsspezifischer Sozialisation. S.382.
[6] Hoffmann, Berno (1997): Thesen zur Theorie geschlechtsspezifischer Sozialisation. S.383f.
[7] Vgl. ebd.
[8] Ebd.
[9] Vgl. ebd. S.384f.
[10] Vgl. Hoffmann, Berno (1997): Thesen zur Theorie geschlechtsspezifischer Sozialisation. S.384f.
[11] Vgl. ebd.
[12] Vgl. . Hoffmann, Berno (1997): Thesen zur Theorie geschlechtsspezifischer Sozialisation. S.384ff.
[13] Vgl. ebd. S.385f.
[14] Vgl. ebd.
[15] Ebd. S.388.
[16] Vgl. Hoffmann, Berno (1997): Thesen zur Theorie geschlechtsspezifischer Sozialisation. S.388
[17] Ebd.
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