Popkultur, Kulturfilm, Kulturbeutel, Kulturpolitik, Esskultur, Trinkkultur, Fankultur, Kulturbanause, kultiviert, kulturell. Was ist eigentlich Kultur? Gibt man in der Internet-Suchmaschine www.google.de den Begriff Kultur ein, erhält man sage und schreibe 15.900.000 Treffer. Zeitungen haben eine Kulturseite, es gibt Kulturprogramme in Funk und Fernsehen, wir kennen Menschen aus „einem anderen Kulturkreis“, interessieren uns für „fremde Kulturen“. Ist Kultur also etwas, das uns von anderen unterscheidet? Oder uns zu etwas dazugehörig macht? Zu einem Land, einem Volk, einer Religion, einer Sprachgemeinschaft, einem Fußballverein? Kultur - ist das Theater, Kunst, Musik, Architektur, Design, Sprache, Tradition, Brauchtum?
Der Begriff Kultur findet in der Alltagsprache eine geradezu inflationäre Verwendung. An jeder Ecke begegnet uns dieses Wort Kultur. Doch was steckt denn dahinter? Genaue und gleichlautende Definitionen und Abgrenzungen sind kaum zu finden. An dieser Stelle sollen daher einige Definitionen genannt werden, die zur Begriffsklärung und Einschränkung beitragen können.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung mit der Frage: Was ist eigentlich Kultur?
2. Jerome Bruner
2.1 Die Kognitive Revolution
3. Alltagspsychologie
3.1 Das narrative Organisationsprinzip der Alltagspsychologie
3.1.1 Reale versus imaginäre Geschichten
3.1.2 Die Organisation von Erfahrungen
4. Das Erlernen von Sinn- und Bedeutungssystemen
4.1 Biologie der Bedeutung und die menschliche Prädisposition für Sprache
4.2 Der Erzählzwang der Menschen
5. Andere Sichtweisen zur Alltagspsychologie
5.1 Alltagspsychologie bei Lehr/Thomae
5.2 Alltagspsychologie bei Hildebrandt
6. Konklusion
1. Einleitung mit der Frage: Was ist eigentlich Kultur?
"Einer der schlimmsten Begriffe, die je gebildet worden sind."
Niklas Luhmann
"Die Kultur hängt von der Kochkunst ab."
Oscar Wilde'
"Wir leben in einer Zeit, in der die Menschen nicht mehr in der Lage sind,
zu definieren, was Kultur ist."
Max Frisch
„Kultur ist nur ein dünnes Apfelhäutchen über einem glühenden Chaos.“
Friedrich Nietzsche[1]
Popkultur, Kulturfilm, Kulturbeutel, Kulturpolitik, Esskultur, Trinkkultur, Fankultur, Kulturbanause, kultiviert, kulturell. Was ist eigentlich Kultur? Gibt man in der Internet-Suchmaschine www.google.de den Begriff Kultur ein, erhält man sage und schreibe 15.900.000 Treffer. Zeitungen haben eine Kulturseite, es gibt Kulturprogramme in Funk und Fernsehen, wir kennen Menschen aus „einem anderen Kulturkreis“, interessieren uns für „fremde Kulturen“. Ist Kultur also etwas, das uns von anderen unterscheidet? Oder uns zu etwas dazugehörig macht? Zu einem Land, einem Volk, einer Religion, einer Sprachgemeinschaft, einem Fußballverein? Kultur – ist das Theater, Kunst, Musik, Architektur, Design, Sprache, Tradition, Brauchtum?
Der Begriff Kultur findet in der Alltagsprache eine geradezu inflationäre Verwendung. An jeder Ecke begegnet uns dieses Wort Kultur. Doch was steckt denn dahinter? Genaue und gleichlautende Definitionen und Abgrenzungen sind kaum zu finden. An dieser Stelle sollen daher einige Definitionen genannt werden, die zur Begriffsklärung und Einschränkung beitragen können.
In Meyers Großem Taschenlexikon findet man folgende Definition:
Kultur [zu lat. cultura, „Bearbeitung (des Ackers)“, „(geistige) Pflege, Ausbildung“], das von Menschen zu bestimmten Zeiten in abgrenzbaren Regionen in Auseinandersetzung mit der Umwelt in ihrem Handeln Hervorgebrachte (Sprache, Religion, Ethik, Institutionen [Familie, Staat u.a.], Recht, Technik, Kunst, Musik, Philosophie, Wissenschaft), auch der Prozeß des Hervorbringens der verschiedenen Kulturinhalte und -modelle (Normensysteme und Zielvorstellungen) und entsprechender individueller und gesellschaftlicher Lebens- und Handlungsformen. (…)[2]
Die Internet-Enzyklopädie www.wikipedia.org definiert Kultur wie folgt:
Kultur (…) ist die Gesamtheit der menschlichen Leistungen. Dies schließt einerseits physische Dinge, wie Werkzeuge ein, aber auch die durch den Menschen hervorgerufene Veränderung der Natur, die geistigen Hervorbringungen der Menschheit wie Schrift und Kunst sowie die sozialen Organisationsformen, in denen die Menschen zusammenleben. Der Begriff der Kultur steht insofern in Zusammenhang mit dem Begriff der Zivilisation und der sie erhaltenden menschlichen Arbeit. Der Begriff wird einerseits generell auf die Menschheit als ganzes bezogen, andererseits aber auch als Zusammenfassung der Lebensumstände einer bestimmten Ethnie oder Region (…) oder historischen Phase (…).[3]
Innerhalb der relativ neuen (ca. seit den 1980er Jahren aufkeimenden) wissenschaftlichen Disziplin der Kulturwissenschaft wird auf das Problem der Verwendung bzw. Definition des Begriffes Kultur und damit verbundene Probleme in der Definition eines Fachverständnisses hingewiesen:
„Weder lassen sich gleichlautende Auffassungen darüber erkennen, was unter dem Begriff ‚Kultur’ zu verstehen ist oder was die Kulturwissenschaften im Unterschied zu anderen Disziplinen auszeichnet, noch darüber, was ihr Gegenstand oder auch ihre Methoden sind.“[4] Neben dem wissenschaftsimmanenten Problem der Begriffsklärung wird auch auf mögliche Gefahren aufmerksam gemacht, die eine unbedachte oder gar gezielte Einsetzung des Kulturbegriffs mit sich bringen kann:
„Beispielsweise können diese Begriffe auch der Zuschreibung kollektiver Identitäten dienen und indirekt als Werkzeug der Ausgrenzung und Unterdrückung benutzt werden. Der Kulturbegriff lässt sich strategisch einsetzen: Kulturen – begriffen als abgrenzbare und unterscheidbare Entitäten – bezeichnen dann bestimmten Territorien zugeordnete ethnische Gemeinschaften, die schließlich auch zum Objekt von Manipulation, Unterdrückung und Gewalt werden können.“[5]
Dass dies in der Menschheitsgeschichte schon oft der Fall war, braucht hier nicht näher beschrieben zu werden. Wir alle kennen Bespiele, in denen Menschen andere Menschen aufgrund deren Unterschiedlichkeit unterdrückt, verfolgt und ermordet haben. Andererseits gibt es glücklicherweise auch genügend Beispiele von Menschen, die trotz (oder wegen?) ihrer kulturellen Unterschiedlichkeit friedlich nebeneinander und auch miteinander leben und voneinander lernen.
Doch wie definiert sich eine Kultur? Wie werden innerhalb einer Kultur Bedeutungen erzeugt? Wie geben Menschen den Dingen und ihrem Handeln Sinn? Wie erlernen Menschen Bedeutung erzeugende Prozesse? Wie organisiert sich eine Kultur, wie werden Erfahrungen weitergegeben und Konflikte bewältigt? Diesen Fragen soll im Rahmen dieser Arbeit nachgegangen werden.
Schwerpunktmäßig wird Bezug genommen auf Jerome Bruner und dessen Buch Sinn, Kultur und Ich-Identität, das 1997 in deutscher Sprache erschienen ist. Hauptsächlich soll dabei der Terminus der Alltagspsychologie besprochen werden. Bruner beschäftigt sich in diesem Buch damit, wie Menschen ihre Welt organisieren, sich ein Bild machen von sich selbst und anderen, bestimmen, was kanonisch oder normativ in ihrer kulturellen Welt ist und wie man mit Abweichungen dessen umgeht. Des Weiteren soll auf das narrative Organisationsprinzip dieser Alltagspsychologie eingegangen werden, denn Menschen organisieren ihre Erfahrungen narrativ in Geschichten und Erzählungen, wonach Sprechen und Handeln (Logos und Praxis) „kulturell untrennbar miteinander verbunden [sind][6]. Weiterhin sollen auch die Ansichten anderer Autoren zum Thema Alltagspsychologie berücksichtigt und mit denen Bruners verglichen werden.
2. Jerome Bruner
Jerome Bruner[7] wurde am 1. Oktober 1915 in New York, USA geboren. Er ist Psychologe, verfolgt aber auch pädagogische wie juristische Interessen. Als Professor lehrte er Psychologie an den Universitäten von Harvard, Oxford und New York. Besondere Bedeutung erlangten seine – teilweise auch umstrittenen – Theorien zur Entwicklung des Denkens und Sprechens, wobei er immer wieder die Bedeutung der Umwelt für das Lernen aufzeigte.
Im Vorwort der deutschsprachigen Ausgabe von „Sinn, Kultur und Ich-Identität“ als „einer der Väter der Kognitionswissenschaft“[8] bezeichnet, kritisiert Bruner jedoch die Umorientierung seiner Zunft, da diese „die altehrwürdigen Konzepte Geist und Sinn durch die Konzepte Computer und Information ersetzt.“[9]
„[Die] rein morphologischen Veränderungen im Prozeß der Evolution hätten keine Rolle gespielt, wären nicht gleichzeitig gemeinschaftlich geteilte Symbolsysteme entstanden, traditionsbedingte Arten und Weisen des Miteinanderlebens und Miteinanderarbeitens, kurz: menschliche Kultur.“[10]
2.1 Die Kognitive Revolution
Jerome Bruner beschreibt die so genannte kognitive Revolution, die „nach einem langen kalten Winter des Objektivismus den ‚Geist’ wieder in die Humanwissenschaften zurückbringen [sollte]“[11]
Ziel dieser Ende der 1950er Jahre aufkeimenden Revolution war es, die Psychologie für interpretative Nachbardisziplinen der Geistes- und Sozialwissenschaften zu öffnen.
Die Notwendigkeit dieser Zusammenarbeit oder sogar Verbündung mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen wie der Anthropologie, Philosophie oder der Linguistik sahen Bruner et al, da der Kerngegenstand der Psychologie nicht mehr Stimuli und Reaktionen, also beobachtbares Verhalten und biologische Triebe, sondern vielmehr die Konstruktion von Bedeutung und Sinn sein sollte.[12] Beobachtungen und Beschreibungen der Prozesse, in denen Menschen in Auseinandersetzung mit der Welt Bedeutung erzeugen, so Sinn geben und die Welt und sich selbst konstruieren, sollten zum zentralen Gegenstand werden, um so Hypothesen der Bedeutungserzeugung erarbeiten zu können. Bruner sieht diesen Ansatz noch nicht als gescheitert an, jedoch vermutet er, ihr eigener Erfolg habe die Kognitionswissenschaft „auf Abwege“[13] gebracht.
Durch die immer weiter fortschreitenden Entwicklungen in medizinischer Computertechnologie wurde der Schwerpunkt der Psychologie wieder weg von Bedeutung und Sinn und hin zu informationstheoretischen Modellen verlagert. Genau hierin besteht die Kritik Bruners. „Die Fixierung auf den Geist (mind) als Informationsprozessor hat die Psychologie von ihrem Verständnis des Geistes als Schöpfer von Sinn und Bedeutung weggeführt.“[14] In dem vorliegenden Werk plädiert er dafür, Sinn und Bedeutung wieder zur primären Kategorie der Psychologie zu machen und die Kultur als für den Geist konstitutiv und somit auch als für die Psychologie grundlegend relevanten Begriff anzusehen.
Bruner nennt zunächst drei Gründe, warum die Psychologie unbedingt auch die menschliche Kultur in den Fokus rücken sollte:
- Der konstitutive Aspekt der Kultur: der Mensch nimmt an der Kultur teil, verwirklicht seine mentalen Kräfte durch die Kultur, konstituiert sich durch die Kultur. Somit wird die individualistische Denkweise verworfen, die besagte, jeder Mensch verarbeitet einen indifferenten Informationsstrom auf individuelle Weise. Somit gilt: „Es gibt keine menschliche Natur unabhängig von menschlicher Kultur.“[15] Man kann den Menschen nur verstehen, wenn man nachvollziehen kann, wie seine intentionalen Zustände seine Erfahrungen und Handlungen formen.
- Die Öffentlichkeit der Bedeutungen: Diese intentionalen Zustände können nur durch „die Teilhabe an den Symbolsystemen der Kultur verwirklicht werden“[16]. Subjektivität rückt in den Hintergrund, Kultur lebt und funktioniert durch öffentliche und gemeinschaftlich geteilte Bedeutungen, Konventionen, Regeln und Standardisierungen, auch um Bedeutungsunterschiede verhandeln und Bedeutungszuweisungen aushandeln zu können. „Alle Interpretation (…) muß öffentlich zugänglich sein, soll die Kultur nicht durcheinander geraten und damit auch ihre einzelnen Mitglieder.“[17]
- Alltagspsychologie („folk psychology“): Unter diesem Terminus versteht Bruner „die Erklärung einer Kultur für das, was Menschen in Gang hält“[18]. Bruner sieht diesen Aspekt als konstituierend für menschliche Kultur. Mit der Alltagspsychologie sind wir in der Lage, Bedeutungen zu schaffen, das Kanonische einer Kultur festzulegen, weiterzugeben und auszulegen. Im Folgenden soll näher beschrieben werden, was Jerome Bruner unter Alltagspsychologie (oder Laienpsychologie) versteht und warum er diese für so signifikant erachtet.
[...]
[1] Zitate aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Kultur
[2] Meyers Grosses Taschenlexikon in 24 Bänden, Bd. 12, S. 259f
[3] http://de.wikipedia.org/wiki/Kultur
[4] Appelsmeyer/Billmann-Mahecha (2001): S. 8
[5] Appelsmeyer/Billmann-Mahecha (2001): S. 7
[6] Fischer in: Bruner (1997): S. 11
[7] Vgl. hierzu: http://de.wikipedia.org/wiki/Jerome_Bruner und www.psych.nyu.edu/people/faculty/bruner/
Foto: http://www.psy.pdx.edu/PsiCafe/KeyTheorists/Bruner.htm#About
[8] Fischer in: Bruner (1997): S. 10
[9] Bruner (1997): S.10
[10] Ebd. S. 30
[11] Ebd. S. 21
[12] Vgl. Bruner (1997): S. 22
[13] Ebd. S. 21
[14] Ebd. S. 11
[15] nach Geertz in: ebd. S. 31
[16] Bruner (1997): S. 51
[17] Ebd.: S. 32
[18] Ebd.
- Quote paper
- M.A. Berit Hullmann (Author), 2005, Menschliche Kultur und Alltagspsychologie nach Jerome Bruner, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49487
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