Das Thema dieser Arbeit ist in einem Teilbereich der grundlagen- und experimentell orientierten Bewegungsforschung anzusiedeln. Gegenstand ist die Analyse von Untersuchungen zum Gleichgewicht.
Die experimentell durchgeführten Untersuchungen und Befunde, die hauptsächlich im englischsprachigen Raum und Osteuropa unternommen wurden, stützen sich in der Sportpsychologie auf grundlegende Bewegungsmodelle, in denen funktionelle anatomisch / psychologische Strukturen integriert sind.
Viele der bislang im Bereich der Bewegungssteuerung vorliegenden Arbeiten beschäftigen sich mit den zur Gleichgewichtsregulation grundlegenden Prozessen. Auch diese Arbeit schließt die Erläuterung der grundlegenden Strukturen mit ein.
Zunächst erfolgt die ausführliche Beschreibung der Bewegungsregulation, die den gesamten motorischen Lernprozeß zur Entwicklung der Automatisation und Feinkoordination an einem kybernetischen Modell verdeutlicht. Dies geschieht besonders unter dem Aspekt der Bedeutung des Gleichgewichts für den koordinativen Prozeß. Die an der Bewegungsrealisation beteiligten gehirnphysiologischen Prozesse werden aufgrund der Verflechtung des Gleichgewichts mit der Bewegungsregulation behandelt; das Gleichgewicht versteht sich sowohl als peripheres, als auch zentralnervöses Geschehen. Die an der Gleichgewichtsfähigkeit beteiligten Regelstrukturen des inneren und äußeren Regelkreises, der visuelle, taktile, akustische, kinästhetische und vestibüle Analysator, werden jeweils in selbständigen Punkten hinsichtlich ihrer Funktion erläutert. Besondere Berücksichtigung findet das vestibuläre System, da darauf aus dem Bereich der Forschung bislang lediglich segmentiell Bezug genommen wurde.
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INHALTSÜBERSICHT
1. EINLEITUNG
2. BEWEGUNGSREGULATION UND AM GLEICHGEWICHTSPROZESS BETEILIGTE STRUKTUREN
2.1 ALLGEMEINES BEWEGUNGSKOORDINATIONSMODELL UND DER EINFLUSS DER ANALYSATOREN AUF DAS GLEICHGEWICHT
2.2 GEHIRNANATOMISCHE GRUNDLAGEN
2.3 ZUM KINÄSTHETISCHEN ANALYSATOR
2.4 ZUM TAKTILEN ANALYSATOR
2.5 ZUM OPTISCHEN ANALYSATOR
2.6 ZUM AKUSTISCHEN ANALYSATOR
2.7 ZUM VESTIBULARANALYSATOR ( GLEICHGEWICHTSORGAN )
2.7.1 ASPEKTE DER ENTWICKLUNG
2.7.2 BAU UND FUNKTION DES VESTIBULARANALYSATORS
2.7.2.1 ANATOMISCHE GRUNDLAGEN
2.7.2.2 OPTISCH-VESTIBULÄRE REGULATION UND AKTIVE BLICKMOTORIK
2.7.2.3 STATISCHE UND STATOKINETISCHE REFLEXE
2.7.3 VESTIBULÄRE AUSFALLERSCHEINUNGEN
2.7.4 ZUSAMMENFASSENDER ÜBERBLICK ÜBER AUFNAHME UND VERARBEITUNG VON INFORMATIONEN DES VESTIBULARANALYSATORS
3. THEORETISCHE ASPEKTE ZU GLEICHGEWICHT UND GLEICHGEWICHTSFÄHIGKEIT
3.1 ZUR DEFINITION GLEICHGEWICHT
3.2 ARTEN DES GLEICHGEWICHTS
3.2.1 STATISCHES GLEICHGEWICHT
3.2.2 DYNAMISCHES GLEICHGEWICHT
3.2.3 OBJEKTBEZOGENES GLEICHGEWICHT
3.2.4 ZUSAMMENFASSUNG ’
3.3 GLEICHGEWICHTSFÄHIGKEIT
4. ZUR MESSUNG DER GLEICHGEWICHTSLEISTUNG
4.1 VERFAHREN
4.2 MESSPROBLEMATIK
4.3 UNTERSUCHUNGEN ZUM STATISCHEN GLEICHGEWICHT
4.3.1 UNTERSUCHUNGEN ZUM STATISCHEN OBJEKTGLEICHGEWICHT
4.3.2 ZUSAMMENFASSUNG
4.4 UNTERSUCHUNGEN ZUM DYNAMISCHEN GLEICHGEWICHT
4.4.1 UNTERSUCHUNGEN ZUM DYNAMISCHEN OBJEKTGLEICHGEWICHT
4.4.2 ZUSAMMENFASSUNG
5. ZUM TRAINING DER GLEICHGEWICHTSFÄHIGKEIT
6. ZUSAMMENFASSENDER ÜBERBLICK
7. LITERATUR 2
ANHANG: LEBENSLAUF
1. EINLEITUNG:
Das Thema dieser Arbeit ist in einem Teilbereich der grundla- gen—und experimentell orientierten Bewegungsforschung anzusiedeln. Gegenstand ist die Analyse von Untersuchungen zum Gleichgewicht.
Die experimentell durchgeführten Untersuchungen und Befunde, die hauptsächlich im englischsprachigen Raum und Osteuropa unternommen wurden, stützen sich in der Sportpsychologie auf grundlegende Bewegungsmodelle, in denen funktionelle anatomisch / psychologische Strukturen integriert sind.
Viele der bislang im Bereich der Bewegungssteuerung vorliegenden Arbeiten beschäftigen sich mit den zur Gleichgewichtsregulation grundlegenden Prozessen.
Auch diese Arbeit schließt die Erläuterung der grundlegenden Strukturen mit ein.
Zunächst erfolgt die ausführliche Beschreibung der Bewegungsregulation, die den gesamten motorischen Lernprozeß zur Entwicklung der Automatisation und Feinkoordination an einem kybernetischem Modell verdeutlicht. Dies geschieht besonders unter dem Aspekt der Bedeutung des Gleichgewichts für den koordinativen Prozeß. Die an der Bewegungsrealisation beteiligten gehirnphysiologischen Prozesse werden aufgrund der Verflechtung des Gleichgewichts mit der Bewegungsregulation behandelt; das Gleichgewicht versteht sich sowohl als peripheres, als auch zentralnervöses Geschehen. Die an der Gleichgewichtsfähigkeit beteiligten Regelstrukturen des inneren und äußeren Regelkreises, der visuelle, taktile, akustische, kinästhetische und vestibuläre Analysator, werden jeweils in selbständigen Punkten hinsichtlich ihrer Funktion erläutert. Besondere Berücksichtigung findet das vestibuläre System, da darauf aus dem Bereich der Forschung bislang lediglich segmenteil Bezug genommen wurde.
Das Kapitel 'Theoretische Aspekte und Gleichgewichtsfähigkeit' differenziert den Begriff des Gleichgewichts in seine statische und dynamische Komponente, um die verschiedenen Dimensionen darzustellen. Eine Systematik ordnet die beiden Komponenten nach verschiedenen Analyseaspekten ein, wie sie in den behandelten Untersuchungen zu finden sind.
Den Abschluß des grundlagenorientierten Teiles bildet die Erläuterung der Gleichgwichtsfähigkeit und ihre Einordnung in den gesamtkoordinativen Prozeß, um nochmals die Verflechtung von Gleichgewichtsfähigkeit und Bewegungsregulation aufzuzeigen und ihre Bedeutung für den Sport hervorzuheben.
Der Überblick über die Untersuchungen zur Analyse des Gleichgewichts bildet den Schwerpunkt der Arbeit und geht am Anfang dieses Kapitels auf Meßverfahren, Testgütekriterien und allgemeine Meßproblematiken ein. Die Untersuchungen werden dann zum einen den Kapiteln 'Untersuchungen zum statischen' und 'Untersuchungen zum dynamischen Gleichgewicht’ zugeordnet und unter dem jeweiligen Aspekt nach personenbezogenen und personen—ob jektbezogenen Dimensionen behandelt und zum anderen chronologisch nach den unterschiedlichen Verfahren eingeteilt. Am Ende eines jeden Kapitels erfolgt eine tabellarische Zusammenfassung des Untersuchungsablaufs mit kurzer Ergebniswiedergabe .
Den Schlußteil dieser Arbeit bilden die Trainingsprogramme zum Thema 'Gleichgewicht'. Sie umfassen spezifische Trainingsroutinen für den medizinischen und sportpraktischen Bereich .
Die abschließende Zusammenfassung geht dann noch einmal auf die theoretischen grundlagenorientierten Aspekte ein und auf Ergebnisübereinstimmungen und —unterschiede der Untersuchungen .
2. BEWEGUNGS REGÚLATION UND AM GLEIÇHGEWIÇHTS PRÓZE SS BETEILIGTE STRUKTUREN
2.1 ALLGEMEINES BEWEGUNGSKOORDINATIONSMODELL UND DER EINFLUSS DER ANALYSATOREN AUF DAS GLEICHGEWICHT
Die für die Bewegungsregulation verantwortlichen Systeme, die Analysatoren, ermöglichen Realisation und Regulation jeder Bewegung durch sensorische Information und Rückinformation, die Orientierung im Raum und die Korrektur.
Auch PAWLOW sieht in diesen Analysatoren "... jene Teilsysteme der Sensorik . . . , die Informationen auf der Grundlage von Signalen jeweils ganz bestimmter Modalität ... empfangen, umkodieren, weiterleiten und aufbereitend verarbeiten" { vgl.: MEINEL & SCHNABEL, 1976 ).
Die Einordnung der Analysatoren in den bewegungsregulierenden Prozeß wurde in vielerlei Hinsicht unternommen.
Sie sind u.a. bei TSCHAIDSE ( 1965 ) in einen Steuerungsprozeß eingeordnet, wobei die innere Rückführung der Information über die Stellglieder der Bewegung ( kinästhetische und vestibuläre Rezeptoren ) erfolgt.
In Zusammenhang mit dem Reafferenzprinzip ( HOLST & MITTEL- STAEDT, 1950 ) und der Rückafferentation ( ANOCHIN, 1967 ) , liegen ebenfalls kybernetisch-psychologische Regelkreismodelle zu diesem Thema vor.
Sehr differenziert und gut verständlich ist das allgemeine Bewegungsmodell von MEINEL & SCHNABEL ( 1976, 66 ) . Dieses
Modell bildet die Grundlage des Struktur—und Prozeßmodells von TEIPEL ( 1979, 46 ); es basiert ebenfalls auf dem Regelkreisprinzip. Die Person—Umweltbeziehung ist Grundlage der bewegungsregulierenden Information und Rückinformation. Den jeweiligen Analysatoren, dem optischen, akustischen, taktilen, kinästhetischen und statico—dynamischen( Vestibularana lysator ) werden jeweils spezifische Rezeptoren, afferente Nervenbahnen und sensorische Zentren zugeordnet. Das Projektionsfeld aller ankommenden Bahnen befindet sich in der Hirnrinde ( vgl. GABEL, 1984 ). Die Informationsaufnähme über die jeweiligen Analysatoren wird in diesem fundamentalen Modell in einen inneren und äußeren Regelkreis eingeteilt.
Dem äußeren Regelkreis werden das taktile, akustische ( verbale ) und das visuelle Informationssystem zugeordnet, dem inneren das kinästhetische und vestibuläre Informationssystem. Beim inneren Kreis verläuft der Informationsweg ausschließlich innerhalb des Organismus, während beim äußeren Kreis die Informationswege auch teilweise außerhalb verlaufen können.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
ABB. 1: Modell der Bewegungsregulation ( TEIPEL, 1979, 46 )
Die Anteile der fünf Analysatoren an Informationen für die Bewegungsregulation sind sportartspezifisch unterschiedlich, jedoch mehr oder weniger alle beteiligt, wirken zusammen und ergänzen sich.
Im Laufe des sonsomotorischen Lernprozesses erfahren die analysatorischen Inputanteile eine Schwerpunktverschiebung von außen nach innen, d.h., daß dann die Informationsaufnähme hauptsächlich kinästhetisch und vestibulär geschieht.
Die aus dem Bewegungsprozeßmodell erkennbaren beteiligten Gedächtnisprozesse sind für kurz- und langfristige Speicherung und Reproduktion von Bewegungen zuständig ( die Speicherung aller Innervationsmuster erfolgt in der sog. Efferenzkopie ). Die Programmierung beinhaltet Planung ( Antizipation ), Vorstellung und den Ist-Sollwert-Vergleich, der mit der Bewegungskorrekturplanung gekoppelt ist.
Die Motivation schließt momentane und überdauernde Aspekte zur Bewegungsausführung ein und bestimmt die Gerichtetheit und Intensität des Bewegungsverhaltens.
Die Realisation der Bewegungsausführung unter Einschluß der Umweltgegebenheiten wird als Verhalten bezeichnet. Ausführende Organe sind das efferente, bzw. das muskuläre System. Die aufgenommenen Informationen aus inneren und äußeren Informationssystemen werden synthetisiert und differenziert und als Engramme in Kurz- und Langzeitgedächtnis eingebettet. Sie sind auch die Bewegungsbilder, die zur Korrektur beim Ist- Sollwert—Vergleich herangezogen werden ( vgl. TEIPEL, 1979, 46 ff ) .
Alle an der Bewegungsregulation beteiligten Analysatoren bestimmen durch ihre Zusammenarbeit maßgeblich den Gleichgewichtsprozeß. Auch er wird nur durch ihre reibungslose, störungsfreie und kontrollierbare Aktionsausführung möglich. SINGER ( 1970, 197 ) ist der Auffassung "... das Körpergleichgewicht kann nur durch eine Reihe großkoordinativer Fähigkeiten aufrechterhalten werden ..., ... alleine das auf rechte Stehen verlangt eine Vielzahl interaktiver Prozesse
Die für die Gleichgewichtserhaltung und —herstellungverantwortlichen Analysatoren dienen der Realisation und Regulation, sind Grundlage der sensorischen Information und Rückin- formation und ermöglichen Orientierung und Korrektur.
In der Literatur ergeben sich bzg. der Zuordnung der Wichtigkeit eines der Analysatoren am Prozeß der Gleichgewichtsregulation kontroverse Meinungen.
In der sportwissenschaftlichen, physiologischen und medizinischen Literatur ist man einhellig der Meinung dem Vestibular- analysator den Terminus 'Gleichgewichtsorgan' zuzuordnen. STEGEMANN ( 1977 ) nennt den Vestibularanalysator das Gleichgewichtsorgan für die Motorik, das dem Menschen wichtige Informationen durch Dreh- und Winkelbeschleunigungen, durch Stell- und Haltereflexe für die Erhaltung des Gleichgewichts liefert.
SINGER { 1977 ) wiederum redet vom Gleichgewichtssinn und erklärt ihn folgendermaßen: Er funktioniert durch "... das Zusammenwirken einfacher Reflexe, propriozeptiver Information zu Groß— und Kleinhirn, die Aktivierung der Reti- kularformation und des Vestibularanalysators, visuelle Information und willkürliche Bewegungen ...". Auch hier werden verschiedene Sinnesbereiche zum Erhalt des Gleichgewichts verantwortlich gezeichnet.
GROEN ( 1972 ) , SCHWABOWSKI ( 1979 ) und KIPHARD ( 1985 )
sind der Meinung, der Vestibularanalysator sei letztlich das maßgebliche Organ für den Erhalt des menschlichen Gleichgewichts .
GABEL ( 1984 ) gibt zwar auch keinen eindeutigen Hinweis auf die Bedeutung eines der Analysatoren als primär gleichgewichtsregulierendes Organ, neigt jedoch zur Unterstreichung der Wichtigkeit des vestibulären Systems.
2.2 GEHIRNANATOMISCHE GRUNDLAGEN
Die Gleichgewichtsregulation ist als ein Aspekt der Bewegungsregulation zu verstehen; sie basiert auf grundlegenden neuroanatomischen AblaufProzessen, zu deren Verständnis komplexe Strukturen und Funktionseinheiten, zumindest in den Grundzügen, erklärt werden sollen.
Kybernetisch gesehen ist der Mensch ein sich selbst regulierendes System, das mittels affereneter Nervenbahnen Informationen zum zentralen Nervensystem ( ZNS ) leitet, diese dort speichert, verarbeitet und jederzeit abrufbar in motorische Aktionen mittels efferenter Nervenbahnen umsetzen kann. Funktionell besteht das Nervensystem aus drei Abschnitten, die die Aufgabe haben, alle Körperfunktionen optimal zu verbinden und abzustimmen, nämlich dem Gehirn und Rückenmark, dem peripheren Nervensystem { Nerven und Nervenknoten ) und dem vegetativen Nervensystem ( Sympathicus und Parasympathi- cus ) .
Nach dem Aufbau gegliedert, bestehen das Gehirn und Rückenmark aus:
- Endhirn ( Großhirn )
- Zwischenhirn
- Mittelhirn
- Brückenhirn mit Kleinhirn
- verlängertes Rückenmark und Rückenmark.
Die motorischen Aktionen laufen über das sog. pyramidale und extrapyramidale System. Die pyramidale Motorik meint die willkürliche Ziel- und Leistungsmotorik, die über die Hirnrinde ( Cortex ) läuft; die extrapyramidale Motorik läuft über eine Vielzahl miteinander verschalteter Hirnstrukturen ( im Stammhirn ) und ist für die Stützmotorik verantwortlich. Die für die motorischen Prozesse verantwortlichen Strukturen sind sozusagen hierarchisch organisiert, folgen aber dem Subsidiaritätsprinzip, d.h. Entscheidungen werden nicht nur von oben gefällt ( vgl. HOTZ & WEINECK, 1983, 22 ).
Die aus der Peripherie ankommenden Informationen werden zunächst über das Rückenmark ( Leitung afferenter und efferenter Impulse ) in subcortikale und cortikale Abschnitte weitergeleitet. Je nach Art der Information werden unterschiedliche Bereiche angesprochen: das Kleinhirn { cerebellum )
Es ist das Zentrum der Bewegungs- und Körperstellungsregulation, Meldesammelstelle für viele ankommende Informationen und Kontrollorgan der Motorik. Es enthält Fasern aus den kin- ästhetischen und vestibulären Bahnen, d.h. es sorgt für den Erhalt des Gleichgewichts, der räumlichen Orientierung und der zeitlichen Koordination. Es ist weiter eine wichtige Relaisstation zum Großhirn und gibt Empfehlungen an das pyramidale System ( TEIPEL, 1979; FALLER, 1980; FRÖHLICH & DREVER, 1983 ) .
Bei Ausfall des Kleinhirns kommt es zu schwersten Gleichgewichtsstörungen und zur Unfähigkeit, einfachste Bewegungen auszuführen.
Kleinhirn und Basalganglien zusammen stellen spezielle Funktionsgeneratoren dar, die die grobmotorischen Bewegungsmuster aus den Assoziationszentren räumlich und zeitlich gliedern ( HOTZ & WEINECK, 1983 ).
das Zwischenhirn
Hier befinden sich die sensorischen Reflexzentren.
Der Thalamus ( zwischen Zwischen- und Vorderhirn ) ist das wichtigste subcortikale Integrationszentrum der allgemeinen Sensibilität ( Tast-, Tiefen-, Temperatur- und Schmerzsensibilität ), der Seh- und Riechfunktion ( FALLER, 1980; FRÖHLICH & DREVER, 1983 ).
Der Hypothalamus beeinflußt die emotionalen und motivationalen Vorgänge in Verbindung mit dem limbischen System.
Die Basalganglien haben hemmende Funktion auf die Bewegungs- impulse und deshalb Einfluß auf die Modifikation der Bewegungsausführung ( vgl. TEIPEL, 1979; FRÖHLICH & DREVER, 1983 ) .
Die im Hirnstamm gelegene Formatio reticularis ist ein Zellgeflecht, in das afferente Impulse über sog. Kollaterale ( Verzweigungen afferenter sensorischer Neuronen ) gelangen, aus allen spezifischen Rezeptorbereichen ( unspezifische Schaltstation ) . Von hier aus gelangen auch Impulse in sub- cortikale und cortikale Zentren; aus höheren Regionen empfangene absteigende Impulse werden von der Formatio reticularis ins Rückenmark weitergeleitet.
Auf- und absteigende Verbindungen kennzeichnen die Formatio reticularis als Vermittler zwischen sensorischen und zentralen Informationen.
Sie koordiniert mehrere Muskeln zu komplizierten Gesamtbewegungen, reguliert die Tonusverteilung der Muskulatur ( Haltefunktion ), hemmt die vestibulären Kerne, beeinflußt Thalamus, Groß- und Kleinhirn und ist verantwortlich für SchlafWeck-Rhythmus und Weckreaktion. Mit der Weckreaktion bestimmt sie auch den Grad der Bewußtseinshelligkeit { TEIPEL, 1979; FALLER, 1980; FRÖHLICH & DREVER, 1983 ).
Alle Strukturen zusammen sorgen für eine der Zielmotorik angepaßten Stützmotorik ( HOTZ & WEINECK, 1983, 23 ).
das Großhirn
Der obere Gehirnbereich, das Großhirn, ist in eine linke und eine rechte Hemisphäre geteilt. In ihnen sind fast übereinstimmend die primären, sekundären und tertiären sensorischen, motorischen ( efferenten ) und assoziativen Zentren repräsentiert. Sie sind immer auf die entgegengesetzte Körperhälfte bezogen { contralateral ). Bei einer Rechtshändigkeit liegt eine Dominanz der linken Gehirnhälfte vor ( Lateralität; vgl. TEIPEL, 1979, 58 ). Ebenso liegen die Sprach- und Sprechzentren beim Rechtshänder links.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
ABB. 2 : Struktur der bewegungsregullerenden Zentren des Großhirns { aus: TEIPEL, 1979. 58 )
Das motorische Projektionsfeld liegt im oberen, mittleren Bereich des Großhirns. Hier lokalisieren sich die einzelnen Körperregionen in der Reihenfolge von unten außen nach oben innen ( Fuß, Bein, Rumpf, Arm, Hand, Finger usw. ). Die Repräsentation der einzelnen Körperteile ist funktionell zu verstehen. Topografisch entspricht der Cortex der Organisation der Muskeln, funktionell denkt er in Bewegung ( vgl. HENATSCH, 1976 ).
Die verschiedenen an der Informationsaufnahme beteiligten Systeme sind in verschiedenen Gehirnabschnitten lokalisiert. Das sensorische Projektionsfeld liegt in der Nähe und teilweise überlappend zum motorischen Projektionsfeld. Es stellt die zentrale Repräsentation des vestibulären, kinästhetischen und taktilen Informationssystems dar. Das visuelle Projektionsfeld liegt im occipitalen Bereich und die verbale Repräsentation ist sowohl im sensorischen als auch im motorischen Sprachzentrum zu finden ( vgl. TEIPEL, 1979, 60 ).
Primäre, sekundäre und tertiäre Projektionsfelder stehen in enger Verbindung über Assoziations- und Kommissurenbahnen.
Sie sind an der Affenrenzsyntheseausbildung beteiligt ( SOLO- GUB, 1976, 204 ).
Im Gedächtnis werden kurz—oder langfristig die Bewegungen abrufbar gespeichert ( Afferenzsynthese und Efferenzkopie ). Bei der Speicherung und Reproduktion von Bewegung geht man davon aus, daß sie auf Prozesse im Kleinhirn und in den sekundären und tertiären sensorischen Projektionsfeldern, ebenfalls im motorischen Projektionsfeld zurückzuführen sind. Integration und Programmierung der Bewegung geschehen zu großen Teilen sehr wahrscheinlich in den tertiären motorischen Rindenfeldern ( Assoziationsfelder ) und im motorischen Projektionsfeld. Hier findet wahrscheinlich auch die Ausarbeitung eines effektiven Bewegungsprogrammes statt, sowie die Möglichkeit des Ist-Sollwert-Diskrepanz-Vergleichs. Bei einer Schädigung der motorischen Rindenfelder ist die Programmierung erheblich gestört.
Die Motivation zur Bewegung geht zum Teil von der Formatio reticularis, dem Hypothalamus und dem limbischen Cortex aus. Ebenfalls maßgeblich daran beteiligt sind die tertiären motorischen Rindenfelder { vgl. SOLOGUB, 1976, 204; TEIPEL, 1979, 60/1 ).
Das Verhalten, welches durch die efferente Impulsgebung aus den beteiligten Bereichen entsteht, zeigt je nach unterschiedlicher Intensität und Dauer der nervalen Bahnungs- und Hemmungsprozesse, sowie der adäquaten Koordination der ausführenden Muskelsysteme, unterschiedliche Qualität ( vgl. TEIPEL, 1979, 71 ).
In den folgenden Punkten ( 2.3 - 2.7.4 ) erfolgt zum besseren Verständnis eine genauere strukturelle und funktionelle Erläuterung der am Bewegungs- bzw. Gleichgewichtsprozeß beteiligten Informationssysteme.
Vorab erfolgt an dieser Stelle eine Übersicht über die in den Punkten 2.3 - 2.7.4 behandelten für die Bewegungsausführung relevanten Informationssysteme.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Übersicht Uber die Informationssysteme ( aus: HOTZ 8, WEINECK, 1963, 63 )
Die Darstellung umfaßt alle beteiligten Sinne, die Sinnesorgane und die jeweilige terminologische Bestimmung, also visueller, taktiler usw. Analysator. Die Art .der Informationsaufnahme wird durch die Rezeptorenart und den Sitz der Rezeptoren verdeutlicht, ebenso erfolgt eine Zuordnung zum inneren und äußeren Informationssystem bei der Bewegungsregulation. Darüber hinaus erfolgt eine Bestimmung der Wahrnehmungsreize.
2.3 ZUM KINASTHETISCHEN ANALYSATOR
Der kinästhetische Analysator gibt bewegungslenkende Informationen, dadurch daß er es ermöglicht differenzierte Feinabstimmungen von Raum, Zeit und Geschwindigkeit zu ermessen und zu lenken. Er gehört zum inneren Regelkreis und steht in Kontakt mit dem efferenten Informationssystem, welches die Bewegungsausführung bewirkt.
Laut MEINEL & SCHNABEL ( 1976 ) ist der kinästhetische Analysator enger mit allen anderen Analysatoren verbunden als diese untereinander. Die Autoren meinen, es gäbe keine allgemeine Informationsgewinnung aus der Umwelt ohne kinästhetische Anteile.
Anatomisch gesehen stellt dieser Analysator ein weitverzweigtes Netz dar.
Als Sinnesendorgane ( Propriozeptoren ) sind ihm Muskelspindeln, Sehnenspindeln und Gelenkrezeptoren zugeordnet. Somit liegen seine Propriozeptoren unmittelbar in den Bewegungsorganen selbst und sind direkt an jeder Bewegung beteiligt; er eignet sich daher sehr gut zur reafferenten Bewegungskontrolle ( MEINEL & SCHNABEL, 1976 ).
Die Leitungsbahnen ( sensible Nervenfasern ) haben eine sehr hohe Leitungsfähigkeit und folglich auch eine sehr hohe Übertragungskapazität. MEINEL & SCHNABEL ( 1976, 73 ) sprechen von einer "... höheren Übertragungskapazität als die Kanäle anderer Analysatoren..." ( Leitungsgeschwindigkeit beim Warmblütler nach: RÜDIGER 1969, 422 ff; Lehrbuch der Physiologie :
- motorische Nervenfasern zur Skelettmuskulatur und sensible Nervenfasern von den Muskelspindeln 60 - 120 m/sek
- sensible Fasern von den Berührungsrezeptoren der Haut 40 - 90 m/sek
- motorische Nervenfasern zur intrafusalen Muskulatur und sensible Nervenfasern von den Druckrezeptoren der Haut 30 - 40 m/sek
- sensible Nervenfasern der Chemo-, Thermo- und Schmerzrezeptoren 15 - 25 m/sek ).
Die Muskelspindeln als Rezeptoren befinden sich besonders zahlreich in den Streckmuskeln der Extremitäten, weniger häufig in den Beugern. Besonders dicht liegen sie auch in den Muskeln der menschlichen Hand und in denen des Augapfels. Sie sind nicht in andere Muskelfasern eingespannt, sondern liegen parallel zu ihnen ( STEGEMANN, 1977 ).
Die Muskelspindeln enthalten eigene 'intrafusale' Muskelfasern, deren nichtkontraktiles Mittelstück der eigentliche Rezeptorbereich ist.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
ABB. 4: Eigenreflexbogen ( STEGEMANN. 1977, 33 )
Sie "... reagieren auf Ausmaß und Geschwindigkeit Längenänderung der sie umgebenden Skelettmuskelfasern, also Längenrezeptoren" ( GABEL, 1983 ). Als einfachstes Beispiel wird oft zum Verständnis der Patella-Sehnenreflex erwähnt; der Reflex läuft über einen Reflexbogen, der aus Rezeptor, afferenter Bahn, Umschaltstelle, efferenter Bahn und dem Effektor zusammengesetzt ist. Die Antwort, der Reflex, erfolgt monosynaptisch.
Die Muskelspindel stellt in diesem Reflexbogen biokybernetisch gesehen den Fühler des Regelkreises dar. Sie hält die Spannung der Muskulatur, also die Länge, auf einem vorgegebenen Wert.
Die т-innervation in diesem Regelkreis stellt die Führungsgröße dar ( Folgeregler ) und regelt die Vorspannung der Muskelspindel durch Längenänderung der intrafusalen Fasern. Damit haben sich die Meßeigenschaften der Muskelspindeln geändert mit dem Ergebnis einer Verstellung der Skelettmuskulatur ( a-Motoneuron bei Kontraktion ). Die physiologische Bedeutung dieser Eigenreflexe liegt in der Aufrechthaltung der Muskelaktivität des Körpers.
Die Sehnenspindeln ( Golgi-Organe ) "liegen zur intrafusalen Muskulatur in Serie" ( HAASE, 1976 ) und nehmen daher isometrische Kontraktionen auf, womit sie als Spannungsrezeptoren zu bezeichnen sind.
Im Regelkreis stellen sie Fühler dar, allerdings ist dieser spannungsbegrenzt. In ihrer Rolle als Spannungsrezeptoren repräsentieren die Sehnenspindeln im eigenreflektorischen Regelkreis eine Gegenkopplung.
Die dritte kinästhetische Meldefunktion geht von den Gelenkrezeptoren ( Ruffini-Typ ) aus. Sie sind äußerst sensibel für gerichtete Gelenkbewegungen und ihre Geschwindigkeit und sie reagieren auf Erschütterungen ( vgl. GABEL, 1983 ), ( Vater- Pacinische-Körperchen = Beschleunigungsrezeptoren in der Gelenkkapsel gelegen ). Damit geben sie immer exakte Information über die jeweilige Gelenkstellung an.
Wie oben bereits erwähnt, verfügt der kinästhetische Analysa- tor durch seine Rezeptorensitze über günstigste Voraussetzungen zur reafferenten Bewegungskontrolle ( der Ist-SollwertVergleich wird sozusagen durch die "kinästhetische Innenansicht" gewährleistet ( MEINEL & SCHNABEL, 1976 ) ) . Er gibt dem Körper Informationen über Bewegungen bzgl. der Raum-Zeitdimensionen. Dies wird möglich, dadurch daß die Impulse bei der Reizung der spezifischen Sinnesorgane über den Hirnstrang des Rückenmarks zum Thalamus und dann in den somatischen Bereich des Kortex geleitet werden; es findet eine zentrale Integration statt.
Laut SINGER ( 1977 ) wird dem Organismus durch den Bewegungssinn wichtige Energie freigegeben zur Verwendung anderer Zwecke, was vor allem deshalb von großem Nutzen ist, da nur eine begrenzte Kapazität bei der Informationsverarbeitung verfügbar ist. Ein Anfänger z.B. muß beim Dribbeln auf den Ball sehen, während ein Könner über die kinästhetische Informationsgewinnung den Ball ohne Blickkontrolle bewegen kann. Für ihn wird der optische Analysator zur Kontrolle und Wahrnehmung anderen Geschehens frei. Kinästhesie ist damit ein vorhandener, aber eben auch erlernbarer, bzw. ausbaufähiger Mechanismus. Deshalb ist es nicht verwunderlich, daß im sportlichen Bereich Tests zur Erfassung kinästhetischer Fertigkeiten existieren und Verfahren zur Verbesserung dieser Fähigkeit entwickelt wurden und werden. Man nimmt an, daß der kinästhetische Analysator für mehrere Funktionen, die für den Bewegungsvollzug wichtig sind, verantwortlich ist, wie Lokomotion, Wahrnehmung von Druckveränderungen, Ganzkörperfunktionen und Gleichgewicht.
Zur Bedeutung dieses Analysators bei der Gleichgewichtsregulation weist GABEL ( 1985 ) auf folgende Überlegung hin:
Ist, wie beispielsweise bei Tabikern ( Patienten mit Rückenmarksverfall ) , der eigenreflektorische Regelkreis unterbrochen, so kommt es zu schweren motorischen Störungen und massiven Beeinträchtigungen des Gleichgewichtsverhaltens. Sie sind nicht in der Lage, mit geschlossenen Augen stehen zu können.
Bei Ausfall der kinästhetischen Kontrolle ( und bei Ausfall der efferenten Kontrolle ) kommt es zum Parkinsonismus; d.h. die Bewegung wird zwar zielgerichtet strukturiert, zerfällt jedoch bei auftretenden Widerständen in ihre Teilstrukturen ( vgl. MEINEL & SCHNABEL, 1976, 71 ) ( Parkinsonismus entsteht als Stoffwechselerkrankung durch Dopaminmangel ).
Nach FARFEL ( 1977 ) sind die an den Fußmuskeln und am Gelenk gelegenen Rezeptoren von großer Bedeutung, ebenso wie die aus den in der Halsregion sitzenden Propriozeptoren gewonnenen Informationen. Dies zeigten u.a. Versuche von COHEN ( 1961 ) der bei Affen die zervikalen Dorsalwurzeln anästhesierte, woraufhin sich bei den Tieren deutlichste Orientierungsstörungen, Ungleichgewicht und Störungen der motorischen Koordination zeigten.
GABEL ( 1985 ) meint, daß ein Analogieschluß zum Menschen möglich ist.
Viele Untersuchungen, die in den Punkten 4.3 und 4.4 behandelt werden, bestätigen den Anteil des kinästhetischen Analysators am menschlichen Gleichgewicht.
Auf die sportliche Praxis bezogen gibt der kinästhetische Analysator bewegungslenkende Informationen, dadurch daß er es ermöglicht, differenzierte Feinabstimmungen von Raum, Zeit und Geschwindigkeit zu ermessen und zu lenken.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
AßB- S: Kinäasthetlsche Informationslelstung ( aus: H 0 T 2 S, WEINECK, 1903, 68 )
Die Abbildung macht die Art der Informationsleistung- und -Wirkung deutlich, sowohl durch Hinzunahme der beteiligten Strukturen, als auch durch die psychologischen Wirkungskomponenten .
Die Rezeptoren dieses Analysators sind in der Haut lokalisiert und verteilen sich über die komplette Körperoberfläche. Sie stellen ein sehr differenziertes Gebilde dar. Neben den Schmerz-, Kälte- und Wärmerezeptoren sind die Mechanorezeptoren auch als Eindruckstiefenfühler ( Merkel-Rezeptoren ), Bewegungsfühler ( Meissner-Körperchen ), Beschleunigungs- und Erschütterungsfühler ( Pacini-Körperchen ) spezialisiert. Sie liefern uns wichtige Informationen auf taktilem Wege über jede Art der Bewegung, da sie unmittelbar Kontakt zur Umwelt hersteilen.
Besonders häufig anzutreffen sind die Mechanorezeptoren in Handflächen und Fußsohlen, häufig befinden sie sich auch in der Nähe von Muskeln und Sehnenspindeln ( Leitungsgeschwindigkeit ca. 30 - 40 m/sec ). Vermutlich sind sie von sehr großer Bedeutung für die Feinkoordination der Hand, sicherlich aber tragen sie zur Stützmotorik des Körpers bei.
SCHÄFER ( 1972 ) schreibt den Tast- und Druckrezeptoren der Haut eine große Bedeutung bei der Funktion der Körperstellreflexe für die Aufrechterhaltung des Körpers zu. Besonders deutlich, so der Autor, sei dies festzustellen bei asymmetrischer Erregung der Rezeptoren in Seitenlage. Die Dehnungsrezeptoren der Fußmuskeln und die Druckrezeptoren der Haut sichern also eine stabilere Zweifüßlerlage.
Im Sport liefern die Mechanorezeptoren ganz wichtige Informationen aus der Umwelt, z.B. beim Griff des Balles, beim Abdruck zum Sprung, weiterhin lassen sie Wasserwiderstände spüren, um nur einige Beispiele zu nennen.
Dem einzelnen Sportler in der Praxis ist es allerdings oft nicht möglich, die taktilen und kinästhetischen Empfindungen zu unterscheiden.
Für KLIX ( 1976 ) sind die Mechanorezeptoren haltungsstabilisierende Faktoren, da sie wichtige Informationen über die Verteilung der Druckverhältnisse auf der gesamten Oberfläche des Körpers liefern. Und sie sind 'Fühler' bei der Berührung mit anderen Objekten. Er sieht ebenfalls Zusammenhänge zwischen der Erregungsstärke der Rezeptoren und des Eigengewichts des Körpers, was auch bereits BASS bei ihren Ergebnissen vermutete ( BASS, 1938; s. Punkt 4.4 ).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
ABB. 6: Beitragsraöglichkeiten des taktilen Analysators an der menschlichen Bewegung ( aus: HOTZ 8. WEINECK. 1 9 8 3 , 66 ).
Die Rezeptoren des optischen Analysators ( MEINEL & SCHNABEL, 1976, nennen sie Telerezeptoren ) übermitteln Informationen aus der Distanz, sowohl über eigene Bewegungsvollzüge, als auch über die anderer Menschen, Objekte oder Vorgänge.
Beim Erlernen von Bewegungen und Teilprozessen von Bewegungen spielt dieser Analysator eine große Rolle. Die visuellen Bilder sind 'Vorbilder', haben also informativen Charakter. Auch der visuellen Information über die eigene Bewegung, natürlich eingeschränkt durch den Gesichtskreis, muß große Beachtung eingeräumt werden. Allerdings kann das visuelle Vorbild nicht mit den Afferenzen und Reafferenzen der eigenen Bewegung verglichen werden. Beide Prozesse, das Lernen durch Zuschauen und das Bewegungslernen durch die visuelle Kontrolle eigener Bewegungen sind wichtige Punkte im Lernprozeß.
Bei schnellen Bewegungsabläufen wie beispielsweise beim Slalomlauf, ist die visuelle Kontrolle Bedingung; sie gibt Informationen über die Lage des Körpers in seiner Umwelt. Wichtig ist der optische Analysator auch bei der Einschätzung gegnerischen Bewegungsverhaltens, um reagieren zu können. Kurz, der optische Analysator überwacht, steuert teilweise, kontrolliert, ermöglicht einen großen Teil der Situationsaf- ferenz ( Umgebungsinformation ) über das periphere Sehen. MEINEL & SCHNABEL { 1976 ) sind der Meinung, der optische Analysator sei eng mit den anderen Analysatoren verbunden, er übernehme "... gleichsam die Bewegungserfahrung der anderen Analysatoren ...". Hier spricht ANANJEW ( 1963; aus; HOTZ & WEINECK, 1983, 64 ) von einer "optisch-kinästhetischen Asso ziation" .
Die Zusammenhänge zwischen optischem Analysator und den vestibulären Strukturen werden in einem anderen Kapitel dieser Arbeit besprochen ( s. Punkt 2.7.2.2 ).
Im Prozeß des Bewegungslernens verliert sich die zunächst bestehende Dominanz des visuellen Analysators ( seine Rindenfelder haben die größte Ausdehnung im Gehirn ) und zwar im Zuge des zunehmenden Lernniveaus und der damit differenzierteren Auswertung der Bewegungsempfindung; die dann hauptsächlich beanspruchten Analysatoren, also der kinästhetische und vestibuläre Analysator, gehören dem inneren Regelkreis an. Empirisch nachgewiesen wurde die Bedeutung des visuellen Analysators schon sehr früh durch Untersuchungen des motorischen Gleichgewichts bei geöffneten und geschlossenen Augen, z.B. EDWARDS ( 1942 ), noch früher HINDSDALE ( 1887 ) oder WALLIN ( 1912 ) und MILES ( 1922 ) . Sie fanden bei Körperschwankungstests signifikant höhere Ausschläge bei geschlossenen, als bei geöffneten Augen vor.
Spätere Untersuchungen mit unterschiedlichen Gleichgewichtstests, wie Wackelbrett ( TRAVIS, 1945 ), Ataxiameter ( MILES, 1922 ), FLEISHMAN’S Messungen von Ständen auf einer schmalen Leiste und Einbeinstände auf dem Boden, GRIMSLEY's { 1972 ) Messungen mit dem Dynabalometer und NIGG's ( 1977 )
Plattformmessungen beim bipedalen Stand, führten alle zur gleichen Aussage:
Das motorische Gleichgewichtsverhalten ist bei Ausschaltung der visuellen Kontrolle stärker beeinträchtigt als bei vorhandener visueller Kontrolle ( s. Punkt 4.3 und 4.4 ).
Das führt zu dem Schluß, daß der optische Analysator einen nicht unbescheidenen Beitrag im Gesamtprozeß der Gleichgewichtsregulation leistet.
Faktorenanalytische Untersuchungen bestätigen diese Rückschlüsse .
BASS ( 1938 ) isolierte bei diesen Untersuchungen einen 'allgemeinen augenmotorischen Faktor’, WHELAN ( 1955 ) fand vier Faktoren, die dem optischen Analysator zugeordnet werden können, wobei zwei auf den Faktor 'quasistatisches Gleichgewicht' luden, einer auf den Faktor 'dynamisches Gleichgewicht ' .
FLEISHMAN's Analyse ( 1965 ) über die 'motorische Schnellig keit-Beweglichkeit-motorisches Gleichgewicht-motorische Koordination' hatte den Faktor 'Balancieren mit visueller Unterstützung' als Ergebnis.
ROY's Untersuchungen ( 1968 ) mit fünf verschiedenen Gleichgewichtsfähigkeitstests deuten darauf hin, daß die durch den optischen Analysator erhaltenen Informationen für das dynamische Gleichgewichtsverhalten eine größere Bedeutung haben, als für das quasistatische.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
abb. 7 : visuelle Informationsleistung ( aus: HOT? & wF ineck, 1983. 64 >
Das Modell verdeutlicht den visuellen Einfluß bei der Bewegung. Es zeigt, daß dieser Analysator sowohl über zentrales als auch peripheres Sehen Informationen über die eigenen Bewegungen, Partner-Spielerbewegungen, raum-zeitliche Umweltveränderungen und in seiner Funktion als Telerezeptor auch immer die Distanz zu Geräten und deren räumlicher Einschätzung liefert.
Durch Aufnahme verbaler Information zur Unterstützung von dynamischen Bewegungsprozessen, werden z.B. für den Bereich gleichgewichtsgefährdender Bewegungsphasen wichtige Hinweise zum Ausgleich jeglicher Störungen gegeben.
Hierbei, um dies kurz zu skizzieren, ist der akustische Analysator ( Distanzrezeptoren im Innenohr ) Mittel zur Übertragung, um die Weiterverarbeitung und Umkodierung verbaler Informationen im zweiten Signalsystem zu ermöglichen.
Einige Autoren ( PUNI, 1969; LEIRICH, 1973; RUBINSTEIN, 1973; WOHL, 1977 ) sehen den verbalen Anteil als Grundlage für die Entwicklung von Bewegungsvorstellungen an ( aus: BÖS & MECHLING, 1985, 174 ). MEINEL & SCHNABEL { 1976 ) heben die verbale Informationsaufnahme als eigenes Informationssystem, neben dem akustischen hervor, auf seiner qualitativen Andersartigkeit basierend.
Akustisch beruht sein Zweck also in der Weiterleitung von Signalen, die mit der Bewegung selbst verbunden sind, wie z.B. beim Tennis oder Tischtennisspiel das Aufkommen des Balles, beim Joggen der Atemrhythmus.
Gleichgewichtsstabilisierend wirkt sich dieser analysatori- sche Input nur mit Hilfe zusätzlicher "bewegungslenkender Re- afferenzen" aus. Dafür wurden Testapparaturen hergestellt, wie z.B. SCHNEIDERS { 1970 ). Es handelt sich hierbei um eine Konstruktion, die über eine Kraftmeßplattform registriertes Schwankungsverhalten in akustische Signale umwandelt. Diese Signale beeinflussen sofort das Schwankungsverhalten der Versuchspersonen positiv.
TRAVIS { 1945 ) erlangte ebenfalls mit dem ersten Stabilome- tertest überhaupt bei Sofortinformation akustischer Natur positive Ergebnisse. Er baute ein für die Probanden akustisch wahrnehmbares Zählwerk ein, das im Moment der definierten Gleichgewichtslage hörbar wurde ( akustisch-vestibuläres Feedback ).
Die Bedeutung dieses Analysators für die Gleichgewichtserhaltung ist gering und im Bewegungsvollzug hauptsächlich verbaler Natur.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
ABB. 8: Beitrag des akustischen Analysators zum Bewegungsprozeß < aus: И0Т2 8. WEINECK, 1983, 65 )
Das Modell zeigt nochmals deutlich die hauptsächlich verbale Bedeutung dieses Analysators.
2.7.1 ASPERTE D ER ENTWIC KLUNG
Bei der Betrachtung der Entwicklungsaspekte stößt man zunächst auf die Frage, welchen Nutzen das vestibuläre System dem Menschen bringt. Diesbezüglich gibt es in der Fachliteratur eindeutige Aussagen:
Das vestibuläre System dient dem Menschen im Sinne der Aufrechterhaltung des Körpers, schaltet sich in die Regelung der Augenmotorik ein und ist Grundlage für die reaktive Gleichgewichtserhaltung; es transformiert positive und negative Beschleunigungseinwirkungen in Nervenerregungen.
SCHÄFER ( 1972, 157 ) nennt es das System "der Blick- und Stützmotorik" mit großer Ausdehnung.
Letztlich ist das vestibuläre System Ausgangspunkt zielgerichteter Handlungen ( vgl. SCHWABOWSKI, 1979 ).
Die vestibulären Funktionen sind phylogenetisch alt, wurden aber im Laufe der Evolution von der zunehmenden Bedeutung der Großhirnrinde "überformt" ( vgl. SCHÄFER, 1972, 158 ). Der Funktionszusammenhang der menschlichen Ontogenese mit der Phylogenese ist noch durch Halte- und Stellfunktionen, Greifphänomenen und Instinktmechanismen, vor allem beim Säugling, ersichtlich. Kommt ein neugeborenes Kind mit seinen Füßen in Kontakt mit einer festen Unterlage, so streckt es sich. Bereits ein 4-6 Wochen altes Baby zeigt Kopfstellreflexe auf den Körper und tonische Halsreflexe auf die Extremitäten. 2 - 4 Monate alte Kinder können den Kopf aufrecht halten. Nach 5-7 Monaten hebt das Kind den Kopf aus der Bauchlage heraus hoch. Etwas später stellen sich die Körperstellreflexe auf den "Vierfüßlerstand" ( vgl. KIPHARD, 1985 ) sicher ein.
Zur physiologisch-anatomischen Entwicklung ist zu sagen, daß das vestibuläre System vor dem taktilen reift, die vesti bularen Kerne ihre Fähigkeit bereits in der 9. Woche der Befruchtung aufnehmen ( vgl. AYRES, 1984 ) und die Nervenbahnen dieses Systems bereits beim fünf Monate alten Fetus funktionsfähig sind.
Zu dieser Zeit ist der Fetus wahrscheinlich schon in der Lage, die Bewegungen der Mutter wahrzunehmen, wobei das den Fetus umgebende Fruchtwasser innerhalb der Fruchtblase die Druck- und Vibrationsreize auf das vestibuläre System auslöst .
Untersuchungen an Früh- und Normalgeborenen mit bewußt gesetzten rhythmischen Bewegungsreizen ( Hängematten, Wasserbetten ) zeigen, daß sich diese Kinder besser und gesunder entwickeln, zufriedener und weniger reizbar sind, weniger ansteigenden Hypertonus zeigen und sich durch ein reiferes motorisches Verhalten auszeichnen ( vgl. SCHÄFER, 1972; KI- PHARD, 1985 ).
Im Laufe des Erwachsenenalters verlieren sich die "erinnernden" phylogenetischen Reflexe; durch degenerative Prozesse sind die Reflexe beim alten Menschen oft wiederzufinden.
Da das vestibuläre System äußerst anpassungsfähig ist und seine Funktionen, gegenüber anderen sensorischen Bereichen, wesentlich länger in voller Funktionstüchtigkeit behält, ist es gezielten Trainingsprogrammen zu unterziehen und bewirkt dadurch eine zunehmendere Stabilität des menschlichen Gleichgewichts ( Aktualgenese ).
In den folgenden Seiten soll der Vestibularanalysator näher betrachtet werden hinsichtlich Aufbau, Funktion und Bedeutung bzgl. des Gleichgewichtverhaltens.
2.7.2.1 ANATOMISCHE GRUNDLAGEN
Entwicklungsgeschichtlich stellen das Gleichgewichts- und das Hörorgan eine Funktionseinheit dar. Zusammen bilden sie das Labyrinth und befinden sich im Innenohr.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
А В В . 9: Perspektivische Darstellung der Vestlbularorgane < WENDT. 1966, 1193 )
Der vestibuläre Teil des Labyrinths setzt sich aus zwei verschiedenen Arten von rezeptorischen Endorganen zusammen:
1. Die Bogengangsorgane liegen in drei Ebenen, jeder Ebene des Raumes entsprechend, fast rechtwinklig zueinander und sind fest mit dem Schädel verbunden. Damit ist es möglich, jede Kopfbewegung in Relation zum Raum zu analysieren.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Ohne Abscherung der Zilien zeigt die Cupula eine bestimmte Ruheaktivität. Eine Erhöhung der Aktivität ( Depolarisation ) erfolgt bei den horizontalen Bogengängen, wenn die Cupula zum Utriculus hin ausgelenkt wird { utriculopetal ); bei Drehung nach links erfolgt dies in den linken horizontalen Bogengängen. Eine Verminderung der Entladungsrate erfolgt bei utrico- lofugaler Auslenkung ( Hyperpolarisation; vgl. Abb. vorne )
{ vgl. GROEN, 1972; WENDT, 1966 ).
In den vertikalen Bogengängen haben die ausgelösten Potentialänderungen umgekehrte Vorzeichen.
2. Jede Seite des knöchernen Labyrinths enthält also je drei Bogengangsorgane und noch je zwei Otolithen- bzw. Statoli- thenorgane als Vestibularisrezeptoren.
Die zwei Otolithen- oder Maculaorgane heißen Macula utriculi und Macula sacculi. Bei aufrechter Körperhaltung liegt die Macula utriculi waagerecht und die Macula sacculi senkrecht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
ABB. 10: Lage des Labyrinthes Im Kopf ( WENDT, 1966, 1191 >
Die Rezeptoren der Bogengänge dienen der Erfassung von Winkelbeschleunigungen ( Rotationsbeschleunigungen, Drehungen des Kopfes ).
Je ein Bogengang und der Utrikulus bilden eine Funktionseinheit, die in einem geschlossenen Endolymphring liegt, lediglich unterbrochen durch die Cupula - eine gallertig gefüllte Ampulle, die in die Bogengangswand hineinragt und deren spezifische Dichte der der Endolymphe entspricht - ; dieses System sorgt für die Wahrnehmung der Kopf-Drehbewegungen und den Erhalt des Gleichgewichtes sowie die Orientierung in der Umgebung durch Haltungs- und Stellreflexe und zwar dadurch, daß es, wie oben erwähnt, auf Rotationsbeschleunigungen anspricht. Dabei bleibt zunächst bei der Drehung des Schädels der träge Bogengangsinhalt in Ruhe ( Gravitationseinfluß ), während sich dadurch die Cupula, die ja mit der Bogengangswand verwachsen ist, in Gegenrichtung auslenkt ( Remanenzströmung ) .
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- Quote paper
- Uta Woodum (Author), 1987, Überblick über Untersuchungen zur Analyse des Gleichgewichts, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/4942