Der Beitrag behandelt die Frage, ob und inwiefern ein staatliches Rechtsprechungsmonopol besteht beziehungsweise ob eine private Gerichtsbarkeit zulässig ist.
Die schleichende Entwicklung einer sog. Paralleljustiz gerade in muslimischen Milieus war in den letzten Jahren ein heiß diskutiertes Thema. Auf dem Landesparteitag der rheinland-pfälzischen CDU stellte Bundeskanzlerin Merkel 2010 klar: „Es gilt das Grundgesetz und nicht die Scharia.“ Aber stimmt das? Schließt beides einander aus? Genauer: Schließt das Grundgesetz die Anwendung der Scharia aus oder vielleicht sogar ein?
Das Bundesministerium der Justiz ließ 2014 in einer Studie die Frage untersuchen, ob es (überhaupt) „eine Paralleljustiz in Deutschland“ gibt? Die 83. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister beschäftigte sich ebenfalls mit dem Thema und gelangte zu dem (gegenüber der Bundeskanzlerin differenzierteren) Ergebnis, „dass eine Paralleljustiz, die außerhalb unserer Rechtsordnung stattfindet und dem Wertesystem des Grundgesetzes widerspricht [Hervorhebung durch den Verfasser], nicht geduldet“ werden kann. Aber nicht nur die Politik, sondern auch die Rechtswissenschaft befasst sich seit längerem mit Fragen rund um das Thema der „Paralleljustiz“. Beispielhaft seien an dieser Stelle die Studie von Rohe sowie Dissertationen von Schleicher, Hötte, Bauwens und Maleki genannt. Zudem erregte das Buch von Wagner, einem als Journalist tätigen Juristen, mit dem polemischen Titel „Richter ohne Gesetz. Islamische Paralleljustiz gefährdet unseren Rechtsstaat“ viel Aufsehen.
Unbeschadet des Umstandes, dass nicht von der „Paralleljustiz“ gesprochen werden kann, stellt sich insbesondere die Frage, inwiefern derartige Erscheinungsformen einer privaten Gerichtsbarkeit, in denen unabhängig von staatlichen Gerichten „Recht“ gesprochen wird, mit dem Grundgesetz unvereinbar sind oder welche verfassungsrechtlichen Bestimmungen zur Begründung eines sog. staatlichen Rechtsprechungsmonopols herangezogen werden können? Diese Fragen stellen sich umso eher, als Streitigkeiten nicht nach deutschem staatlichem Recht entschieden werden, sondern ihnen religiöse oder andere nichtstaatlich geprägte Maßstäbe zugrunde liegen wie beispielsweise die von Frau Merkel erwähnte „Scharia“.
Inhaltsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
A. Einleitung und Begriffsbestimmung
I. Staatliche Rechtsprechung
1. Formales Begriffsverständnis
2. Materielles Begriffsverständnis
3. Funktionales Begriffsverständnis
4. Zusammenfassung
II. Private (Schieds-)Gerichtsbarkeit
1. „Subtrahierender“ Ansatz
2. Differenzierter Ansatz
B. Zulässigkeit privater (Schieds-)Gerichtsbarkeit
I. Erscheinungsformen – Eine Bestandsaufnahme
1. Formelle Schiedsgerichtsbarkeit
2. Informelle (religiöse) Schiedsgerichtsbarkeit
3. Kirchliche Gerichtsbarkeit
II. Legitimation – Die Frage des „ob“?
1. Privatautonomie
2. Kirchliches Selbstbestimmungsrecht und Religionsfreiheit
III. Grenzen – Die Frage des „wie“?
1. Art. 92 GG: Ein staatliches Rechtsprechungsmonopol?
a) Wortlaut
b) Historischer Kontext
c) Systematik
d) Telos
aa) Quasi-absolutes staatliches Rechtsprechungsmonopol
bb) Relativ-formales staatliches Rechtsprechungsmonopol
cc) Relativ-modales staatliches Rechtsprechungsmonopol
e) Zwischenergebnis
2. Gesetzlicher Richter und Verbot von Ausnahmegerichten
3. Staatliche Schutzpflicht als Beschränkung?
a) Herleitung
aa) Grundrechtliche Grenzen
bb) Justizgewährleistungsanspruch
b) Reichweite de lege lata
aa) Schiedsgerichtsbarkeit
bb) Spannungsverhältnis zwischen Selbstbestimmungsrecht und Justizgewährleistungspflicht
(i) Auffassung in der Rechtsprechung
(ii) Auffassung in Teilen der Literatur
(iii) Stellungnahme
4. Sonstige Grenzen privater (Schieds-)Gerichtsbarkeit
5. Zwischenergebnis: Dennoch verfassungsrechtliche Grenzen
C. Abschließende Betrachtung: Staatliches Rechtsprechungsmonopol als verfehlte Begrifflichkeit
- Arbeit zitieren
- Moritz Groeger (Autor:in), 2019, Artikel 92 GG. Die Illusion eines absoluten staatlichen Rechtsprechungsmonopols?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/494249
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