Schon seit einigen Jahren ist wissenschaftlicher Literatur und der medialen Berichterstattung zu entnehmen, dass es nicht gut um die deutschen Gewerkschaften bestellt ist. Der Negativtrend setzte für die Gewerkschaften kurz nach der Wiedervereinigung ein, als ihre Mitgliederzahlen prompt und im großen Maße zu sinken begannen. Seitdem setzt sich diese Entwicklung fast ununterbrochen fort.
Aufgrund der angesprochenen Entwicklung versucht diese Arbeit das Sinken des gewerkschaftlichen Organisationsgrades mithilfe der Theorie des kollektiven Handelns (Olson 1965) und von empirischen Untersuchungen zu erklären.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Entwicklung des gewerkschaftlichen Organisationsgrades in Deutschland
3. Probleme des kollektiven Handelns in Gewerkschaften
4. Gewerkschaften empirisch untersucht
4.1 Einfluss der Arbeitswelt im Ost-West-Vergleich
4.2 Einfluss individueller Merkmale
5. Zusammenfassung und Schlussbetrachtung
Verzeichnis der Abbildungen
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Schon seit einigen Jahren ist wissenschaftlicher Literatur und der medialen Berichterstattung zu entnehmen, dass es nicht gut um die deutschen Gewerkschaften bestellt ist. Der Negativtrend setzte für die Gewerkschaften kurz nach der Wiedervereinigung ein, als ihre Mitgliederzahlen prompt und im großen Maße zu sinken begannen. Seitdem setzt sich diese Entwicklung fast ununterbrochen fort.
Aufgrund der angesprochenen Entwicklung versucht diese Arbeit das Sinken des gewerkschaftlichen Organisationsgrades mithilfe der Theorie des kollektiven Handelns (Olson 1965) und von empirischen Untersuchungen zu erklären.
Um die Entwicklung besser begründen zu können, wird diese zunächst etwas näher betrachtet. Dies erfolgt durch jeweilige Analysen des westdeutschen und des ostdeutschen gewerkschaftlichen Brutto-Organisationsgrades im Zeitraum von 1990 bis 2014. Zusätzlich wird untersucht, wie sich der Prozentsatz an gewerkschaftlich organisierten Erwachsenen im Alter von 18-29 Jahren entwickelt hat. Im nächsten Abschnitt werden dann die Probleme des kollektiven Handelns behandelt, wobei noch andere Autoren hinzugezogen werden, die eben genau diese Probleme im Bezug auf Gewerkschaften behandeln. Im letzten Abschnitt wird schließlich eine empirische Analyse betrachtet, welche die Ursachen für den Rückgang des gewerkschaftlichen Organisationsgrades behandelt und hierbei vor allem die Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland aufzeigt.
Die Hauptquelle, um eine auf Gewerkschaften anwendbare theoretische Grundlage zu schaffen, war „Die Logik des kollektiven Handelns“ (Olson 1965). Zu diesem Thema erwiesen sich vor allem die Publikationen von Ebbinghaus/Göbel (2014) sowie von Lesch/Biebeler (2007) als sehr ergiebig. Sie stellen zwischen Olsons Theorie und den deutschen Gewerkschaften einen Gegenwartsbezug her, nennen jedoch auch Aspekte von Olsons Theorie, die sich nicht auf deutsche Gewerkschaften übertragen lassen. Als empirische Grundlage wird die Panelanalyse von Fitzenberger et. al (2009) genutzt, aus welcher hervorgehen soll, welche Ursachen das Sinken des Organisationsgrad hat und inwiefern sich der Organisationsgrad in Ost- und Westdeutschland unterscheidet. Außerdem wird die von Biebeler/Lesch (2007) vorgenommene Regression der Merkmale, die einen Gewerkschaftsbeitritt begünstigen beziehungsweise dem entgegenwirken, untersucht.
2. Die Entwicklung des gewerkschaftlichen Organisationsgrades in Deutschland
Um zu prüfen, wie die Zahl der organisierten Arbeitnehmer sich seit 1990 in Deutschland entwickelt hat, gilt es den gewerkschaftlichen Organisationsgrad als Messeinheit zu definieren. In diesem Fall wird einfachheitshalber der gewerkschaftliche Brutto-Organisationsgrad verwendet. Dieser wird definiert als „Verhältnis zwischen der Gesamtzahl der Gewerkschaftsmitglieder und der Zahl der abhängigen Erwerbstätigen“ (Greef 2014: 700). Somit fließen auch pensionierte und arbeitslose Gewerkschaftsmitglieder in die Berechnung ein.
Wie in Abbildung 1 zu sehen ist, hatten die Gewerkschaften aufgrund der deutschen Wiedervereinigung einen enormen Mitgliederzuwachs zu verzeichnen. Diese Entwicklung hielt jedoch nicht lange an. 1991 lag der ostdeutsche Organisationsgrad noch bei über 30%, ab diesem Zeitpunkt begann er jedoch bis zum Jahr 2000 kontinuierlich zu sinken. Seitdem gab es vor allem 2002 und 2012 Mitgliederzuwächse zu verzeichnen, ehe der Wert 2014 bis 2016 mit nur noch ungefähr 5% seinen größten Tiefpunkt im abgebildeten Zeitraum erreichte. Beim westdeutschen Organisationsgrad gab es keine so extreme Entwicklung zu beobachten. Trotzdem ist auch hier ein Negativtrend zu erkennen. 1997 lag der westdeutsche Organisationsgrad erstmals unter 15% und hat seitdem diesen Wert auch nicht mehr überschritten. Somit ist in ganz Deutschland eine sehr negative Entwicklung des gewerkschaftlichen Organisationsgrades festzustellen.
Auch der Prozentsatz an jungen Gewerkschaftsmitgliedern im Alter zwischen 18 und 29 Jahren fällt in beiden Teilen Deutschlands bis 2014 sehr gering aus. In Westdeutschland erreichte dieser Wert 2004 mit einem Prozentsatz von 10% seinen Tiefpunkt im abgebildeten Zeitraum, während der Wert in Ostdeutschland 2008 sogar nur noch unter 5% lag. Bis 2014 haben sich diese Werte nicht mehr nennenswert erhöht, ehe der Wert für Ostdeutschland 2016 wieder etwas anstieg. Trotzdem lässt sich feststellen, dass der Anteil an jungen Erwachsenen in Gewerkschaften in beiden Teilen des Landes alarmierend gering ausfällt.
Abbildung 1: Gewerkschaftsmitgliedschaft 1980 – 2016 – in Prozent
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Statistisches Bundesamt (2018)
3. Probleme des kollektiven Handelns in Gewerkschaften
Zunächst soll nun geklärt werden, ob Gewerkschaften auch von den klassischen Problemen des kollektiven Handelns betroffen sind. Diese Probleme definierte Mancur Olson 1965 in seinem Buch „Logik des kollektiven Handelns“. In diesem beschreibt er zwei wesentliche Probleme des kollektiven Handelns. Zunächst sei die Annahme falsch, dass nur weil das Erreichen eines Gruppenziels für alle Gruppenmitglieder vorteilhaft wäre, die Gruppenmitglieder deshalb auch automatisch ihr Handeln auf das Erreichen des Gruppenziels richten (Olson: 1965: 2). So ist laut Olson das Gegenteil der Fall, wodurch Gruppenmitglieder nicht zum Zweck der Verwirklichung ihres Gruppenziels handeln. Dies liegt vor allem daran, dass rational handelnde Individuen keine zusätzlichen Kosten aufbringen wollen, um den zu erwartenden Nutzen zu bekommen (Olson: 1965: 10f.). Das zweite von Olson definierte Problem ist das der sogenannten Trittbrettfahrer, welche von Leistungen der Gruppe profitieren, ohne selbst Leistungen zur Gruppe beizutragen (vgl. Olson 1965).
Nun gilt es zu klären, in welchem Maße sich diese Probleme in den deutschen Gewerkschaften wiederfinden und wie die Gewerkschaften mit diesen umgehen. Zuerst stellt sich die Frage ob der erzielte Nutzen einer Mitgliedschaft ihre Kosten (ein Prozent des Bruttolohns) aufwiegt, da Gewerkschaften öffentliche Güter zur Verfügung stellen, von denen auch Nicht-Gewerkschaftsmitglieder erheblich profitieren (Ebbinghaus/Göbel 2014: 209). Sowohl Ebbinghaus und Göbel als auch Biebeler und Lesch setzen die von Olson formulierten Probleme des kollektiven Handelns in den Zusammenhang der Gewerkschaften. Denn auch hier biete es sich als rational handelnder Arbeitnehmer an, die Rolle des Trittbrettfahrers einzunehmen, da Arbeitnehmer den Tariflohn meistens aus „ökonomischen Kalkül“ (Biebeler/Lesch 2007: 135) auch an Nicht-Gewerkschaftsmitglieder zahlen. Hierdurch stellt sich laut Ebbinghaus und Göbel die Frage, warum Menschen dann trotzdem in eine Gewerkschaft eintreten sollten. Um diese Frage zu beantworten gehen sie auf die zwei direkt von Olson genannten Gründe ein. Die erste Option ist eine Zwangsmitgliedschaft aufgrund von kollektiven Vereinbarungen von Gewerkschaften und Arbeitgebern, in Deutschland ist diese Option jedoch aufgrund des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der „negativen Koalitionsfreiheit“ rechtswidrig. (Ebbinghaus/Göbeler 2014: 209). Somit wird eine nähere Untersuchung dieser Option überflüssig.
Die zweite von Olson genannte Option auf die Ebbinghaus und Göbeler Bezug nehmen, ist die der „selektiven Anreize“ die Gewerkschaften für ihre Mitglieder schaffen müssen. Selektive Anreize, die deutsche Gewerkschaften bisher vor allem schaffen, sind Streikgeld und individueller Rechtsschutz (vgl. Ebbinghaus/Göbeler 2014). Ein wesentlicher Punkt den Ebbinghaus und Göbeler ansprechen, ist dass es für die potenziellen Mitglieder schwer ist, das Risiko und den Nutzen einer Inanspruchnahme dieser Anreize hervorzusehen. Generell ist das Trittbrettfahrerproblem wahrscheinlich kaum durch selektive Anreize zu lösen, da diese Leistungen für die Mitglieder nur in den seltensten Fällen so hoch sind, dass sich die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft lohnt. (vgl. Ebbinghaus/Göbeler 2014: 210). Diese Ansicht vertreten auch Biebeler und Lesch:
„Ganz offensichtlich ziehen immer weniger Beschäftigte aus einer Mitgliedschaft oder gar aus einer aktiven Mitarbeit einen Reputationsgewinn, der dem Anreiz zum Trittbrettfahren entgegenwirken und die Organisationsbereitschaft steigern könnte.“ (Biebeler/Lesch 2007: 142)
Aufgrund dieser beschriebenen Entwicklung ist anzunehmen, dass die nach Olson definierten Probleme des kollektiven Handelns auch heutzutage in deutschen Gewerkschaften wiederzufinden sind. Vor allem das Problem des Trittbrettfahrens scheint für Gewerkschaften weiterhin eine große Herausforderung darzustellen. Jedoch bleibt auch festzuhalten, dass diese Problematik nicht mit voller Gewissheit belegt werden kann. Dies liegt vor allem daran, dass aus einem Gewerkschaftsmitglied nicht herausgelesen werden kann, ob es allein wegen selektiver Anreize oder aufgrund des eigentlichen Verbandszwecks Mitglied ist (Müller-Jentsch 1997: 124 zit. in Sebaldt/Straußner 2004).
4. Gewerkschaften empirisch untersucht
Im Laufe der Zeit, wurden unterschiedliche Bereiche der Gewerkschaften untersucht. Im Folgenden soll vor allem der im ersten Abschnitt dieser Arbeit aufgezeigte Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland aufgezeigt werden. Hierzu wird auf die Panelanalyse von Fitzenberger et. al eingegangen (vgl. Fitzenberger et al. (2009). Im nächsten Schritt sollen mithilfe der Arbeit von Biebeler und Lesch die verschiedenen Einzelmerkmale der Arbeiter aufgezeigt werden, die einen Gewerkschaftsbeitritt begünstigen beziehungsweise ihm entgegenwirken.
4.1 Einfluss der Arbeitswelt im Ost-West-Vergleich
Um zu verstehen, welchen Einfluss die Arbeitswelt selbst auf den Organisationsgrad nimmt und inwiefern sich die Umstände hierfür in Ost- und Westdeutschland unterscheiden, erweist sich die Studie „The erosion of union membership in Germany: determinants, densities, decompositions“ von Fitzenberger et. al aus dem Jahr 2009 als hilfreich. Jedoch gilt es hierbei zu beachten, dass die Analyse sich nur mit dem Netto- statt dem in dieser Arbeit bereits erwähnten Bruttoorganisationsgrad beschäftigt. Im Gegensatz zum Bruttoorganisationsgrad, welcher auch pensionierte und arbeitslose Gewerkschaftsmitglieder einberechnet, setzt der Nettoorganisationsgrad nur die Gruppe der abhängig erwerbstätigen Gewerkschaftsmitglieder zu den abhängig Erwerbstätigen (auf dem Arbeitsmarkt) ins Verhältnis (Greef 2014: 700).
Die empirische Analyse ist so aufgebaut, dass der Einfluss sozioökonomischer und arbeitsbezogener Variablen auf die Gewerkschaftsmitgliedschaft unter Verwendung von Daten aus dem deutschen Sozioökonomie-Panel geschätzt wird. Auf Basis dieser durchgeführten Schätzungen sollen der Nettoorganisationsgrad und die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland geschätzt werden (vgl. Fitzenberger et. al 2009).
Laut Fitzenberger et. al werden soziodemografische Merkmale wie das Alter oder der Familienstand, Arbeitsplatzmerkmale und der Einfluss von Einstellungsfaktoren für die individuelle Entscheidung, Mitglied der Gewerkschaft zu sein durch die Ergebnisse dieser Studie quantifiziert (Fitzenberger et. al 2009: 159). Insgesamt sei ein fortlaufender Trend des Nettoorganisationsgrades zu beobachten, wobei dieser im östlichen Teil des Landes stärker abnehme, so dass er bis 2003 sogar niedriger sei, als der Westdeutsche. Des Weiteren falle der Rückgang der Gewerkschaftszugehörigkeit mit Unternehmen zusammen, die Arbeitgeberverbände verlassen und einem anwachsenden Anteil an Unternehmen, die Tarifverträge nicht anerkennen. Weitere Autoren, die den Zusammenhang zwischen Organisationsgrad und Tarifverträgen behandeln sind beispielsweise Kohaut und Schnabel (vgl. Kohaut/Schnabel 2003). Die genannte Erosion der Tarifverhandlungen sei laut Fitzenberger et. al ebenfalls stärker in Ostdeutschland als in Westdeutschland ausgeprägt (Fitzenberger et. al 2009: 159).
Insgesamt sei es im Vergleich zwischen Ost- und Westdeutschland so, dass die Erwerbstätigen in Westdeutschland mehr Eigenschaften zugunsten einer höheren Gewerkschaftszugehörigkeit aufweisen. Daraus resultiere, dass die höhere Gewerkschaftsdichte in Ostdeutschland 1993 und der in der Folge stärkere Rückgang des Organisationsgrades eine geringere Qualität an Mitgliederzahlen widerspiegeln (Fitzenberger et. al 2009: 160). Es sei jedoch nicht so, dass dieser Rückgang in den Mitgliederzahlen nur Veränderungen in der Zusammensetzung der Arbeitskräfte widerspiegle. Vielmehr wäre die Abnahme der Mitgliederzahlen laut Fitzenberger et. al wohl auch ohne diese in der Komposition liegende Veränderung eingetreten.
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- Quote paper
- Anonymous,, 2019, Wandel in der Arbeitswelt? Gründe für das Sinken des gewerkschaftlichen Organisationsgrades in Deutschland seit 1990, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/493892
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