Die vorliegende Arbeit behandelt Robert Musils Romanfragment "Der Mann ohne Eigenschaften", dessen erstes Buch 1930 und zweites Buch 1933 zum ersten Mal herausgegeben wurde. Der Beginn des zweiten Buches behandelt die Beziehung der Geschwister Agathe und Ulrich, welche sich sowohl geistig als auch körperlich in einem Maße einander annähern, dass die Beziehung in der Forschung als inzestuös diskutiert wird. Aufgrund der Tabuisierung von Inzest erscheint das Verhältnis der Geschwister damit als ein Unaussprechliches, woraus ein Erzählproblem resultiert.
Diese Arbeit behandelt die Frage, wie die Inzestthematik trotz des gesellschaftlichen Tabus literarisch verarbeitet wird. Die These lautet, dass die Konzeption der Figuren Ulrich und Agathe, ihre jeweilige geistige Entwicklung bis zum Zeitpunkt ihres Wiedersehens und die Auseinandersetzung mit Mystik als Faktoren die Inszenierung eines anderen Zustandes ermöglichen, in welchem die Geschwister ihre Beziehung fernab gesellschaftlicher Normvorstellungen denken und entwickeln können. Der Agathe-Ulrich-Themenkomplex geht über den zu Lebzeiten des Autors veröffentlichten Text hinaus und zieht sich weit durch den post mortem herausgebrachten Nachlass.
Aufgrund des Textumfangs und der hohen Anzahl ausgiebiger Untersuchungen zur Geschwisterbeziehung im "Mann ohne Eigenschaften" muss auf eine ausführliche Gesamtinterpretation verzichtet werden. Die ersten 12 Kapitel des zweiten Buches stellen in vielerlei Hinsicht eine Zäsur im Text dar, behandeln das Wiedersehen der Geschwister und fungieren als Grundlage für den Weg in den anderen Zustand, weshalb sie den hauptsächlichen Bezugspunkt für die Analyse darstellen. Zur Form des Romans gehört seine Offenheit: Das Formelement Ende fehlt, weshalb viele abschließende Thesen auch in Bezug auf die Entwicklung der Geschwister und ein Erreichen derer des anderen Zustands schwer argumentierbar sind. Ein ausschlaggebendes Nachlasskapitel wird jedoch zum Ende der Arbeit in die Analyse miteinbezogen, um eine Möglichkeit des Fortgangs darzustellen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- 1. Unsagbarkeit als Erzählproblem: Inzesttabu und literarisches Inzestmotiv
- 2. Die Frau ohne Eigenschaften. Einführung der Figur Agathe
- 2.1 Ulrich vor dem Wiedersehen mit Agathe
- 2.2 Die vergessene Schwester
- 3. Agathe und Ulrich: Gemeinsame mystische Entrückung
- 3.1 Die mystische Forderung nach Eigenschaftslosigkeit
- 3.2 Mystische Liebeserlebnisse
- 4. Der Weg in den anderen Zustand
- 4.1 Heilige Gespräche
- 4.2 Das Erleben des anderen Zustands
- 5. Fazit und Ausblick
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht Robert Musils Romanfragment „Der Mann ohne Eigenschaften“ mit Fokus auf die Geschwisterbeziehung zwischen Agathe und Ulrich. Das Ziel ist es, die literarische Verarbeitung der Inzestthematik trotz des gesellschaftlichen Tabus zu analysieren. Die Arbeit untersucht, wie die Figurenkonzeption, ihre geistige Entwicklung und die Auseinandersetzung mit Mystik die Inszenierung eines „anderen Zustands“ ermöglichen, in dem die Geschwister ihre Beziehung jenseits gesellschaftlicher Normen entwickeln können.
- Das Inzesttabu als gesellschaftliches und literarisches Phänomen
- Die Figuren Agathe und Ulrich: Ihre Charaktere und ihre Entwicklung
- Die Rolle der Mystik in der Darstellung der Geschwisterbeziehung
- Der „andere Zustand“ als Möglichkeitsraum für die Geschwisterbeziehung
- Literarische Strategien zur Darstellung eines tabuisierten Themas
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung: Die Einleitung führt in die Thematik des Romanfragments „Der Mann ohne Eigenschaften“ ein und benennt die Forschungsfrage nach der literarischen Verarbeitung der inzestuösen Beziehung zwischen Agathe und Ulrich. Sie stellt die These auf, dass die Figurenkonzeption, die geistige Entwicklung der Geschwister und die Beschäftigung mit Mystik die Darstellung eines „anderen Zustands“ ermöglichen, in dem die Beziehung jenseits gesellschaftlicher Normen gedacht werden kann. Der Fokus der Arbeit liegt auf den ersten zwölf Kapiteln des zweiten Buches, die das Wiedersehen der Geschwister und den Weg in den „anderen Zustand“ behandeln. Die Offenheit des Romans und die daraus resultierende Schwierigkeit, abschließende Aussagen zu treffen, wird ebenfalls angesprochen.
1. Unsagbarkeit als Erzählproblem: Inzesttabu und literarisches Inzestmotiv: Dieses Kapitel beleuchtet das Inzestmotiv als gesellschaftliches Tabu und literarisches Topos. Es untersucht die Ambivalenz des Begriffs „Tabu“, dessen Bedeutung von „heilig“ bis „unrein“ reicht, und die verschiedenen Perspektiven auf Inzest in der Forschung, von mythischen Darstellungen bis zu psychologischen und anthropologischen Ansätzen. Die gesellschaftlichen Sanktionen und Verbote, die mit dem Inzesttabu verbunden sind, werden ebenso erörtert wie der Widerspruch zwischen Tabu und Freiheit.
2. Die Frau ohne Eigenschaften. Einführung der Figur Agathe: Dieses Kapitel untersucht die Charaktere von Agathe und Ulrich vor ihrem Wiedersehen. Es werden die Wesenszüge der Figuren herausgearbeitet, die für ihre gegenseitige Beeinflussung und gemeinsame Entwicklung relevant sind. Die Vorbereitung auf den „anderen Zustand“ wird durch die Beschreibung der jeweiligen Lebens- und Geisteszustände der Geschwister vor ihrer Begegnung gelegt. Das Kapitel betont die Bedeutung der Eigenschaftslosigkeit als Grundzug beider Figuren, welche die Basis für die Analyse des „anderen Zustands“ bildet.
3. Agathe und Ulrich: Gemeinsame mystische Entrückung: Kapitel 3 verortet Agathe und Ulrich im Kontext der Mystik. Es verbindet den Möglichkeitssinn und den Utopiebegriff Ulrichs mit der Forschungsfrage und führt Mystik als Strategie zur Lösung des Erzählproblems ein. Eine theoretische Erläuterung des Mystikbegriffs verknüpft diesen mit der zuvor beschriebenen Eigenschaftslosigkeit als zentralen Charakterzug beider Figuren. Dieses Kapitel schließt die charakterinternen und mystisch-theoretischen Vorbereitungen für den Weg in den „anderen Zustand“ ab.
4. Der Weg in den anderen Zustand: Dieses Kapitel analysiert die „heiligen Gespräche“ zwischen Agathe und Ulrich als Schlüsselszene. Die sich entwickelnde Dynamik zwischen den Geschwistern und ihre moralischen Reflexionen werden untersucht. Es wird betont, dass der Fokus nicht auf dem Erreichen des „anderen Zustands“ liegt, sondern auf der Möglichkeit, eine inzestuöse Beziehung trotz des Tabus textuell darzustellen. Der „andere Zustand“ wird als Möglichkeitsraum für die Entwicklung der Geschwisterbeziehung konzipiert.
Schlüsselwörter
Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, Inzest, Tabu, Mystik, Geschwisterbeziehung, Agathe, Ulrich, Eigenschaftslosigkeit, „anderer Zustand“, Erzählproblem, literarisches Motiv.
Häufig gestellte Fragen zu Robert Musils "Der Mann ohne Eigenschaften": Analyse der Geschwisterbeziehung zwischen Agathe und Ulrich
Was ist der Fokus dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert Robert Musils Romanfragment "Der Mann ohne Eigenschaften" mit besonderem Fokus auf die Geschwisterbeziehung zwischen Agathe und Ulrich. Im Mittelpunkt steht die literarische Darstellung der Inzestthematik trotz des gesellschaftlichen Tabus und wie diese Darstellung durch die Figurenkonzeption, deren geistige Entwicklung und die Auseinandersetzung mit Mystik gelingt.
Welche Kapitel werden untersucht?
Die Analyse konzentriert sich auf die ersten zwölf Kapitel des zweiten Buches von Musils Roman, die das Wiedersehen der Geschwister und ihren Weg in einen "anderen Zustand" beschreiben.
Was ist die zentrale Forschungsfrage?
Die zentrale Forschungsfrage untersucht, wie Robert Musil die inzestuöse Beziehung zwischen Agathe und Ulrich literarisch verarbeitet, trotz des gesellschaftlichen Tabus. Die Arbeit erforscht, wie Figurenkonzeption, geistige Entwicklung und Mystik die Inszenierung eines "anderen Zustands" ermöglichen, in dem die Geschwister ihre Beziehung jenseits gesellschaftlicher Normen entwickeln können.
Welche Themen werden behandelt?
Die Arbeit behandelt das Inzesttabu als gesellschaftliches und literarisches Phänomen, die Charaktere und Entwicklung von Agathe und Ulrich, die Rolle der Mystik in der Darstellung ihrer Beziehung, den "anderen Zustand" als Möglichkeitsraum für ihre Beziehung und die literarischen Strategien zur Darstellung eines tabuisierten Themas.
Wie wird das Inzesttabu behandelt?
Das Kapitel "Unsagbarkeit als Erzählproblem: Inzesttabu und literarisches Inzestmotiv" beleuchtet das Inzestmotiv als gesellschaftliches Tabu und literarisches Topos. Es untersucht die Ambivalenz des Begriffs "Tabu" und die verschiedenen Perspektiven auf Inzest in der Forschung. Die gesellschaftlichen Sanktionen und der Widerspruch zwischen Tabu und Freiheit werden ebenfalls erörtert.
Welche Rolle spielt die Mystik?
Die Mystik spielt eine entscheidende Rolle in der Darstellung der Geschwisterbeziehung. Sie wird als Strategie zur Lösung des Erzählproblems eingeführt und verbindet sich mit der Eigenschaftslosigkeit der Figuren als Grundlage für den "anderen Zustand".
Was ist der "andere Zustand"?
Der "andere Zustand" wird als Möglichkeitsraum für die Entwicklung der Geschwisterbeziehung konzipiert. Er ist ein Raum jenseits gesellschaftlicher Normen, der durch die geistige Entwicklung der Figuren und ihre Auseinandersetzung mit Mystik ermöglicht wird. Der Fokus liegt nicht auf dem Erreichen dieses Zustands, sondern auf der Möglichkeit, eine inzestuöse Beziehung trotz des Tabus textuell darzustellen.
Wie werden Agathe und Ulrich charakterisiert?
Die Charaktere von Agathe und Ulrich werden vor ihrem Wiedersehen untersucht. Ihre Wesenszüge und ihre geistige Entwicklung werden herausgearbeitet, um ihre gegenseitige Beeinflussung und ihre gemeinsame Entwicklung zum "anderen Zustand" zu verstehen. Die "Eigenschaftslosigkeit" wird als zentraler Charakterzug beider Figuren betont.
Welche Schlüsselbegriffe sind relevant?
Schlüsselbegriffe der Analyse sind: Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, Inzest, Tabu, Mystik, Geschwisterbeziehung, Agathe, Ulrich, Eigenschaftslosigkeit, „anderer Zustand“, Erzählproblem, literarisches Motiv.
Gibt es eine Zusammenfassung der Kapitel?
Ja, die Arbeit enthält eine Zusammenfassung jedes Kapitels: Einleitung, Unsagbarkeit als Erzählproblem, Die Frau ohne Eigenschaften, Agathe und Ulrich: Gemeinsame mystische Entrückung, und Der Weg in den anderen Zustand. Jede Zusammenfassung fasst die wichtigsten Punkte und die Argumentation des jeweiligen Kapitels zusammen.
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- Anonym (Author), 2019, Geschwisterliebe. Analyse einer unaussprechlichen Beziehung in Musils Romanprojekt "Der Mann ohne Eigenschaften", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/492557