Im Herbst 1970 brachte der Geschäftsmann Erich Schneider seinen Liliputaner-Zirkus in einen maroden Märchenpark am Rande der rheinland-pfälzischen Gemeinde Haßloch. Aus den anfangs 20 Bewohnern und ihren Wohnwägen entwickelte sich das Liliputanerdorf. Aus dem alten Märchenland wurde der Holiday Park, einer von Deutschlands größten Vergnügungsparks. Bis Mitte der Neunziger wurde an diesem Ort das Zerrbild Liliput vermarktet, kleinwüchsige Menschen aus aller Welt wurden einem Millionenpublikum unter dem Etikett „Liliputaner“ präsentiert. Dabei übten sie in verschiedenen täglichen Shows nicht nur ihre Rolle als Artisten, Dompteure und Schauspieler aus, sondern waren während der Öffnungszeiten für jeden Parkbesucher mittels transparenter Seitenwände in ihren Wohnwägen bei der Ausübung alltäglicher Dinge wie sogar dem Essen und dem Schlafen zu bestaunen.
Die vorliegende Arbeit will aufzeigen, wie die jahrzehntelange Fiktionalisierung der kleinwüchsigen Schausteller im Holiday Park in Haßloch aktiv zu deren Entmenschlichung beigetragen hat, wodurch eine Kuriositätenschau wie das Liliputanerdorf überhaupt erst bis Mitte der 90er-Jahre existieren konnte. Um diese These zu vertreten, ist zunächst eine eingehende Betrachtung des stoffgeschichtlichen Ursprungs von „Liliput“ im 1726 erschienenen Roman Gulliver's Travels von Jonathan Swift notwendig. Mit übersetzungskritischem Fokus werden die wesentlichen Charakteristika der Liliputaner herausgearbeitet. Zudem wird die intermediale Darstellung dieser anhand der ersten Filmadaption des Stoffes analysiert. Dadurch wird ein Übertrag auf die real-geschichtliche Institution im Holiday Park möglich, um Gemeinsamkeiten aber auch Unterschiede zwischen dem Konzept der Liliputanergesellschaft in Jonathan Swifts Werk und dem Freizeitpark im 20. Jahrhundert aufzuzeigen.
Im zweiten Teil der Hausarbeit erfolgt eine Analyse der Berichterstattung über die Liliputaner im Holiday Park. Das zugrundeliegende und eigens erstellte Korpus enthält journalistische Texte lokaler, regionaler und überregionaler Printmedien aus dem Zeitraum 1970 bis 1994, die den Liliputanerzirkus von Erich Schneider, das Liliputanerdorf im Pfälzer Märchenpark und seine Bewohner thematisieren. In dieser sprachlichen und thematologischen Analyse werden die Mechanismen der fortgehenden Fiktionalisierung herausgearbeitet.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Fiktional-geschichtlicher Hintergrund
- Gullivers Reisen
- Darstellung der Liliputaner
- Erscheinungsbild
- Gesellschaftlicher Charakter
- Umgang mit dem Fremden
- Intermediale Verarbeitung im 20. Jahrhundert
- Real-geschichtlicher Hintergrund
- Ursprünge des Circus der Liliputaner
- Ankunft in Haßloch in der Pfalz
- Etablierung der Liliputaner-Stadt
- Die Liliputaner als eigenes Volk
- Fazit
- Das Erbe von Gulliver
- Methoden der Fiktionalisierung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die jahrzehntelange Fiktionalisierung der kleinwüchsigen Schausteller im Holiday Park in Haßloch und analysiert, wie diese aktiv zu deren Entmenschlichung beigetragen hat. Die Arbeit beleuchtet den fiktionalen Ursprung des Begriffs „Liliputaner“ in Jonathan Swifts satirischem Roman „Gullivers Reisen“ und untersucht die mediale Verarbeitung des Themas im 20. Jahrhundert. Zudem analysiert die Arbeit die Berichterstattung über die Liliputaner im Holiday Park anhand eines Korpus journalistischer Texte lokaler, regionaler und überregionaler Printmedien.
- Die Entstehung des Begriffs „Liliputaner“ im Kontext von Jonathan Swifts „Gullivers Reisen“
- Die Darstellung kleinwüchsiger Menschen in den Medien und die Konstruktion von Stereotypen
- Die Rolle der Fiktionalisierung in der Entmenschlichung von Menschen mit körperlichen Besonderheiten
- Die Analyse journalistischer Texte zum Liliputanerzirkus im Holiday Park in Haßloch
- Die Bedeutung des Holiday Parks als Beispiel für die Vermarktung und Kommerzialisierung von Menschen mit körperlichen Besonderheiten
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik der Arbeit ein und stellt die Forschungsfrage sowie die Zielsetzung der Arbeit dar. Kapitel 2 beleuchtet den fiktional-geschichtlichen Hintergrund des Begriffs „Liliputaner“ und analysiert die Darstellung der Liliputaner in Jonathan Swifts „Gullivers Reisen“. Kapitel 3 untersucht den real-geschichtlichen Hintergrund des Liliputanerzirkus im Holiday Park in Haßloch und beleuchtet die Entstehung des Liliputanerdorfs sowie die mediale Rezeption.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den Themen Liliputaner, Fiktionalisierung, Entmenschlichung, mediale Darstellung, Stereotype, Kleinwüchsigkeit, Holiday Park, Haßloch, Jonathan Swift, „Gullivers Reisen“, Journalismus, Sprachwissenschaft, Thematologie.
- Quote paper
- Florian Arleth (Author), 2018, Liliput in der Lokalpresse. Methoden der Fiktionalisierung kleinwüchsiger Menschen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/490590