Es kann kaum bezweifelt werden, dass Deutschland für die sogenannte Energiewende international große Anerkennung erhält. Doch scheint es zudem im Interesse der Bundesrepublik zu liegen, die weltweite Diffusion von Instrumenten zur Förderung erneuerbarer Energiequellen aktiv zu fördern. Wie die Politikwissenschaftler Steinbacher und Pahle mit einer Auflistung ebensolcher Programme und Maßnahmen eindrucksvoll aufzeigen, kann zurecht davon gesprochen werden, dass Deutschland die Rolle eines „Energiewende leader“ zukommt. Zugleich drängt sich die Frage auf, welchen Einfluss die Bundesrepublik im Besonderen auf die Energiepolitiken anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) nimmt. Dies soll nachfolgend anhand der Ausbreitung von Politiken zur Förderung erneuerbarer Energiequellen aufgezeigt werden, da diese einen Schwerpunkt der „Energiewende leadership“ darstellen.
Hierfür zeichne ich zunächst die bedeutendsten Charakteristika der deutschen Energiewende nach. Anschließend zeige ich auf, über welche Handlungskompetenzen die EU in Fragen der Energiepolitik verfügt, um von der EU ausgehende Konvergenzmechanismen von denen abzugrenzen, die von Deutschland ausgehen. Daraufhin stelle ich drei Konzepte der Politikausbreitung vor, die als Grundlage für die Vorstellung von empirischen Befunden zu den nationalen Förderpolitiken erneuerbarer Energiequellen dienen. Abschließend fasse ich die bedeutendsten Argumente dafür zusammen, dass die deutsche Energiewende eine Konvergenz der nationalen Energiepolitiken anderer EU-Mitgliedsstaaten hinsichtlich der Förderung erneuerbarer Energiequellen bewirkt.
Bevor die These zur Ausbreitung der deutschen Förderpolitik in den EU-Mitgliedsstaaten überprüft werden kann, muss zunächst aufgezeigt werden, wodurch sich der international unter dem Ausdruck „Energiewende“ bekannte Kurswechsel der deutschen Energiepolitik auszeichnet. Dieser gewann ab Mai 2011 an Bedeutung, als die Bundesregierung infolge der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima ein gleichnamiges, langfristig angelegtes Energiekonzept zum Ausstieg aus der Atomenergie bis 2022 und dem Ausbau erneuerbarer Energiequellen beschloss. Der EU-weit einzigartige Planungshorizont der Energiewende schlägt sich beispielsweise in dem Ziel nieder, bis 2050 den Anteil erneuerbarer Energiequellen am Gesamtstrommix auf 80 Prozent zu steigern.
Die Rolle der deutschen Energiewende für die Energiepolitiken der EU-Mitgliedsstaaten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
„ Deutschland hat den Weg der Energiewende eingeschlagen. Deutschland hat sich entschieden, eine Abkehr vom jahrzehntelangen Energiemix – einem Energiemix aus vornehmlich fossilen Energieträgern und Kernenergie – zu vollziehen. Es gibt kein weiteres vergleichbares Land auf dieser Welt, das eine solch radikale Veränderung seiner Energieversorgung anpackt. […] Wenn diese Energiewende einem Land gelingen kann, dann ist das Deutschland. “
Bundeskanzlerin Angela Merkel, 29. Januar 2014
Wie diese deutlichen Worte der Bundeskanzlerin Angela Merkel (2014) in einer von ihr gehaltenen Regierungserklärung aufzeigen, kommt der Bundesrepublik in Fragen der Energiepolitik eine Schlüsselrolle im internationalen Kontext zu. Demnach habe kein anderes Land zuvor einen derart drastischen Wechsel in seiner Energiepolitik eingeschlagen, wie es die Bundesrepublik mit der von ihr proklamierten Energiewende forciert. Dass Deutschland hierfür international große Anerkennung erhält, kann kaum bezweifelt werden (z.B. Kemfert 2016). Doch scheint es zudem im Interesse der Bundesrepublik zu liegen, die weltweite Diffusion von Instrumenten zur Förderung erneuerbarer Energiequellen aktiv zu fördern. Wie die Politikwissenschaftler1 Steinbacher und Pahle (2015: 18 ff.) mit einer Auflistung ebensolcher Programme und Maßnahmen eindrucksvoll aufzeigen, kann zurecht davon gesprochen werden, dass Deutschland die Rolle eines „ Energiewende leader “ (ebd.: 1) zukommt. Zugleich drängt sich die Frage auf, welchen Einfluss die Bundesrepublik im Besonderen auf die Energiepolitiken anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) nimmt. Dies soll nachfolgend anhand der Ausbreitung von Politiken zur Förderung erneuerbarer Energiequellen aufgezeigt werden, da diese einen Schwerpunkt der „ Energiewende leadership “ darstellen (Steinbacher und Pahle 2015: 13).
Hierfür zeichne ich zunächst die bedeutendsten Charakteristika der deutschen Energiewende nach. Anschließend zeige ich auf, über welche Handlungskompetenzen die EU in Fragen der Energiepolitik verfügt, um von der EU ausgehende Konvergenzmechanismen von denen abzugrenzen, die von Deutschland ausgehen. Daraufhin stelle ich drei Konzepte der Politikausbreitung vor, die als Grundlage für die Vorstellung von empirischen Befunden zu den nationalen Förderpolitiken erneuerbarer Energiequellen dienen. Abschließend fasse ich die bedeutendsten Argumente dafür zusammen, dass die deutsche Energiewende eine Konvergenz der nationalen Energiepolitiken anderer EU-Mitgliedsstaaten hinsichtlich der Förderung erneuerbarer Energiequellen bewirkt.
Charakteristika der Energiewende
Bevor die These zur Ausbreitung der deutschen Förderpolitik in den EU-Mitgliedsstaaten überprüft werden kann, muss zunächst aufgezeigt werden, wodurch sich der international unter dem Ausdruck „Energiewende“ bekannte Kurswechsel der deutschen Energiepolitik auszeichnet. Dieser gewann ab Mai 2011 an Bedeutung, als die Bundesregierung infolge der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima ein gleichnamiges, langfristig angelegtes Energiekonzept zum Ausstieg aus der Atomenergie bis 2022 und dem Ausbau erneuerbarer Energiequellen beschloss (vgl. Fischer 2016: 315). Der extrem lange und EU-weit einzigartige Planungshorizont der deutschen Energiewende schlägt sich beispielsweise in dem Ziel nieder, bis 2050 den Anteil erneuerbarer Energiequellen am Gesamtstrommix auf 80 Prozent zu steigern (von Hirschhausen 2014: 4) – im Jahr 2016 lag dieser noch bei 29,5 Prozent (Bundesministerium für Wirtschaft und Energie 2017).
Des Weiteren ist die starke Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure in Energieprojekten charakteristisch für die Energiewende (z.B. Tews 2015: 278). Überdies kommt dem im Jahr 2000 in Kraft getretenen Gesetz für den Ausbau erneuerbarer Energien (EEG) eine Schlüsselrolle im Gesamtprozess der Energiewende zu, worauf ich in Kürze genauer eingehen werde. An dieser Stelle erscheint es mir zunächst notwendig, die Handlungskompetenzen der EU in Fragen der Energiepolitik zu beleuchten, bevor näher auf theoretische Konzepte von Politikausbreitungsprozessen eingegangen wird.
Der energiepolitische Rahmen der EU
Dass eine gemeinsame Energiepolitik nicht erst seit Beschluss der Energieunion ein bedeutendes Anliegen der EU darstellt, wird mit Hinblick auf ihre Gründungsgeschichte schnell deutlich. Bereits in den 1950er Jahren wurden sowohl die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl als auch die Europäische Atomgemeinschaft gegründet, die beide im Jahr 2002 in die Europäische Gemeinschaft und somit in die spätere EU übergingen. Seit 2015 wird auch das gemeinsame langfristige Ziel einer Energieunion angestrebt (Fischer 2016: 349). Doch verfügt die EU erst seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon im Jahr 2009 über Handlungskompetenzen in der Formulierung gemeinsamer Energiepolitiken (Tosun und Solorio 2011: 2). Hinsichtlich des Primärrechts ist zu betonen, dass die EU gemäß Artikel 194 Absatz 2 Satz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) den Mitgliedsstaaten die volle Souveränität bezüglich der Nutzung ihrer Energieressourcen, der Wahl zwischen Energiequellen und der Struktur der Energieversorgung zuerkennt (EU 2012: 135). Immerhin ist es der EU gemäß Artikel 192 des AEUV erlaubt, sowohl steuerliche Vorschriften als auch Maßnahmen zu erlassen, die die Wahl zwischen Energiequellen sowie die Struktur der Energieversorgung in erheblichem Maße betreffen (EU 2012: 133). Zwei bedeutende Schritte im europäischen Sekundärrecht stellen hingegen zum einen die Verabschiedung der Richtlinie 2009/28/EC zur Förderung erneuerbarer Energien auf EU-Ebene dar (EU 2009). Zum anderen betonte die Europäische Kommission in ihrer „Energie 2020“-Strategie mehrere Ziele, die alle Mitgliedstaaten auf EU-Ebene gemeinsam erreichen sollen. Dazu zählt unter anderem die Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energiequellen auf 20 Prozent bis zum Jahr 2020 (Europäische Kommission 2010: 2).
Insgesamt lässt sich damit konstatieren, dass die EU nur sehr eingeschränkt in nationale Energiepolitiken eingreifen darf. Als Handlungsfelder verbleiben nach Artikel 194 Absatz 1 die Sicherstellung des Funktionierens des Energiemarkts, die Gewährleistung der Versorgungssicherheit, die Förderung der Energieeffizienz und -einsparungen sowie von erneuerbaren Energiequellen und der Interkonnektion der Energienetze (EU 2012: 134). Zudem existiert, wie Fischer und Geden (2014: 13) betonen, kein genuin europäisches Instrument zur Förderung erneuerbarer Energiequellen. Außerdem erfolgt das Gros der Maßnahmen ebendieser Förderung nach wie vor auf nationaler Ebene (ebd.). Somit kann an dieser Stelle dem Fazit des Rechtswissenschaftlers Calliess und des Politikwissenschaftlers Hey (2013: 88) gefolgt werden: „ The EU impact on the national energy mix is predominantly indirect, yet powerful.“ Im Umkehrschluss folgt daraus, dass die EU-Mitgliedsstaaten in der Ausgestaltung ihrer Energiepolitiken kaum eingeschränkt sind, sodass es ihnen selbst obliegt, welche Politikinnovationen sie von anderen Mitgliedsstaaten übernehmen.
Politikkonvergenz, -diffusion und -transfer
Nachdem nun aufgezeigt wurde, wodurch sich die Energiewende in Deutschland auszeichnet und inwiefern die EU Einfluss auf nationale Energiepolitiken nehmen kann, werden im nächsten Schritt theoretische Konzepte vorgestellt, die die Einordnung der nachfolgenden Befunde erlauben. Grundsätzlich lassen sich Holzinger, Jörgens und Knill (2007: 11) zufolge drei Konzepte der Politikangleichung voneinander unterscheiden: Politikkonvergenz, -diffusion sowie -transfer. Gemeinsames Kennzeichen dieser drei Konzepte ist nach den Politikwissenschaftlern Dolowitz und Marsh (2000: 5) dabei folgendes: „ [K]nowledge about policies, administrative arrangements, institutions and ideas in one political system (past or present) is used in the development of policies, administrative arrangements, institutions and ideas in another political setting. “ Prozesse des Politiktransfers lassen sich nach Holzinger et al. (2007: 13) dabei als „die Übertragung von Politiken oder Institutionen von einem politischen System zu einem anderen“ charakterisieren. Prozesse der Politikdiffusion hingegen zeichnen sich im Allgemeinen durch ihren Fokus auf konkrete Mechanismen aus, mittels derer Politikinnovationen supranational kommuniziert werden (ebd.: 14). Während dieser Ansatz ebenso wie der des Politiktransfers vornehmlich auf die Prozesshaftigkeit rekurriert, stellt die Politikkonvergenz die Ergebnisse in den Mittelpunkt ihres Interesses (Holzinger et al. 2007). Politikkonvergenz kann schließlich als „ any increase in the similarity between one or more characteristic of a certain policy […] across a given set of political jurisdictions […] over a given period of time “ (Knill 2005: 768) verstanden werden. Des Weiteren werden in der Literatur Kausalmechanismen der Politikannäherung unterschieden, zu denen unter anderem die transnationale Kommunikation, Regulierungswettbewerbe sowie unabhängiges Problemlösen gezählt werden (z.B. Holzinger und Knill 2005: 1; Holzinger et al. 2007: 25). Zuletzt kann sich Konvergenz als Resultat auch dann abzeichnen, wenn ein Land eine Vorreiterrolle in einem bestimmten Politikfeld einnimmt (Jänicke 2005). Dass dies im Falle Deutschlands auf die Energiepolitik zutrifft, zeige ich im Folgenden auf.
Die Ausbreitung von Politiken zur Förderung erneuerbarer Energiequellen
Um das Bild Deutschlands als energiepolitischen Vorreiter zu zeichnen, verwendet die Ökonomin Kemfert (2016: 24) die Metapher einer Lokomotive bzw. eines „Energiewendezugs“, der erst langsam und träge erscheint, dann aber zunehmend an Fahrt gewinnt und schließlich, wenn er erst einmal ins Rollen gekommen ist, nicht mehr so leicht zu stoppen ist. Deutschland hat nach Ansicht der Autorin also etwas Großes in Bewegung gesetzt, was sie insbesondere auf die Investitionen in erneuerbare Energiequellen zurückführt. Diese bewirkten weltweit sinkende Kosten aufgrund der steigenden Nachfrage und der damit einhergehenden Skalierungseffekte (ebd.: 24). Zwar hat Deutschland, wie die Autorin zeigt, nicht als erstes Land ein EEG verabschiedet, das die Investitionen in erneuerbare Energien bedeutend attraktiver werden ließ (ebd.: 18). Doch lässt sich das deutsche Modell wohl als das mit der größten Strahlkraft bezeichnen. So führte unter anderem Italien ein EEG „nach deutschem Vorbild“ ein (ebd.: 21). Ebenso beabsichtigte Spanien mit einem solchen Gesetz den Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben, auch wenn dieses nach kurzer Zeit wieder abgeschafft wurde (ebd.: 23). Des Weiteren lässt sich die massive Ausbreitung der Einspeisetarife in weiteren Ländern wie Griechenland, Österreich oder der Tschechischen Republik direkt auf das deutsche Modell zurückführen, wie es im EEG wiederzufinden ist (Busch und Jürgens 2012: 74 f.). Für die Gültigkeit konvergenztheoretischer Konzepte sprechen zudem die Befunde des Politikwissenschaftlers Jacobs (2012). Wie er anhand des Beispiels von Photovoltaik-Anlagen aufzeigt, übernahm Frankreich das deutsche Degressionsmodell für deren Einspeisevergütungen, was er auf den Konvergenzmechanismus der transnationalen Kommunikation zurückführt (ebd.: 134). Als weiteren Mechanismus nennt er den regulatorischen Wettbewerb, der dazu führte, dass sich unter anderem die Vergütungshöhen von Photovoltaik-Anlagen in Frankreich und Spanien einander annäherten (ebd.: 220 f.).
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1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für alle Geschlechter.
- Quote paper
- Max Schmidt (Author), 2017, Die Rolle der deutschen Energiewende für die Energiepolitiken der EU-Mitgliedsstaaten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/489142
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