“Money makes the world go round“ - in der modernen Gesellschaft findet dieser Satz auf jeder Ebene seine Bestätigung. Egal, ob es sich um den Kauf der Frühstücksbrötchen, dem Urlaub auf Mallorca, den Investitionen eines Unternehmens oder der Rentenversicherung handelt, stets geht es um die Frage, ob genug Geld da ist, und wenn nicht, woher man es nehmen soll. Nichts ist in der „Welt der Ware“ selbstverständlicher als die Existenz des Geldes. Die Erfahrung, dass nur wer über Geld verfügt, auch als Subjekt anerkannt wird und Zugang zum gesellschaftlichen Reichtum erhält, hat sich tief in das Bewusstsein der Menschen verankert. Geld greift in vielfältige gesellschaftliche Bereiche ein, es durchdringt das gesellschaftliche Leben förmlich. Eine Abwendung von der herkömmlichen Geldordnung, gleicht einer Abwendung von der Gesellschaft, so könnte man meinen. „Und niemand kann sich den monetären Zwängen und Auswirkungen entziehen, es sei denn er flieht als Robinson auf eine Insel“.
Geld hat neben den drei klassischen ökonomischen Funktionen als Tausch- bzw. Zahlungsmittel, Wertaufbewahrungsmittel und Recheneinheit vielfältige symbolische Bedeutungen, die weit über die ökonomische neutrale Vorstellung von Geld hinausgeht: Es symbolisiert nicht nur Waren oder Dienstleistungen, sondern dient ebenso als Garant für Sicherheit, Mittel zu individuellen und sozialen Anerkennung, Maßstab für Erfolg, Leistung und sozialen Status sowie als Inbegriff für Macht, Freiheit und Unabhängigkeit. Ein Leben ohne ausreichend Geld ist eng verbunden mit psychischem und sozialem Druck und kann den sozialen Abstieg bedeuten.
Umso erstaunlicher scheint Heidemarie Schwermers freiwillige Entscheidung gänzlich auf Geld zu verzichten. Inspiriert vom Sterntaler-Märchen, in dem ein kleines Mädchen im wahrsten Sinne des Wortes ihr letztes Hemd verschenkt, trennte sie sich von ihrem Besitz, gab ihren Beruf auf und entschied sich für ein Leben ohne Geld.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Teil A: Nicht monetäre Tauschsysteme
1 Begriffsklärung
2 Exemplarischer Überblick über die Entwicklung von Tauschringen
3 Nutzungs- und Gründungsmotive
4 Funktionsweise von Tauschringen
4.1 Grundgedanke
4.2 Reziprozität beim Tausch
4.3 Grundlegende Probleme und Lösungsstrategien
4.4 Soziale Dimension von Tauschringen
5 Zwischenfazit
Teil B: Schwermers Leben ohne Geld
6 Das „Sterntalerexperiment“
6.1 Lebensweise
6.2 Geldlose Sicherheit
7 Soziales Kapital als Lebensstrategie
7.1 Begriffsklärung
7.2 Generierung und Nutzung von sozialem Kapital
8 Fazit
Literatur
Einleitung
“Money makes the world go round“ – in der modernen Gesellschaft findet dieser Satz auf jeder Ebene seine Bestätigung. Egal, ob es sich um den Kauf der Frühstücks-brötchen, dem Urlaub auf Mallorca, den Investitionen eines Unternehmens oder der Rentenversicherung handelt, stets geht es um die Frage, ob genug Geld da ist, und wenn nicht, woher man es nehmen soll. Nichts ist in der „Welt der Ware“ selbstverständlicher als die Existenz des Geldes. Die Erfahrung, dass nur wer über Geld verfügt, auch als Subjekt anerkannt wird und Zugang zum gesellschaftlichen Reichtum erhält, hat sich tief in das Bewusstsein der Menschen verankert. Geld greift in vielfältige gesellschaftliche Bereiche ein, es durchdringt das gesellschaftliche Leben förmlich. Eine Abwendung von der herkömmlichen Geldordnung, gleicht einer Abwendung von der Gesellschaft, so könnte man meinen. „Und niemand kann sich den monetären Zwängen und Auswirkungen entziehen, es sei denn er flieht als Robinson auf eine Insel“.[1]
Geld hat neben den drei klassischen ökonomischen Funktionen als Tausch- bzw. Zahlungsmittel, Wertaufbewahrungsmittel und Recheneinheit vielfältige symbolische Bedeutungen, die weit über die ökonomische neutrale Vorstellung von Geld hinausgeht[2]: Es symbolisiert nicht nur Waren oder Dienstleistungen, sondern dient ebenso als Garant für Sicherheit, Mittel zu individuellen und sozialen Anerkennung, Maßstab für Erfolg, Leistung und sozialen Status sowie als Inbegriff für Macht, Freiheit und Unabhängigkeit. Ein Leben ohne ausreichend Geld ist eng verbunden mit psychischem und sozialem Druck und kann den sozialen Abstieg bedeuten.[3]
Umso erstaunlicher scheint Heidemarie Schwermers freiwillige Entscheidung gänzlich auf Geld zu verzichten. Inspiriert vom Sterntaler-Märchen, in dem ein kleines Mädchen im wahrsten Sinne des Wortes ihr letztes Hemd verschenkt, trennte sie sich von ihrem Besitz, gab ihren Beruf auf und entschied sich für ein Leben ohne Geld.[4] Dabei lag ihr nichts ferner, als ein Leben außerhalb der Gesellschaft, ein Leben als „Robinson“ zu führen: Ich sehe mich nicht als „Aussteigerin aus dem Staat, sondern eher als Um- oder noch besser Einsteigerin in eine neue Struktur“.[5]
Ihr Projekt bestand aus zwei Teilen: Zum einen aus der Gründung und Entwicklung der Gib-und-Nimm-Zentrale, einer nicht-monetären Tauschbörse, in der eben jene Struktur, welche einem informellen vom Geldmedium abgekoppelten Austauschs beinhaltet , erprobt werden sollte; und zum anderen aus dem eigentlichen Experiment, welches als eine Art kompromisslose Steigerung ihrer (Tausch)Tätigkeiten in dem Tauschring gesehen werden kann: den völligen Verzicht auf den üblichen Geldverkehr. Sie erbrachte so einen Beweis, dass ein Leben ohne Geld grundsätzlich möglich ist und man dennoch ein „erfülltes“ Leben führen kann.[6]
Die vorliegende Arbeit ist, wie Schwermers Projekt, in zwei Teile unterteilt.
Teil A behandelt die Idee von nicht-monetären Tauschsystemen. Neben einer exemplarischen Darstellung der historischen Entwicklung von Tauschsystemen, wird auf die typische Funktionsweise, grundlegende Probleme, Nutzungsmotive und die soziale Dimension von Tauschringen eingegangen. Dabei steht der von Schwermer gegründete Tauschring „Die Gib-und-Nimm-Zentrale“ als Fallbeispiel im Vordergrund der Betrachtung.
Teil B behandelt ihr Experiment. Es werden ergänzend Fragen nach ihren Motiven beantwortet und ihre nicht-monetäre Lebensform dargestellt. In diesem Zusammenhang wird v.a. die Bedeutung von sozialem Kapital untersucht, denn dieses muss als wichtigste Voraussetzung für den Erfolg ihres Experimentes betrachtet werden. Die Kernfrage hinsichtlich Schwermers Experimentes ist für diese Arbeit folgende: Ist ein Leben durch den ausschließlichem Gebrauch von sozialem Kapital in Verbindung mit bzw. unter der Voraussetzung von vorhandenem Humankapital in unserer Gesellschaft möglich?
Teil A: Nicht-monetäre Tauschsysteme
Die Idee des Tauschens ist so alt wie die Menschheit selbst. Das Tauschgeschäft gehört neben Raub und Diebstahl zu den frühesten Formen interindividuellen Austauschs. Über Jahrhunderte hinweg war der direkte Tausch von Gütern und Ressourcen die bestimmende Form interindividuellen Handels zur Bedürfnis-befriedigung, bevor allmählich, mit dem Aufkommen von Geldformen, die Geldwirtschaft das Tauschgeschäft ablöste.[7] Und das aus gutem Grund: Das moderne Geld zeichnet sich besonders dadurch aus, dass es extrem geringe Transaktionskosten hat. Unter Transaktionskosten sind die Gesamtheit der aufzubringenden Ressourcen und Risiken zu verstehen, die bei der Übertragung von Leistungen zwischen Akteuren auftreten.[8] Bei Tauschprozessen, v.a. bei generalisierten Tauschvorgängen, sind diese Transaktionskosten, v.a. hinsichtlich der Faktoren Zeit, Sicherheit und Konvertierbarkeit in der Regel wesentlich höher.
Dennoch gab es in der Geschichte immer wieder Versuche, das direkte oder indirekte Tauschen von Naturalien und Arbeitsleistungen in das Zentrum des wirtschaftlichen Handels zu stellen und so mehr oder weniger ohne Geldverkehr auszukommen. Im Folgenden soll über diese ersten Experimente ein kurzer exemplarischer Überblick gegeben werden. Zuvor wird der Begriff des nicht-monetären Tauschringes geklärt.
1 Begriffsklärung
Unter einem nicht-monetären Tauschring wird in dieser Arbeit ein Zusammenschluss von Privatpersonen zum Zwecke des Austausches von Gütern oder Dienstleistungen auf lokaler oder regionaler Ebene verstanden, welcher nicht auf Profit ausgerichtet ist, und gesetzliches Bargeld weder ein noch ausgezahlt wird, aber lokale, nur innerhalb des Tauschringes Geltung habende Verrechnungseinheiten existieren können, so dass die Tauschvorgänge auch indirekt und zeitversetzt, also generalisiert erfolgen können.[9]
2 Exemplarische Überblick über die Entwicklung von Tauschringen
Ende des 17. Jahrhunderts schlug John Bellers die Gründung von Gewerbe-vereinigungen vor, in denen Arbeitslose ihre Zeit sinnvoll nützen sollten. Die Arbeitslosen mit unterschiedlichen Berufen sollten einander Leistungen erbringen und diese durch sogenannte „Arbeitszertifikate“ untereinander austauschen können.[10] In Bristol wurde dieses Verfahren eingeführt und scheiterte bald darauf.
Anfang des 19. Jahrhunderts griff Robert Owen (1771-1858) diese Idee wieder auf und entwickelte als Ausweg aus den sozialen Problemen, die aus der zunehmenden Industrialisierung entstanden, 1832 in London, ein nicht-monetäres Austausch und Versorgungssystem „National Eqiutable Labour Exchange“.[11] Diese Börse war ein Markt, auf dem die Arbeiter sowohl als Produzenten als auch als Konsumenten ihre Waren tauschten. Vergütet wurde mit „Labour notes“, die dem Wert des Rohmaterials und der durchschnittlichen, zur Herstellung der Produkte erforderlichen Arbeitszeit entsprachen. Im Gegenzug konnte der Arbeiter seinen Bedarf aus dem Warenlager der Börse mit diesem „Labour notes“ decken.
Trotz anfänglichem Erfolg brach die Börse nach nur zwei Jahren zusammen. Die Gründe waren neben organisatorischen Mängeln unter anderem eine stark sinkende Mitgliederzahl und das Problem der Zusammenführung von Angebot und Nachfrage.[12], also das Problem der hohen Transaktionskosten.
In der Tauschbank des französischen Sozialisten Pierre Joseph Proudhon (1809-1865) kam John Bellers Idee erneut zum Ausdruck. Proudhon zielte auf eine Reform des Geld- und Kreditwesen ab. Seine Idee war es, eine „Tauschbank“ zu gründen, bei der „Tauschbons“ die Rolle des Geldes übernehmen sollten. Produzenten, die nicht direkt einen Tauschpartner fanden, sollten wie bei Owen, ihre Ware bei der Tauschbank abgeben und dafür „Tauschbons“ erhalten, die ein Anrecht auf bei der Bank hinterlegten Güter darstellten oder als Währung im direkten Tausch unter den Mitgliedern dienen sollte. Zudem sollten die Mitglieder zinslose Kredite erhalten.[13] Wie jedoch der Wert der einzelnen Güter oder Dienstleistungen zu bestimmen sei, blieb in Proudhons nie verwirklichtem Modell offen. Noch vor Beginn der eigentlichen Tauschbankaktivitäten wurde Proudhon aufgrund seiner journalistischen Tätigkeiten zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt.
Der erste moderne Tauschring entstand Anfang der 1980er Jahre im kanadischen Comox Valley auf Vancouver Island aus der Not heraus. Die Stadt Courtenay war von großer Arbeitslosigkeit betroffen, und ein Teil der arbeitsfähigen Bevölkerung wanderte ab. Wegen des Dollar-Mangels florierte der Naturaltausch. Um die hohen Transaktionskosten, die der Tausch mit sich brachte, zu senken, erfand Michael Linton den „Green Dollar“ als lokale Währung, welche jedoch nicht in Gestalt von Münzen, Noten oder Zertifikaten zirkulierten; Guthaben und Kredite tauchten nur in Form von Zahlen auf den Konten der Tauschzentrale auf.[14] Der Tauschzentrale kam dabei eine sehr aktive Rolle zu: sie sammelte Angebot und Nachfrage, machte sie der Öffentlichkeit zugänglich und verrechnete die Leistungen auf die einzelnen Konten. Der „Green Dollar“ bildete keine unabhängigen Bewertungsmaßstab für Leistungen, sondern blieb an der nationalen Währung als Basiseinheit gebunden. Der Wert des „Green Dollar“ entsprach also dem Kanadischen Dollar, jedoch war die lokale Währung nicht in Bargeld umtauschbar.
Die oben skizzierten Tauschsysteme können als Vorläufer bzw. Vorbilder für Schwermers Tauschring betrachtet werden. Angeregt durch Medienberichte über die Gründung der ersten modernen Tauschringe in Kanada beschloss Schwermer einen Tauschring in ihrem Wohnort Dortmund zu gründen.[15] Ihr gefiel die grundsätzliche Idee, dass ohne finanziellen Aufwand lebensnotwendige Dinge erledigt werden konnten und dadurch fast zwangsläufig ein „lebendiges Miteinander“ entstehen müsse.[16] Im Februar 1994 gründete sie die Gib-und-Nimm-Zentrale, welche schnell Mitglieder fand und bis heute existiert.
[...]
[1] Vgl. Creutz, Helmut(1997), S. 2
[2] Vgl. Wimbauer, Christine (2003), S. 24 f.
[3] Vgl. Creutz, Helmut (1997), S.94
[4] Vgl. Schwermer, Heidemarie (2001), S. 82 - 90
[5] Vgl. www.free.de/gibundnimm/eineneuelebensform.html (14.05.2005)
[6] „Zu Beginn meines Experimentes war mir nicht klar, dass der Einfluss des Geldes in so viele Bereiche dringt. Die Aufgabe des Geldes hat mich in eine neue Lebensqualität gebracht, die mit innerem Reichtum statt äusserem, mit Freiheit statt Abhängigkeit, mit Großzügigkeit statt Horten, mit neuen Werten zu tun hat.“ Vgl. www.free.de/gibundnimm/eineneuelebensform.html (14.05.2005)
[7] Vgl. Mühl, Patrick (2001), S.17
[8] Vgl. Offe/Heinze (1990), S. 271
[9] Definition in Anlehnung an Meier, Daniela (2001), S.20
[10] Vgl. Polanyi, Karl (1997), S. 150
[11] Vgl. Offe/Heinze (1990), S. 110
[12] Vgl. Meier, Daniela (2001), S. 29
[13] Vgl. Offe/Heinze (1990), S.114 f.
[14] Vgl. Offe/Heinze (1990), S.132
[15] Vgl. Schwermer, Heidemarie (2001) S. 51
[16] Ebd., S. 52
- Quote paper
- Eduard Drahomeretski (Author), 2005, Jenseits der Geldform - Über das nicht-monetäre Tauschen als Lebensmodell - Ein Fallbeispiel für ein Leben ohne Geld in unserer Gesellschaft, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/48827
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