Aggression ist ein allgegenwärtiges Phänomen im Alltag. Berichte über Aggressionen in der Schule häufen sich und Forschungsergebnisse der letzten Jahre bestätigen eine Zunahme der Gewalt unter Schülern. Es gibt umfangreiche Veröffentlichungen, die sich mit dieser Thematik auseinandersetzen. Wenn man aggressive Verhaltensweisen vermindern will, muss man zunächst die Ursachen von Aggressivität aufzeigen und die Faktoren herausstellen, die aggressive Verhaltensweisen begünstigen können.
Der erste Teil der Arbeit gibt einen Überblick über unterschiedliche Formen, Auftretenshäufigkeiten sowie Geschlechterunterschiede von Aggression als Form kindlicher Verhaltensauffälligkeit. Es sind unterschiedliche Erklärungsmodelle für aggressive Verhaltensweisen dargestellt. Da das Kind in seiner Entwicklung vielschichtigen Einflüssen unterliegt, sind die Faktoren, die die Entstehung und Aufrechterhaltung aggressiven Verhaltens begünstigen, erläutert. In einem weiteren Kapitel wird prosoziales Verhalten klassifiziert. Die Bedingungen und die Entwicklung prosozialer Verhaltensweisen finden Erläuterung. Anschließend sind unterschiedliche Präventions- und Interventionsansätze, die versuchen die verschiedenen Faktoren in der Umgebung des Kindes positiv zu beeinflussen, vorgestellt.
Der zweite Teil der Arbeit befasst sich mit dem Training zum Abbau aggressiven und zur Förderung prosozialen Verhaltens. Das Training ist vorgestellt und beschrieben. Die Inhalte der einzelnen Stunden und Übungen sind dargestellt. Zur Effektüberprüfung wurde ein Beobachtungsbogen für aggressive und prosoziale Verhaltensweisen und ein Beobachtungsbogen zur Trainingsmitarbeit der Kinder herangezogen. Die Beobachtungen erfolgten durch zwei unabhängige Beobachter. Des weiteren wurden die sozialen Kompetenzen der Kinder zu Beginn und am Ende des Trainings anhand eines Rollenspiels überprüft. Mit Hilfe dieser drei Methoden wurde der Erfolg des Programms untersucht.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Teil I
1. Aggression als Form kindlicher Verhaltensauffälligkeit
1.1 Aggression
1.2 Funktionen und Formen von Aggression
1.2.1 Die expressive Aggression
1.2.2 Die instrumentelle Aggression
1.2.3 Die angstmotivierte Aggression
1.2.4 Die relationale Aggression
1.3 Klassifikation und Epidemiologie der aggressiven Störung
1.3.1 Klassifikation
1.3.2 Epidemiologie der aggressiven Störung
1.3.3 Geschlechterunterschiede in der Auftretenshäufigkeit und Symptomatik aggressiver Verhaltensauffälligkeiten
1.4 Entwicklungsverlauf aggressiver Verhaltensweisen
2. Theorien zur Entstehung des Phänomens Aggression
2.1 Die Triebtheorie nach Sigmund Freud
2.2 Das Instinktmodell nach Konrad Lorenz
2.3 Die Frustrations-Aggressions-Theorie
2.4 Lerntheoretische Ansätze
2.4.1 Lernen am Modell nach Albert Bandura
2.4.2 Klassisches Konditionieren
2.4.3 Operantes Konditionieren
2.5 Multifaktorielle Modelle
3. Risikofaktoren aggressiven Verhaltens
3.1 Genetische, prä- und perinatale Faktoren
3.2 Familiäre Faktoren
3.3 Peer Beziehungen
3.4 Intelligenz und schulische Leistungen
3.5 Kognitive und soziale Fertigkeiten
3.6 Psychische Begleiterkrankungen
3.7 Schutzfaktoren
4. Prosoziales Verhalten
4.1 Klassifikation prosozialer Verhaltensweisen
4.2 Entwicklung prosozialen Verhaltens
4.3 Bedingungen prosozialen Verhaltens
5. Prävention und Intervention im Grundschulalter – Verschiedene Lösungsansätze
5.1 Elterntrainingsprogramme
5.2 Kindzentrierte Programme
5.2.1 Trainings zur Förderung sozialer und kognitiver Fertigkeiten
5.2.2 Trainings zur Förderung sozialer Kontakte zu Gleichaltrigen
5.3 Trainingsprogramme mit Lehrern
5.4 Multimodale Verhaltenstrainings
5.5 Multimodales Verhaltenstraining nach Petermann und Petermann
5.5.1 Gesamtaufbau
5.5.2 Ziele des Trainings mit dem Kind
5.5.3 Ziele des Trainings mit den Eltern
5.5.4 Evaluation der Ergebnisse
5.5.5 Ausblick
Teil II
6. Entwicklung, Durchführung und Evaluation eines Trainings im Rahmen einer Hausaufgabenbetreuung von Grundschülern
7. Planung eines Trainings zum Abbau von aggressiven und zur Förderung prosozialen Verhaltens
7.1 Rahmenbedingung der Einrichtung
7.2 Rahmenbedingung der Gruppe
7.2.1 Kurzbeschreibung der einzelnen Kinder
7.2.2 Gruppensituation
7.2.3 Stabilität der Gruppe
7.2.4 Heterogenität der Gruppe
7.3 Gliederung und Ablauf des Trainings
7.4 Techniken und Inhalte des Trainings
8. Dokumentation des Verlaufs des Konzepts
8.1 Stundenübergreifende Ziele
8.2 Erste Stunde: Einfühlungsvermögen fördern
8.2.1 Spezifische Ziele und Ablauf
8.2.2.1 Erarbeitung gemeinsamer Regeln
8.2.2.2 Spieleinheit„Roboter“
8.2.2.3 Entspannungsphase „Ein kleiner Delphin“
8.2.2.4 Rollenspiel: Das Igelspiel
8.2.2.5 Reflexion
8.2.2.6 Übertragung auf den Alltag
8.3 Zweite Stunde: Differenzierte Wahrnehmung
8.3.1 Spezifische Ziele und Ablauf
8.3.1.1 Spieleinheit „Kippbilder“
8.3.1.2 Entspannungsphase „Zauberteppich“
8.3.1.3 Spieleinheit: „Gefühle richtig zuordnen“
8.3.1.4 Der Detektivtest
8.3.1.5 Reflexion und Übertragung auf den Alltag
8.4 Dritte Stunde: Kooperation (und Kommunikation) fördern
8.4.1 Spezifische Ziele und Ablauf
8.4.1.1 Spieleinheit: Partnerübung: „Rettungsboot“
8.4.1.2 Entspannungsphase „Insel“
8.4.1.3 Spieleinheit „Das Eselsbild“ ein Konfliktpuzzle
8.4.1.4 Reflexion: Übertragung auf den Alltag
8.4.1.5 Rollenspiel
8.4.1.6 Reflexion: alternative Lösungen finden
8.5 Vierte Stunde: Gefühle erkennen
8.5.1 Spezifische Ziele und Ablauf
8.5.1.1 Maskenball
8.5.1.2 Entspannungsgeschichte „Dunkle Wolke“
8.5.1.3 Spieleinheit: verschiedene Gesichts- und Gefühlsausdrücke
8.5.1.4 Reflexion: Übertragung auf den Alltag
8.5.1.5 Pantomimisches Rollenspiel
8.6 Fünfte Stunde: Aktives Zuhören
8.6.1 Spezifische Ziele und Ablauf
8.6.1.1 Spieleinheit. „wortlose Gespräche“
8.6.1.2 Entspannungsphase „Wiese“
8.6.1.3 Erzählen, Zuhören, Wiedergeben
8.6.1.4 Rollenspiel: aktives/passives Zuhören
8.6.1.5 Reflexion und Übertragung auf den Alltag
8.7 Sechste Stunde: Konflikte angemessen lösen
8.7.1 Spezifische Ziele und Ablauf
8.7.1.1 Laufspiel
8.7.1.2 Entspannungsphase „Regentropfen“
8.7.1.3 Rollenspiel: Konflikte schlichten
8.7.1.4 Rollenspiel: Alltagskonflikte
8.7.1.5 Reflexion
9. Auswertung der Ergebnisse
9.1 Überprüfung der Konfliktlösekompetenzen im Rollenspiel
9.2 Beobachtungsbogen für aggressive und prosoziale Verhaltensweisen
9.3 Einschätzung der Trainingsmitarbeit der Kinder
9.4 Reflexion der Ergebnisse
10. Diskussion und Ausblick
Literatur
Einleitung
Aggression ist ein allgegenwärtiges Phänomen im Alltag. Berichte über Aggressionen in der Schule häufen sich und Forschungsergebnisse der letzten Jahre bestätigen eine Zunahme der Gewalt unter Schülern (Schäfer & Frey, 1999). Es gibt umfangreiche Veröffentlichungen, die sich mit dieser Thematik auseinandersetzen. Wenn man aggressive Verhaltensweisen vermindern will, muss man zunächst die Ursachen von Aggressivität aufzeigen und die Faktoren herausstellen, die aggressive Verhaltensweisen begünstigen können. In meinen Ausführungen werde ich mich hauptsächlich auf Kinder im Grundschulalter beschränken.
Im ersten Teil meiner Arbeit, versuche ich zunächst einen Überblick über unterschiedliche Formen, Auftretenshäufigkeiten sowie Geschlechterunterschiede von Aggression als Form kindlicher Verhaltensauffälligkeit zu geben. Die unterschiedlichen Erklärungsmodelle für aggressive Verhaltensweisen sollen dargestellt werden. Da das Kind in seiner Entwicklung unterschiedlichen Einflüssen unterliegt, sollen die Faktoren, die die Entstehung und Aufrechterhaltung aggressiven Verhaltens begünstigen, erläutert werden. In einem weiteren Kapitel soll prosoziales Verhalten klassifiziert werden. Es werden Bedingungen und die Entwicklung prosozialer Verhaltensweisen erläutert. Anschließend sollen unterschiedliche Präventions- und Interventionsansätze, die versuchen die verschiedenen Faktoren in der Umgebung des Kindes positiv zu beeinflussen, vorgestellt werden.
Der zweite Teil der Arbeit befasst sich mit dem Training zum Abbau aggressiven und zur Förderung prosozialen Verhaltens in einer Hausaufgabengruppe in Wuppertal. Das Training wird vorgestellt und beschrieben. Zur Effektüberprüfung sollen ein Beobachtungsbogen für aggressive und prosoziale Verhaltensweisen und ein Beobachtungsbogen zur Trainingsmitarbeit der Kinder herangezogen werden. Die Beobachtungen sollen durch zwei unabhängige Beobachter erfolgen. Des weiteren soll eine Überprüfung der sozialen Kompetenzen der Kinder zu Beginn und am Ende des Trainings anhand eines Rollenspiels erfolgen. Mit Hilfe dieser drei Methoden untersuche ich den Erfolg des Programms.
Teil I
1. Aggression als Form kindlicher Verhaltensauffälligkeit
1.1 Aggression
Ein Verhalten kann dann als aggressiv bezeichnet werden, wenn es darauf abzielt eine andere Person oder einen Gegenstand zu schädigen oder die grundlegenden Rechte eines anderen zu verletzen. Die Absicht der Schädigung muss hier im Vordergrund stehen, wobei in diesem Zusammenhang schwer nachvollzogen werden kann, wann ein problematisches Verhalten absichtlich oder ohne Vorsatz gezeigt wurde (Petermann, Jugert, Tänzer & Verbeek, 1997, S.12).
In der Literatur wird zwischen verschiedenen Formen der Aggression unterschieden. Die Aggression kann offen (Schlagen, Treten etc.) gezeigt oder verdeckt (Diebstahl, Lügen etc.) ausgeführt werden. Sie kann körperlich (andere stoßen, treten oder schlagen) oder verbal statt finden (jemanden beschimpfen, bedrohen, kränken) (Cierpka, 1999, S.15). Aggression kann sich nach außen (gegen andere Personen, Gegenstände) oder nach innen richten (gegen die eigene Person). Sie kann sich direkt oder indirekt (boshafte Gerüchte verbreiten) äußern (Petermann & Warschburger, 1998). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich aggressive Verhaltensweisen als sehr heterogen erweisen können.
Die Intensität und Stabilität des negativen Verhaltens erweisen sich als bedeutsam für die Beurteilung, ob es sich um aggressives Verhalten im Sinne einer Verhaltensauffälligkeit handelt. Einzubeziehen ist auch der Entwicklungsstand des Kindes: die negativen Verhaltensweisen müssen signifikant häufiger auftreten als bei Personen in einem vergleichbaren Alter (Petermann & Warschburger, 1998, S.127). Für die klinisch-diagnostische Einschätzung aggressiven Verhaltens im Kindesalter bieten Klassifikationssysteme, wie beispielsweise das Diagnostische und Statistische Manual Psychischer Störungen (DSM) oder die I nternationale Klassifikation Psychischer Störungen (ICD) Beurteilungskriterien (vgl. Kapitel 4.).
1.2 Funktionen und Formen von Aggression
1.2.1 Die expressive Aggression
Die expressive Aggression wird durch negative Emotionen oder Erregungszustände hervorgerufen. Es handelt sich um ein unkontrolliertes, impulsives Verhalten. Sie dient der Reduktion von Spannungen und Ängsten und das Individuum erfährt zumindest kurzfristig Erleichterung. Die Folgen einer solchen Handlung werden meist nicht überblickt, da sie sich explosionsartig und rasant vollziehen. Aggression ist hier Ausdruck eines Kontrollverlustes (Dutschmann, 1995 zit. in Cierpka, 1999, S.17).
1.2.2 Die instrumentelle Aggression
Die instrumentelle Aggression dient dazu ein bestimmtes Ziel zu erreichen oder ein Problem zu lösen (Nolting 1998, 148ff.). Dem Handelnden kommt es nicht in erster Linie auf die Schädigung an, er nimmt sie aber bewusst in Kauf, um eigene Interessen durchzusetzen. Die instrumentelle Aggression wird nicht unbedingt durch negative Emotionen (Gefühle wie Ärger oder Hass) begleitet (Hartung, 2000, S.133). Sie kann zur Durchsetzung der unterschiedlichsten Zwecke eingesetzt werden:
- zum Zwecke der Abwehr von empfundener Bedrohung
- Durchsetzung und Gewinn
- Beachtung und Anerkennung
- positive Selbstbewertung
(vgl. Nolting, 1981)
1.2.3 Die angstmotivierte Aggression
Eine Form von Aggression, die man im besonderen bei Kindern vorfindet, ist die angstmotivierte Aggression. Sie dient in erster Linie der Abwehr von empfundener Bedrohung (Hartung, 2000, S.133). Diese Form ist eher emotional bedingt und äußert sich beispielsweise in Wutausbrüchen und Zorn. Sie ist meist begleitet von Unsicherheit aus einer Abwehrhaltung heraus. Die eigene manchmal auch objektiv unbegründete Angst wird präventiv durch Aggression zu reduzieren versucht (Petermann & Petermann, 1993a, S.8). Die angstmotivierte Aggression ist meist ein Zeichen von mangelnder sozialer Kompetenz. Es liegen keine oder zu wenig erfolgreich erprobte Bewältigungsstrategien vor, um mit einer angstauslösenden Situation fertig zu werden, und so wird der Versuch unternommen, mittels einer aggressiven Handlung das Gefühl der Angst zu bekämpfen, was kurzfristig sicherlich den gewünschten Erfolg erzielt. Lernpsychologisch ist dieses Erleben als ein Prozess der negativen Verstärkung zu bewerten. Durch das Verschwinden der negativen Emotionen wird die Person darin bestärkt das entsprechende Verhalten bei Angst zu zeigen (Hartung, 2000, S.133). Das soziale Umfeld akzeptiert Aggression jedoch meist nicht, was dazu führt, dass die nun auftretenden verstärkten Sanktionen der sozialen Umwelt dem Individuum in immer höherem Maße ein Gefühl der Angst vermitteln. Die Folge darauf ist ein Kreislauf, der bewirkt, dass eine Person auf verstärkte Angst diejenige Bewältigungsstrategie anwendet, die das Gefühl der Angst am effektivsten zu beseitigen vermag. In diesem Fall wäre das die Aggression, was den Kreis schließt und ein Ausbrechen sehr erschwert (Varbelow, 2000, S.58ff.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(nach Petermann & Petermann, 1993a, S.8)
1.2.4 Die relationale Aggression
Werner, Bigbee & Crick (1999, S.154f.) führen in Übereinstimmung mit verschiedenen Autoren (Hart, Jin, Chong Ming, Robinson & McNeilly-Choque, 1996; Schäfer, Wellman & Crick in Vorbereitung zit. in Werner, Bigbee & Crick, 1999, S.154) den Begriff der relationalen Aggression ein. Sie definieren es als ein Verhalten, „(...) das die Beziehung einer Person zu Gleichaltrigen oder die Gefühle der sozialen Zugehörigkeit und Akzeptanz beschädigt.“ Eine relationale Aggression liegt beispielsweise vor, wenn man ein anderes Kind, das man nicht mag, absichtlich ignoriert oder wenn sogar Gerüchte über das Kind verbreitet werden, die bewirken, dass auch andere Kinder das betroffene Kind ausschließen. Es werden soziale Beziehungen genutzt, um einem gleichaltrigen Kind zu schaden. Gerade im Grundschulalter ist eine Analyse der relationalen Aggression besonders wichtig, da die Akzeptanz durch Gleichaltrige und die Entstehung gegenseitiger Freundschaften besonders wesentlich in dieser Phase der Entwicklung sind (Werner, Bigbee & Crick, 1999, S.155f.).
Um ein Verhalten bewerten zu können, sind sowohl die beobachtbaren Reaktionen als auch die “Absichten”, die dem Verhalten zugrunde liegen, entscheidend. Nur so ist eine sinnvolle Einteilung der Aggression gewährleistet. Ähnliches Verhalten kann so unterschiedlich gewichtet und bewertet werden.
Merkens (1989) nimmt einen anderen Einteilungsversuch der Aggression vor.
Sie unterscheidet vier Formen.
a) Reaktive Aggressivität
Diese Form der Aggressivität impliziert eine Abreaktion von Ängsten und Spannungen.
b) Instrumentelle Aggressivität
Analog zur oben genannten instrumentellen Aggression geht es hier um die Zielerreichung mittels aggressiver Selbstdurchsetzung.
c) Imitative Aggressivität
Imitationslernen stellt die Grundlage der imitativen Aggressivität dar.
Hier werden aggressive Modelle zur Unterstützung und Verstärkung der eigenen aggressiven Absichten nachgeahmt. Mit der Identifikation mit dem Modell werden auch Wertorientierungen übernommen. Imitative Aggressivität kann direkt oder nach langer Zeit zum Ausbruch kommen.
d) Identifikative Aggressivität
Die identifikative Aggressivität ist eine gruppenbezogene und gruppenverstärkte Aggressionsform, in denen Individuen neue Verhaltensstile und Aggressionsvarianten ausprobieren und in ihr Repertoire aufnehmen.
Petermann und Petermann (1993a, S.5) nehmen in Anlehnung an Buss (1961) und Bandura (1979) folgende Einteilungen vor:
- offen-gezeigte versus verdeckt-hinterhältige Aggression
- körperliche versus verbale Aggression
- aktiv-ausübende versus passiv-erfahrende Aggression
- direkte versus indirekte Aggression
- nach außen gewandte versus nach innen gewandte Aggression
In der ersten Einteilung versuche ich sowohl nach Inhalten als auch nach Motivationen und Funktionen der Aggression zu fragen. Dies ist wichtig, um aggressives Verhalten zu erklären und ggf. zu verändern. Petermann und Petermann beziehen sich in ihrer Beschreibung vor allem auf die verschiedenen Ausdrucksformen der Aggression. Sie stellen dabei jeweils zwei Formen einander gegenüber. Es handelt sich hierbei um einen äußerlich-formalen Einteilungsversuch der Aggression. Merkens versucht bei ihrer Einteilung nach der dahinter liegenden Motivation bzw. Funktionalität zu fragen und nimmt anhand dieser eine Gliederung vor.
Die verschiedenen Gliederungsversuche machen deutlich auf wie viele unterschiedliche Arten sich aggressives Verhalten äußern kann.
1.3 Klassifikation und Epidemiologie der aggressiven Störung
1.3.1 Klassifikation
Aggressives Verhalten zeigt sich meist in sozialen Interaktionsprozessen. In der Entwicklungspsychopathologie wird zwischen primären und sekundären Verhaltensstörungen unterschieden. Man geht davon aus, dass ein Kind im Laufe seiner Entwicklung bestimmte soziale, kognitive und emotionale Kompetenzen erwirbt. Verhält sich das Kind jedoch trotz Internalisierung dieser Kompetenzen alters-unangemessen spricht man von einer primären Verhaltensstörung. Von einer primären Entwicklungsstörung spricht man, wenn auch diese Kompetenzen beeinträchtigt sind. Die Entwicklungsstörung kann auch eine sekundäre Verhaltensstörung nach sich ziehen (Kusch & Petermann, 1993 zit. in Petermann, 1998, S.128).
Im ICD 10 (Dilling, 1993) werden aggressive Störungen unter den Störungen des Sozialverhaltens zusammengefasst. Bei der Beurteilung muss der jeweilige Entwicklungsstand des Kindes berücksichtigt werden. Auch sollte das beobachtete Verhalten über einen längeren Zeitraum hinweg (mind. sechs Monate) andauern, um eine entsprechende Diagnose stellen zu können.
Das ICD unterscheidet folgende Typen:
- auf den familiären Rahmen beschränkte Störung des Sozialverhaltens:
das aggressive Verhalten wird fast ausschließlich im familiären Kontext gezeigt oder ist auf die Interaktion mit den Familienmitgliedern beschränkt
- Störung des Sozialverhaltens bei fehlenden sozialen Bindungen:
insbesondere beeinträchtigt sind die Beziehungen zu Erwachsenen und das Fehlen einer wirksamen Einbindung in eine Peer Group; gestörte Beziehungen zu Gleichaltrigen zeigen sich insbesondere durch Isolation, Zurückweisung oder Unbeliebtheit bei anderen Kindern; die Beziehung zu Erwachsenen zeichnen sich meist durch Unstimmigkeiten oder Feindseligkeiten aus
- Störung des Sozialverhaltens bei vorhandenen sozialen Bindungen:
es besteht eine gute soziale Integration, die Kinder sind oft gut in ihre Altersgruppe eingebunden (sie haben angemessene und andauernde Freundschaften zu Gleichaltrigen), aber gehören einer delinquenten Gruppe an; diese Form kann den familiären Rahmen betreffen, ist aber nicht darauf beschränkt
- Störung des Sozialverhaltens mit oppositionellem, aufsässigen Verhalten
betroffen sind häufig jüngere Kinder (unter neun Jahren); diese Form äußert sich in deutlich trotzigem und provokantem Verhalten; die Kinder neigen dazu Anforderungen oder Regeln Erwachsener zu missachten und andere bewusst zu provozieren; eine schwerwiegende Verletzung der Rechte anderer liegt nicht vor
- sonstige und nicht näher bezeichnete Störung des Sozialverhaltens:
hier werden zwar die Kriterien für eine Störung des Sozialverhaltens erfüllt, aber sie lassen sich nicht eindeutig in eine Unterkategorie zuordnen
Des weiteren unterscheidet das ICD noch kombinierte Störungen des Sozialverhaltens und der Emotionen (z.B. Störung des Sozialverhaltens mit depressiver Störung).
Das DSM IV (1996) unterteilt aggressive Verhaltensweisen in die Störung des Sozialverhaltens und die Störung mit Oppositionellem Trotzverhalten. Die Störung des Sozialverhaltens wird abhängig vom Alter in zwei Subtypen unterteilt: der Typus mit Beginn in der Kindheit, mit dem ich mich auch im folgenden beschäftigen werde und der Typus mit Beginn der Adoleszenz. Der Typus mit Beginn in der Kindheit zeichnet sich dadurch aus, dass mindestens eine der Verhaltensweisen vor dem zehnten Lebensjahr auftritt und dass sich das Verhalten als stabil erweist. Dieser Typus hat eine ungünstigere Prognose als der Typus mit Beginn der Adoleszenz. Die aggressiven Verhaltensweisen sind hier meist ausgeprägter und auch die Beziehungen zu Gleichaltrigen sind problematischer (vgl. Kap.3.3). Im Erwachsenenalter bildet sich häufig eine antisoziale Persönlichkeitsstörung aus.
Bei der Störung des Sozialverhaltens muss es sich um ein sich wiederholendes Verhaltensmuster handeln, bei dem die Rechte anderer sowie die gesellschaftlichen Normen nicht akzeptiert werden. Weiterhin treten die Verhaltensweisen in verschiedenen Situationen wie zu Hause, in der Schule oder im sozialen Bereich auf. Soll eine Diagnose in Bezug auf eine Störung des Sozialverhaltens getroffen werden, müssen mindestens drei der folgend genannten 15 Verhaltensweisen und während der letzten sechs Monate mindestens eine der Verhaltensweisen aufgetreten sein:
Aggressives Verhalten gegenüber Menschen und Tieren
- bedroht oder schüchtert andere häufig ein,
- beginnt häufig Schlägereien,
- hat schon Waffen benutzt, die anderen schweren körperlichen Schaden zufügen können,
- war körperlich grausam zu Menschen,
- quälte Tiere,
- hat in Konfrontation mit dem Opfer gestohlen (Taschendiebstahl, Erpressung etc.),
- zwang andere zu sexuellen Handlungen;
Zerstörung von Eigentum
- beging vorsätzliche Brandstiftung mit der Absicht, schweren Schaden zu verursachen,
- zerstörte vorsätzlich fremdes Eigentum (nicht durch Brandstiftung);
Betrug oder Diebstahl
- brach in fremde Wohnungen, Gebäude oder Autos ein,
- lügt häufig, um sich Güter oder Vorteile zu verschaffen oder um Verpflichtungen zu entgehen,
- stahl Gegenstände von erheblichem Wert ohne Konfrontation mit dem Opfer (z.B. Ladendiebstahl etc.);
Schwere Regelverstöße
- bleibt schon vor dem 13. Lebensjahr trotz elterlicher Verbote häufig über Nacht weg,
- lief mindestens zweimal über Nacht von zu Hause weg, während er noch bei den Eltern oder bei einer anderen Bezugsperson wohnte (oder nur einmal mit Rückkehr nach längerer Zeit),
- schwänzt schon vor dem 13. Lebensjahr häufig die Schule.
(DSM IV, 1996, S.129f.)
Der Vollständigkeit halber sind hier alle Kriterien aufgeführt, auch wenn einige eher dem Jugendalter zu zuordnen sind.
Nach der Häufigkeit und Intensität gezeigter negativer Verhaltensweisen erfolgt eine Einstufung in einen leichten, mittleren oder schweren Störungsgrad.
Bei der Störung mit oppositionellem Trotzverhalten beschränken sich trotzige, ablehnende oder feindselige Verhaltensweisen vor allem auf vertraute Personen (z.B. Mutter oder Vater). Die genannten Verhaltensweisen müssen deutlich häufiger Auftreten als bei Kindern in einem vergleichbaren Alter. Das negative Verhalten muss mindestens sechs Monate andauern und es müssen mindestens vier der folgenden acht Merkmale erfüllt sein:
- wird schnell ärgerlich,
- streitet sich häufig mit Erwachsenen,
- widersetzt sich häufig aktiv den Anweisungen oder Regeln von Erwachsen oder weigert sich, diese zu befolgen,
- verärgert andere häufig absichtlich,
- schiebt häufig die Schuld für eigene Fehler oder eigenes Fehlverhalten auf andere,
- ist häufig empfindlich oder lässt sich von anderen leicht verärgern,
- ist häufig wütend und beleidigt,
- ist häufig boshaft und nachtragend.
(DSM IV, 1996, S.133)
Bei der Störung mit oppositionellem Trotzverhalten liegen im Vergleich zur Störung des Sozialverhaltens meist weniger schwerwiegende Symptome vor.
Steinhausen (1996 zit. in Varbelow, 2000, S.73) untergliedert die Störung des Sozialverhaltens in weitere Subtypen. Er unterscheidet zwei Dimensionen: Typ A und Typ B. In der ersten Dimension führt er Symptome des Ungehorsams und des Widerstandes im Sinne eines offenen Verhaltens gegenüber anderen Personen auf. Typ B ist gekennzeichnet durch versteckte Verhaltensweisen, die häufig mit Regelverletzung und Beschädigung von Eigentum verbunden sind.
Folgende Tabelle soll die Untergliederung in Typ A und Typ B veranschaulichen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Varbelow, 2000, S.74)
1.3.2 Epidemiologie der aggressiven Störung
Nach Steinhausen (1996 zit. in Varbelow, 2000, S.66) sind die Störungen des Sozialverhaltens die zweithäufigste Diagnose in der kinder – und jugendpsychiatrischen Praxis. In den USA zeigen ca. 3,2 bis 10% der Kinder und Jugendlichen aggressive Verhaltensweisen (Dumas, 1989; Robins, 1991 zit. in Petermann, 1994, S.29).
Es ist eine steigende Tendenz zu beobachten (Loeber, 1990 zit. in Petermann & Warschburger, 1994, S.29). Dutschmann (1997 zit. in Cierpka, 1999, S.19) spricht von einer Auftretenswahrscheinlichkeit von ca. 2 bis 10% unter den Kindern und Jugendlichen.
Mit zunehmendem Alter steigt auch die Auftretenshäufigkeit der aggressiven Verhaltensauffälligkeiten (Petermann & Warschburger, 1998, S.132). In einer Mannheimer Studie von Esser und seinen Mitarbeitern (1992 zit. in: Petermann & Warschburger, 1998, S.132) vervierfachte sich der Prozentsatz der Kinder mit entsprechend negativen Verhaltensweisen zwischen dem 8. und 13. Lebensjahr.
Auch in einer epidemiologischen Studie von Offord, Boyle und Racine (1991 zit. in: Universität Osnabrück, 2000) kam man zu ähnlichen Ergebnissen. Untersucht wurde, wie viele Kinder zwischen vier und sechszehn Jahren eine Störung des Sozialverhaltens aufwiesen. Befragt wurden die Kinder und Jugendlichen selbst sowie deren Eltern und Lehrer. Die Gesamtrate der Störung des Sozialverhaltens betrug 5,5 %, in der Gruppe der vier – bis elfjährigen zeigten weniger Kinder eine Störung des Sozialverhaltens als in der Gruppe der zwölf- bis sechszehnjährigen. Auf die Geschlechtsunterschiede wird im Kapitel 1.3.3 eingegangen.
Neben den epidemiologischen Studien geben Kriminalstatistiken Auskunft über die Häufigkeit delinquenten Verhaltens, das in Verbindung mit aggressiven Verhaltens-weisen steht. 1990 wurden im Rahmen begangener Straftaten 4,3% Kinder bis 13 Jahren verdächtigt. Bei den gezeigten Delikten handelte es sich um Vergehen wie Sachbeschädigung oder Ladendiebstahl (Polizeiliche Kriminalstatistik, 1990 zit. in Petermann & Warschburger, 1998, S.132).
Die erheblichen Unterschiede in den Ergebnissen der Studien lassen sich auf unterschiedliche Stichprobenzusammensetzung (z.B. hinsichtlich des Alters und Geschlechts), verschiedene diagnostische Kriterien und methodische Vorgehensweisen zurückführen (Petermann & Warschburger, 1998, S.131).
1.3.3 Geschlechterunterschiede in der Auftretenshäufigkeit und Symptomatik aggressiver Verhaltensauffälligkeiten
In vielen Studien zeigt sich eine höhere Rate aggressiver Verhaltensauffälligkeiten bei Jungen als bei Mädchen ( Esser et al., 1992; Esser, Schmidt & Woerner, 1990; Offord et al.; 1991; Weisz, Sigman, Weiss & Mosk, 1993 zit. in: Petermann, 1998, S. 132; Petermann, Kusch & Niebank, 1998). Laut DSM-IV (1996) leiden ungefähr 6 bis 16% der Jungen und 2 bis 9% der Mädchen unter 18 Jahren an einer Störung des Sozialverhaltens. Nach Steinhausen (1996) sind Jungen bis zu dreimal häufiger auffällig als Mädchen.
Die im vorausgegangenen Kapitel aufgezeigte Studie von Offord, Boyle und Racine (1991 zit. in: Universität Osnabrück, 2000) unterscheidet die Altersstufen der vier – bis elfjährigen und der zwölf – sechszehnjährigen. In der Gruppe der vier – bis elfjährigen zeigten 6,5 % der Jungen und 1,8% der Mädchen eine Störung des Sozialverhaltens.
Es stellt sich die Frage, ob Mädchen tatsächlich weniger aggressive Verhaltensweisen zeigen als Jungen.
Erfassungsmethoden
Das Vorliegen von Geschlechterunterschieden kann durch unterschiedliche Erfassungsmethoden erklärt werden. In gemischten Stichproben werden Mädchen zwar mit erfasst, aber häufig wird nicht nach geschlechtsspezifischen Unterschieden untersucht. Auch berücksichtigen einige Klassifikationssysteme in den diagnostischen Kriterien eher typisch männliche Ausdrucksformen von Aggression. Daher haben einige Wissenschaftler eine Erweiterung der Klassifikationen gefordert, so dass negatives Verhalten mit einbezogen werden kann, welches für Mädchen typischer ist. Des weiteren gibt Robins (1991 zit. in Universität Osnabrück, 2000) zu bedenken, dass im DSM-III-R im Gegensatz zum DSM-III Symptome, die eher von Mädchen gezeigt werden, fallen gelassen wurden zu Gunsten von eher gewaltbezogenen (männlichen) Symptomen.
Legt man neuere Klassifikationssysteme wie das DSM IV oder das ICD 10 zu Grunde steigt der Anteil an festgestellter weiblicher Aggression. Es zeigt sich, dass beide Geschlechter annähernd gleich aggressiv sind. Jungen zeigen im Vergleich zu Mädchen eine höhere physische Aggression, während Mädchen ein höheres Maß an relationaler Aggression aufweisen (Crick & Grotpeter, 1995; Hart et al., 1997; Schäfer, Wellman & Crick, in Vorbereitung zit. in Werner, Bigbee & Crick ,1999, S.160f.).
Unterschiedliche Erscheinungsformen
Petermann & Warschburger (1998) führen geschlechtsspezifischen Unterschiede auf die unterschiedlichen Erscheinungsformen der aggressiven Verhaltensweisen zurück.
Aus verschiedenen Untersuchungen kann geschlossen werden, dass Jungen eher zu direkter körperlicher Aggression neigen, während Mädchen zu indirekten manipulativen Formen gegenüber Dritten (Gerüchte verbreiten, Intrigen anstiften) tendieren. Dieser Geschlechterunterschied zeigt sich etwa ab dem vierten oder fünften Lebensjahr und verstärkt sich nach dem Eintritt in die Schule (Björkqvist, Lagerspetz & Kaukiainen, 1992 zit. in Petermann, Jugert, Tänzer & Verbeek, 1997, S.13; Loeber, 1990).
So sind die aggressiven Auffälligkeiten bei Jungen häufig offensichtlicher, leichter zu beobachten und werden auch eher als sozial störend empfunden als die der Mädchen (beispielsweise werden bei Befragungen von Lehrern eher die Aggressionsformen von Jungen auftauchen als die der Mädchen). Die Aggressivität der Mädchen hat also eine andere Qualität als die der Jungen (Hopf, 1998, S.30).
Sozialisations – und Erziehungspraktiken
Geschlechtsspezifische Unterschiede lassen sich auch auf unterschiedliche Sozialisations- und Erziehungspraktiken zurückführen. Eltern und Personen des sozialen Umfeldes verstärken geschlechtsstereotypes Verhalten. So sollen sich Mädchen eher ruhig verhalten, um andere bemühen und Probleme nicht nach außen tragen. Jungen hingegen werden häufig darin bestärkt Probleme zu externalisieren. Bei Ihnen werden aggressive Tendenzen eher toleriert als bei Mädchen (vgl. Varbelow, 2000 S.28f.; Myschker, 1993).
Bewältigungsmechanismen
Jungen und Mädchen weisen unterschiedliche innerpsychische Bewältigungs-mechanismen auf. Söhne werden ermuntert mit Ängsten und anderen negativen Effekten motorisch aktiv umzugehen, damit wird ein entsprechendes Verhaltensmuster für vergleichbare Situationen gefördert (Cierpka, 1999. S.20).
Peers
Macoby (1986 zit. in Universität Osnabrück, 2000, S.45) betrachtet die Geschlechterunterschiede vom Blickpunkt der sozialen Gruppe aus. Mädchen riskieren eher den Verlust ihrer Freundschaften, wenn sie sich offen aggressiv verhalten. In Freundschaften zwischen Jungen wird ein solches Verhalten toleriert. Ein aggressiver Junge wird sogar häufig als Führungsperson angesehen, dem sich die anderen Gruppenmitglieder anschließen.
1.4 Entwicklungsverlauf aggressiver Verhaltensweisen
Aggression ist ein sehr stabiles Verhaltensmuster, das sich von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter fortsetzen kann (Petermann & Warschburger, 1993).
Campbell und Ewing (1990 zit. in Petermann & Warschburger, 1993, S.91) beobachteten Kinder mit aggressiven Verhaltensweisen. Sie stellten fest, dass 67% diese Auffälligkeiten sowohl mit sechs als auch mit neun Jahren zeigten.
Vuchninich, Bank und Patterson (1992 zit. in Petermann & Warschburger, 1994, S.30) machten ähnliche Erfahrungen bei Jungen zwischen dem zehnten und zwölften Lebensjahr. Petermann, Kusch & Niebank (1998) gehen davon aus, dass Kinder, die in der frühen Kindheit aggressive Tendenzen aufweisen, in der späten Kindheit unter Einfluss von Alkohol und Drogen aggressiver werden und sich in diesem Zusammenhang gewaltbereit entwickeln.
Analog zu diesen Beobachtungen kamen verschiedene Längsschnittstudien bei der Untersuchung der Stabilität aggressiver Auffälligkeiten zu dem Ergebnis, dass sich das Verhalten von ca. 50% der Kinder mit aggressiven Auffälligkeiten über mehrere Jahre hinweg als stabil erweist (McConaughy, Stanger & Aschenbach, 1992; Rose, Feldmann, Rose, Wallace & McCarton, 1992 zit. in Cierpka, 1999, S.20). Solche Beobachtungen erstreckten sich von der frühesten Kindheit bis ins Jugendalter (Björkevist, Lagerspetz & Kaukiainen, 1992; Moffit, 1990; Vuchinich, Bank & Patterson, 1992 zit. in Petermann & Warschburger, 1993, S.91; Esser et al., 1990, 1992 zit. in Petermann & Warschburger 1998, S.133).
Loeber (1990 zit. in Petermann & Warschburger, 1998, S.134f.) hat dies in einem Entwicklungsmodell veranschaulicht. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Entwicklung aggressiven Verhaltens beim über den Lebenslauf stabilen Typ als Stufenfolge verläuft, die von der Schwangerschaft bis ins Jugendalter bestimmte Schritte durchläuft. Er betont, dass schon vor der Geburt des Kindes der ungünstige Entwicklungsverlauf beginnen kann. So können beispielsweise der Alkohol – oder Drogenmissbrauch vor und während der Schwangerschaft das Ungeborene schädigen. Als erste Verhaltensauffälligkeit kann ein schwieriges Temperament der Säuglinge und Kleinstkinder beobachtet werden. Mit zunehmendem Alter machen sich hyperaktive, trotzige und aggressive Verhaltensweisen bemerkbar. Häufig kommt es weiterhin zu Sekundärproblematiken wie Schwierigkeiten in Sozialkontakten mit Gleichaltrigen in Kindergarten und Schule. Aggressives Verhalten stellt den häufigsten Grund für Zurückweisung durch Gleichaltrige dar. Leistungsdefizite in der Schule können auftreten. Schließlich kann das aggressive Verhalten in Delinquenz enden.
Der Teilweise Anstieg des aggressiven Verhaltens kann unter anderem auf der Zunahme von Entwicklungsaufgaben beruhen (Loeber 1990 zit. in Petermann, 1994, S.33). Nicht alle Kinder durchlaufen die gesamte Palette der aufgezeigten Störungen, sondern es sind unterschiedliche Entwicklungsverläufe möglich. Auf jeder Stufe des Entwicklungs-modells ist ein Ausstieg möglich.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
zeitlicher Verlauf
Entwicklungsmodell aggressiven Verhaltens (nach Loeber, 1990, zit. in Petermann, 1998, S. 135)
Loeber (1990 zit. in Petermann, 1998, S.134) erkennt im Entwicklungsverlauf drei Varianten:
1. Aggressiv-flexibler Entwicklungsverlauf
Dieser ist meist gekennzeichnet durch einen frühen Beginn (im Vorschulalter) von aggressiven Auffälligkeiten. Die Kinder sind aggressiv und trotzig, die Kontakte zu Gleichaltrigen und Erwachsenen sind gestört und es kommt häufig zu schulischen Leistungsproblemen. Hier ist ein chronischer Verlauf zu erwarten und Interventionen haben wenig Aussicht auf Erfolg.
2. Antisozialer Entwicklungsverlauf (ohne aggressives Verhalten)
Hier beginnen die Verhaltensprobleme erst in der späten Kindheit oder frühen Jugend und beschränken sich meist auf nicht-aggressives Verhalten, wie Diebstahl, Lügen oder Betrug. Die Einbindung in die soziale Gruppe der Gleichaltrigen ist gut. Delinquente Verhaltensweisen treten häufig in ihrem Beisein auf. Es liegt ein günstigerer Entwicklungsverlauf vor.
3. Ausschließlich Drogenmissbrauch (der Vollständigkeit halber)
Ein großer Teil wies in früheren Entwicklungsabschnitten keine aggressiven Auffälligkeiten auf. Der Drogenmissbrauch begann in der Regel erst in der späten Kindheit.
Dumas (1992 zit. in Varbelow, 2000, S.82f.) unterscheidet zwei Entwicklungsverläufe aggressiver Verhaltensweisen. Bei Kindern, die aggressive Tendenzen bereits in frühen Lebensjahren aufweisen („ early starters “), lassen sich diese Auffälligkeiten meist bis ins Vorschulalter zurückverfolgen. In der schulischen Laufbahn zeigen sich Interaktionsschwierigkeiten mit Gleichaltrigen oder Lehrern. Diese Kinder zeigen im Verlauf immer neue und vielfältigere Formen aggressiven Verhaltens. In der Adoleszenz und im Erwachsenalter steigern sich die Verhaltensweisen in schwerwiegendere Formen. Für den Erwerb und die Stabilität des Verhaltens wird in erster Linie ein problematisches familiäres Umfeld verantwortlich gemacht.
Treten die Verhaltensweisen erst in der späten Kindheit oder im Jugendalter auf („ late starters “), ist eine günstigere Entwicklung zu erwarten. Die aggressiven Auffälligkeiten werden als vorübergehend angesehen. Typisch für diese Kinder ist eine starke Beeinflussung durch Gleichaltrige.
Die Kategorien „early starters“ von Dumas (1992) und „aggressiv-flexibler Entwicklungsverlauf“ von Loeber (1990) stimmen weitgehend überein.
Festzuhalten ist eine deutliche Stabilität und tendenziell ungünstige Prognose bei Kindern, die aggressive Verhaltensweisen bereits in früher Kindheit, mit häufigem und vielfältigem Auftreten und in unterschiedlichen Kontexten zeigen (z.B.: Schule, Elternhaus, Gleichaltrige) (Loeber,1990 zit. in Cierpka S.20; Petermann, 1993a, S.14).
Es liegen widersprüchliche Befunde in bezug auf geschlechtsspezifische Unterschiede vor. Verhulst & van der Ende (1992 zit. in Petermann & Warschburger, 1998, S.133) berichten, dass Mädchen aggressives Verhalten eher beibehalten. Varbelow (2000, S.82) beschreibt, dass Mädchen, die in der Kindheit zu aggressiven Handlungen neigten, in den letzten Schuljahren eine niedrigere Motivation aufwiesen. Sie verließen früher das Elternhaus, hatten frühere und in einem stärkeren Ausmaß wechselnde sexuelle Kontakte und bekamen früher eigene Kinder. Darüber hinaus waren die Beziehung zum Partner und das familiäre Klima beeinträchtigt. Zu gegenteiligen Befunden kommen Esser und Mitarbeiter (1992) wie Mc Gee und Mitarbeiter (1992 zit. in Petermann & Warschburger, 1998, S.133). Sie gehen davon aus, dass Jungen aggressive Verhaltensweisen im Entwicklungsverlauf seltener aufgeben als Mädchen.
Für eine angemessene Prognose ist es wichtig, Informationen über die weiteren Faktoren, die auf das Kind einwirken zu erhalten. Es können eine Reihe von Bedingungen angeführt werden, die eine negative Entwicklung begünstigen. Auf diese soll in Kap.3 eingegangen werden.
2. Theorien zur Entstehung des Phänomens Aggression
2.1 Die Triebtheorie nach Sigmund Freud
Freud setzte sich das erste Mal Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem Phänomen Aggression auseinander. Ursprünglich führte er die Aggression auf einen biologisch verankerten Trieb zurück. Nachdem er dieses trieb – und instinktorientierte Modell mehrfach modifizierte, entwickelte er 1920 sein dualistisches Modell. Gegenstand dieses Modells war die Annahme, dass dem Menschen zwei Urtriebe angeboren sind. Laut Freud gehören der Todestrieb (Destrudo) und der Lebenstrieb (Eros) zur Grunddisposition des Menschen.
Eine Übermacht des Todestriebes kann zu Depressionen und sogar zur Selbstzerstörung führen. Der Aggressionstrieb ist der nach außen gerichtete Todestrieb, der durch Ausrichtung auf Objekte außerhalb der eigenen Person den Menschen von der zerstörerischen Wirkung des Todestriebes entlastet.
Unsere Aggressionen gegen die Außenwelt sind aber in der Regel nicht so stark, wofür kulturelle Zwänge verantwortlich werden, die die Instanz des „Über-Ich“, unser inneres Gewissen, überwacht (Freud, 1915; Freud, 1923 zit. in Hopf, 1998, S.11f.).
2.2 Das Instinktmodell nach Konrad Lorenz
Lorenz befasste sich primär mit der Erforschung der angeborenen Verhaltensdispositionen bei Tieren und übertrug diese auf den Menschen. Er nahm eine grundsätzliche Analogie zwischen Menschen und Tieren an.
1963 veröffentlichte er sein Buch „Das sogenannte Böse“, das sich insbesondere mit der Aggressionsproblematik auseinandersetzt. Er ging wie alle anderen Triebtheoretiker von der Aggression als Disposition aus.
Lorenz hebt vier große Triebe hervor: den Nahrungstrieb, den Fortpflanzungstrieb, den Fluchttrieb und den Aggressionstrieb. In diesem Ansatz wurde Aggression als ein Instinkt mit endogener Antriebserzeugung postuliert. Im Gegensatz zur psychoanalytischen Triebtheorie, welche die destruktiven Potenziale der Aggression hervorhebt, geht Lorenz von einer nützlichen Funktion aus. Nach seinen Beobachtungen dient dieser Trieb ursprünglich der Arterhaltung (Lorenz, 1983 zit. in Heinemann, 1996). Er sorge für ein optimale Verteilung der Artgenossen im Lebensraum und einer Fortpflanzung der besten und stärksten Tiere (z.B. bei Rivalitäts – und Revierkämpfen). Außerdem trage er zur Auswahl eines kämpferischen Familienverteidigers und der Bildung von Rangordnungen bei (Lorenz 1983 zit. in Nolting, 1997). Bei Tieren sei dieser Trieb durch angeborene Signale soweit ritualisiert, dass es nur selten zur Verletzung oder Tötung des Gegners kommt. Der Mensch aber habe die Bindung der Aggression an die ritualisierten Verhaltensweisen verloren, jedoch den Aggressionstrieb behalten (Lorenz, 1963 zit. in Selg, 1997, S.20f.).
Freud und Lorenz betonen beide die biologische Komponente der Aggression in Form eines angeborenen Triebes bzw. Instinktes.
Auch gehen beide von dem sogenannten „ Dampfkesselmodell “ aus, welches eine kontinuierliche Steigerung der Bereitschaft zu aggressiven Handlungen beinhaltet.
Der Mensch sucht sich einen auslösenden Reiz (Appetenzverhalten), um angestaute Aggressionen zu entladen. Nach geraumer Zeit sinkt die Reiztoleranz und er ist bereit auch ähnliche Auslöser zu akzeptieren. Ist der Trieb groß genug, kann es zu einer endogenen, also nicht durch äußere Einflüsse bedingte aggressiven Handlung kommen. Lorenz spricht in diesem Fall von einer Leerlaufreaktion (Kleiter, 1997). Die Heftigkeit der Aggressionsausübung richtet sich danach, wie viel Zeit nach der letzten Möglichkeit dazu vergangen ist.
Nach der Ausführung einer aggressiven Handlung ist die weitere Aggressions-bereitschaft gering, bis sich erneut ein gewisser „Dampfdruck“ aufgebaut hat (Lorenz, 1983 zit. in Nolting, 1998).
In diesem Zusammenhang ist auch der Begriff der Katharsis von Bedeutung. Nach erfolgter Ausübung einer Form von Aggression, wobei es sich auch um eine sozial gebilligte Form handeln könne, sinke die momentane Aggressionsbereitschaft einer Person. Unter einer sozial gebilligten Form könnte man beispielsweise bestimmte Sportarten verstehen.
Aggressionen sind nach Freud und Lorenz also angeboren, können nicht verhindert werden und müssen somit gehemmt oder umgeleitet werden.
Die Annahme eines generellen Status zur Aggressionsbereitschaft beim Menschen kann heute als widerlegt angesehen werden. Allgemein gültige Wirkungsmechanismen der Steuerung zur Handlungsbereitschaft von Instinkthandlungen konnten nicht bestätigt werden (Hopf, 1998). Zwar sind die Beispiele, die Lorenz aus der Tierwelt beschreibt, in ihrem Bereich schlüssig, doch ist der Analogieschluss vom Tier auf den Mensch nicht immer zutreffend. Auch kann aus der Tatsache einer geerbten Grundlage aggressiven Verhaltens nicht automatisch gefolgert werden, dass das Lebewesen gezwungenermaßen dieses Verhalten ausleben muss, sondern die geerbte Basis dieses Verhalten nur zur Verfügung stellt.
Lorenz konnte nicht klären, wo die körperlichen Triebquellen sind und worin die auslösenden Reize von aggressiven Handlungen beim Menschen bestehen sollen (Selg, 1997, S.21f.). Auch zur Annahme der Katharsishypothese gibt es viele gegenteilige Befunde, die sogar ein Anwachsen der Aggression nach erfolgter Aggressionshandlung aufzeigen (vgl. Kap.3.4.1, vgl. Hartung, 2000, S.147).
2.3 Die Frustrations-Aggressions-Theorie
Dollard und Mitarbeiter entwickelten 1939 die Frustrations –Aggressions-Theorie.
Sie besagt in Grundzügen:
- Aggression ist immer die Folge von Frustration
- Frustration führt immer zu einer Form von Aggression
(Dollard, 1939 zit. in Heinemann 1996)
Mit dem Wort Frustration im Sinne von Dollard (zit. in Kleiter, 1997, S.557) ist nicht die umgangssprachliche Bedeutung, Enttäuschung oder Verärgerung gemeint, sondern die Verhinderung oder Behinderung der vom Individuum ausgeführten Handlungen zum Erreichen bestimmter Ziele, also nicht die sich daraus ergebenden emotionalen Zustände. Möchte z.B.: ein Kind an seine Mutter eine Bitte richten, wird aber permanent daran gehindert, weil die Mutter ein intensives Gespräch mit der Freundin führt und dieses nicht unterbricht, so stellt diese Hinderung eine Frustration dar, ausgelöst durch das Gespräch der Mutter mit der Freundin. Das derart frustrierte Kind erfährt das Anwachsen von Aggressionen gegen diese Umstände und reagiert entsprechend impulsiv. Die Stärke der Aggressionsneigung hängt von der Stärke der Frustration ab (Dollard, 1939 zit. in Kleiter, 1997, S.554f.). Nach Dollard gilt als Aggression jede Verhaltenssequenz, die auf die Verletzung einer Person oder eines Ersatzobjektes abzielt. Wird eine Bestrafung der Aggression erwartet, kann es zu einer Hemmung der Aggression kommen. Das Ausführen einer aggressiven Handlung reduziert auch nach der Frustrations – Aggressionstheorie die Aggressionsneigung (Dollard, 1939 zit. in Bierhoff, 1998, S.10).
Es ist nicht zu leugnen, dass auf Frustrationen häufig Aggressionen folgen, aber es ist auch möglich Kinder so zu trainieren, dass sie auf Frustrationen hin konstruktiv reagieren. Miller (1941) führt an, dass Menschen, die eine Frustration erfahren, häufig auch mit Rückzugs- oder Vermeidungsstrategien reagieren, so dass es nicht zu aggressiven Handlungsäußerungen kommen muss (Miller, 1941 zit. in Kleiter 1997, S.558).
Es bleibt also ungeklärt, wann und warum auch andere Reaktionen auf Frustrationen auftreten können. Außerdem entstehen Aggressionen auch in Situationen, bei denen scheinbar keine Frustration vorausging. Darüber hinaus erscheint die Aussage, dass Aggressionen über andere Wege abreagiert werden sollen, problematisch (Heinemann, 1996).
Berkowitz revidierte 1962 die Frustrations – Aggressions – Hypothese.
Laut Berkowitz findet zwischen Frustration und Aggression eine interpretations-abhängige Gefühlsreaktion statt. Er sieht in der Behinderung einer Zielerreichung also nicht automatisch eine Bedingung für Aggression. Dies geschieht laut Berkowitz nur dann, wenn durch die Frustration ein Gefühl wie Ärger oder Wut ausgelöst wird, was eine Erhöhung der Bereitschaft für aggressive Handlungen erzeugt. Um von diesem Gefühl zu einer Aggressionshandlung zu kommen, muss aber zusätzlich noch in der entsprechenden Situation ein geeigneter Hinweisreiz hinzukommen, der die Aggression auslösen könnte.
Berkowitz führt bereits erste lerntheoretische Bestandteile an, indem er postuliert, dass erlernte Verknüpfungen von früheren Erfahrungen mit äußerlichen Reizen im Auslösen von Aggressionen eine wichtige Rolle spielen. Kognitive Faktoren berücksichtigt er in einer erweiterten Theorie, indem er zum Beispiel auf die Interpretation der eigenen emotionalen Reaktion oder die Einstellung zu Aggressionsopfern verweist (Berkowitz, 1962 zit. in Selg, 1997, S.24).
2.4 Lerntheoretische Ansätze
Während Aggressionen für die Triebtheoretiker eine große Verhaltensklasse neben wenigen anderen bilden und während sich die Aggressions – Frustrations – Hypothese ausschließlich mit aggressionsspezifischen Mechanismen befasst, werden nach der lernpsychologischen Sicht Aggressionen wie alle anderen Verhaltensweisen erlernt. Unter „Lernen“ versteht man die Weiterentwicklung und Stabilisierung eines schon vorhanden Verhaltens (Huber, 1995).
Aus lernpsychologischer Sicht werden auch die Bereitschaft und der Drang zur Aggression gelernt und können ebenso wieder verlernt werden (Selg, 1997, S.27).
2.4.1 Lernen am Modell nach Albert Bandura
Bandura´s klassisches Modell konzentriert sich im wesentlichen auf das Beobachten, wodurch sehr schnell und einfach Verhaltensweisen gelernt werden können, die der Betreffende zuvor nicht ausführen konnte. Allerdings wird nicht nur über Beobachtung von Modellen gelernt, sondern auch im allgemeinen über Nachahmung und Imitation. Als Modelle gelten vor allem Eltern, Geschwister, Lehrer, Peers, Vorbilder, Massenmedien oder Zeichentrickfiguren. Auch aggressive Verhaltensweisen können nach Bandura auf diese Weise gelernt werden. Ausgangspunkt seiner Theorie waren Forschungen mit Kindern, in denen er untersuchte, welche Fernsehfilme unter welchen Bedingungen Kinder aggressiver machen (Bandura, 1965 zit. in Bierhoff, 1998, S.12).
Er unterscheidet drei Wirkungstypen der Modellierung von Aggression:
1. durch Beobachtung können neue Verhaltensmuster erworben werden
(Lernen am Modell).
2. beim Beobachter bereits vorhandene Verhaltensdispositionen können durch Beobachtung bestrafender oder belohnender Verhaltensfolgen entweder verstärkt oder geschwächt werden.
3. Die Verhaltensmuster anderer dienen auch ohne die Beobachtung von Handlungskonsequenzen (wie beim 2. Typ) als soziale Anreize (Bandura, 1976, S.13f.).
Bandura hat seine Theorie zu einem komplexen Modell von aufeinander einwirkenden Subsystemen weiter entwickelt, in denen situative wie auch kognitive und selbstregulierende Einflüsse enthalten sind. Er gibt darin persönlichen und individuellen Reaktionen auf äußerliche Reize und Vorbilder einen Raum (Bandura, 1979, S.31f.). Anders als in der Katharsishypothese dargestellt, ist Bandura der Ansicht, dass das Ausleben von Aggression eine Aufrechterhaltung oder Steigerung der Aggression zur Folge hat.
Bandura (1979 zit. in Heinemann 1996, S.25) kritisiert in seinen Untersuchungen die Strafe als Erziehungsmittel. Sie erzeuge in erster Linie erneute Aggressionen, da sie ein aggressives Modell für das Kind darstellt. Strafe kann hier allenfalls kurzfristig eine Kontrolle über das Kind erzielen.
Heckhausen (1989 zit. in Varbelow, 2000, S.42) stellt die bisher vorgestellten Aggressionstheorien folgendermaßen modellhaft dar:
1) Triebtheorie nach Freud
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2) Triebtheorie nach Lorenz
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
3) Frustrations – Aggressions – Theorie nach Dollard et al.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
4) Soziale Lerntheorie nach Berkowitz
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
5) Soziale Lerntheorie nach Bandura
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(vgl. Heckhausen, 1989 zit. in Varbelow, 2000, S. 42)
2.4.2 Klassisches Konditionieren
Lernen im Sinne der klassischen Konditionierung besagt, dass Lernen durch „zeitweilige Verbindungen“ im zentralen Nervensystem entsteht. Auf einen natürlichen (unbedingten) Reiz erfolgt eine bestimmte Verhaltenssequenz. Dieser natürliche Reiz wird nun an einen künstlichen (neutralen) Reiz gekoppelt, was dieselbe Verhaltensweise zur Folge hat. Nach längerer Zeit der Aneinanderkoppelung beider Reize genügt auch der künstliche
(nun k onditionierte) Reiz, um die gewünschte Verhaltensweise zu erlangen.
Durch klassische Konditionierung wird also gelernt, gefühlsmäßige Reaktionen auf neutrale Reize zu übertragen. Einstellungen können sowohl erlernt als auch wieder verlernt werden. Als Lernprinzip für aggressives Verhalten spielt vor allem das Erlernen bestimmter aggressiver Hinweisreize eine wichtige Rolle. Wenn ein bisher neutraler Reiz mehrfach Frustration hervorruft wird er später als konditionierter Reiz selbst zum Aggressionsauslöser (Selg, 1997, S.29). So kann beispielsweise das Gesicht, die Stimme oder der Name eines Provokateurs allein die aggressive Reaktion hervorrufen. Stimme, Gesicht und Name sind hier also zunächst neutrale, später konditionierte Reize. Der konditionierte Reiz kann wiederum mit anderen, diesem ähnlichen, gekoppelt werden; hierbei spräche man von einer Reizgeneralisation. Um bei dem Beispiel zu bleiben, würden also Gesichter, Stimmen und Namen, die dem Provokateur ähnlich sind, mit dessen ursprünglich Ärger erregendem Verhalten in Verbindung gebracht werden, wodurch die aggressive Reaktion ausgelöst werden kann.
2.4.3 Operantes Konditionieren
Folgt hierbei auf eine Verhaltensweise eine positive Konsequenz, so wird dieses Verhalten auch in Zukunft in derselben oder einer ähnlichen Situation eingesetzt. Erfolgt aber eine negative Reaktion, so wird sie aus dem Verhaltensrepertoire gestrichen. Der Lernprozess beruht darauf, dass die betreffende Person aus den Konsequenzen lernt. Reize, die auf das Individuum wirken und es zur Verhaltensmodifikation anregen, werden nach dieser Theorie als Verstärker bezeichnet. Die Erfolgsantizipation fördert eine erneute Wiederholung, so dass das erfolgreiche Verhalten zur „Gewohnheit“ werden kann. Der Einsatz solcher Verstärker zur Verhaltensänderung ist in Tierversuchen z.B. durch Skinner erforscht worden. Nach seinen Untersuchungen gibt es positive und negative Verstärker. In verschiedenen Experimenten konnte gezeigt werden, dass beispielsweise Aggression bei Kindern zunimmt, wenn diese für ihre Aggression gelobt werden (Nolting, 1992 zit. in Heinemann 1996, S.22).
In der folgenden Tabelle sind die nach Nolting (1998, S.110) wirksamen Verstärkungs-mechanismen aufgezeichnet:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Laut Petermann und Petermann (1993a) sind vor allem das Verstärkungslernen und das Modelllernen entscheidend bei der Entstehung von aggressivem Verhalten bei Kindern. Aggressives Verhalten bei Kindern kann durch positive Verstärkung begünstigt werden, indem das Kind beispielsweise Anerkennung von Peers erfährt. Auch eine negative Verstärkung ist möglich: das Kind kann sich durch aggressive Verhaltensmuster einer empfundenen Bedrohung entledigen (Nach dem Motto: „Angriff ist die beste Verteidigung“). Ebenso kann eine Duldung ein entsprechendes Verhalten fördern. Bei den genannten Verstärkungsmechanismen wird das Kind in einer ähnlichen Situation wahrscheinlich eher auf aggressive Verhaltensweisen zurückgreifen. Auch die stellvertretende Erfahrung durch Beobachten reicht aus, um ein entsprechendes Verhalten zu verstärken (Petermann, 1998, S.137f).
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- Arbeit zitieren
- Diplom-Sozialpädagogin Alexandra Weisberg (Autor:in), 2002, Aggressionen im Grundschulalter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/48675
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