Die Wohnung bzw. das Wohnen übt einen großen Einfluss auf den Menschen aus. Er ist der grundlegendste, das Leben bestimmende Ort. Daher ist es nicht verwunderlich, dass in der Forschung der Wohnumwelt viel Einfluß auf die Lebensqualität und Zufriedenheit im Alltag beigemessen wird.
Vor allem für Kinder in den ersten Lebensjahren stellt das Zuhause die wichtigste Umwelt dar - seine Einflüsse sind sehr bedeutsam und wirken sich letztlich auch nachhaltig auf das spätere Leben und Weltbild aus. Durch welche Prozesse und Bedingungen das geschieht, wird in dieser Arbeit beleuchtet. Der Autor greift dabei auf pädagogische, soziologische und vor allem psychologische Erkenntnisse zurück und weiß diese klar verständlich darzustellen. Hierfür betrachtet er neben den Wohnumständen (insb. das Kinderzimmer) auch die Nachbarschaft bzw. Wohngegend mit ihren Einflüssen. Zuletzt geht er der Frage nach, ob sich Kinder (in Hinblick auf die immer urbaner werdenden Lebensräume) derzeit ideal entwickeln können. Ein Exkurs behandelt außerdem das Aufwachsen innerhalb einer Wohngemeinschaft.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Wohnumstände
1. Das Kinderzimmer
2. Exkurs: Das Aufwachsen innerhalb einer Wohngemeinschaft
III. Nachbarschaft als Außenraum
1. Das Straßenleben
IV. Können sich Kinder gegenwärtig ideal entwickeln?
V. Fazit
VI. Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Charakteristisch für die Umweltpsychologie ist, daß sie sich mit den natürlichen Lebensumständen des Menschen beschäftigt. Dazu gehört auch das Wohnen.
Die Wohnpsychologie, als Unterkategorie der Umweltpsychologie, behandelt die Interaktion des Menschen mit seiner Wohnumgebung. Die Wohnung[1] wird als physikalische Umwelt betrachtet, in der vielfältige Tätigkeiten stattfinden, auf die das Wohnen gründet: z.B. Schlafen, Essen, Waschen oder Freizeitgestaltung. (Walden[2], 11) Weiterhin bezieht sich Wohnen auch auf die Nachbarschaft und die nähere Umgebung.
Das Design der Umwelt, also auch das der Wohnung, hat großen Einfluß auf den Menschen. Zwar kann es Verhalten nicht verursachen, trägt aber dazu bei, Verhalten zu ermutigen oder zu behindern und beeinflußt physisches und psychisches Wohlbefinden: der Wohnbereich ist „‚der’ grundlegende, das Leben von Menschen bestimmende Ort“ (a.a.O., 15). Walden zitiert einige Forschungsergebnisse, die aufzeigen, daß die Beschaffenheit von Wohnung und Wohnumwelt einen wichtigen Aspekt der Lebensqualität darstellen und wichtige Quelle für die Zufriedenheit im Alltag ist. (a.a.O., 16) Dies wird vom Menschen allerdings meist erst dann wahrgenommen, „wenn er seine bisherige Wohntätigkeit plötzlich nicht mehr fortsetzen kann“ (Hellbrück[3], 386). Exemplarisch sind hier etwa Zwangsumsiedlungen zu nennen[4], durch welche sich Menschen dem Wert ihrer gewohnten Wohnumgebung bewußt werden. Das Herausreißen aus den über Jahre gewachsenen sozialen Strukturen („erweitertes Zuhause“) kann Depressionen u.ä. auslösen. (ebd.)
Die Wohnung steht für Sicherheit und Schutz (etwa vor Witterung und anderen äußeren Einflüssen wie Kriminalität und Schadstoffen; fungiert also als Ankerpunkt) und Autonomie, als auch für Beständigkeit und Vertrautheit. Diese vier Bedürfnisse können in einer Wohnung befriedigt werden und im Idealfall zu psychischem Wohlbefinden[5] beitragen. Die Wohnung stellt hierbei den Gegensatz zur Außenwelt dar. (a.a.O., 390 ff.)
Einer der wichtigsten Themenbereiche zu Wohnumwelten, ist die Bedeutung der Wohnumwelt für die Entwicklung von Kindern. Vor allem in den ersten Lebensjahren stellt das Zuhause die zentrale und somit wichtigste Umwelt für ein Kind dar – Umwelteinflüssen kommt eine große Bedeutung zu, denn sie wirken sich nachhaltig aus. Auch das Weltbild eines Kindes wird durch die Wohnumwelt und die Menschen, die in ihr leben, bestimmt. (Rughöft[6], 77)
In Wohnungen wird nicht nur ein Großteil des Lebens verbracht, in ihnen wird auch der größte Anteil an Erziehung und Sozialisation vermittelt.
In dieser Arbeit wird die Sozialisation durch Wohnen neben pädagogischer und soziologischer, vor allem aus psychologischer Sicht erkundet.
II. Wohnumstände
Positiv auf die psychische Entwicklung eines Kleinkindes wirken sich bestimmte Gegenstände, wie Bücher und manipulierbares Spielzeug aus. Diese sind „wesentlich für die Entwicklung von Schemata und die gesamte kindliche Kompetenz“ (Walden, 84). Auch die Raumdekoration spielt eine Rolle: So stehen Farbe und Möblierung mit der kognitiven Entwicklung in den ersten zwei Lebensjahren in Wechselbeziehung.
Im Alter von fünf Monaten ist die Unterschiedlichkeit und die Komplexität von Gegenständen – also der Umfang von Informationen für verschiedene Sinnesmodalitäten – entscheidend. Zu diesem Zeitpunkt erfolgt eine Korrelation mit der motorischen, geistigen und kognitiv-motivationalen Entwicklung. Als entscheidend für die Entwicklung von Kindern sieht Walden die Verfügbarkeit von Gegenständen an. Mit etwa anderthalb Jahren verlieren diese Gegenstände an Bedeutung, da das Kind durch die zunehmende Beweglichkeit eher auf die Erkundung seiner unmittelbaren Umgebung fixiert ist. Dabei wird Wissen über Gegenstände und Ereignisse und deren Einsatzmöglichkeiten erlangt. Darüber hinaus werden eigene Kompetenzen durch Interaktion mit der Umwelt bewußt. Da Kinder zwischen einem und drei Jahren einen großen Teil ihrer Wachstunden mit Explorieren verbringen[7], sollte das Wohnumfeld dahingehend unterstützend wirken – etwa dadurch, daß sich das Kind frei auf dem Boden bewegen kann, was sich auch positiv auf Objektpermanenz[8] und Intelligenz auswirkt. (ebd.) Vor allem aber werden Raumerleben, Erfahrungswelt und Weltbild des Kindes erweitert. Durch den Umgang mit den Dingen erfährt es ihren Aufbau und ihre Zusammenhänge. Die spielerische Auseinandersetzung mit seiner Umwelt fördert seine soziale und geistige Entwicklung. Kinder sollten dabei nicht nur auf ihr eigenes Zimmer beschränkt bleiben, sondern auch die anderen Wohnräume erkunden können. Einschränkungen der Bewegungsfreiheit „können zur Resignation und Antriebshemmung des Kindes führen“ (Rughöft, 79). Zumindest bei Tieren wirken sich wenige visuelle und akustische Sinnesreize in einer Lebens- bzw. Wohnumgebung negativ auf die Intelligenzentwicklung aus. Je größer außerdem die Isolation eines Kindes bzw. Entfernung von der Zivilisation, desto geringer auch die intellektuelle Leistungsfähigkeit. (Flade[9], 36 f.)
Kinder gewinnen durch Wahrnehmungen also Erkenntnisse. Stehen keine Wahrnehmungsangebote zur Verfügung, „kommt es zu einer Beeinträchtigung der geistigen und sozialen Entwicklung, der Sprache, des Denkens und Fühlens“ (Rughöft, 78). Aber nicht nur sensorische Reizarmut, sondern auch eine Reizüberflutung kann die Entwicklung eines Kindes beeinträchtigen. So können Aufmerksamkeit, Konzentrationsfähigkeit und differenzierte Wahrnehmung vermindert werden. (ebd.) Lärm wirkt sich z.B. negativ auf Kinder aus: Radio, Fernseher, Gespräche oder Straßenlärm haben (neben eventuellen Hörverlusten) schädlichen Einfluß auf die kognitive Entwicklung. Dabei wird vor allem von starken Auswirkungen auf die Sprachentwicklung ausgegangen: Je stärker ein Kind Lärm ausgesetzt ist, desto weniger zeigt es verbale Imitation. Auch geringere Effizienz bei visuellen Aufgaben wurde festgestellt. (Walden, 85) Darüber hinaus leiden Lesekompetenz und Lernleistung. (Flade, 136 f.)
Auch die Anzahl von Personen und Fremden wirkt sich auf die kindliche Entwicklung aus. Zudem sind beengte Wohnverhältnisse verantwortlich für eine schlechtere kognitive Entwicklung und die Ausformung von Gefühlen hinsichtlich Effizienz und Kontrolle von Umweltereignissen. Hinzu kommen häufigere Streitereien unter Kindern und vermehrte Gewalttätigkeiten durch die Eltern. (Walden, 85)
In einer kleinen, beengenden Wohnung kann es zum Syndrom der erlernten Hilflosigkeit[10] kommen. Dabei werden Kontrollerwartungen abgebaut[11] und durch Gefühle der Hilflosigkeit ersetzt. So wurden Kindern zuerst unlösbare Aufgaben vorgelegt, dann lösbare. Kinder aus beengten Wohnverhältnissen hatten hierbei größere Schwierigkeiten die Lösung zu finden. (Flade, 132) Diese Beengtheit wirkt sich auch auf das soziale Verhalten aus: Menschen, die in einer hohen Wohndichte häufig in unerwünschte soziale Interaktionen geraten, haben ein stärkeres Bedürfnis nach Alleinsein und haben eine geringere Anzahl von Freunden als Menschen, die einen ungestörten Rückzugsort für sich beanspruchen können. (a.a.O., 133)
Weiterhin von Belang ist eine Intimsphäre (auch als Schutz vor Stimuli) für das Kind, da diese die Entwicklung des Selbstkonzeptes fördert. Intimsphäre bzw. Privatheit ist jedoch altersabhängig: Ein Kleinkind hat weder eine Vorstellung von Privatheit, noch verfügbare Mittel, diese herzustellen – vielmehr haben Kleinkinder ein großes Verlangen nach Zusammensein mit anderen Menschen, weiß Flade. Erst Jugendliche haben ein ausgeprägtes Bedürfnis, den Zugang zu ihrer Person, auch mit räumlichen Mitteln, zu kontrollieren. Je älter Kinder werden, desto öfter gibt es ge- oder verschlossene Türen (eigenes Zimmer/Bad) in einer Wohnung.
Das Privatheitsverhalten eines Kindes wird vor allem durch den elterlichen Erziehungsstil geprägt: Kinder, deren Mütter warmherzig und unterstützend sind, legen ein zugänglicheres und weniger ausschließendes Verhalten an den Tag. (Flade, 25 ff.)
Um störungsfrei heranwachsen zu können, sind Kinder auf viel Sicherheit, Schutz und Beständigkeit angewiesen. Zudem benötigen sie genügende Anerkennung, um ein positives Selbstbild aufzubauen „und Leistungsmotivation entwickeln zu können“ (a.a.O., 64). Die Wohnumwelt, die für ein Kind einen zentralen Lebensbereich darstellt, sollte demnach immer auf die Bedürfnisse eines Kindes zugeschnitten sein – gerade beim Spielen, das für Kinder die Hauptbeschäftigung darstellt, „kommt das intensive Bedürfnis nach Aneignung von Umwelt zum Ausdruck“ (ebd.). Daß die Befriedigung der kindlichen Bedürfnisse nicht gelingt, zeigt sich durch häufige Konflikte, Verhaltensstörungen, Entwicklungsverzögerungen und Lernprobleme: Hier kann die „Wohnumwelt einer geglückten Umwelterschließung im Wege“ (a.a.O., 65) stehen.
[...]
[1] Im folgenden wird „Wohnung“ als Synonym für alle unterschiedlichen Wohnumgebungen benutzt – sei es Einfamilienhaus, Plattenbau-/Altbauwohnung oder möblierte Einliegerwohnung.
[2] Walden, Rotraut. „Lebendiges Wohnen: Entwicklung psychologischer Leitlinien zur Wohnqualität“. Frankfurt/Main u.a.: Lang, 1993.
[3] Hellbrück, Jürgen & Fischer, Manfred. „Umweltpsychologie: Ein Lehrbuch“. Göttingen u.a.: Hogrefe, 1999.
[4] In Deutschland v.a. durch den Braunkohleabbau. Zuletzt betroffen: das nordrhein-westfälische Garzweiler und Horno in der Niederlausitz.
[5] Weiterhin geht Wohnen mit der Befriedigung sozialer Bedürfnisse (Zusammen-/Alleinsein) einher, bedeutet persönliche Anerkennung (die Bewertung des Wohnraums durch andere), Ästhetik (Wohnbedingungen nach eigenem Geschmack gestalten – das Kommunizieren von Informationen des Subjekts über sich selbst) und Selbstverwirklichung (unbeschwertes Wohnen macht den Kopf frei für Gedanken über sich selbst; man kann sich geben wie man will, ohne eine Bewertung durch andere erwarten zu müssen) und bietet die Möglichkeit zur Regeneration. (a.a.O., 391 ff.)
[6] Rughöft, Sigrid. „Wohnökologie – Grundwissen“. Stuttgart: Ulmer, 1992.
[7] Suchen von akustischen und visuellen Informationen; motorische Geschicklichkeitsspiele
[8] Das Wissen darum, daß Dinge weiter existieren, auch wenn sie aus dem Blickfeld verschwinden.
[9] Flade, Antje. „Wohnen psychologisch betrachtet“. Bern u.a.: Verlag Hans Huber, 1987.
[10] Nach Seligman: Eine Person, die die Erfahrung gemacht hat, daß Handlungsergebnisse unabhängig von ihrem Verhalten und Bemühen sind, lernt, daß zwischen diesen beiden Faktoren kein Zusammenhang besteht. Nach wiederholten Unkontrollierbarkeitserfahrungen bildet sich die Erwartung zukünftiger Unkontrollierbarkeit auch für Situationen aus, die kontrollierbar sind. Auswirkungen sind verminderte Leistungsbereitschaft und Lethargie; die sich festigende Überzeugung, daß alles Verhalten zu immer negativen Konsequenzen führt; eine Stimmung von Frustration bis Depression und eine negativistische Sicht auf das Selbst. (Möller)
[11] In diesem Fall kann eine Person nicht entscheiden, ob sie allein oder mit anderen zusammen ist. Eine Kontrolle dessen ist ihr durch die äußeren Umstände nicht mehr möglich und sie fühlt sich beengt.
- Quote paper
- Ricardo Westphal (Author), 2006, Wie wirkt sich die Wohnumwelt auf die Entwicklung von Kindern aus?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/48557
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