Dieses Essay behandelt die Frage, inwiefern das Lehramtsstudium angehende Lehrkräfte an beruflichen Schulen auf die Aufgaben im Zusammenhang mit Inklusion vorbereiten kann und soll.
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Essay
„Hilfe! Förderschüler in meiner Klasse! – Dafür bin ich doch gar nicht ausgebildet!“[1] „Wie soll ich das als Lehrer alles schaffen?“[2], „Ich komme mit den Kindern nicht mehr zum Lernen“[3], so und ähnlich lauten zahlreiche Aussagen von Lehrkräften im Rahmen von Schule und Inklusion. Die Mehrheit der Lehrkräfte fühlt sich im Hinblick auf Inklusion unzureichend vorbereitet und überfordert. Dies bestätigt eine Befragung des Meinungsforschungsinstituts forsa für den Lehrerverband Bildung und Erziehung aus 2017. Diese ergab, dass bei 79 % der befragten Lehrkräfte Inklusion kein Bestandteil ihrer Lehrerausbildung war. Des Weiteren gaben 54 % der Lehrkräfte an, dass sie über keine sonderpädagogischen Kenntnisse verfügen, die sie im Hinblick eines gelingenden inklusiven Unterrichts unterstützen könnten.[4]
Zentrale Meilensteine für die Inklusion in Deutschland bilden die Salamanca-Erklärung aus 1994 der UNESCO[5] mit der Leitidee „Bildung für alle!“[6] und die Inkraftsetzung der Behindertenrechtskonvention in Deutschland mit der Leitidee „Gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung an der Gesellschaft“[7] aus 2009. Infolgedessen hat sich Deutschland verpflichtet, ein „inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen“ sicherzustellen. Seit der Inkraftsetzung der Behindertenrechtskonvention gilt es die Inklusion in den Bildungssystemen der Länder umzusetzen mit der Tendenz, dass ein gemeinsamer Unterricht von Lernenden mit und ohne Behinderung bzw. mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf erfolgt und den Lernenden die Möglichkeit geboten wird, einen gleichberechtigten Zugang zu regulären und damit zu beruflichen Bildungsangeboten zu erhalten.[8] Aber was genau verbirgt sich hinter dem Inklusionsbegriff? Eine allgemein anerkannte einheitliche Definition des Begriffs „Inklusion“ liegt im Rahmen der wissenschaftlichen Literatur nicht vor.[9] Vor diesem Hintergrund versteht beispielsweise Hinz unter dem Begriff Inklusion der „Vielfalt willkommen zu heißen“.[10] Weiterhin hält Hinz folgende Formulierung für ein Verständnis von Inklusion auf pädagogischer Ebene fest: „Inklusion bemüht sich, alle Dimensionen von Heterogenität in den Blick zu bekommen und gemeinsam zu betrachten.“[11] Analog dazu wird Inklusion auch im Zusammenhang mit der beruflichen Bildung längst diskutiert.[12] Hierbei ist im Allgemeinen (Berufs-)Bildungssystem angemessener Unterricht aller Lernenden unabdingbar.[13] Die Inklusion im Bildungsbereich lässt sich im weiten Sinne damit definieren, dass allen Menschen die gleiche Chance zur Teilhabe an hochwertiger Bildung und zur Entwicklung ihrer Potenziale gegeben wird. Dies setzt voraus, dass die individuellen Bedürfnisse der Jugendlichen berücksichtigt werden. In diesem Kontext ist es erforderlich, dass Änderungen von Inhalten, Ansätzen, Strukturen und Strategien im Bildungswesen allgemein und auch in den (Berufs-)Bildungseinrichtungen speziell erfolgt. Hierfür sind entsprechend qualifizierte pädagogische Fachkräfte notwendig.[14]
Insbesondere an beruflichen Schulen stellt die Umsetzung von Inklusion besondere Anforderungen an Lehrkräfte dar.[15] Berufliche Schulen bieten Lernenden aus verschiedenen Zubringerschulen (Hauptschule, Realschule, Gesamtschule, Gymnasium) individuell geeignete Ausbildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten. Dies kann u. a. Lernende umfassen, die einen qualifizierten Abschluss nachholen bzw. auf einen Ausbildungsplatz warten oder Lernende, die einen Berufsausbildung anstreben. Außerdem besuchen sowohl minderjährige als auch volljährige Lernende berufliche Schulen. Bereits die Nennung dieser kleinen Auswahl an Faktoren gibt einen Ausschluss darüber, dass an berufliche Schulen außerordentlich heterogene Lerngruppen existieren.[16] Aber sind Lehrkräfte an Bildungseinrichtungen, insbesondere an beruflichen Schulen, überhaupt entsprechend ausgebildet?
Vor diesem Hintergrund verfolgt der vorliegende Essay die Frage, inwiefern das Lehramtsstudium angehende Lehrkräfte an beruflichen Schulen auf die Aufgaben im Zusammenhang mit Inklusion vorbereiten soll und kann.
Die Umgestaltung der Lehramtsstudiengänge hinsichtlich der anspruchsvollen Anforderungen der Inklusion stellt Hochschulen vor bedeutende Herausforderungen. Um inklusive Bildung anbieten zu können, ist inklusive Lehrerbildung unabdingbar.[17] An dieser Stelle ist es erforderlich, dass bereits in der Ausbildung von Lehramtsstudierenden an Hochschulen die damit einhergehenden sowie erforderlichen pädagogischen Grundlagen für inklusive Bildung vermittelt werden. Jedoch zeigen gegenwärtige Studien, dass nur wenige Hochschulen diesen Anspruch gewährleisten.[18] Dies ist u. a. auf eine getrennte Ausbildung im Lehramt für Sonderpädagogik und im Lehramt für Regelschulen zurückzuführen.[19] Die Monitor Lehrerbildung hat im Herbst 2014 die Bundesländer sowie Hochschulen in Deutschland befragt, wie sie Lehramtsstudierende auf Inklusion vorbereiten würden. In etwa 40 % der Hochschulen wurden in allen Lehramtsstudiengängen verpflichtende Lehrveranstaltungen zum Thema Inklusion umgesetzt oder sind in Planung. Bei etwa 37 % der Hochschulen ist das Thema Inklusion lediglich in Bezug auf bestimmte Lehramtstypen vorgesehen. Das heißt, dass verpflichtende Lehrveranstaltungen im Zusammenhang mit Inklusion an weniger als der Hälfte der Hochschulen umgesetzt worden sind.[20] Das Fach Sonder- und Förderpädagogik wurde lediglich in 8 % der befragten Hochschulen in die Regelstudiengänge integriert. Gleichzeitig liegt eine geringe Anzahl an Hochschulen vor, die das Fach Sonder- und Förderpädagogik an beruflichen Schulen als Zweitfach anbieten.[21]
Allgemein lässt sich seit dem Inkrafttreten der Behindertenrechtskonvention eine Entwicklung im Rahmen des Lehramtsstudiums bezogen auf Inklusion beobachten. Für das Lehramtsstudium an Regelschulen treten durchaus sonderpädagogische Inhalte und Bezüge zur Inklusion im Zusammenhang mit Themenbereiche wie Heterogenität und Diagnostik auf.[22] Eine intensivere Einbeziehung solcher Inhalte für das Lehramt an Regelschulen wurde in der Vergangenheit und gegenwärtig innerhalb von Hochschulen diskutiert und zum Teil entsprechende Module und Lehrstühle eingerichtet.[23] Dennoch lässt sich auf der Grundlage des Projektes Monitor Lehrerbildung feststellen, dass das Thema der Inklusion lediglich an wenigen Hochschulen wie ein roter Faden durch das Curriculum durchzieht und oft nur als zusätzlich zu berücksichtigendes Element gesehen wird. In den Hochschulen werden bezüglich der inklusiven Bildung häufig nur pädagogische und didaktische Basisqualifikationen vermittelt. Eine Thematisierung von Aspekten für die Umsetzung der Inklusion erfolgt in den Fachwissenschaften und Fachdidaktiken kaum. Zwar wird den Studierenden Wissen über Inklusion vermittelt, jedoch wird ihnen kaum aufgezeigt, wie die Anwendung dieses Wissens gestaltet werden kann.[24]
Die Autorin des vorliegenden Essays sieht Inklusion als eine pädagogisch sehr anspruchsvolle Aufgabe von Lehrkräften. Lehramtsstudierende für Regelschulen werden eben speziell für eine Schulform ausgebildet. Bezüglich Sonder- oder Förderpädagogik sind Lehramtsstudierende für Regelschulen in ein oder zwei Seminaren an der Hochschule in Berührung gekommen. Dies bestätigt sich auch für das Studium der Autorin im Studiengang der Wirtschaftspädagogik. Am Ende des Studiums der Autorin lässt sich festhalten, dass das Thema Inklusion tatsächlich nur in zwei bis drei Lehrveranstaltungen neben anderen Inhalten Bestandteil war. Es gab jedoch keine Veranstaltung, die sich speziell auf das Thema der Inklusion bezog, geschweige denn einen Praxisbezug herstellte. Dies, obwohl der Masterstudiengang der Wirtschaftspädagogik im Fall der Autorin auf der aktuellen Lehramtszugangsverordnung aus 2016 basiert.
Allgemein bestätigt die Auffassung der Autorin die Grundgedanken der aktuellen Bildungsdiskussion: Das Lehramtsstudium soll angehende Lehrkräfte Kompetenzen im Zusammenhang mit Inklusion, Förderverfahren und –methoden vermitteln. Demnach soll das Lehramtsstudium den angehenden Lehrkräften die Möglichkeit bieten, diese Kompetenzen aufbauen und erproben zu können. Erst dann kann Inklusion an Schulen und insbesondere an beruflichen Schulen gelingen. Einige Hochschulen in Deutschland haben das Thema Inklusion z. B. bereits praxisnah im Lehramtsstudium integriert.
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[1] Pädagogisches Landesinstitut Rheinland-Pfalz (2017): 3.
[2] Frankfurter Neue Presse (2018).
[3] FOCUS (2018). Einzelne Textstellen werden im Fließtext kursiv dargestellt, um eine Hervorhebung kenntlich zu machen.
[4] Vgl. forsa (2017): 5, 7, 23.
[5] Die Abkürzung UNESCO kommt aus dem Englischen und bedeutet United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization. In Deutschland stellt dies die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur dar. Vgl. Augsburger Allgemeine (2015); Deutsche UNESCO-Kommission e. V. (2014).
[6] Vgl. UNESCO (1994); Deutsche UNESCO-Kommission e. V. (2014).
[7] Vgl. Vereinte Nationen (2006).
[8] Vgl. Nessler (2015): 220.
[9] Vgl. Bertelsmann Stiftung (2015a): 8; Grosche (2015): 20.
[10] Hinz (2010): 191.
[11] Hinz (2010): 192.
[12] Vgl. Zoyke (2016a): 207.
[13] Vgl. Vereinte Nationen (2006): Art. 24; Deutsche UNESCO-Kommission e. V. (2014): 9.
[14] Vgl. Vereinte Nationen (2006): Art. 24 Abs. 4; Deutsche UNESCO-Kommission e. V. (2014): 9, 24.
[15] Vgl. Zoyke (2016b): 57.
[16] Vgl. Klingen (2006): 1; Zoyke (2016a): 208.
[17] Vgl. Demmer-Dieckmann (2014): 1 f.
[18] Vgl. Nessler (2015): 220.
[19] Vgl. Greiten et al. (2017): 9.
[20] Vgl. Bertelsmann Stiftung (2015a): 6.
[21] Vgl. Bertelsmann Stiftung (2015b); Zoyke (2016a): 224. Die Universität Paderborn hat z. B. seit dem Wintersemester 2014/15 den Studiengang „Lehramt für sonderpädagogische Förderung“ eingerichtet, der Studierende während des Studiums der normalen Unterrichtsfächer parallel auf Inklusion im Unterricht vorbereiten soll. Vgl. Bertelsmann Stiftung (2015a): 13.
[22] Vgl. Walm/Wittek (2014): 44 f.
[23] Vgl. Hillenbrand/Melzer/Sung (2014): 151.
[24] Vgl. Bertelsmann Stiftung (2015a): 5.
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- Anonymous,, 2019, Inklusive Berufsbildung. Soll und kann das Lehramtsstudium auf die Aufgaben im Zusammenhang mit Inklusion vorbereiten?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/469419
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