Die Problematik des sexuellen Missbrauchs ist in den vergangenen Jahren mehr und mehr aus der Tabuzone des Heimlichen heraus ins öffentliche Gespräch geraten, und trotzdem zeigen sich pädagogische Fachkräfte diesbetreffend noch immer verunsichert und wissen nicht, was sie tun können, um Kinder effektiv zu schützen. Da jedoch gerade sie es sind, die für betroffene Mädchen und Jungen zu wichtigen Ansprechpartnern und Vertrauenspersonen werden und die darüber hinaus bereits vorab wichtige Präventionsarbeit leisten können, sollte es Anliegen einer jeden Lehrperson sein, diese Verantwortung ernst zu nehmen. Die Schule selbst muss zu einem Ort werden, an dem sexuelle Gewalt als ein alltägliches Problem wahrgenommen wird und an dem Kinder aufgeklärt, sensibilisiert und gestärkt werden; dazu gilt es, die richtigen Wege zu finden.
Weil das Sprechen über Emotionen, das Verschriftlichen von Empfindungen sowie das Lesen und Hören einer Sprache, die auch im Gefühlsbereich genau ist, einen wesentlichen Bestandteil wirksamer Präventionsarbeit ausmacht, erscheint der Deutschunterricht hierzu als ein angemessener Rahmen. Bilder-, Kinder und Jugendbücher zur Thematik lassen sich in diesen auf vielfältige Weise integrieren: Sie können präventiv, diagnostisch oder therapeutisch eingesetzt werden, fassen das scheinbar Unbenennbare in Worte, lassen Gefühle verstehbar und kommunikabel werden, bieten Identifikationsmöglichkeiten an, zeigen aus einer möglicherweise ganz anderen Sichtweise solche Handlungsmuster und Lösungswege auf und schließlich durchkreuzen sie tabuisiertes Denken und fordern dazu auf, sich kritisch mit der Missbrauchsthematik auseinander zu setzen.
Die Auswahl geeigneter, altersgemäßer wie zweckdienlicher Literatur setzt jedoch eine differenzierte Sichtung des Angebots und eine intensive Auseinandersetzung mit dem einzelnen Buch voraus. Im Mittelpunkt dieser Hausarbeit steht daher die exemplarische Analyse eines solchen Werkes: „Schweigemund“ von Heiko Neumann. Dieses soll nachfolgend anhand ausgewählter Kriterien inhaltlich und stilistisch untersucht und abschließend auf seine Möglichkeiten, präventiv zu wirken, hinterfragt werden.
1. Einleitung
Die Problematik des sexuellen Missbrauchs ist in den vergangenen Jahren mehr und mehr aus der Tabuzone des Heimlichen heraus ins öffentliche Gespräch geraten, und trotzdem zeigen sich pädagogische Fachkräfte diesbetreffend noch immer verunsichert und wissen nicht, was sie tun können, um Kinder effektiv zu schützen. Da jedoch gerade sie es sind, die für betroffene Mädchen und Jungen zu wichtigen Ansprechpartnern und Vertrauenspersonen werden und die darüber hinaus bereits vorab wichtige Präventionsarbeit leisten können, sollte es Anliegen einer jeden Lehrperson sein, diese Verantwortung ernst zu nehmen. Die Schule selbst muss zu einem Ort werden, an dem sexuelle Gewalt als ein alltägliches Problem wahrgenommen wird und an dem Kinder aufgeklärt, sensibilisiert und gestärkt werden; dazu gilt es, die richtigen Wege zu finden.
Weil das Sprechen über Emotionen, das Verschriftlichen von Empfindungen sowie das Lesen und Hören einer Sprache, die auch im Gefühlsbereich genau ist, einen wesentlichen Bestandteil wirksamer Präventionsarbeit ausmacht, erscheint der Deutschunterricht hierzu als ein angemessener Rahmen. Bilder-, Kinder und Jugendbücher zur Thematik lassen sich in diesen auf vielfältige Weise integrieren: Sie können präventiv, diagnostisch oder therapeutisch eingesetzt werden, fassen das scheinbar Unbenennbare in Worte, lassen Gefühle verstehbar und kommunikabel werden, bieten Identifikationsmöglichkeiten an, zeigen aus einer möglicherweise ganz anderen Sichtweise solche Handlungsmuster und Lösungswege auf und schließlich durchkreuzen sie tabuisiertes Denken und fordern dazu auf, sich kritisch mit der Missbrauchsthematik auseinander zu setzen.
Die Auswahl geeigneter, altersgemäßer wie zweckdienlicher Literatur setzt jedoch eine differenzierte Sichtung des Angebots und eine intensive Auseinandersetzung mit dem einzelnen Buch voraus. Im Mittelpunkt dieser Hausarbeit steht daher die exemplarische Analyse eines solchen Werkes: „Schweigemund“ von Heiko Neumann. Dieses soll nachfolgend anhand ausgewählter Kriterien inhaltlich und stilistisch untersucht und abschließend auf seine Möglichkeiten, präventiv zu wirken, hinterfragt werden.
2. Analyse des Buches „Schweigemund“ von Heiko Neumann
2.1 Informationen zum Autor
Heiko Neumann, 1962 in Stuttgart geboren, arbeitete mehrere Jahre lang als Fotograf für Reportagemagazine und schrieb Kino- und Theaterkritiken. Durch seine Tätigkeit als Sozialpädagoge wurde er in Kindergärten, Heimen und Horten mehrfach mit realen Fällen sexuellen Missbrauchs konfrontiert. Diese Erfahrungen haben ihn veranlasst, das Buch „Schweigemund“ zu schreiben, mit welchem er jugendlichen Lesern sowohl Aufklärung als auch Hilfe zukommen lassen will.
2.2 Inhaltsangabe
Über Jahre hinweg wurde die 18-jährige Nadine von ihrem Stiefvater Richard Braunberg sexuell missbraucht. Ein Aufenthalt in einem Heim sowie eine mehrjährige Therapie liegen nun hinter ihr und sie ist bereit, ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen. Allein zieht Nadine zurück in die Wohnung, in der alles geschah, und obwohl sie weiß, dass sie sich dort noch einmal der Vergangenheit stellen muss, ist sie nun doch bereit, sich zu erinnern. Immer wieder stößt sich dadurch zwar auf Schwierigkeiten, doch mehr und mehr gelingt es ihr, ihren Weg zu gehen und das Vergangene durch neue Freundschaften, vor allem aber durch ihre sich langsam entwickelnde Beziehung zu ihrem Freund Rainer zu verarbeiten.
2.3 Inhaltliche Analyse
2.3.1 Darstellung von Täter und Opfer
Die Darstellung von Täter und Opfer im Buch „Schweigemund“ stimmt weitgehend mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen überein.
Beide sind in einem statistisch belegten Alter: Als es zu den ersten Übergriffen gegen sie kommt, ist Nadine 10, als sie sich mitteilt, 13 Jahre alt; damit repräsentiert sie die am häufigsten von sexuellem Missbrauch betroffene Altersgruppe: Kinder zwischen 7 und 13 Jahren. Über das genaue Alter des Täters, findet sich im Buch zwar keine Angabe, ebenso wenig jedoch über eine ungewöhnliche Altersabweichung. Die Tatsache, dass Nadine Richard jedoch sofort mit ihrem früh verstorbenen Vater vergleicht und jener nach der Hochzeit dessen Rolle übernimmt, lässt vielmehr darauf schließen, dass er etwa 35-45 Jahre alt sein muss; dies kommt dem Durchschnittsalter männlicher Täter nahe, welches mit 30 Jahren beziffert wird.
Realistisch ist ferner das in der Erzählung aufgezeigte Geschlechtsverhältnis zwischen Täter und Opfer; die Konstellation, dass ein Mann ein Mädchen missbraucht, ist die am häufigsten vorzufindende. Will das Buch der Missbrauchsthematik jedoch umfassend gerecht werden, so fehlen – insbesondere für männliche Leser – Hinweise darauf, dass durchaus auch andere Täter-Opfer-Konstellationen möglich sind.
Auch die aufgezeigte Täter-Opfer-Beziehung bildet die Wirklichkeit ab: Weibliche Opfer erfahren sexuelle Gewalt zu einem Großteil (zu etwa 25-30 %) im eigenen Familienkreis und gerade der geschilderte Fall eines Missbrauchs durch den Partner der Mutter macht einen hohen Prozentsatz aus. Verschiedene Erwähnungen im Buch legen die Vermutung nahe, dass Richard sich gezielt Nadines Mutter als Lebensgefährtin ausgesucht hat, um den Kontakt zu deren Tochter herzustellen: Er legt stets Wert darauf, dass das Mädchen bei gemeinsamen Unternehmungen dabei ist, zieht früh in die Wohnung von Mutter und Tochter ein und der erste Missbrauch findet bereits wenige Monate nach der Hochzeit statt.
Überzeugend hebt die Erzählung hervor, dass sexuelle Gewalt kein (unter)schichtspezifisches Problem darstellt. Entgegen weit verbreiteter Klischeevorstellungen entstammen Missbrauchstäter allen sozialen Schichten, was insbesondere dadurch verdeutlicht wird, dass Richard als Ingenieur einen angesehenen Beruf ausübt. Vordergründig betrachtet erscheint er als ein gut situierter und sympathischer „Herr“, entspricht also genau dem Tätertyp, dem man derartige Gewalthandlungen unter keinen Umständen zutrauen würde; gerade dieses Bild von ihm aber vermittelt hier Einsicht.
Nadine gleicht in ihrer Darstellung dem Opfertyp, den Missbraucher bevorzugt auswählen. Durch ihre allein erziehende Mutter erfährt sie nur wenig Zuwendung, einen Großteil des Tages ist sie auf sich gestellt und die Sehnsucht nach einem Vaterersatz hat sie leicht manipulierbar werden lassen. Zudem besitzt Nadine nur wenige Sozialkontakte und ihr erhöhtes Bedürfnis nach Zuwendung richtet sie daher ganz auf Richard.
Deutlich zeigt das Buch schließlich auch, dass sexuelle Gewalt zumeist auf einem starken Machtgefälle zwischen Täter und Opfer aufbaut. Im geschilderten Fall sind hierfür vor allem finanzielle Gegebenheiten von Bedeutung. Richard ernährt die Familie allein und bringt Nadine und ihre Mutter so in ein völliges Abhängigkeitsverhältnis ihm gegenüber. Immer wieder zeigt er sich äußerst spendabel und lässt die beiden dadurch mit Nachdruck spüren, dass sich nur durch ihn ihre vorab eher bescheidenen Lebensverhältnisse deutlich verbessert haben.
2.3.2 Darstellung des Missbrauchs
Die Darstellung des Missbrauchs im Buch „Schweigemund“ ist im Ganzen authentisch.
In der Erzählung finden sich sechs in das Alltagsgeschehen eingeflochtene Szenen, in denen der Leser mit sexuellen Gewalthandlungen konfrontiert wird; eine repräsentative Missbrauchsdynamik lässt sich hier ausmachen:
Vom ersten Tag des Kennenlernens an ist Richard geschickt darum bemüht, Nadines Zuneigung für sich zu gewinnen. Er zeigt sich ihr gegenüber äußerst fürsorglich und zuvorkommend, beeindruckt sie mit seinem großen Auto, seiner adretten Kleidung und seinem außergewöhnlichen Charme. Sie wird zu seiner „Prinzessin“ und seine Komplimente schmeicheln ihr. Immer wieder überrascht Richard Nadine mit kleinen Geschenken oder Einladungen, so dass das Mädchen schnell von seiner Großzügigkeit fasziniert ist. Das Leben gestaltet sich für Nadine fortan schöner und abwechslungsreicher und sie genießt seine Nähe. Dieses ihm entgegengebrachte Vertrauen beginnt Richard bald auszunutzen. Um sie von ihrer Mutter zu isolieren, setzt er sich zunehmend über deren Verbote hinweg und liest Nadine ihre Wünsche förmlich von den Augen ab. Schrittweise sucht er Körperkontakte zu ihr, welche er – der Realität entsprechend – immer weiter intensiviert und sexualisiert. Aus sozial gebilligten Berührungen wie In-den-Arm-nehmen oder Haarewaschen und spielerisch getarnten Missbrauchshandlungen wie Kitzeln werden allmählich massivere Übergriffe, als Richard beginnt, Nadine zu küssen und sie im Intimbereich anzufassen. Diese kontinuierliche, für einen innerfamiliären Fall bezeichnende Steigerung erschwert es dem Mädchen, den sexuellen Missbrauch als solchen zu erkennen. Zwar ist Nadine verwirrt, doch zunächst versucht sie zu verdrängen, was mit ihr geschieht. Als sie schließlich wahrnimmt, dass das Zusammensein mit Richard eindeutig negative Gefühle wie Angst und Ekel in ihr weckt, hat sie bereits Scham- und Schuldgefühle entwickelt, „mitgemacht“ und mitunter sogar Gefallen daran gefunden zu haben. Bisweilen versucht sie zwar, sich durch Worte oder distanziertes Verhalten zur Wehr zu setzen, stets resigniert sie jedoch schnell. Nur einmal probiert sie, sich ihrer Mutter anzuvertrauen, doch diese reagiert abweisend und schreitet nicht zugunsten ihrer Tochter ein - schlimmer noch: Sie redet ihr zusätzliche Schuldgefühle ein.
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- Quote paper
- Katrin Wolfmeyer (Author), 2005, Analyse des Buches "Schweigemund" von H. Neumann zum Thema sexueller Missbrauch, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/46936
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