Im Spiegel der Geschichte und der politischen Theorie bildet das Konzept der streitbaren Demokratie und ihr institutioneller Ausfluß der administrative Verfassungsschutz Grundpfeiler des Rechtsstaates und der Demokratie in Deutschland. Ziel dieser Ausführungen ist die Darstellungen beider Konzeptionen mit ihren jeweiligen Hauptkritikpunkten. Im Anschluß werden mittels einer empirischen Untersuchung die aktuellen Reformideen vorgestellt.
Die vorliegende Arbeit wird aufgrund der Präsenzveranstaltung: „Extremismus, Terrorismus und streitbare Demokratie“, vom 06. und 07. Dezember 2003 in München verfasst. Die zentrale These lautet: Vor dem 11. September ist es relativ ruhig geworden um den Begriff der streitbaren Demokratie. Die Ereignisse, insbesondere nach dem 11. März 2004 haben eine erneute öffentliche Diskussion über den Selbstschutz des Staates und der Gesellschaft in der BRD entfacht. In dieser Diskussion wurden insbesondere Reformideen zur Institution des Verfassungsschutzes geäußert.
In einem ersten Teil beschäftigen sich die Ausführungen mit dem geistigen und politischen Hintergrundkonzept des administrativen Verfassungsschutzes, der streitbaren Demokratie. Der Schwerpunkt dieser Ausführungen liegt in der Darstellung der Arbeit und Funktionsweise des administrativen Verfassungsschutzes. Bei diesen beiden Abschnitten handelt es sich um eine Dokumenten und Inhaltsanalyse von Sekundärdaten nach dem qualitativen Ansatz. Es wurde in den jeweiligen Entwicklungsschritten die einschlägige Forschungsliteratur mit ihren rechtlichen Grundlagen analysiert um den Forschungsstand, teilweise aus räumlicher Beschränkung mit Angaben zur vertiefenden Literatur, darzustellen.
Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung
2. Streitbare Demokratie und ihr institutioneller Ausfluß der Verfassungsschutz
2.1 Konzept der streitbaren Demokratie
2.2 Die Institutionen des Verfassungsschutzes
2.2.1 Rechtliche Grundlagen
2.2.2 Das Bundesamt und die Landesämter
2.2.3 Aufgaben des administrativen Verfassungsschutzes
2.2.4 Publikationen des Verfassungsschutzes
2.3 Reformideen nach dem 11.03.2004
2.3.1 Chronologische Zeitungsanalyse
2.3.2 Ergebnisse der Zeitungsanalyse
3. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Im Spiegel der Geschichte und der politischen Theorie bildet das Konzept der streitbaren Demokratie und ihr institutioneller Ausfluß der administrative Verfassungsschutz Grundfeiler des Rechtsstaates und der Demokratie in Deutschland. Ziel dieser Ausführungen ist die Darstellungen beider Konzeptionen mit ihren jeweiligen Hauptkritikpunkten. Im Anschluß werden mittels einer empirischen Untersuchung die aktuellen Reformideen vorgestellt.
Die vorliegende Arbeit wird aufgrund der Präsenzveranstaltung: „Extremismus, Terrorismus und streitbare Demokratie“, vom 06. und 07. Dezember 2003 in München verfasst.
Die zentrale These lautet: Vor dem 11. September ist es relativ ruhig geworden um den Begriff der streitbaren Demokratie. Die Ereignisse, insbesondere nach dem 11. März 2004 haben eine erneute öffentliche Diskussion über den Selbstschutz des Staates und der Gesellschaft in der BRD entfacht. In dieser Diskussion wurden insbesondere Reformideen zur Institution des Verfassungsschutzes geäußert.
In einem ersten Teil beschäftigen sich die Ausführungen mit dem geistigen und politischen Hintergrundkonzept des administrativen Verfassungsschutzes, der streitbaren Demokratie. Der Schwerpunkt dieser Ausführungen liegt in der Darstellung der Arbeit und Funktionsweise des administrativen Verfassungsschutzes. Bei diesen beiden Abschnitten handelt es sich um eine Dokumenten und Inhaltsanalyse von Sekundärdaten nach dem qualitativen Ansatz. Es wurde in den jeweiligen Entwicklungsschritten die einschlägige Forschungsliteratur mit ihren rechtlichen Grundlagen analysiert um den Forschungsstand, teilweise aus räumlicher Beschränkung mit Angaben zur vertiefenden Literatur, darzustellen.
Im letzten Teil dieser Arbeit werden die Reformideen bezüglich des administrativen Verfassungsschutzes in Folge der Terroranschläge vorgestellt. Auf Grundlage eines Gutachterbandes und dem aktuellen Koalitionsvertrag wird eine Zeitungsanalyse erstellt. Methodisch wird mit einem diskurs[1] - und politikfeldanalytischem[2] Ansatz gearbeitet. Als Grundlage der Zeitungsanalyse dient die tagesaktuelle Sammlung von 90 Presseartikeln vom 27.02.2004 bis zum 27.06.2004 mit dem Suchbegriff: „Verfassungsschutz“. Aufgrund eines Abonnements der Frankfurter Allgemeinen Zeitung entstammen die Zeitungsartikel in den meisten Fällen diesem überregional erscheinenden Qualitätsmedium. Um eine höchstmöglichen Objektivität zu ermöglichen, werden Kontrollartikel aus anderen überregionalen und regional erscheinenden Qualitätsblättern gesammelt und in die Auswertung eingearbeitet. Hierbei handelt es sich um die Druckerzeugnisse: Süddeutsche Zeitung, Die Welt, Rheinischer Merkur, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, General-Anzeiger (Bonn) und Rhein-Zeitung (Koblenz). Um unnötige Redundanzen möglichst auszuschließen, werden nicht alle 90 Artikel in das Literaturverzeichnis aufgenommen.
Hauptschwierigkeit bei der Darstellung dieses umfassenden Themas ist, daß ein umfassende Bearbeitung mehr Raum erfordert als im Rahmen einer Hausarbeit möglich ist. Somit musste sich der Verfasser auf die grundlegenden Entwicklungslinien beschränken. Somit können die vielfachen Kontrollmöglichkeiten über den administrativen Verfassungsschutz und der erweiterte Kanon der Aufgabengebiete nicht dargestellt werden. Die Schlüsselbegriffe werden im Hauptteil ausführlich gewürdigt.
2. Streitbare Demokratie und ihr institutioneller Ausfluß der Verfassungsschutz
2.1 Konzept der streitbaren Demokratie
Die Existenz einer Institution – wie die des administrativen Verfassungsschutzes – ist durch die bestehende politische Ordnung, die innerhalb eines Staates herrscht, begründet. Denn durch sie bezieht sie ihre eigentliche Legitimation. Aus diesem Grund soll zunächst auf eben dieses geistige und politische Konzept eingegangen werden, bevor die Beschäftigung mit der Institution selbst erfolgt. In diesen Ausführungen zu den theoretischen Konzeptionen wird die Verbindung zwischen dem zu bearbeiteten Thema und zum Teilgebiet „Politische Theorie“, mit seinen demokratietheoretischen Inhalten an der Fernuniversität Hagen hergeleitet.
Das Konzept der bundesdeutschen Demokratie ist untrennbar mit bestimmten Werten verbunden (sog. Wertgebundenheit). Seine obersten Güter sind in den ersten Artikeln im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland festgelegt. Es sind u.a. dies: die „Unantastbarkeit der Menschenwürde“ (Art. 1 GG), die „Handlungsfreiheit und Persönlichkeitsentfaltung“ (Art. 2 GG), die „Gleichheit aller“ (Art. 3 GG) und die „Glaubens- und Meinungsfreiheit“ (Art. 4 GG).[3]
Demokratie ist folglich unbedingt mit dem Freiheitsgedanken verbunden. Diese politischen Freiheitsrechte gelten für alle diejenigen in gleicher Weise, die zu der politischen Gemeinschaft des Volkes eines Staates gehören. Die Freiheit ist also vom Staat gegeben.
Demokratie geht dabei von einem bestimmten Menschenbild aus. „Die Menschen sollen frei sein...denn nur ein freier Mensch kann sich und seine Umwelt in eigener Verantwortung mitgestalten.“[4]
Allerdings verfügt auch dieses in großem Maße auf Freiheit ausgelegte System über Abwehrmechanismen, um eben diese Freiheit für jeden zu erhalten und zu verteidigen. Daher wird diese Demokratie auch als streitbare Demokratie bezeichnet.[5]
„Eine Demokratie muß das Recht haben, jene an der politischen Wirksamkeit zu hindern, die das demokratische System selber beseitigen wollen.“[6] Auch wenn dies nicht mit revolutionären Umstürzen geschieht, sondern mit legitimatorischen Mitteln ähnlich der Machtergreifung der Nationalsozialisten, soll kein „Wolf in die Schafherde“[7] einbrechen können.
Diese Eingriffe des Staates sind jedoch limitiert. „Prinzipiell ist die...Freiheitssphäre unbegrenzt, während die Befugnis des Staates zu Eingriffen in diese Sphäre prinzipiell begrenzt ist.“[8] In der vorliegenden Arbeit kann nicht auf den Konflikt zwischen Minimalkonsens/Mehrheitsprinzip und seine Auswirkungen auf das Konzept der streitbaren Demokratie eingegangen werden. Festzuhalten bleibt aber, daß der Minimalkonsens zum Gemeingut der Pluralismustheorie gehört, ohne den eine demokratische Gesellschaft nicht auskommt[9] und das Konzept der streitbaren Demokratie „im Prinzip...ein Ausfluß der Pluralismustheorie ist, die sich breiter (...) Anerkennung erfreut.“[10] Hierbei liegt die Argumentation des Minimalkonsenses auf der Ebene von Klassikern wie Rousseau, Marx und Hobbes.[11]
In Art. 18 Grundgesetz ist besonders verschärft festgelegt, in welchem Fall eine Verwirkung der o.g. Freiheitsrechte eintritt. „Wer die Freiheit der Meinungsäußerung,...der Vereinigungsfreiheit, der Versammlungsfreiheit...zum Kampfe gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung missbraucht, verwirkt diese Grundrechte“[12]
Hierzu zählen auch Art. 9 und Art. 21 GG, das sogenannte Verbot politischer Parteien. Auffällig ist, daß nicht erst der Einsatz von Gewalt, sondern bereits eine feindliche Haltung für das Verwirken von Grundrechten ausreicht (genauer: „aggressiv kämpferische Haltung“). Zentraler Gedanke ist also ein „...in den Raum des gewaltsamen politischen Kampfes vorverlagerter Demokratieschutz.“[13]
Freiheit erfährt folglich dann eine Begrenzung, wenn sie dazu benutzt werden soll, den Staat und seine Werte zu zerstören. Diese Forderung „keine Freiheit den Feinden der Freiheit“, ist aus der französischen Revolution hervorgegangen und überzieht das Konzept der streitbaren Demokratie aus o.g. Gründen suis generis. Weiterhin findet sich dieser Grundsatz auch in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 wieder.[14]
Ein weiterer politiktheoretischen Hintergrund für das Konzept der streitbaren Demokratie in Bezug auf seine „Wehrhaftigkeit“ nach links und rechts besitzt sie in der Totalitarismustheorie[15] und allgemein reichen ihre Wurzeln bis zur gemischten Verfassung nach Aristoteles und Cicero in der Antiken zurück.[16]
Der weiter oben schon verwendete Begriff der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ besitzt eine zentrale Bedeutung. Er wird zwar im Grundgesetz verwendet, eine inhaltliche und konzeptionelle Definition des Begriffs ist dort jedoch nicht zu finden. Sie erfolgte erst durch das Bundesverfassungsgericht, als es zu konkreten Anwendungen des Verwirkens von Freiheitsrechten kam. Dies geschah im Zusammenhang mit den beiden bislang einzig durchgesetzten Parteiverboten. Im Urteil zum SRP (Sozialistische Reichspartei) Verbot 1952 wurden Mindeststandards festgelegt und im KPD (Kommunistische Partei Deutschlands) Urteil 1956 wurden diese Standards weiter konkretisiert.[17]
Wichtig ist, was genau unter freiheitliche demokratischer Grundordnung zu verstehen ist. Das Bundesverfassungsgericht definiert die freiheitliche Grundordnung in o.g. Urteilen als eine Ordnung, „...die unter Ausschluß jeglicher Gewalt der Selbstbestimmung des Volkes nach der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt.“[18] Damit verknüpft ist die Einhaltung bestimmter enumerativer Prinzipien wie, um nur einige zu nennen, „...Volkssouveränität, Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien.“[19] Neben dem Bestand und der Sicherheit des Bundes und der Länder, das zweite Schutzgut der streitbaren Demokratie neben der freiheitlichen Grundordnung, lassen sich die o.g. Einzelaussagen folgendermaßen zusammenfassen: „Die Erhaltung der Offenheit und Freiheitlichkeit des demokratischen Meinungs- und Willensbildungsprozesses von der Volkswillensbildung in den Parteien – und vorher – bis zur Staatswillensbildung in allen drei Gewalten.“[20]
Dadurch wird die weiter oben schon erwähnte Wertgebundenheit des demokratischen Systems festgesetzt. Es herrscht weitgehend Einigkeit darüber, daß der in Artikel 9 des Grundgesetzes verwendete Begriff der „verfassungsgemäßen Ordnung“[21] damit konform geht.
Die freiheitliche demokratische Grundordnung bildet somit den Kern der bundesdeutschen Verfassung. Sie kennzeichnet sich durch eine deutliche Abkehr von dem System des Totalitarismus. Damit bildet die Verklammerung von Wertgebundenheit mit Abwehrbereitschaft eine conditio sine qua non des Konzeptes der streitbaren Demokratie.[22]
Die Entwicklung des Konzeptes der streitbaren Demokratie ist das Resultat tiefgreifender historischer und politischer Erfahrung. Diese Erfahrungen spiegeln sich in der konkreten Anwendung wider.
Als das Grundgesetz geschaffen wurde, bestand ein allgemeiner Konsens darüber, daß die neugeschaffene Demokratie nicht wieder, wie die Weimarer Republik der Zerstörung durch extremistische Parteien von rechts und links nachgeben dürfe.
Der Begriff der streitbaren Demokratie geht ursprünglich auf Karl Loewenstein (1937)[23] und Karl Mannheim[24] zurück. „Der Begründer des Konzeptes der „militant democracy“ [Loewenstein, Anm. L.N.] hatte aus der totalitären Bedrohung der Demokratien vor und nach dem Zweiten Weltkrieg gefolgert, auf der Ebene der Gesetzgebung müssten Vorkehrungen getroffen werden“[25]
Diese Abwehrhaltung des Grundgesetz ist danach, wie oben schon erwähnt wurde vom Scheitern der Weimarer Republik und der darrauffolgenden nationalsozialistischen Diktatur geprägt. Die Väter des Grundgesetzes wollten unter allen Umständen einer möglichen Wiederholung jener Entwicklung entgegenwirken. Nach Hans-Gert Jaschke ist diese Sichtweise zu vereinfacht. Man darf andere Faktoren nicht außer Acht lassen.
„Das Totalitarismuskonzept unterstellt, daß Nazis und Kommunisten gleichermaßen die Weimarer Republik zu Fall gebracht haben. Faktisch erfolgte die Machteinsetzung der Nationalsozialisten aufgrund eines Bündnisses zwischen Teilen der Großindustrie, des Militärs und der Großagrarier“[26]
Im Gegensatz zu oben beschriebenen Wertgebundenheit war die hohe Wertneutralität ein charakteristisches Moment für die Weimarer Republik.
„Nach der damaligen Auffassung eines demokratischen Systems sollte der Staat lediglich die Spielregeln für das politische Leben festlegen, diese konnten mit jedem programmatischen Inhalt gefüllt werden – selbst mit der Forderung zur Beseitigung der Demokratie an sich.“[27]
Dies bedeutet, daß der Volkswille mit Hilfe einer entsprechenden Mehrheit fast grenzenlos durchgesetzt werden konnten. Es gab also eine totale Freiheit ohne Einschränkungen.
„Die bürgerlichen Grundfreiheiten waren in Weimar so etwas wie Indiens heilige Kühe, die trotz größter Not unantastbar zu bleiben hatten.“[28]
Das galt somit auch für diejenigen Kräfte, welche die damalige Ordnung bekämpfen und durch eine andere ersetzen wollten. Abwehrmechanismen waren folglich kaum vorhanden. Zumindest blieben sie ohne nennenswerten Konsequenzen.
„Bereits in einem Aufruf der Reichsregierung...hatte es geheißen: „Die Verfassung, welche die demokratischen Forderungen der Freiheit der Presse, der Vereine und der Versammlung verwirklicht, gewährt zugleich auch die Befugnis, diese Freiheit zu beschränken, wenn sie zur Beseitigung der Verfassung selbst missbraucht werden.““[29]
Das Festhalten an der Wertneutralität verhinderte aber die Umsetzung dieses Abwehrgedankens. Dies steht im Gegensatz zu unserem heutigen Demokratieprinzip, welches dadurch gekennzeichnet ist, daß Verfassungsprinzipien durch keine Mehrheiten mehr aufgehoben werden können.[30] Dieser Verfassungskern lässt sich auch Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art. 1 und Art. 20 GG entnehmen. Es handelt sich um die sogenannte Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes. Die Freiheit steht somit unter staatlichem Schutz. Die bereits erwähnten Abwehrmechanismen wurden geschaffen und sind heute umstrittener denn je. „Eine Freiheit zur Abschaffung der Freiheit sollte es nicht geben.“[31] Doch gerade hier liegt ein Paradoxem, welches auch in der Literatur aufgegriffen wird. Es handelt sich um sogenannte Dilemmata der streitbaren Demokratie[32]. Einige kritische Positionen sollen kurz dargestellt werden.
„Es besteht die Gefahr, daß eine Demokratie im Bestreben sich zu schützen, ihre Fundamente selbst unterminiert.“[33] Dieser besonders häufige Kritikpunkt wird als sogenanntes „Dilemma der Demokratie“ bezeichnet.[34] Es besteht darin, daß sich ein demokratischer Staat, wenn er seine Gegner Freiheiten verwehrt, gegen seine eigentliche Existenzberechtigung wendet. Darin liegt auch möglicherweise eine Gefahr, denn „...die Verfassung kann so zum Kampfinstrument gegen den politischen Gegner und im Extremfall zum Instrument „politischer Ausbürgerung“ pervertiert werden.“[35]
Diese Eingrenzung von Freiheit kann darüber hinaus als Zeichen von Schwäche interpretiert werden. „Sind nicht eher Forderungen und Maßnahmen zur Stabilisierung der bestehenden Ordnung ein Zeichen von Unsicherheit?“[36]
Eine häufig gestellte Frage ist zudem, ob und inwieweit die streitbare Demokratie noch zeitgemäß ist. Denn sie stammt aus einer Zeit, „...als Gut und Böse leicht zu unterscheiden waren.“[37] Dies deutet an, daß es durch ständige Veränderung politischer und gesellschaftlicher Strukturen möglicherweise immer schwieriger wird, klare und einfache Grenzziehung zwischen den sogenannten „Freunden und Feinden der Demokratie“ vorzunehmen.
Jaschke stellt jedoch die Frage, ob und in welcher Form diese vereinfachte Unterscheidung zwischen Gut und Böse, bezogen auf die Weimarer Republik tatsächlich, zutrifft.
„Eine zweite Voraussetzung ist die unterstellte mögliche Grenzziehung zwischen demokratischen und antidemokratischen Kräften. Gerade für Weimar scheint dies unmöglich, war doch ihre Akzeptanz für die Zeitgenossen insgesamt gering.“[38]
[...]
[1] Keller, Reiner; Hirseland, Andreas; Schneider, Werner; Viehöfer, Willy (Hrsg.): Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse, Band 1: Theorie und Methoden, Opladen 2001.
[2] Schubert, Klaus; Bandelow, Nils C. (Hrsg.): Lehrbuch Politikfeldanalyse, München Wien 2003.
[3] Vgl.: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, in: Schönfelder, Heinrich: Deutsche Gesetze; München 2000, S. 2ff..
[4] Besson, Waldemar; Jasper, Gotthard: Das Leitbild der modernen Demokratie, Bonn 1991, S. 12.
[5] Der Begriff „streitbare Demokratie“ wurde vom Bundesverfassungsgericht 1956 im sog. „KPD-Urteil“ verwendet und hat sich seitdem durchgesetzt. Die Begriffe „streitbar“, „wehrhaft“, „abwehrbereit“, „wachsam“, „militant“ und „kämpferisch“ werden mehr oder weniger synonym verwandt. Vgl.: Jesse, Eckhard: Streitbare Demokratie und politischer Extremismus von 1949 bis 1999, S. 583-597; in: Ellwein, Thomas; Holtmann, Everhard: 50 Jahre Bundesrepublik Deutschland; PVS Sonderheft 30, Opladen 1999, S. 586.
[6] Borgs-Maciejewski, Hermann: Was jeder vom Verfassungsschutz wissen sollte, Heidelberg 1988, S. 26.
[7] Goebbels, Josef; zitiert nach: Fisch, Heinrich; Knütter, Hans-Helmuth: Wehrhafte Demokratie – ein Problem politischer und geistiger Auseinandersetzung, in: Bundesministerium des Innern (Hrsg.): Freiheit? Aber sicher!, 40 Jahre wehrhafte Demokratie, Bonn 1989, S. 76.
[8] Hubo, Christiane: Verfassungsschutz des Staates durch geistig-politische Auseinandersetzung, Göttingen 1998, S. 17.
[9] Jesse, Eckhard: Streitbare Demokratie – oder was sonst?, S. 29-70; in: Michalka, Wolfgang (Hrsg.): Extremismus und streitbare Demokratie, Stuttgart 1987, S. 31.
[10] Jesse, Eckhard: Literaturführer: Parlamentarische Demokratie, Opladen 1981, S. 261.
[11] Fisch, Heinrich; Knütter, Hans-Helmuth: Bonn 1989, S. 72.
[12] Jarass, Hans P.; Pieroth, Bodo: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, München 1991, S. 329.
[13] Besson, Waldemar; Jasper, Otto: Bonn 1991, S. 42; Jesse, Eckhard: Opladen 1999, S. 584.
[14] Jesse, Eckhard: Stuttgart 1987, S. 64f..
[15] Jaschke, Hans-Gerd: Streitbare Demokratie und innere Sicherheit, Opladen 1991, S. 107. Diese Theorie kann nicht weiter dargestellt werden, vgl. Jesse, Eckhard (Hrsg.): Totalitarismus im 20. Jahrhundert, Bonn 1999.
[16] Billing, Werner: Wehrhafte Demokratie und offene Gesellschaft, in: Recht und Politik, Vierteljahresschrift für Rechts- und Verwaltungspolitik, Heft 2, 1991, S. 124.
[17] Denninger, Erhard: Der Schutz der Verfassung, in: Benda, Ernst; Maihofer, Werner; Vogel, Hans-Jochen (Hrsg.): Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Berlin/New York 1983, S. 1307.
[18] BVerfGE 2,1; in: Ostheimer, Michael: Verfassungsschutz nach der Wiedervereinigung. Möglichkeiten und Grenzen seiner Aufgabenerweiterung, Frankfurt a. Main 1994, S. 18.
[19] Ebd.
[20] Denninger, Erhard: Berlin/New York 1983, S. 1308.
[21] Hubo, Christiane: Göttingen 1998, S. 25.
[22] Jesse, Eckhard: Stuttgart 1987, S. 44.
[23] Eine aktuelle Einführung in die Verfassungslehre Loewensteins bietet folgender Aufsatz: van Oyen, Robert Chr.: Ein moderner Klassiker der Verfassungstheorie: Karl Loewenstein, in: Zeitschrift für Politik, Heft 1, März 2004, S. 68-86.
[24] Jesse, Eckhard, Opladen 1981, S. 222.
[25] Jaschke, Hans-Gerd: Wertewandel in Politik und Gesellschaft, in: Verfassungsschutz in der Demokratie. Beiträge aus Wissenschaft und Praxis, Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.): Köln 1990, S. 234.
[26] Ebd.
[27] Michaelis, Lars Oliver: Politische Parteien unter der Beobachtung des Verfassungsschutzes, Baden-Baden 2000, S. 45.
[28] Borgs-Maciejewski, Hermann: Heidelberg 1988, S. 27.
[29] Besson, Waldemar; Jasper, Gotthard: Bonn 1991, S. 42.
[30] Rudzio, Wolfgang: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, KE 1-3, Studienbrief der Fernuniversität Hagen, Nr. 3205, Hagen 2000, S. 38f..
[31] Ebd.
[32] Backes, Uwe; Jesse, Eckhard: Die streitbare Demokratie in der Krise?, in: Backes, Uwe; Jesse, Eckhard (Hrsg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Jg. 8, Baden-Baden 1996, S. 14ff..
[33] Michaelis, Lars Oliver: Baden-Baden 2000, S. 20.
[34] Ebd.
[35] Ostheimer, Michael: Frankfurt a. Main 1994, S. 22.
[36] Knütter, Hans-Helmuth: Das Konzept der wehrhaften Demokratie, in: Knütter, Hans-Helmuth; Winckler, Stefan (Hrsg.): Der Verfassungsschutz, München 2000, S. 72.
[37] Ostheimer, Michael: Frankfurt a. Main 1994, S. 27.
[38] Jaschke, Hans-Gert: Köln 1990, S. 234.
- Quote paper
- Lars Normann (Author), 2004, Der Verfassungsschutz nach dem 11. September 2001/11. März 2004 in der BRD/NRW, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/46707
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