Vorliegende Arbeit präsentiert eine historisch-kritische Exegese von Mk 10,13-16. Um den vielfältigen Aspekten der Kindersegnungsperikope gerecht zu werden, sollen im Folgenden wissenschaftlich fundierte, objektiv nachprüfbare Methoden zur Untersuchung und Vergewisserung ihres Sinns angewandt werden. Neben diachronen Aspekten möchte ich auch neuere Verfahren der strukturalistischen Betrachtungsweise, der Semantik und der Pragmatik in den synchronen Aspekt der Untersuchung einbeziehen.
Der Aufbau der Exegesearbeit ist an Udo Schnelle orientiert, wobei die Traditionsgeschichte durch den Begriff der Überlieferungsgeschichte ersetzt wird und sich auf die Frage nach der Mündlichkeit des Textes konzentriert. Zum Abschluss sollen die Ergebnisse der einzelnen Methodenschritte vereint werden, um in einem hermeneutischen Verstehensprozess den tieferen Sinn der Perikope zu finden.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Der Text
1. Übersetzung des Textes
2. Textkritik
III. Zur Analyse des Textes
1. Gliederung und Aufbau im Kontext des Markusevangeliums
2. Textanalytische Beobachtungen
3. Literarkritik
4. Formgeschichte
5. Überlieferungsgeschichte
6. Begriffs- und Motivgeschichte
7. Religionsgeschichtliche Aspekte
8. Redaktionsgeschichte
IV. Interpretation des Textes
1. Einzelexegese
2. Historisch-theologische Gesamtinterpretation
V. Abkürzungsverzeichnis
VI. Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Um den vielfältigen Aspekten der Kindersegnungsperikope Mk 10,13-16 gerecht zu werden, sollen im Folgenden wissenschaftlich fundierte, objektiv nachprüfbare Methoden zur Untersuchung und Vergewisserung ihres Sinns angewandt werden. Neben diachronen Aspekten möchte ich auch neuere Verfahren der strukturalistischen Betrachtungsweise, der Semantik und der Pragmatik in den synchronen Aspekt der Untersuchung einbeziehen. Der Aufbau der Exegesearbeit ist an Udo Schnelle (s. Literaturverzeichnis) orientiert, wobei die Traditionsgeschichte durch den Begriff der Überlieferungsgeschichte ersetzt wird und sich auf die Frage nach der Mündlichkeit des Textes konzentriert. Zum Abschluss sollen die Ergebnisse der einzelnen Methodenschritte vereint werden, um in einem hermeneutischen Verstehensprozess den tieferen Sinn der Perikope zu finden.
II. Der Text
1. Übersetzung des Textes
Markus 10, 13 – 16
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2. Textkritik
a) Der Text „âauvtw/n a[yhtaiá“ in Vers 13 ist textkritisch zu behandeln.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
- Gesamtentscheidung:
Die Prüfung der inneren und äußeren Kriterien schließt mit dem Ergebnis, dass L. 1 nach Nestle/Aland27 der ursprüngliche Text ist.
c) Der Text „hvgana,kthsen kai.Þei=pen“ in Vers 14 ist textkritisch zu behandeln.
Lesart 1 (Nestle/Aland27): hvgana,kthsen kai. ei=pen
Lesart 2 (varia lectioT): sieht eine Einfügung vor hvgana,kthsen kai. evpiti,mhsas ei=pen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
- Gesamtentscheidung:
Die inneren und äußeren Kriterien fallen zu Gunsten der L. 1 aus und bezeugen diese als die ursprüngliche.
III. Zur Analyse des Textes
1. Gliederung und Aufbau im Kontext des Markusevangeliums
Die Geschichte von der Kindersegnung steht innerhalb eines Komplexes von Erzählungen, die zwischen der zweiten (Mk 9, 30-32) und dritten (Mk 10, 32-34) Todesankündigung Jesu liegen. Nachdem im ersten Hauptteil[1] (Mk 1,14-8,26) Jesu Wirken vor dem Volk in Galiläa im Vordergrund stand, befindet sich Jesus jetzt im zweiten Hauptteil[2] mit seinen zwölf Jüngern auf dem Weg von Kafarnaum (Mk 9, 33) nach Judäa (Mk 10, 1) in Richtung Jerusalem. Der Erzählkomplex enthält lediglich eine Reihe von Jüngerbelehrungen, die entweder in direkter Weise vonstatten gehen oder in eine Begebenheit im Leben Jesu eingebettet sind. Das Thema im ersten Abschnitt 9, 33-37 behandelt die Frage, welcher der zwölf Jünger der Größte in Jesu Nachfolge sei. Jesus macht sie darauf aufmerksam, dass der Letzte der Erste sein wird, indem er ein Kind (paidi,on) in ihre Mitte holt und es wie bei der Kindersegnung 21 Verse später umarmt. Er erklärt ihnen, dass die Aufnahme und Zuwendung zu einem Kind, dem schwächsten Glied in der sozialen und familiären Hierarchie, der Aufnahme Jesu, ja Gottes gleichkommt. An diese Perikope sind Belehrungen über die Zulassung in den Kreis der Jesusanhänger und über die Ehescheidung angeschlossen. Thematisch steuert das Problem bezüglich dem Umgang mit der Ehe auf den Umgang mit Kindern zu. Den Abschluss dieser Erzählkomposition bilden die Warnung vor Reichtum und das Versprechen auf Lohn für die, die alles aufgegeben haben.
Jesus befindet sich jenseits des Jordans (Mk 10, 1), als er einigen Pharisäern die Fangfrage nach der Ehescheidung mit der Untrennbarkeit dessen, was Gott zusammengefügt hat, beantwortet. Im Haus (Mk 10, 10) wiederholt er das für die Jünger mit den Worten, dass weder ein Mann noch eine Frau sich scheiden lassen dürfen. Thematisch findet das Thema ‘Ehe’ einen deutlichen Abschluss in den Worten Jesu (direkte Rede in Vers 11 f.). Die nächste Perikope mit dem neuen Thema der Kinder wird stilistisch und formal ziemlich unvermittelt eingeführt. Das einleitende kai. bezeichnet nicht unbedingt den Beginn einer neuen Geschichte, da es in dem Erzählkomplex 33-mal vorkommt und innerhalb zusammengehöriger Teile mehrmals auftaucht. Allerdings treten bisher unbekannte Personen mit Kindern auf, die den Beginn eines neuen Handlungsabschnittes markieren. Der Text sagt nichts über den Ort und die Zeit, an denen sich die Szene abspielt. Es wird nicht erwähnt, dass Jesus und seine Jünger das Haus verlassen haben, noch dass die Kinder hineingebracht werden. Unbekannt sind auch diejenigen, die die Kinder bringen. Bekannt hingegen ist der Grund für ihr Kommen, der Wunsch nach der Segnung ihrer Kinder, mit der die Perikope auch abschließt. Auf das Zurückweisen der Jünger folgt die Belehrung durch Jesus in direkter Rede. Die Reaktion der Jünger auf die Belehrung ist ausgeklammert, sodass man nicht erfährt, wie einsichtig sie diese aufnehmen. Allerdings spricht die Schlussszene für sich, die Jünger können nur noch Jesu Wort und Tat folgen. In Vers 17 bezeichnen eine neue Ortsangabe sowie ein Personen- und Themenwechsel den Beginn der nächsten Erzählung auf dem Weg nach Jerusalem.
Die Kinder-Perikope ist sowohl stark in den Mikro- als auch in den Makrokontext des Markusevangeliums eingebunden. Im Mittelpunkt stehen das Verhalten der Jünger in der Nachfolge und der Status derer, die in die neue Welt Gottes gelangen sollen. Im Blick auf das ganze Werk ist ein Fehlverhalten der Jünger mehrmals zu konstatieren. Markus greift dabei in Mk 10, 13-16 auf 9,36f. zurück. Die Jünger hätten die Möglichkeit Jesu Verhalten zu folgen, aber wie in 9, 38, als sie einen im Namen Jesu Heilenden behinderten, versuchen sie auch die Kinder zurückzuhalten und wehren somit Gott selbst und seine neue Gemeinde ab. Das Kind dient zweimal als mahnendes Beispiel für die Jünger, womit „ (…) alle Empfänger der göttlichen Gnade in dasselbe Verhältnis zu ihr gebracht [werden], in dem die Kinder zu ihr stehen.“[3] Stilistisch wird in dem Komplex der Jüngerbelehrungen der narrative Charakter beibehalten. Die Themen Ehe– Kinder – Besitz, die lose aneinandergefügt sind, gehören inhaltlich zusammen und sind an die Außenwelt in konkreten Situationen gebunden (Ausweitung der Belehrung auf das Volk), während die restlichen Jüngerbelehrungen, die die drei Themen der Familie umrahmen, im Zwiegespräch zwischen Jesus und den Jüngern stattfinden, um sie auf solche konkrete Situationen vorzubereiten (vgl. Mk 9,33ff.).
2. Textanalytische Beobachtungen
Das Griechische des Textes weist einen eher gehobenen Stil der volkstümlichen Sprache seiner Zeit auf, weder gibt es Mischformen oder starke Semitismen noch weichen die Tempora von ihrem traditionellen Gebrauch ab. Der Wortschatz des Textes weist folgende Merkmale auf: Das Verb kateuloge,w ist ein Hapaxlegomenon im NT. Wenn das Verb a[πτομαι Jesus zum Agens hat, wird immer eine beruhigende oder heilende Wirkung erzielt vgl. Mk 3,10. Das Verb avganakte,w wird nur an dieser Stelle im NT mit Jesus als dazugehörigem Subjekt verwendet und bezeichnet in besonderem Maße die innere Anteilnahme Jesu an dem Geschehen, was dem Versuch, ihn möglichst mit wenig Affekten beladen darzustellen (vgl. Mt und Lk), entgegensteht. Die Aufforderung mh. kwlu,ete verwendet Jesus gegenüber seinen Jüngern wenige Verse zuvor bei dem heilend wirkenden Mann, den sie ebenfalls nicht in Verbindung mit sich und Jesus bringen wollten. 14-mal verwendet Markus den Ausdruck avmh.n le,gw u`mi/n, wenn Jesus mahnende Worte in Form von eindringlichen, kurzen Sätzen an seine Jünger richtet. Nur zweimal taucht das Verb evnagkali,zomai im NT auf, bereits in Mk 9, 36 hatte Jesus schon einmal Kinder umarmt und damit gezeigt, dass sie in besonderem Maße in seine und Gottes Liebe eingeschlossen sind.
Es dominieren innerhalb der Wortarten mit 25 % die Verben, von denen die Mehrzahl Jesus zum Subjekt haben, was wiederum seine starke Beteiligung am Geschehen ausdrückt. Verknüpfend wirken zweimal kai und de,, daneben treten ebenfalls participia coniuncta auf (Hypotaxe), die die Verflechtung des Geschehens verdeutlichen. Die Jesusworte in der direkten Rede von Vers 14b-15 werden von dem Handlungsgeschehen (13-14a; 16) umrahmt. Die Perikope beginnt mit einem kai, das die Anknüpfung an die vorhergehende Erzählung betont und ein weiteres Geschehen einleitet. In Vers 13 beschreibt das Imperfekt von prosfe,rw den länger andauernden Versuch (Konativ) von mehreren Personen (3.P. Pl. prose,feron), Kinder zu Jesus zu bringen. Jesus wird nicht mit Namen genannt, sondern durch ein Personalpronomen im Dativ auvtw/ aufgenommen. Dies verstärkt die äußerliche Anbindung an die vorhergehende Erzählung, die mit einem Jesuswort endete. Hypotaktisch ist der Satz mit einem durch i[na eingeleiteten Finalsatz verknüpft, der als abhängiger Begehrsatz das Anliegen der Menschen, die die Kinder bringen, benennt. Der Konjunktiv Aorist unterstreicht ihre subjektive Erwartung (prospektive Verwendung). Es folgt ein Kolon (dt.Strichpunkt), nachdem unmittelbar das Eingreifen der Jünger (oi` maqhtai. ohne auvtou/) einsetzt; das adversative de, weist darauf hin, dass sie dem Anliegen der Menschen, und womöglich Jesu Willen selbst zuwiderlaufen. Der Aorist bezeichnet den ingressiven Moment des Eingriffs. In Vers 14 folgt eine adverbiale Partizipialkonstruktion im Aorist, die effektiv aufgelöst Jesu Reaktion auf das Fehlverhalten seiner Jünger vorzeichnet. Die folgenden Verben im Aorist konstatieren die verschärfte Antwort Jesu, er zeigt so deutlich seinen Unmut wie sonst an kaum einer Stelle im NT. Es folgt ein längerer Abschnitt (14b-15), in dem Jesus seine Jünger in direkter Rede anspricht. Die konative Funktion der Sprache steht in der Perikope deutlich im Vordergrund und erfährt hier ihre Entfaltung. Jesus ist beharrlich in der Kommunikation mit seinen Jüngern und versucht ihnen erneut das Neue an seiner Verkündung klarzumachen. Sie sollen lernen, wie sie die Nachfolge antreten müssen und wie sie seine Botschaft nach seinem Tod (vgl. Klammerstellung der Todesankündigungen) weitertragen und -leben können. In einem auf die Situation gemünzten Imperativ (im Aorist) befiehlt er seinen Jüngern in einem vorwurfsvollen Ton, die Kinder zu ihm zu lassen. Zu dem Imperativ a;fete steht der ACI ta. paidi,a e;rcesqai als Akkusativobjekt und nennt somit die Betroffenen der Handlung. Jesus wiederholt seine Forderung an die Jünger in einem asyndetisch angeschlossenen Prohibitiv. Die Alliteration me( mh. sowie die doppelte Aufforderung etwas zu tun und etwas zu lassen veranschaulichen die Eindringlichkeit seiner Belehrung. Der coniunctivus prohibitivus mh. kwlu,ete auvta vermittelt den Jüngern das spezielle Verbot, Kinder aus der Gemeinschaft auszuschließen. Die Erklärung dafür (ga.r) folgt unmittelbar. Mit dem genitivus possessoris spricht er nämlich gerade solchen (toiou,twn), die so beschaffen sind wie alle Kinder, nicht nur die in Israel, sondern auch die darüber hinaus, das Gottesreich als das ihrige zu (vgl. Seligpreisungen). Obwohl damit die Hauptaussagen in der betreffenden Situation schon erwähnt sind, schließt sich noch ein ausdrucksstarker Konditionalsatz an, der durch die Wendung avmh.n le,gw u`mi/n eingeleitet wird. avmh.n ist eine Transkription aus dem Hebräischen und dient als Bekräftigungsformel, die den Auftakt eines wichtigen Jesuswortes bildet. Darauf folgt ein Relativsatz mit konditionalem Nebensinn, der durch den prospektiven Konjunktiv und den Partikel a'n gekennzeichnet ist. Die Form der Bedingung entspricht dem Eventualis im generell-prospektiven Fall. Die Protasis bezeichnet die Bedingung in der Form „wenn du dies oder das tust“ und die Apodosis bezeichnet den Nachsatz, die Folge in der Art „dann wird dies und das geschehen“.
Der Vordersatz o]j a'n mh. de,xhtai th.n basilei,an tou/ qeou/ w`j paidi,on weist eine interessante Doppeldeutigkeit auf. „ Einerseits könnte paidi,on prädikativ zu basilei,an tou/ qeou verstanden werden. Die basilei,a anzunehmen, wäre dann parallel zur Aufnahme eines Kindes. (…) Andererseits könnte sich paidi,on auf o]j beziehen. Um in die basilei,a hineinzukommen, müßte man sich an dem Verhalten eines Kindes orientieren, man müßte ‘werden wie ein Kind’.“[4] Die Unterscheidung beruht auf dem Vergleich mit w`j, der seinen Vergleichspunkt zu dem Kind einmal in der basilei,a und einmal in den Menschen sieht, die in sie eintreten wollen. Die erste Möglichkeit impliziert eine Parallelisierung der basilei,a mit einem Kind. Wer solche Menschen nicht aufnimmt, der nimmt auch nicht die basilei,a auf, und wie in Mk 9,37 auch nicht Jesus und seinen Vater. Die Folge der Ablehnung wäre die eigene Abgrenzung gegenüber der basilei,a Gottes, sowohl auf Erden als auch in Zukunft. Die Jünger sollen sich davor hüten, Maßstäbe für den Einlass in Gottes neue Welt zu setzen. Zum einen steht es ihnen nicht zu und zum anderen ist die Gemeinschaft offen wie in Mk 9, 39 und kennt keine Unterordnung wie in Mk 10, 42.
Die zweite Möglichkeit verdeutlicht, dass gerade schwache Menschen, die nichts vorzuweisen haben, in die basilei,a gelangen, im Gegensatz zu den Reichen, vgl. Mk 10, 17-27. Die Konnotation des Begriffes paidi,on assoziiert den Beginn des Lebens, an dem der Mensch darauf angewiesen ist, sich beschenken zu lassen, ohne dafür etwas erbringen zu können. Hinzu kommt, dass ein Kind mit Freude Geschenke annehmen kann, ohne sie zu hinterfragen. Da den Kindern die basilei,a gehört (14b), kommen nur solche wie sie hinein.
Antithetisch dazu erscheint das Verhalten der Jünger, die nicht wie sie sind, sondern berechnend denken und ihre Position nach außen hin abzusichern versuchen; solche gelangen nicht zur Gottesherrschaft. Die Verneinung ouv mh. verbunden mit dem Konjunktiv im Hauptsatz ist die stärkste Verneinung zukünftigen Geschehens, die die griechische Sprache kennt. Die Wiederaufnahme von eivj nach eivse,lqh| unterstützt diese starke Verneinung zusätzlich. In einem metasprachlichen Akt hat Jesus seinen Jüngern erklärt, was die basilei,a ausmacht und nach welchen Kriterien die Zugehörigkeit zu der Gemeinschaft mit fest umrissener soziologischer Struktur bestimmt wird. Es scheint, als wenn Jesus immer wieder den Jüngern gleich einem Sempuzzle die Merkmale der basilei,a erklären und erweitern muss. Die Rede Jesu endet und es folgt die Umsetzung seiner Worte in die Tat. Die drei Verben evnagkali,zomai, kateuloge,w, ti,qhmi ta.j cei/raj evpV auvta, (Hendiadyoin) zeichnen nicht nur eine einfache Segenshandlung aus, sondern zeigen in einer Tautologie erneut in überschwänglichem Maße die Gefühlsäußerung Jesu gegenüber den Kindern. Die Dichte dieses Satzes mit den zwei Partizipien und dem Verb im Imperfekt stellen Jesus als Vorbild dar, der einem Kind ums andere seine Liebe zu spüren gibt und seine schützenden Hände auf es legt.
Die Kinder-Perikope ist narrativ aufgebaut, dies veranschaulichen die Satzgefüge und der starke Verbalstil in der Rahmenhandlung. Die „Erzählzeit“ ist zu der „erzählten Zeit“ stark gerafft. Es treten drei Haupthandlungsträger in diesem Text auf, die in verschiedene Konstellationen zueinander geraten. Die Menschen, die die Kinder bringen, eröffnen die erste Sequenz. Nach dem Aktantenmodell von Greimas begehren sie als Subjekte aus einem unbekannten Antrieb heraus die Segnung ihrer Kinder (Empfänger der Handlung). Die Jünger erweisen sich als Opponenten dieses Vorhabens. Die nächste Handlungssequenz wird durch den dritten Handlungsträger Jesus angezeigt, der auf das Geschehen aufmerksam wird und eine Wende in der Auseinandersetzung herbeiführt, indem er sich als Adiuvant der Kinderträger erweist. Jesu Antrieb für das Eingreifen (Sender) ist der Wunsch die basilei,a lebendig werden zu lassen. Er begehrt das Verständnis seiner Jünger, die sich erneut als Opponenten erweisen (bereits in Mk 9, 35 ff hat Jesus ihnen das rechte Verhalten Kindern gegenüber vorgelebt, was ihnen die Möglichkeit gegeben hat, diesem Verhalten zu folgen). Der Redeblock als Pointe der Erzählung ist der Versuch, die Jünger und auch den impliziten Leser zu belehren und ihn für die Nachfolge unter dem Kreuz erneut sensibel zu machen. Die letzte Handlungssequenz endet harmonisch, da Subjekt und Objekt der Auseinandersetzung zusammengefunden haben. Man könnte dies als ein „Happy End“ bezeichnen. Auffallend ist, dass die Kinder nie in einer aktiven Rollen erscheinen, sondern getragen werden müssen. Wenn Jesus sie also zum Vergleichsmaßstab für seine Gemeinde ansetzt, kann er wohl kaum ihr Verhalten meinen, da sie ja nur passiv auftreten. Hinter der Vorbildfunktion der Kinder muss also ein anderer Inhalt stecken. Die Kinder stehen für Veränderung, sie erhalten den Segen, sie haben ein Recht auf die Gottesherrschaft. Somit wird die anfängliche Trennung und Zurückstellung der Kinder überwunden und Nähe und Anteil hergestellt. Da die Jünger zweimal als Opponenten auftreten, liegt bei ihnen wohl die Antipathie des Lesers, sie erweisen sich als basilei,a-schädigend und unbelehrbar, wohingegen die Kinder als Leidtragende der Auseinandersetzung die Sympathie des Lesers ernten. Den Auftakt der Perikope bilden Verben des Ärgernisses, die den Konflikt Jünger – Kind – Jesus herausstellen. Am Ende der Perikope ist dieser gelöst und die Distanz überwunden, Verben der Zuneigung und des Segnens stehen im Gegensatz zu dem Konflikt.
Der Text kann weitestgehend als kohärent angesehen werden. Das durchgängige Handlungsmuster und die Belehrung weisen keine Brüche auf und sind in anschaulicher Weise für den Leser an die konkrete Situation angebunden. Allerdings wirkt der prophetisch klingende Satz in Vers 15 etwas aufgesetzt und befremdend für diese Situation. Von der konkreten, situationsbezogenen Anrede an die Jünger wechselt der Stil zu einem allgemeingültigen, prophetischen Rechtsspruch, der thematisch zwar in die Szene passt[5], formal aber einen anderen, bildhaften Stil aufweist. Ohne diesen Vers würde die Perikope inhaltlich und formal ebenfalls stimmig und abgerundet wirken.
[...]
[1] J. Roloff: Einführung in das Neue Testament, Stuttgart 19951, S. 157
[2] Ebd.
[3] A. Schlatter: Markus der Evangelist für die Griechen, Stuttgart 19351, S. 188
[4] M. Hauser: Die Herrschaft Gottes im Markusevangelium, Frankfurt am Main 19987,S.72
[5] Der Ausdruck toiou,twn bereitet Vers 15 vor. Die logische Folge der Aussage, dass nur solche, die wie Kinder sind, ins Himmelreich kommen, ist, dass alle so werden müssen wie Kinder.
- Quote paper
- Anita Glunz (Author), 2002, Eine historisch-kritische Exegese von Markus 10, 13-16: Jesus segnet die Kinder, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/46613
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