Diese Arbeit über Leonardo da Vinci, dem italienischen Künstler, Erfinder und Wissenschaftler des 15. Jahrhunderts, beschäftigt sich mit der Fragestellung „War Leonardo ein Hofkünstler?“. Sie basiert auf Martin Warnkes Buch „Hofkünstler“ und seiner These, dass sich das Bewusstsein von der unverwechselbaren Eigenheit des künstlerischen Genies und von der höheren Bestimmung der Künste, wie sie bis heute lebendig sind, als erstes an den Renaissancehöfen gezeigt habe. Sein Buch stellt eine Gegenthese zu folgender von ihm illustrierter historischer Beurteilung höfischer Kunstorganisation dar: Die Redner der Französischen Revolution werteten alle Errungenschaften des modernen Künstlers als die der städtischen bürgerlichen Kultur und urteilten über fünf Jahrhunderte höfischer Kunstorganisation als Zeit despotischer Unterdrückung, in welcher sich die Kunst an den Herrscher prostituiert hätte. Die Bemühungen des Fürsten um den Künstler stellen in ihren Augen nur eine Manipulation des künstlerischen Talents und eine Behinderung des Freiheitsstrebens dar. Warnke rückt dieses einseitige Bild zurecht, indem er zahlreiche geschichtliche Belege dafür anführt, dass die Tätigkeit des Künstlers an den Höfen des Quattrocento und später, zum ersten Mal als eine außergewöhnliche, geistige und förderungswürdige definiert wurde. Die Künstlerpersönlichkeit entrückte durch zahlreiche neue Privilegien und Ruhmesbekundungen mit der Zeit in eine fast fürstliche Sphäre.
Dies geschah zu einer Zeit, in der Künstler in den Städten, so auch in Florenz, der Stadt in der Leonardo da Vinci einen Großteil seines Lebens verbrachte, als einfache Handwerker galten und in Zünften organisiert waren. Dem italienischen Künstler des 15. Jahrhunderts fehlte das Bewusstsein des „schöpferischen Individuums“ und eine Künstlerwerkstatt war damals nicht mehr als ein Handelsunternehmen, welches zur Sicherung der Existenz funktionieren musste und alle Aufträge von einfachen Verzierungen, über Goldschmiede- und Tischlerarbeiten bis hin zu anspruchsvollen Gemälden, Skulpturen und architektonischen Arbeiten annahm.1
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Der ruhmreiche Tod in den Armen des Königs
3 Leonardo - der uneheliche Sohn
4 Leonardos Zeit in Florenz – Lehrzeit und geistige Einflüsse
5 Von Hof zu Hof
5.1 Emanzipationsbemühungen eines „uomo senza lettre“
5.2 Die Freiheiten eines Hofkünstlers als Ausnahmepersönlichkeit
5.3 Das Ringen um die Gunst der Mächtigen und die Wertschätzung des Fürsten
6 Schlussbemerkungen
1 Einleitung
Diese Arbeit über Leonardo da Vinci, dem italienischen Künstler, Erfinder und Wissenschaftler des 15. Jahrhunderts, beschäftigt sich mit der Fragestellung „War Leonardo ein Hofkünstler?“. Sie basiert auf Martin Warnkes Buch „Hofkünstler“ und seiner These, dass sich das Bewusstsein von der unverwechselbaren Eigenheit des künstlerischen Genies und von der höheren Bestimmung der Künste, wie sie bis heute lebendig sind, als erstes an den Renaissancehöfen gezeigt habe. Sein Buch stellt eine Gegenthese zu folgender von ihm illustrierter historischer Beurteilung höfischer Kunstorganisation dar: Die Redner der Französischen Revolution werteten alle Errungenschaften des modernen Künstlers als die der städtischen bürgerlichen Kultur und urteilten über fünf Jahrhunderte höfischer Kunstorganisation als Zeit despotischer Unterdrückung, in welcher sich die Kunst an den Herrscher prostituiert hätte. Die Bemühungen des Fürsten um den Künstler stellen in ihren Augen nur eine Manipulation des künstlerischen Talents und eine Behinderung des Freiheitsstrebens dar. Warnke rückt dieses einseitige Bild zurecht, indem er zahlreiche geschichtliche Belege dafür anführt, dass die Tätigkeit des Künstlers an den Höfen des Quattrocento und später, zum ersten Mal als eine außergewöhnliche, geistige und förderungswürdige definiert wurde. Die Künstlerpersönlichkeit entrückte durch zahlreiche neue Privilegien und Ruhmesbekundungen mit der Zeit in eine fast fürstliche Sphäre. Dies geschah zu einer Zeit, in der Künstler in den Städten, so auch in Florenz, der Stadt in der Leonardo da Vinci einen Großteil seines Lebens verbrachte, als einfache Handwerker galten und in Zünften organisiert waren. Dem italienischen Künstler des 15. Jahrhunderts fehlte das Bewusstsein des „schöpferischen Individuums“ und eine Künstlerwerkstatt war damals nicht mehr als ein Handelsunternehmen, welches zur Sicherung der Existenz funktionieren musste und alle Aufträge von einfachen Verzierungen, über Goldschmiede- und Tischlerarbeiten bis hin zu anspruchsvollen Gemälden, Skulpturen und architektonischen Arbeiten annahm.[1] Martin Warnke verschweigt nicht die Problematik jenes Dienstverhältnisses zwischen Künstler und Auftraggeber, eine Tatsache, deren sich die Künstler bewusst gewesen wären: Als Teil der Dienerschaft waren sie auch „Teil des königlichen Körpers“, wobei das Dienstverhältnis offiziell erst nach dem Tode des Fürsten erlosch. Der Künstler musste sich immer wieder durch seine künstlerischen Tugendleistungen die Gunst seines Herren erarbeiten bzw. sichern und sich so dessen Vorstellungen anpassen. Jedoch mit wachsendem Ruhm, innerhalb und außerhalb des Hofes, konnte er sich mehr und mehr Freiheiten erlauben.
Man setzte ihm weniger bzw. keine Fristen für die Abgabe seiner Werke oder verzieh ihm Säumnisse. Seine Existenz wurde durch seinen guten Ruf gesichert. So wurden ihm gewöhnlich Wohnung und Arbeitsraum, sowie Kost und Kleidung vom Fürsten gestellt. Im besten Falle erhielt er zahlreiche Schenkungen und eine lebenslange Provision von seinem Gönner. Wenn man Warnkes Darstellungen der Privilegien, die ein Künstler am Hofe erhalten konnte, in einem Idealtyp zusammenfasst, erhält man das Bild von einem regelrechten Künstlerfürsten. Dieser Idealtyp eines Hofkünstlers bildete sich erst während des Quattrocento heraus und ist erst im 16. Jahrhundert an den Höfen zu finden. Anhand von Leonardo da Vincis Lebensweg, welcher am Hofe Franz I. im Jahre 1519 sein Ende nahm, soll untersucht werden, wie der Künstler zu solchem Ruhm gelangte und inwieweit Warnkes Beschreibungen für ihn zutreffend sind. Anhand der Lebensbeschreibung Vasaris aus dem 16. Jahrhundert und aktuellerer Sekundärliteratur, wobei ich mich hauptsächlich auf die Biografie von Serge Bramly stütze, versuche ich Leonardos Werdegang, im Hinblick auf die Frage, ob er ein Hofkünstler war, zu rekonstruieren.
2 Der ruhmreiche Tod in den Armen des Königs
Liest man Leonardo da Vincis Biografie rückwärts und beginnt mit seinem Tod am 2. Mai 1519 auf dem Herrensitz von Cloux bei Amboise in Frankreich, gewinnt man den Eindruck von einem wahrhaft idealen und ruhmreichen Hofkünstler, auf den Warnkes Beschreibungen mehr als zutreffend sind. In Franz I. schien Leonardo am Ende seines Lebens einen Gönner gefunden zu haben, dessen Gunst er sich sicher sein konnte. Denn trotz seines hohen Alters, seiner Krankheit und teilweisen Arbeitsunfähigkeit, schätzte er die Anwesenheit und Unterhaltung seines „ersten Malers und Ingenieurs und Architekten“ über alle Maßen. Cellini, der später Künstler am Hofe von Franz I. war, habe ihn zwanzig Jahre nach Leonardos Tod sagen hören, „er glaubte, daß kein anderer Mensch geboren wäre, der soviel wie Leonardo wüßte, in der Bildhauerei und Malerei wie in der Architektur, so daß er ein großer Philosoph war“[2]. Sein letzter Gönner hatte Leonardo um 1516 aufgrund seines Rufes an seinen Hof gebeten und ihn mit seinem Gefolge im besagten Herrensitz von Cloux zu Füßen seines Schlosses von Amboise untergebracht. Dieser Herrensitz, den Leonardo fast drei Jahre bewohnte, erfüllte alle Bedingungen eines idealen Künstlerhauses, wie es Warnke beschreibt.[3]
Dieses anscheinend recht prächtige Haus verfügte über ein Erdgeschoss, ein Stockwerk und ein Dachgeschoss und war von Gärten, einem Weinberg und einem Wasserlauf umgeben. Es war ein repräsentatives „Indiz“ für Leonardos höfische Wertschätzung, in dem er außerhalb des Palastes genug Muße zum arbeiten fand. Außerdem wurde eine Haushälterin und Köchin eingestellt, damit auch für das leibliche Wohl bzw. für den „freien Tisch“[4] des Schützlings gesorgt war.[5] Wie schon angedeutet, schätzte Franz I. die Unterhaltung und Gesellschaft Leonardos sehr. So war es ihm auch jederzeit möglich, ihn unbemerkt, durch einen unterirdischen Gang, welcher seinen Wohnsitz mit dem seines Künstlers verband, zu besuchen. Dies tat er nach Cellini ziemlich häufig, denn er fand angeblich großen Gefallen daran, ihn konversieren zu hören.[6] Auch hier finden sich Warnkes Beschreibungen wieder; die üblichen Besuche des Fürsten in der Künstlerwerkstatt, welche auf persönlichen Beziehungen beruhten und ihn für einen Augenblick von den Zwängen der Etikette und Geschäfte befreiten.[7] Die Besoldung Leonardos zu jener Zeit war ebenso großzügig, wie alle seine anderen Privilegien. Er wurde in Gold ausgezahlt und bekam jährlich eine Rente von tausend „Sonnentalern“, sowie ein Gehalt für seine Diener und Gehilfen.[8] In Vasaris Lebensbeschreibung ist über Leonardos glanzvolles Ende folgendes zu lesen:
„Der König, welcher ihn oft liebevoll besuchte, kam bald nachher zu ihm. Lionardo richtete sich ehrfurchtsvoll empor, um im Bette zu sitzen [...] der König erhob sich und hielt ihm das Haupt, um ihm eine Hülfe und Gunst zu Erleichterung seines Uebels zu erweisen; da erkannte Lionardo’s göttlicher Geist, es könne ihm größere Ehre nicht widerfahren und er verschied in den Armen des Königs im fünfundsiebzigsten Jahre seines Lebens.“[9]
Vasaris Beschreibungen, so scheint es, enthalten oft viele Ausschmückungen; dennoch sind sie wichtige Berichte eines Zeitzeugen. In diesem Falle kann man, trotz falscher Altersangabe, denn Leonardo starb mit siebenundsechzig, und eventueller Übertreibungen, auf eine sehr
große gegenseitige Hochachtung sowie Intimität zwischen Leonardo und Franz I. schließen. Leonardos Tod in den Armen des Königs wird jedoch von vielen Biografen bezweifelt, da eine im Namen des Königs unterzeichnete Urkunde vom 3. Mai 1519 aus Saint-German-en-Laye, ein Ort, der zwei Tagesreisen mit dem Pferd von Amboise entfernt lag, existiert. Die Anwesenheit Franz I. zum Todeszeitpunkt des Künstlers, so Bramly, sei aber nicht völlig ausgeschlossen, da der König nicht persönlich unterzeichnet habe.[10] Ob diese Geschichte wahr ist oder nicht, sie ist zur Legende geworden und ist ein schönes Bild für die Hochachtung, die Leonardo, seitens des Hofes und seiner Zeitgenossen, am Ende seines Lebens genoss. Diese fast idealtypischen letzen Jahre des Höflings Leonardo in Frankreich stehen im drastischen Gegensatz zu seinen eher problematischen Anfängen.
3 Leonardo - der uneheliche Sohn
Die Familie da Vinci, traditionell brachte sie Rechtsgelehrte und Priester hervor, lebte 1452 in einem Dorf namens Vinci, in dem Leonardo am 15. April als unehelicher Sohn seines Vaters Ser Piero und eines Bauernmädchens namens Caterina zur Welt kam. Unehelich geborene Kinder hatten damals sofort die Position eines gesellschaftlichen Außenseiters inne und wurden nach Renzo Cianchi auch „den Totengräbern, Priestern und Kriminellen gleichgestellt, auch nachdem diese für ihre Taten gebüßt hatten“[11]. Bürgerliche Kinder hatten es besonders schwer mit diesem „Makel“ zu leben. Ihnen blieben die wirklich bedeutenden Karrieren verwehrt, wohingegen sich der einflussreiche Adel darüber hinwegsetzen konnte. Leonardos ehrgeiziger Vater, der sich zu jener Zeit in Florenz als Notar einen Namen machte, kümmerte sich nicht darum, dass sein „illegitimer“ Sohn, so wie es für den Sohn eines Juristen üblich war, in seine beruflichen Fußstapfen tritt. Ser Piero, welcher bald nach Leonardos Geburt eine Florentinerin aus gutem Hause heiratete, schickte ihn um 1465/66[12], spätestens 1469 nach Florenz, als die Familie da Vinci dorthin übersiedelte, in die Lehre bei Andrea del Verrocchio. Nach Vasari erkannte der Vater schon früh Leonardos besondere zeichnerische Begabung. Er habe eines Tages mehrere Zeichnungen von Leonardo zu „seinem Freunde Andrea del Verrocchio“
gebracht, welcher sehr erstaunt war „über die außerordentlichen Anfänge des Knaben“ und Ser Piero ermuntert hätte, ihn in seine Werksatt zu schicken.[13] Ob Ser Piero wirklich mit dem Künstler Verrocchio befreundet war oder ob er nur juristische Beziehungen zu ihm pflegte, lässt sich spekulieren. Jedoch nahm er seine Vaterpflichten war und sorgte sich um Leonardos Ausbildung, da ihm durch seine uneheliche Geburt von vorn herein etliche Türen verschlossen blieben. Ihm war es verwehrt eine Universität zu besuchen, noch in die höheren Zünfte von Florenz aufgenommen zu werden, zu denen auch die Gilde der Richter und Notare zählte. Nur die niederen Ränge standen ihm offen, zu denen die einfachen Handwerke wie Schlosser, Bäcker oder Gerber gehörten. Eine Alternative, so Bramly, war es, einen ausgefallenen Weg zu gehen, d.h. Soldat oder Künstler zu werden. So erlernte Leonardo den Beruf des Künstler, des Malers und Bildhauers, den fast nur Söhne der niederen Ränge und kaum Bürgerliche ergriffen.[14]
4 Leonardos Zeit in Florenz - Lehrzeit und geistige Einflüsse
Leonardos Lehre bei Verrocchio erfolgte nach den Prinzipien der Ausbildung eines Handwerkers. Noch galt die Kunst nicht als Ziel oder als Zweck an sich, sondern war ein Beruf wie jeder andere, welcher den Lebensunterhalt sichern musste. Die Ausbildung begann mit den niedersten Aufgaben, wie den Boden fegen oder die Pinsel reinigen, und bestand vor allem aus der Nachahmung der Technik des Meisters und dem Befolgen der traditionellen Regeln. Nach Bramly begann erst die nachfolgende Künstlergeneration sich gegen dieses System zu aufzulehnen. Michelangelo ordnete sich von Anbeginn keiner Autorität mehr unter.[15] „Das Erkennen der Künste“, schrieb Leon Battista Alberti, „geschieht durch die Vernunft, durch die Methode; und Meister wird man durch das Üben.“[16] Er beschreibt damit eine geläufige Einschätzung künstlerischer Tätigkeit der damaligen Zeit. Abgesehen vom eher konventionellen Ausbildungsweg, den Leonardo ging, lebte und arbeitete er im Florenz der Medici, das, geprägt vom Mäzenatentum dieser Familie, zahlreiche Künstler und Gelernte anzog. Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre des
[...]
[1] Vgl. Bramly, 87f.
[2] Clark, 165.
[3] Vgl. Warnke, 162.
[4] Vgl. Warnke, 166.
[5] Vgl. Bramly, 459.
[6] Vgl. Bramly, 459.
[7] Vgl. Warnke, 294ff.
[8] Vgl. Bramly, 459.
[9] Vasari, 42.
[10] Vgl. Bramly, 467f.
[11] Bramly, 50.
[12] Vgl. Bramly, 78.
[13] Vgl. Vasari, 6.
[14] Vgl. Bramly, 53f.
[15] Vgl. Bramly, 88, 91 u. 101.
[16] Alberti „De Statua” zitiert nach Bramly, 101.
- Quote paper
- Anne Nennstiel (Author), 2003, War Leonardo da Vinci ein Hofkünstler?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/46516
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