2004 jährt sich der Ausbruch des Ersten Weltkrieges zum 90. Mal. Dieser Krieg führte zu immensen Veränderungen der weltpolitischen Lage: Zwei Großreiche brachen völlig zusammen (das Osmanische Reich und Österreich-Ungarn), das russische Zarenreich wurde nach der Oktoberrevolution 1917 zum ersten sozialistischen Staat der Erde, das Deutsche Kaiserreich verlor den Krieg und bekam eine demokratische Verfassung und die USA traten zum ersten Mal deutlich auf der weltpolitischen Bühne als (kommende) Großmacht auf. Der Erste Weltkrieg endete für Deutschland mit dem Versailler Vertrag, den viele als zu hart und unfair empfanden. Die daraus resultierenden revisionistischen Tendenzen, die schlechte wirtschaftliche Lage (zum Teil Folge des Krieges, bzw. der Reparationszahlungen) und das unruhige politische Klima der Weimarer Republik begünstigten eine Radikalisierung der Gesellschaft, die die Nationalsozialisten für sich auszunutzen wussten. Diese sollten die Welt dann in den nächsten großen Krieg zerren. Kein Wunder also, dass der Erste Weltkrieg Historiker und Laien seit jeher beschäftigt hat und seine Vorgeschichte und Ursachen zu den am besten erforschten Gebieten der Geschichtswissenschaft gehört. Das verdanken wir auch der guten Quellenlage.
Besonders bewegt geführt wurde die Debatte über die Kriegsschuldfrage, in den 60ern angefacht durch die Thesen des Historikers Fritz Fischer. Aber hier soll versucht werden, einen nüchternen, nicht nur das Deutsche Reich fokussierenden Blick auf die Ursachen des Ersten Weltkrieges zu werfen, ohne noch mal die alten ideologischen Schützengräben auszuheben.
Dabei verfolgt diese Arbeit zwei Stränge: In Kapitel II wird auf langfristigen Ursachen des Weltkrieges einzugehen sein. Es möchte die Fragen beantworten, wie es zu jener Bündniskonstellation kam, die den Krieg führte, und warum die Großmächte sich als Rivalen begriffen. Im darauf folgenden Kapitel wird der Ablauf der Julikrise beschrieben, die den Krieg letztendlich entfesselte. Außerdem soll die Frage der Kriegsschuld eine sachliche, die neueste Forschung berücksichtigende Beantwortung erfahren.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Europa zur Zeit des Imperialismus
1. Die Entwicklung der Bündnissysteme
2. Konfliktpotentiale
a) Kolonialpolitik
b) Internationale Krisen
c) Die deutsch-englischen Beziehungen und Wettrüsten
3. Politische Ideen und Mentalität
III. Die Julikrise – Weg in den Krieg
IV. Die Frage nach der Schuld
V. Schlussbemerkung
VI. Literaturverzeichnis
I. Einleitung
2004 jährt sich der Ausbruch des Ersten Weltkrieges zum 90. Mal. Dieser Krieg führte zu immensen Veränderungen der weltpolitischen Lage: Zwei Großreiche brachen völlig zusammen (das Osmanische Reich und Österreich-Ungarn), das russische Zarenreich wurde nach der Oktoberrevolution 1917 zum ersten sozialistischen Staat der Erde, das Deutsche Kaiserreich verlor den Krieg und bekam eine demokratische Verfassung und die USA traten zum ersten Mal deutlich auf der weltpolitischen Bühne als (kommende) Großmacht auf. Der Erste Weltkrieg endete für Deutschland mit dem Versailler Vertrag, den viele als zu hart und unfair empfanden. Die daraus resultierenden revisionistischen Tendenzen, die schlechte wirtschaftliche Lage (zum Teil Folge des Krieges, bzw. der Reparationszahlungen) und das unruhige politische Klima der Weimarer Republik begünstigten eine Radikalisierung der Gesellschaft, die die Nationalsozialisten für sich auszunutzen wussten. Diese sollten die Welt dann in den nächsten großen Krieg zerren.
Kein Wunder also, dass der Erste Weltkrieg Historiker und Laien seit jeher beschäftigt hat und seine Vorgeschichte und Ursachen zu den am besten erforschten Gebieten der Geschichtswissenschaft gehört[1]. Das verdanken wir auch der guten Quellenlage.
Besonders bewegt geführt wurde die Debatte über die Kriegsschuldfrage, in den 60ern angefacht durch die Thesen des Historikers Fritz Fischer[2]. Aber hier soll versucht werden, einen nüchternen, nicht nur das Deutsche Reich fokussierenden Blick auf die Ursachen des Ersten Weltkrieges zu werfen, ohne noch mal die alten ideologischen Schützengräben auszuheben.
Dabei verfolgt diese Arbeit zwei Stränge: In Kapitel II wird auf langfristigen Ursachen des Weltkrieges einzugehen sein. Es möchte die Fragen beantworten, wie es zu jener Bündniskonstellation kam, die den Krieg führte, und warum die Großmächte sich als Rivalen begriffen. Im darauf folgenden Kapitel wird der Ablauf der Julikrise beschrieben, die den Krieg letztendlich entfesselte. Außerdem soll die Frage der Kriegsschuld eine sachliche, die neueste Forschung berücksichtigende Beantwortung erfahren.
II. Europa zur Zeit des Imperialismus
1. Die Entwicklung der Bündnissysteme
Bismarcks Bündnisstrategie folgte einer einfachen Logik: Wenn man unter fünf europäischen Großmächten in der Mehrheit sein will, muss man sich mit zwei anderen verbünden. Als potentielle Partner wurden Österreich-Ungarn und Russland angesehen, da alle drei Staaten die monarchische Herrschaftsform verband. Aber nur Österreich-Ungarn konnte, in Form des sog. Zweibundes 1879, fest an das Deutsche Reich gebunden werden. Zwar holte man mit dem Dreibund 1882 noch das (machtpolitisch gesehen) kleine Italien ins Boot, aber dieses sah seine Zukunft spätestens ab 1902 eher auf der Seite Frankreichs und Englands, da eine Verständigung mit diesen Großmächten für die kolonialen Bestrebungen Italiens im Mittelmeer nötig erschien. Außerdem meldete Italien auch territoriale Ansprüche auf österreichischem Gebiet an. Daher bestand der Dreibund nur noch formal und Italien wechselte allmählich (im Ersten Weltkrieg dann ja tatsächlich) die Seiten[3]. Die Entfremdung des Zarenreiches von Deutschland schritt in mehreren Stufen voran: Die Einführung deutscher Schutzzölle 1879 und deren spätere Erhöhung trafen den russischen Getreideexport empfindlich[4] und das Lombardverbot russischer Werte 1887, eine finanzpolitische und eher geringfügige Maßnahme, war dann „der letzte Tropfen, der das Fass deutsch-russischer Misshelligkeiten zum Überlaufen brachte“[5]. Russlands Loslösung vom Dreibund konnte 1887 durch den geheimen Rückversicherungsvertrag mit Deutschland nur noch verzögert werden. Dieser Vertrag verstieß aber gegen die Bestimmungen des Zweibundes[6] und wurde 1890 vom neuen Reichskanzler Caprivi nicht mehr verlängert.
Dies machte den Weg frei für eine russisch-französische Annäherung. Obwohl beide Mächte keine direkten gemeinsamen Interessen hatten[7], schlossen sie 1894 ein Verteidigungsbündnis gegen den Zweibund/Dreibund von 1879/82. Dies beendete die Isolierung Frankreichs im europäischen System und machte den Zweifrontenkrieg gegen das Deutsche Reich zu einer realen Gefahr, die Bismarck ja stets zu verhindern versucht hatte. Waren die Verhältnisse auf dem Kontinent nun geklärt, so wurde es umso wichtiger, wie sich England in einem Krieg verhalten würde.
Nachdem Großbritannien mit dem Deutschen Reich in informelle[8] Bündnis- gespräche getreten war, Deutschland aber beides Mal abgelehnt hatte (1898 und 1901), konnte sich England nach jahrelangen Zwistigkeiten mit Frankreich über bestimmte koloniale Angelegenheiten einigen. Mit diesem Ausgleich über weltpolitische Interessen (Großbritannien ließ Frankreich freie Hand in Marokko – Frankreich anerkannte die Besatzung Ägyptens durch Großbritannien) entstand die sog. Entente Cordiale, welche aber nicht den Charakter eines formellen Bündnisses hatte, sondern mehr eine lockere Übereinkunft war, die beide Staaten einander näher brachte – ganz in der alten englischen Tradition der Bündnislosigkeit[9]. Die Verständigung Groß-britanniens mit Russland 1907 folgte den gleichen Regeln: Es war ebenfalls kein regelrechtes Bündnis und bezog sich auf die Klärung von kolonialen Fragen in Tibet, Afghanistan und Persien.
Man kann aber noch nicht von einem Bündnisblock England-Frankreich-Russland sprechen. Frankreich und Russland verband eine Allianz, aber England war keinen der beiden Parteien zur Hilfe im Kriegsfall o. ä. verpflichtet. Diese Bündnisse festigten sich erst im Laufe der internationalen Krisen von 1912/13[10]. Danach hatte sich in Europa ein festgefahrenes, antagonistisches Blocksystem gebildet: der Zweibund auf der einen, die französisch-russische Allianz zusammen mit England auf der anderen[11].
Aber wie kam es überhaupt soweit? Wie konnte sich das ehemals halbwegs harmonische Konzert der Mächte in zwei feindliche Lager spalten? Warum standen sich die Großmächte in so starker Rivalität gegenüber?
2. Konfliktpotentiale
a) Kolonialpolitik
Schon unter Bismarck, und erst recht nach ihm, begann Deutschland sich imperialistisch zu betätigen. Das Deutsche Reich und andere Großmächte stießen in die sog. Macht-vakuen Afrika und Asien, dort v. a. nach China, vor[12]. Fortan kreuzten sich die Interessen der europäischen Staaten praktisch auf der ganzen Welt. Auch andere Mächte vertraten ihre Anliegen im Wettlauf um Kolonien, so z. B. das Osmanische Reich, Japan, die USA und kleinere europäische Länder. Für das Deutsche Reich ergab sich in mancherlei Hinsicht eine besondere Situation. Erst 1871 gegründet war das Deutsche Reich eine noch junge Großmacht, aber auf dem Kontinent sofort übermächtig[13], z. B. durch seine leistungsfähige Industrie und sein starkes Heer. Um dem Misstrauen der anderen Großmächte keine weitere Nahrung zu geben, übte sich das Reich unter Bismarck in Selbstbeschränkung und verzichtete auf Expansion. Diese Saturiertheit war vor den Zeitgenossen aber nicht länger zu rechtfertigen, da sie ihnen nutzlos und gefährlich erschien[14]. Und so begann auch Deutschland sich kolonial zu engagieren. Das Problem, dass sich aus Deutschlands später Gründung ergab, war, dass es überall auf der Welt auf die schon etablierten Kolonialmächte traf und sich somit, unter Ausnutzung günstiger außenpolitischer Situationen[15], mit kleinen, unzusammenhän- genden ‚Flecken’ zufrieden geben musste, z. B. Togo, Kiautschou und die Marshall-Inseln. Also mischte das Deutsche Reich Anfang des 20. Jahrhunderts auch auf globaler Ebene immer stärker mit.
[...]
[1] Gregor Schöllgen, Das Zeitalter des Imperialismus (Oldenbourg Grundriss der Geschichte 15), 2. Aufl., München 1991, S. 91.
[2] Gregor Schöllgen, Griff nach der Weltmacht? 25 Jahre Fischer-Kontroverse, in: HJb 106 (1986), S. 386-406, hier S. 386.
[3] Winfried Baumgart, Deutschland im Zeitalter des Imperialismus 1890-1914. Grundkräfte, Thesen und Strukturen, 5. Aufl., Frankfurt/M. u. a. 1986, S. 100-102.
[4] G. Schöllgen, Das Zeitalter des Imperialismus, S. 59.
[5] Imanuel Geiss, Der lange Weg in die Katastrophe. Die Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs 1815-1914, München 1990, S. 180.
[6] Ebd. S. 178.
[7] W. Baumgart, Deutschland im Zeitalter des Imperialismus, S. 89.
[8] Ebd., S.99.
[9] I. Geiss, Der lange Weg in die Katastrophe, S. 224.
[10] W. Baumgart, Deutschland im Zeitalter des Imperialismus, S. 103 f.
[11] Klaus Hildebrand, Julikrise 1914: Das europäische Sicherheitsdilemma. Betrachtungen über den Ausbruch des Ersten Weltkrieges, in: GWU 36 (1985), S. 469-496, hier S. 475 f.
[12] I. Geiss, Der lange Weg in die Katastrophe, S. 193-96.
[13] Ebd. S. 143.
[14] K. Hildebrand, Das europäische Sicherheitsdilemma, S. 473.
[15] W. Baumgart, Deutschland im Zeitalter des Imperialismus, S. 65 f.
- Arbeit zitieren
- Florian Burkhardt (Autor:in), 2004, Die angestaute Katastrophe. Wie es zum ersten Weltkrieg kam, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/46349
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