Das nachfolgende Essay befasst sich mit dem Eisenbahnbau als machtpolitisches Mittel der herrschenden Kolonialmächte am Beispiel Deutsch-Südwestafrikas.
"Kolonisieren heißt transportieren", diese Worte des belgischen Monarchen Leopold II. zeigen, welch hohe Bedeutung er der Verkehrsinfrastrukturen im Kolonialismus zuschrieb. Aber warum genau erachteten die Akteure des Kolonialismus sie als wichtig, welchen Zweck sahen sie in ihnen?
Dirk van Laak hat das große Ausmaß von Machtwirkungen, die Infrastrukturen hervorbringen, dargelegt und gezeigt, wie wichtig sie für Aufbau und Erhalt von Herrschaft sind Damit scheint eine passende Antwort gefunden zu sein, zumal Macht und Kolonialismus kaum voneinander zu trennen sind.
Aber inwiefern waren sich die Kolonisierenden der Bedeutung von Verkehrsinfrastrukturen für die Etablierung des eigenen Einflusses in den beanspruchten Gebieten tatsächlich bewusst? War die Durchsetzung von Machtinteressen die vorherrschende oder sogar alleinige Motivation für aufwändige Streckenbauprojekte in den besetzten Gebieten? Diese Fragen versucht das vorliegende Essay zu beantworten.
Der Eisenbahnbau als koloniales Mittel zur Machtetablierung. Die Perspektive derHerrschenden am Beispiel Deutsch-Südwestafrikas
„Kolonisieren heißt transportieren“ - diese Worte des belgischen Monarchen Leopold II. zeigen, welch hohe Bedeutung er Verkehrsinfrastrukturen im Kolonialismus zuschrieb. Aber warum genau erachteten die Akteure des Kolonialismus im 19. und 20. Jahrhundert sie als wichtig, welchen Zweck sahen sie in ihnen? Dirk van Laak hat das große Ausmaß von Machtwirkungen, die Infrastrukturen hervorbringen, dargelegt und gezeigt, wie wichtig sie für Aufbau und Erhalt von Herrschaft sind (van Laak, Dirk: Infrastrukturen und Macht, in: Umwelt und Herrschaft in der Geschichte. Environnement et pouvoir: une approche historique, hg. v. Duceppe-Lamarre, François u. Engels, Jens Ivo, München 2008, S. 106-114). Damit scheint eine passende Antwort gefunden zu sein, zumal Macht und Kolonialismus kaum voneinander zu trennen sind. Aber inwiefern waren sich die Kolonisierenden der Bedeutung von Verkehrsinfrastrukturen für die Etablierung des eigenen Einflusses in den beanspruchten Gebieten tatsächlich bewusst? War die Durchsetzung von Machtinteressen die vorherrschende oder sogar alleinige Motivation für aufwändige Streckenbauprojekte in den besetzten Gebieten?
Ein Untersuchungsgegenstand, der sich bei dieser Fragestellung anbietet, ist der Eisenbahnbau in Deutsch-Südwestafrika: Hier sind im Laufe der deutschen Kolonialherrschaft vier größere Verbindungen entstanden, deren Baugründe in einer Schrift Franz Baltzers, eines Oberbaurats des Reichskolonialamtes, zu erfahren sind. (Baltzer, Franz: Die Kolonialbahnen mit besonderer Berücksichtigung Afrikas, Berlin [u. a.] 1916). Im Folgenden werden die Hintergründe der Errichtung der einzelnen Bahnstrecken geschildert, um anhand dieser abzuwägen, ob die Machtetablierung in der Region tatsächlich die vordergründige Motivation war. Hierzu bietet sich eine chronologische Vorgehensweise an, weil sich die Voraussetzungen in der Kolonie während der deutschen Herrschaft veränderten und die Vorgänge teilweise aufeinander aufbauen.
Die erste Eisenbahnlinie, die in der seit 1884 zum Deutschen Reich gehörenden Kolonie Deutsch-Südwestafrika gebaut wurde, entstand ab 1897 zwischen der Küstensiedlung Swakopmund und dem Verwaltungssitz Windhuk. Anlass dazu war, dass die bereits bestehende Verkehrsverbindung, die durch Ochsenwagen bewerkstelligt wurde, durch eine Rinderpest geschwächt wurde und ihr Kollaps drohte (Kaulich, Udo: Die Geschichte der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika. Eine Gesamtdarstellung, Berlin u. a. 2001, S. 441). War die Aufrechterhaltung der Verbindung aber für den Erhalt der Herrschaft im Landesinneren wichtig oder ging es lediglich darum, wirtschaftlichen Nachteile abzuwenden? Ein Blick auf die Umstände des Baus hilft weiter: Das Material für die Strecke kam von der dortigen Heeresverwaltung, was zur Folge hatte, dass sie eine Spurbreite von 600 Millimeter hatte, was zwar für militärische Zwecke geeignet, für Güterverkehr aber von Nachteil ist (Baltzer: Kolonialbahnen S. 80). Das ließe den Schluss zu, dass von vornherein die primäre Absicht bestand, die militärische Präsenz im Landesinneren zu stärken. Dennoch greift diese Interpretation zu kurz: Tatsächlich war die Regierung selbst unzufrieden mit dem militärischen Charakter der Bahn, begriff ihn aber als Notwendigkeit, weil nur mit ihm dem Zeitdruck, den die Rinderseuche und die drohende Versorgungsunterbrechung machten, beizukommen war: die Beschaffung der Materialien für eine normalspurige Verbindung hätte zu lange gedauert (Baltzer: Kolonialbahnen, S. 80). Dass also nur notgedrungen auf die schmalere Spurweite zurückgegriffen wurde, lässt, zusammen mit dem Umstand, dass die Entscheidung zum Bau erst nach einer Einschränkung des inländischen Frachtverkehrs getroffen wurde, den Schluss zu, dass die vordergründige Intention der Errichtung der Warentransport war. Somit ist das Verhältnis zur deutschen Herrschaft, das zu Baubeginn in der Strecke gesehen wurde, anders zu beurteilen. Generell kann zwar auch die Beförderung von Gütern als eine Maßnahme begriffen werden, die Teil der Etablierung von Machtansprüchen ist, beispielsweise wenn es um Waffen oder Verpflegung geht, aber in Anbetracht der Tatsache, dass Windhuk als Verwaltungssitz schon eine gefestigte Position hatte und ohne Rinderpest die Verbindung möglicherweise gar nicht gebaut worden wäre, ist davon auszugehen, dass in diesem Fall die eigene Stellung bereits als gefestigt angesehen wurde und nur den durch die Seuche entstehenden Nachteilen entgegengetreten werden sollte.
Ein deutlicherer Fall ist der Bau der Otavibahn ab dem Jahr 1900. Diese war von Anfang an in privater Hand; ein Projekt der Otavi-Minen- und Eisenbahngesellschaft, das die Ausbeutung der im Norden der Kolonie gelegenen Kupfer- und Bleigruben ermöglichen sollte. Dieser Zweck offenbart, dass auch hier durch die Verbindung nicht die Gewalt über das Gebiet erlangt werden sollte, sondern dass durch die bereits vorhandene Macht die Möglichkeit bestand, ökonomische Interessen durchzusetzen. So schreibt auch Jürgen Osterhammel, dass eine planvolle wirtschaftliche Nutzung einer Kolonie, wie sie gerade durch eine solche Bahn erreicht wird, ein Zeichen dafür ist, dass sich Herrschaftsstrukturen bereits gefestigt haben (Osterhammel, Jürgen: Kolonialismus: Geschichte, Formen, Folgen, München 2012, S. 79).
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- Quote paper
- Anonymous,, 2016, Der Eisenbahnbau als koloniales Mittel zur Machtetablierung. Die Perspektive der Herrschenden am Beispiel Deutsch-Südwestafrikas, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/463097
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