Weltweit streben Völkergruppen seit dem Ende der Kolonialzeit nach politischer Unabhängigkeit. Auch die kurdische Bevölkerung in der Türkei, dem Irak, dem Iran und in Syrien wünscht sich mehr Autonomie. Ein unabhängiges Kurdistan würde jedoch nicht nur die Kurden selbst, sondern die gesamte Region des Nahen Ostens betreffen und zu grundlegenden Veränderungen führen.
Wie könnte ein solcher kurdischer Staat aussehen? Und welche Folgeerscheinungen für die ethnische und politische Situation der Region sind zu erwarten? Mehran Zolfagharieh beleuchtet in seinem Buch die komplexe Geschichte des kurdischen Volkes sowie die Chancen und Probleme, die eine Unabhängigkeit Kurdistans mit sich bringen kann.
Die Kurdenfrage führt bis heute zu Auseinandersetzungen im Nahen Osten. Insbesondere durch den Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat findet die Thematik auch im Westen wieder mehr Beachtung. Zolfagharieh zeigt, wie Kurdistan zum verlässlichen Verbündeten sowie Stabilitätsfaktor im Nahen Osten werden könnte. Bei seinen Untersuchungen lässt er aber auch das erhebliche Konfliktpotenzial nicht außer Acht.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
1 Autonome Region, Staat, Nation und Nation-Building
1.1 Autonome Regionen
1.2 Staat
1.3 Nation und Nation-Building
2 Das Sykes-Picot-Abkommen und die Neuordnung des Nahen Ostens
3 Die Kurden
3.1 Die Geschichte der Kurden
3.2 Bevölkerung, Religion, und Wirtschaft
3.3 Interne und externe Konfliktlinien
4 Länderanalysen
4.1 Die Kurden in der Türkei
4.2 Das kurdische Autonomiegebiet im Nord-Irak
4.3 Die Kurden in Syrien
4.4 Die Kurden im Iran
5 Die Kurden als Verbündete des Westens
5.1 Die Kurden im Kampf gegen Saddam Hussein
5.2 Die Kurden im Kampf gegen den Islamischen Staat (Daesh)
5.3 Die türkische Offensive und das Dilemma des Westens
6 Israel und die Kurden
7 Fazit – Die Zukunft eines kurdischen Staates
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Das Sykes-Picot-Abkommen von 1916
Abbildung 2: Das Kurdische Siedlungsgebiet
Abbildung 3: Der Anteil der kurdischen Bevölkerung in den Staaten
Abbildung 4: Der Aufbau der KCK
Abbildung 5: Das Verhältnis der Türkei zu den Kurden und dem IS
Abbildung 6: Der Weg des kurdischen Öls nach Israel
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Einleitung
Nach dem Krieg im Irak und dem Sturz Saddam Husseins im Mai 2003, kam es Ende 2014 erneut zu einem Schulterschluss zwischen den Kurden und dem Westen. Denn immer, wenn Unheil über dem Nahen Osten liegt, geraten die kurdischen Kämpfer ins Rampenlicht des Interesses des Westens. Auslöser war die Schlacht um Kobanê1 im Norden Syriens an der Grenze zur Türkei im September 2014. Die Bilder der Belagerung durch Kämpfer des Islamischen Staates gingen ebenso um die Welt wie die Bilder der türkischen Panzer, die an der syrisch-türkischen Grenze postiert wurden und sowohl der Belagerung als auch dem Leid der Zivilbevölkerung zusahen. Die westliche Staatengemeinschaft schien wie gelähmt und machtlos, dem Leid der Stadt ein Ende zu bereiten. Die kurdische Bevölkerung flehte fast vergeblich um Luftunterstützung durch die US-geführte Koalition, denn der syrische Ableger der PKK,2 die YPG,3 hatte in diesem Gebiet das Sagen und der Westen wollte schon damals die Türkei nicht verärgern. Erst eine Allianz aus syrischen, irakischen, iranischen und türkischen Kurden unter Führung der SDF4 sorgte für die Befreiung der syrischen Stadt Kobanê durch Landeinheiten und Luftschläge der Koalition. Im Gegensatz zur syrischen PYD,5 sprach man im Westen bei der Kurdischen Allianz von „unseren Kurden“, die erneut ein Massaker verhinderten, wie schon im Sindschargebirge, als es fast zu einem Genozid an der jesidischen Bevölkerung kam. So weltoffen und tolerant die Kurden auch sind, so verfolgen sie im Krieg in Syrien und im Irak ihre eigenen Ziele, die konträr zu den Vorstellungen der Türkei oder anderer Staaten des Nahen Ostens verlaufen. Während die Türkei keinen kurdischen Staat und auch kein kurdisches Autonomiegebiet in Syrien duldet, ist genau dies das Ziel der kurdischen Peschmerga6 und der kurdischen Bevölkerung in Syrien.
In den letzten Jahren hat die Kurdenfrage, insbesondere durch den Kampf gegen den selbsternannten Islamischen Staat7, erneut für internationales Interesse gesorgt. Die Staaten der Region des Nahen Ostens beschäftigen sich seit Jahrzehnten bereits grundlegend mit der Kurdenfrage, da sie zu ausgedehnten inneren Auseinandersetzungen führte und auch heute noch führt. Oftmals ist die Kurdenfrage jedoch einzig auf die moralische Argumentation beschränkt, ob den Kurden ein unabhängiger Staat zusteht. Was jedoch außer Acht gelassen wird ist der Umstand, dass ein unabhängiges Kurdistan nicht das Ende der Neuordnung des Nahen Ostens wäre. Vielmehr würde mit einem unabhängigen Kurdistan nicht nur eine neue Grenzziehung einhergehen, sondern es könnte zum Beginn weiterer ethnischer Zerwürfnisse in der Region und Unabhängigkeitsbestrebungen anderer Ethnien kommen, mit denen die jeweiligen Zentralstaaten und das unabhängige Kurdistan umzugehen hätten.
Fragt man heute die Kurden, was sie möchten, so wird jeder Kurde, egal ob im Irak, im Iran, in Syrien oder der Türkei antworten, dass sie einen eigenen Staat oder zumindest mehr Autonomie wollen. Doch wie soll der Staat aussehen? Soll es ein kurdischer Staat werden oder mehrere? Oder eine Föderation bestehend aus autonomen Regionen in bestehenden Nationalstaaten? Schaut man sich an, welche Situationen in Staaten herrschen, die mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hatten, wie z.B. Eritrea oder der Süd Sudan, so besteht auch die Gefahr eines Failed States und dass ein Kurdistan in Chaos enden könnte, sofern nicht vorab gesichert ist, welche Regierungsform etabliert werden soll, denn selbst der irakische Teil Kurdistans ist noch nicht vollständig einer einheitlichen Meinung. Sollte Kurdistan über die bestehenden internationalen Grenzen hinweg entstehen, so werden unterschiedliche Systeme und politische, sowie ökonomische Philosophien aufeinander-treffen, auch wenn der Kampf gegen den Islamischen Staat die Kurden zusammenrücken ließ. Ein unabhängiges Kurdistan wird nicht nur die Kurden selbst, sondern die gesamte Region des Nahen Ostens betreffen und zu grundlegenden Veränderungen führen.
Die heutige Dimension der Kurdenfrage und die Aufwertung von einer rein regionalen zu einer internationalen Angelegenheit erfordert es, dass die Europäische Union und die USA sich bewusst machen, dass auch über die möglichen Folgeerscheinungen einer Unabhängigkeit nachgedacht und diese aktiv mit-einkalkuliert werden müssen. Unabhängig hiervon haben sich die Kurden bisher als verlässliche Verbündete des Westens bewiesen. Ein unabhängiges Kurdistan, zumindest im Irak, erscheint daher am wahrscheinlichsten und könnte mittel- bis langfristig durchaus als ein Stabilitätsfaktor im Nahen Osten angesehen werden.
Dieses Buch soll einen Einblick darin geben, wer die Kurden sind und welche Geschichte die Kurden miteinander verbindet. Im Folgenden soll zunächst erklärt werden welche definitorischen Unterschiede es bei den Begriffen Autonome Region, Staat und Nation gibt und des Weiteren eine kurze Übersicht über das Sykes-Picot-Abkommen aufgezeigt werden. Aus diesem Abkommen resultiert die heutige Grenzziehung im Nahen Osten. Im Anschluss daran sollen die Kurden näher beleuchtet werden, während das anschließende Kapitel Länderanalysen beinhaltet. Die darauffolgenden Kapitel zeigen auf, inwieweit die Kurden als Verbündete des Westens angesehen werden müssen und weshalb Israel ein besonderes Interesse an einer kurdischen Unabhängigkeit besitzt. Das Fazit schließlich gibt einen Ausblick auf die Zukunft eines kurdischen Staates und Gründe weshalb dieser Unterstützung finden sollte.
1 Autonome Region, Staat, Nation und Nation-Building
In den letzten Jahrzehnten, nach dem Ende der Kolonialzeit, ist eine erneute Unabhängigkeitsbewegung in der internationalen Staatengemeinschaft zu verzeichnen. Insbesondere Regionen, die von Seiten der übergeordneten Zentralregierungen den Status einer „Autonomen Region“ erhalten haben, entwickeln oftmals im Laufe der Zeit ein neues und erweitertes Selbstbewusstsein, welches in einem Zerwürfnis mit dieser Zentralregierung münden kann, wie zuletzt im Jahr 2017 in Spanien geschehen. Auch die Entwicklung der Kurdischen Autonomieregion im Irak zeigt diesen nahenden Konflikt zwischen der Kurdischen Regionalregierung8 und der irakischen Zentralregierung. Solche Unabhängigkeits-bewegungen in den Autonomen Regionen äußern sich anfangs auf politischer Ebene, können jedoch schnell in eine bewaffnete Auseinandersetzung mit der jeweiligen Zentralregierung und, durch repressive Politik eben dieser, letztlich in einer bewaffneten Sezessionsbewegung, einem Untergrundkampf bzw. Bürgerkrieg enden. Die Geschichte lehrt hierbei, dass solch ein Bürgerkrieg meist ein langer Krieg ist. Es werden hohe Opferzahlen auf beiden Seiten zu beklagen sein, die unbeteiligte Zivilbevölkerung wird leiden müssen und er wird erst beendet, wenn durch eine der beiden Seiten ein Momentum der De-Eskalation ergriffen und eine weniger repressive Politik umgesetzt wird. Die Autonomie einzelner Regionen kann also schnell in bewaffnete Unabhängigkeitsbestrebungen münden, die zu einem eigenen Staat und später zu einer neuen Nation führen können.
In der deutschen Sprache wird umgangssprachlich oftmals der Begriff „Staat“ als ein Synonym für „Nation“ verwendet, was sui generis jedoch nicht dasselbe ist. Vielmehr ist der Staatsbegriff Teil der Definition einer Nation, umschließt jedoch nicht die Vollständigkeit dessen, was eine Nation ist. Im Folgenden sollen daher die Begriffe Autonomie, Staat, Nation und Nation-Building definiert werden, um die Unterschiede zu erläutern, gleichzeitig jedoch die Zusammenhänge der Entwicklung von einer Autonomen Region hin zu einer Nation darzustellen.
1.1 Autonome Regionen
Der Begriff Autonomie stammt aus dem Altgriechischen9 und bedeutet „sich selbst Gesetze gebend“ oder auch „selbständig“. Der berühmte deutsche Soziologe und Nationalökonom Max Weber10 definierte, dass „Autonomie bedeutet, daß nicht, wie bei Heteronomie, die Ordnung des Verbandes durch Außenstehende gesatzt wird, sondern durch Verbandsgenossen kraft dieser ihrer Qualität (gleichviel wie sie im übrigen erfolgt)“.11 Autonome Regionen sind demnach Gebiete bzw. Territorien innerhalb eines Staatsgebietes, die sich selbst verwalten und somit nach innen selbstständig sind, sich jedoch außen- und sicherheitspolitisch von einem übergeordneten Staat vertreten lassen. Sie besitzen demnach eigene Gesetzgebungsorgane und Gesetzgebungsstrukturen und somit die Befugnis, unter Berücksichtigung des jeweils geltenden übergeordneten staatlichen Gesetzgebungsrechts, Bestimmungen mit rechtsverbindlicher Kraft für seine Angehörigen zu erlassen, die innere Angelegenheiten regeln. Autonome Regionen unterliegen also auch der Gesetzgebung des übergeordneten Staates und sind keine souveränen Staaten.
Zumeist wird eine Autonome Region eingerichtet, „um Regionen mit ethnischer und sprachlicher Eigenart ein Mindestmaß an interner Selbstbestimmung zu gewähren, ohne Staatsgrenzen verändern zu müssen“12. Autonomien bezwecken oft den umfassenden Schutz von Minderheiten, können aber auch „aufgrund einer entlegenen geographischen Lage […], der Geschichte […] oder aufgrund des übergreifenden Konzepts für staatliche Organisation […] entstehen.“13 Beispiele für Autonome Gebiete gibt es überall auf der Welt, wie z.B. Asad Kaschmir in Pakistan, Gagausien in Moldawien, Färöer und Grönland in Europa und die teilweise ehemaligen Kolonien des Vereinigten Königreiches und Frankreichs sowie viele Republiken der Russischen Föderation und natürlich die Autonome Region Kurdistan im Irak.
1.2 Staat
Bis heute hat sich für den Begriff des Staates keine allgemein gültige Definition durchgesetzt. Vielmehr lassen sich vier Staatsbegriffe unterscheiden, die deutlich voneinander abweichen. Der Begriff Staat14 besitzt im modernen Völkerrecht, nach dem Staats- und Völkerrechtler Georg Jellinek15, drei Hauptkriterien, die er in seiner Drei-Elemente-Lehre postulierte. Gemäß seiner Definition ist der Staat „ein soziales Gebilde, dessen konstituierende Merkmale ein von Grenzen umgebenes Territorium (Staatsgebiet), eine darauf als Kernbevölkerung ansässige Gruppe von Menschen (Staatsvolk) sowie eine auf diesem Gebiet herrschende Staatsgewalt kennzeichnen.“16 Der Staat ist also in seinem politischen Handeln sowohl nach außen hin, als auch im Innern souverän. Eine weitere Definition des Staatsbegriffs stammt von Max Weber. Gemäß seiner Definition ist ein Staat „diejenige menschliche Gemeinschaft, welche innerhalb eines bestimmten Gebietes […] das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg) beansprucht“.17 Es handelt sich demnach um ein „Herrschaftsverhältnis von Menschen über Menschen“.18
Ein Staat ist also ein politischer Zusammenschluss von Menschen, die keiner Abstammungsgemeinschaft zuzuordnen sind. Nach der sittlichen Auffassung nach Hegel indessen ist es „der Gang Gottes in der Welt, daß der Staat ist: sein Grund ist die Gewalt der sich als Wille verwirklichenden Vernunft“19 und für jeden Einzelnen die „höchste Pflicht […], Mitglieder des Staates zu sein.“20 Für Hegel war der Staat also die „Wirklichkeit der sittlichen Idee“21, denn der Staat ist höherrangig als die Gesellschaft, da einzig er das Gemeinwohl hütet, garantiert, realisiert und kennt.22 Gemäß der gängigen politikwissenschaftlichen Definition ist der Staat das System öffentlicher Institutionen zur Regelung der Angelegenheiten eines Gemeinwesens, wobei insbesondere eine politische Instanz zum Staat gehört, die zur Schaffung und Wahrung von Recht und Ordnung in der Gesellschaft zuständig ist und diese mittels eines Staatsapparats durchsetzen kann.
Im 21. Jahrhundert gibt es nahezu keine staatenlosen Gebiete mehr, die zur Staatengründung herangezogen werden können. Vielmehr entstehen neue Staaten durch Sezession, Dismembration oder durch Fusion. Eine Sezession kann auf zwei Wegen erfolgen; durch Abspaltung gegen den Willen des übergeordneten Staates oder aber durch einvernehmliche Entlassung eines Staatsteils23 aus dem Staatsverband. Wenn sich Neustaaten bilden, da der übergeordnete bisherige Staat zerfällt, handelt es sich um eine Dismembration, was den Untergang des bisherigen Staates bedeutet.24 Das Gegenteil zur Dismembration ist die Fusion, bei der sich zwei oder mehrere Staaten zusammenschließen oder ein Staat einem anderen beitritt, was zur Eingliederung des betroffenen Territoriums in die Staats- und Verfassungsordnung des Inkorporanten25 führt.26
1.3 Nation und Nation-Building
Der Begriff Nation stammt vom lateinischen Wort Natio und beschreibt eine Gemeinschaft von Menschen mit gleicher Herkunft und gemeinsamen Merkmalen wie Sprache, Tradition, Sitten und Bräuche und beschreibt fremdartige Völker, also Menschen die nicht das römische Bürgerrecht besaßen.27 Dieses ursprüngliche Nationen-Verständnis lebt heute noch in dem Begriff Volks-Nation weiter und bildet den 1. Nationen-Begriff.28 In der Moderne und auch heute wird der Begriff Nation allgemeinsprachlich als Synonym für Staat und Volk gebraucht, wobei eine Trennung von der wissenschaftlichen Definition der Nation besteht. Wenn heute der Staat zusätzlich als Nation bezeichnet wird, soll der geeinte, souveräne und geordnete Staat als Werte- und Lebensgemeinschaft betont und verstärkt werden. Das Staatsvolk unterwirft sich also unter gemeinsames Recht und bildet somit eine Staats-Nation, was dem 2. Nationen-Begriff29 entspricht.30 Völkerrechtlich werden gem. Art. 1 und 55 der Charta der Vereinten Nationen die tatsächlichen Gemeinsamkeiten eines Volkes betont. Einzelne Völker haben ein Recht auf Selbstbestimmung, unabhängig davon, ob sie bereits Teil eines Staates sind. Auf Grundlage dieser Selbstbestimmung und Idee der Nation beruht das Staatsmodell des Nationalstaates. Hierbei werden ein Staat und eine Nation vorausgesetzt, die beide aus historischen Entwicklungen entstanden sind, wobei sich der staatstragende Teil der Bevölkerung einer gemeinsamen Kultur verbunden fühlen soll. Die Bürger, die der nicht-staatstragenden Bevölkerung angehören, bilden eine Minderheit, die meist ethnischer oder ideologischer Natur ist und im Laufe der Zeit einen starken Drang nach Autonomie entwickelt. Dies entspricht dem 3. Nationen-Begriff, bei dem nur jenes Staatsvolk eine Nation darstellt, das aus freiem Willen einem bestehenden Staat angehört oder den Willen zu einem bildenden Staat besitzt.31 Der Staat muss hierbei also vom Staatsvolk tatsächlich gewollt sein, im Unterschied zu Staaten, die von erheblichen Teilen des Volkes nicht gewollt werden. Die Türkei, der Iran, Syrien und der Irak werden beispielsweise von separationswilligen ethnonationalen Teilen, wie z.B. den Kurden, als imperiale, anationale oder auf nationaler Fremdherrschaft beruhende Staaten empfunden.32
Die Bildung einer Nation ist also ein Prozess, der aus locker verbundenen Gemeinschaften eine gemeinsame Gesellschaft macht und einen entsprechenden Staat entstehen lässt. Dieser Prozess wird auch Nationenbildung bzw. Nation Building genannt und ist vom State Building zu unterscheiden, bei dem es um den Aufbau staatlicher Strukturen geht. Dagegen gehört zum Nation Building die Schaffung bestimmter kultureller Standards, wie z.B. eine einheitliche Sprache, Religion, Sitten und Gebräuche, sowie die Integration immer weiterer Teile der Bevölkerung und wird oft von einer bestimmten Machtelite ausgeführt, um bestehende und/oder angestrebte Herrschaftsverhältnisse zu legitimieren. In der jüngsten Zeit ist als Beispiel für den Prozess des State Building und Nation Building der Versuch der Etablierung des Kalifats durch den Islamischen Staat im Irak und Syrien zu nennen, denn ein State Building ohne Nation Building ist eher problematisch, da die notwendigen identitätsstiftenden Stabilisierungs- und Ausgleichsmechanismen fehlen. Der Islamische Staat versuchte dabei eine homogene Masse der Bevölkerung zu schaffen, indem er sich auf eine Befreiung von Bevormundung, Unterdrückung und Ausbeutung der sunnitischen Teile der Bevölkerung berief, was aber wiederum mit einer Abwertung und Ausgrenzung anderer Bevölkerungsteile einherging. Die nationale Identität der bestehenden Zentralstaaten wurde insofern willkürlich u.a. durch nationale Mythen konstruiert und sollte unterschiedliche Gruppen zu einer Nation formen, da die Regierungen im Irak und Syrien stark durch die Taktik des divide et impera33 geprägt sind und der „Neue Staat“, das Kalifat, als etwas Heiliges dargestellt wird, für das man Opfer bis hin zum Martyrium erbringen muss. Insofern entsteht ein Kult der Nation, der als Religionsersatz dient, denn es ist eher fraglich ob es im Islamischen Staat wirklich um die Definition der Nation durch die Konfession geht.
Nationen sind, entgegen der essentialistischen Definition von Johann Gottlieb Fichte,34 demnach nicht von Anfang an vorhanden, sondern werden gemacht, wobei einmal gemachte Nationen eigene Traditionen haben und über eine eigene Geschichte verfügen, sodass ein kollektives Gedächtnis entsteht.
2 Das Sykes-Picot-Abkommen und die Neuordnung des Nahen Ostens
Als das osmanische Reich im Rahmen des 1. Weltkrieges an Einfluss verlor, legten die Regierungen Großbritanniens und Frankreichs eine Übereinkunft über die kolonialen Interessengebiete im Nahen Osten fest, um das zerschlagene osmanische Reich unter sich aufzuteilen. Diese geheime Übereinkunft vom 16. Mai 1916, die vom französischen Diplomaten Francois Georges-Picot und dem britischen Offizier Mark Sykes ausgehandelt wurde, ordnete den Nahen Osten neu. Sie hat bis heute Einfluss auf die regionale Politik und gilt als Ursache für die heutigen regionalen Konflikte im Nahen Osten, denn die Interessen und Belange der Völker in der Region wurden nicht berücksichtigt. Stattdessen wurden vor allem die reichen Wasser- und Erdölquellen berücksichtigt und dementsprechend zwischen Frankreich und Großbritannien aufgeteilt. Die meisten Staaten im Nahen Osten weisen ökonomische, demographische und politische Probleme auf, die direkt mit dem Sykes-Picot-Abkommen in Zusammenhang stehen und in nicht allzu ferner Zukunft kollabieren könnten.35
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Das Sykes-Picot-Abkommen von 1916
Quelle: Hawthorne, Emily (2016): Marking a Century of the Modern Middle East.
Großbritannien erhielt ein Gebiet, das in etwa dem heutigen Jordanien, dem Irak und dem Gebiet um Haifa entspricht, während Frankreich die Herrschaft über die Südost-Türkei, den Nordirak, Syrien und Libanon übernahm. Jedes Land konnte die Staatsgrenzen innerhalb der jeweiligen Einflusszone frei bestimmen. Lediglich das spätere Palästina wurde unter internationale Verwaltung gestellt. Inhaltlich stand das Sykes-Picot-Abkommen im Widerspruch zur Hussein-McMahon-Korrespondenz, da den Arabern hier die Anerkennung eines unabhängigen arabischen Staates in Aussicht gestellt wurde, sofern sich die Araber in einer Revolte gegen das Osmanische Reich erheben, wobei das arabische Territorium unter Frankreich und Großbritannien dennoch aufgeteilt wurde. Das Sykes-Picot-Abkommen enthielt den Hinweis einen unabhängigen arabischen Staat anzuerkennen und zu schützen, wobei sich beide Staaten jedoch Privilegien in den Einflusssphären vorbehielten. Die Hauptpunkte dieses Abkommens wurden mit der Konferenz von Sanremo36 bestätigt und in Form von „Völkerbund Mandate“ umgesetzt.
Im Januar 1918 wurde der Inhalt des Sykes-Picot-Abkommens durch Lenin und der bolschewistischen Regierung in Russland veröffentlicht, da Russland seine Ansprüche an Teilen des osmanischen Reiches37 durch das Ausscheiden aus der Kriegskoalition im Rahmen der Oktoberrevolution verloren hatte. Dies führte zu höherem Misstrauen bei den Arabern gegenüber Frankreich und Großbritannien und äußerte sich nach der Niederlage der osmanischen Truppen und der Besetzung der vereinbarten Gebiete durch Frankreich und Großbritannien in Form von Aufständen, die jedoch militärisch niedergeschlagen wurden. Dennoch waren die Kolonialherren nicht in der Lage, eine stabile Ordnung zu etablieren, was dazu führte, dass neue Grenzen gezogen und neue Staaten, wie z.B. der Libanon, Syrien und Jordanien gegründet wurden.
Das Versprechen einer kurdischen Unabhängigkeit war jedoch nicht Teil des geheimen Sykes-Picot-Abkommens, das die kurdischen Gebiete zwischen Frankreich und Großbritannien aufteilte. Vielmehr wurde den Kurden mit dem Vertrag von Sèvres 1920 ein unabhängiger kurdischer Staat in Aussicht gestellt. Artikel 62 des Vertrags von Sèvres sah vor, dass Kurdistan Autonomie erhalten sollte und mit Artikel 64 sollte Kurdistan die Unabhängigkeit von der Türkei erhalten, sofern die Mehrheit der kurdischen Bevölkerung für eine Unabhängigkeit stimmten und dies innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des Vertrags dem Völkerbund nachwiesen. Unter Protest wurde der Vertrag durch den Bevollmächtigten des osmanischen Sultans Mehmed VI. und dem Großwesir Damad Ferid Pascha unterzeichnet, jedoch kam es nicht zur Ratifizierung des Vertrags durch das Osmanische Parlament, da der Sultan das Parlament auflöste und der Vertrag von Sèvres, nach dem Türkischen Befreiungskrieg, zugunsten der Türkei revidiert und das Sultanat abgeschafft wurde.
Das Sykes-Picot-Abkommen ist bis heute für die Landkarte des Nahen Ostens verantwortlich. Auch wenn es letztlich nicht 1:1 umgesetzt wurde und stattdessen die Mandatsgebiete in kurzer Zeit in neue Staaten transformiert wurden, ist die fehlende Rücksichtnahme auf Ethnien bei den Grenzziehungen bis in die heutige Zeit unübersehbar und nicht nur Auslöser für die regionalen Konflikte, sondern auch für das Misstrauen gegenüber westlichen Staaten und der Ablehnung vor zu großer Einflussnahme im Nahen Osten verantwortlich. Verstärkt wurde dieses Misstrauen durch das Greater Middle East Project38, das ebenfalls auf nationalstaatliche Grenzen als Lösung setzt, wobei die Bildung eines kurdischen Nationalstaates im Irak eine Option darstellt und bereits in der „Schublade aufbewahrt wird“.
3 Die Kurden
Die Kurden sind neben den Persern, Armeniern und Arabern eines der ältesten Völker des Nahen Ostens und existieren bereits seit über 4000 Jahren. Ihre genaue Herkunft und die genaue Größe des Volkes liegen weitestgehend im Dunkeln, insbesondere, da in den Staaten, in denen die meisten Kurden leben, keine Daten über ihre ethnische Zugehörigkeit erhoben werden. Schätzungen gehen von 25 bis 30 Millionen Menschen aus. Es ist lediglich bekannt, dass es sich um einen indogermanischen Volksstamm handelt, der in der Region der alten Reiche der Sumerer, Assyrer, Urarträer und Meder sein Siedlungsgebiet hatte, das Kurdistan heißt und „Land der Kurden“ bedeutet. Heute umfasst das kurdische Siedlungsgebiet Teile der Türkei, des Iraks, des Irans und Syriens. Die kurdische Sprache gehört „zur indoeuropäischen Sprachfamilie und […] neben dem Persischen, Afghanischen und dem Beludischen zur Gruppe der [nordwestlichen, d. Verf.] iranischen Sprachen“,39 während keinerlei Verwandtschaft zur arabischen oder türkischen Sprache besteht.
Seit 2014 existieren Spaltungstendenzen im Irak und auch der syrische Bürger-krieg verstärkt Bestrebungen der Kurden nach einem eigenen kurdischen Staat. Aufgrund der derzeitigen politischen Lage kann ein eigenständiger kurdischer Staat, neben der Autonomen Region Kurdistan im Nord-Irak, lediglich noch die kurdischen Gebiete im Norden Syriens40 umfassen, nicht aber die Siedlungsgebiete in der Türkei und dem Iran. In den folgenden Kapiteln wird ein historischer Überblick über die Kurden und Kurdistan, sowie ein Überblick über die Demographie und die bisherigen Staatsbestrebungen aufgezeigt, denn nur so kann das Selbstbewusstsein und der Wunsch nach Souveränität der Kurden im Nahen Osten verstanden werden.
3.1 Die Geschichte der Kurden
In der Geschichte des Nahen Ostens haben Kurden schon früh wichtige Rollen gespielt. Griechische, römische, persische sowie arabische und armenische Quellen liefern hierzu sehr viele Informationen, wie zum Beispiel über die Eroberung des kurdischen Siedlungsgebietes durch die Meder und Perser sowie die Geburt Zarathustras41 in Nordostkurdistan um 1000 v. Chr., sowie den Kurden in der islamischen Epoche zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert.
Nachdem um 700 n. Chr. die Feuertempel in Kurdistan und im persischen Reich, im Rahmen der arabischen Invasion, zerstört und Zoroastrier verfolgt wurden,42 entstanden zwischen 900 n. Chr. und 1200 n. Chr. gleich mehrere wichtige Staaten, wie die der Schaddadiden,43 Mervaniden44 und Ayyubiden45. Hierbei gilt insbesondere der Gründer des Ayyubidenstaates als der bekannteste kurdische Herrscher, denn sein Reich umfasste nicht nur Ägypten, Syrien, Jemen und das Gebiet Kurdistan, sondern er vertrieb auch die Kreuzfahrer aus Jerusalem; Sultan Selahaddin ist eine der strahlendsten Herrschergestalten der kurdischen Geschichte. Im Jahr 1187 n. Chr. besiegten die Truppen Sultan Selahaddins bei Jerusalem das 60.000-Mann-Heer der Kreuzfahrer und eroberten die Heilige Stadt Jerusalem für den Islam zurück, was allerdings auch zum Beginn des dritten Kreuzzugs der christlichen Staaten führte. Auch in Europa gilt er als der bekannteste mittelalterliche islamische Herrscher und wurde zum Mythos, zum größten Helden und vorbildhaftesten Herrscher seit dem Propheten Mohammad in der muslimischen Welt. Bis heute wird Sultan Selahaddin in der kurdischen Nationalgeschichte verehrt, obwohl er keinesfalls ein kurdisches Reich erschaffen hatte, sondern vielmehr ein islamisches Reich, das die Bewohner als Muslime bezeichnete und nicht als Kurden oder Araber.
Nach dem 11. Jahrhundert sind die Türken aus Mittel-Asien über den Iran nach Anatolien gekommen und gründeten zunächst den Seldschuken- und danach den Osmanischen Staat, während auf dem Gebiet Kurdistans die Kriege zwischen dem osmanischen und dem persischen Reich stattfanden46, was um 1470 n. Chr. zur Ausrottungspolitik gegen die kurdischen Dynastien, durch die Turkmenendynastie Aq-Quinlou, führte. Erst im Jahr 1638 wurde Kurdistan zwischen dem Osmanischen Reich und den Persern, nach dem Vertrag von Zuhab, der in der Kleinstadt Qasr-e Schirin unterzeichnet wurde, offiziell aufgeteilt47, wobei die damalige Teilung auch heute noch, durch die fast identisch verlaufende Grenze zwischen der Türkei und dem Iran, sichtbar ist.
Die kurdischen Fürstentümer wurden daraufhin bis Mitte des 19. Jahrhunderts von beiden Staaten bekämpft. Ab dem 19. Jahrhundert wurde der Kampf der Kurden nationalistisch geprägt, da sich die „Hohe Pforte“48 des Osmanischen Reiches in die kurdischen Angelegenheiten einmischte. „Kurdische Fürsten wie Bedirchan und Yazdanschêr sowie religiöse Führer wie Scheich Ubeydullah haben für die Einheit und die Unabhängigkeit Kurdistans gekämpft, wurden jedoch besiegt“.49
Nach dem Ersten Weltkrieg und dem am 10. August 1920 unterzeichneten Vertrag von Sèvres sollte auf dem ehemaligen Gebiet des Osmanischen Reiches ein Staat Kurdistan entstehen, da dieser Friedensvertrag die Kurden zu den „befreiungs-würdigen Völkern“ zählte. Eine Selbstbestimmung wurde der kurdischen Bevölkerung von den Siegermächten zwar versprochen, jedoch wurde der osmanische Teil Kurdistans, durch den am 24. Juli 1923 unterzeichneten Vertrag von Lausanne, nochmals unterteilt und je ein Teil einem britischen50 und französischen51 Mandat unterstellt, womit der Vertrag von Sèvres wieder aufgehoben wurde. Es entstanden schließlich Syrien und der Irak, während der größte Teil Kurdistans innerhalb der Staatsgrenzen der neu gegründeten Republik Türkei verblieb, die aus der Asche des osmanischen Reiches entstand.52 Sowohl das Osmanische als auch das Persische Reich, die Kurdistan vorher bereits unter sich aufgeteilt hatten, haben die Existenz der Kurden nie in Frage gestellt und auch die neugegründete Republik Türkei folgte anfangs diesem Kurs. So nahmen bei der ersten Großen Nationalversammlung in Ankara etwa 70 kurdische Abgeordnete teil, die offiziell als „Abgeordnete Kurdistans“ bezeichnet wurden.53 Nach der Unterzeichnung des Vertrags von Lausanne änderte sich die Politik der Türkei jedoch grundlegend. „Die Existenz der Kurden wurde geleugnet. Neben der kurdischen Sprache und der Ausübung kurdischer Kultur wurden auch die Begriffe ´Kurdisch` und ´Kurdistan` verboten. Die kemalistische Führung berücksichtigte die multikulturelle Struktur Anatoliens, die ein Völkermosaik darstellte, nicht im Geringsten“.54 Unter Scheich Said Piran leisteten die Kurden daraufhin im Jahr 1925 Widerstand, der von der türkischen Regierung in Ankara blutig niedergeschlagen wurde. Auch in den darauffolgenden Jahrzehnten kam es immer wieder zu kurdischen Aufständen, so dass 1979 die Türkei für Kurdistan das Kriegsrecht und den Ausnahmezustand ausrief und Ankara seitdem auf dieser Grundlage Kurdistan regiert.
In Süd-Kurdistan, dem Nordirak, gab es eine ähnliche Entwicklung. Seit dem Ersten Weltkrieg fanden hier Aufstände statt, die jedoch vom britischen Militär blutig niedergeschlagen wurden. Der größte kurdische Aufstand begann 1961 und dauerte de facto bis 1991 an. Obwohl es hier im Jahr 1970 zu einer Einigung zwischen Kurden und irakischer Zentralregierung kam, die den Kurden eine gewisse Autonomie geben sollte, begann der bewaffnete Widerstand 1975 erneut, da die Regierung in Bagdad die Vertragsbestimmungen ignorierte. „Der Krieg gegen die Kurden ist dem Irak teuer zu stehen gekommen. Um die Unterstützung der Kurden zu unterbinden, hatte das Saddam-Regime dem Iran gegenüber […] Gebietskonzessionen gemacht“.55 Um diese Gebiete zurückzuerobern, begann Saddam Hussein am 22. September 1980 einen acht Jahre dauernden Krieg gegen den Iran, in dem Kurdistan verwüstet und sogar Giftgas gegen die Kurden eingesetzt wurde. Erst nach dem 3. Golf-Krieg und dem Sturz Saddam Husseins konnten die Kurden im Irak einen Erfolg verzeichnen und politische Autonomie genießen. Sie riefen ein eigenes Parlament ins Leben und bildeten eine nationale Regierung, wobei es sich aber um eine autonome Region im Irak handelt und nicht um einen eigenen unabhängigen Staat. Dennoch wird den Kurden durch die neue irakische Verfassung ein umfangreiches Selbstbestimmungsrecht garantiert.
Auch der iranische Staat hat in der Vergangenheit eine Politik der Unterdrückung ausgeübt, ähnlich der Türkei. Während des Zweiten Weltkriegs wurde der Iran im Norden von der Sowjetunion besetzt und im Süden von Großbritannien. Diese Situation verschaffte den iranischen Kurden etwas Luft und Zeit sich zu organisieren. Nachdem die Demokratische Partei Kurdistan-Iran gegründet wurde, folgte nur kurze Zeit später die Ausrufung der Kurdischen Republik Mahabad,56 die vom 22. Januar bis 16. Dezember 1946 bestand. Gleichzeitig markiert dieses Ereignis den Beginn des Kalten Krieges und ist auch als „Irankrise“ in die Geschichte eingegangen, denn die Sowjetunion versuchte in der Region Einfluss aus zu üben, indem Kurden und Aserbaidschaner instrumentalisiert wurden, um eigene Parteien zu gründen und schließlich autonome Republiken auszurufen. Da die Kurden jedoch vom Schutz der Sowjetunion abhängig waren, wurde die Republik Kurdistan am 16. Dezember 1946 durch Truppen der iranischen Zentralregierung zurückerobert, nachdem die sowjetischen Truppen sich auf Druck der USA und Großbritanniens zurückgezogen hatten. Am 29. April 1951 wurde Mohammed Mossadegh zum iranischen Ministerpräsidenten gewählt und verstaatlichte die iranische Ölindustrie. Dies wiederum führte zu einem Konflikt zwischen Großbritannien und dem Iran, da die Mehrheit der Anglo Iranian Oil Company von Großbritannien gehalten wurde. Mohammed Mossadegh, in den auch viele Kurden im Iran ihre Hoffnung legten, entwickelte sich zum Widersacher des Schahs von Persien.
Der Sturz der liberal-demokratischen Regierung von Dr. Mossadegh im Iran durch einen von der CIA und dem MI6 organisierten Putsch am 19. August 1953,57 führte zu einer weiteren Verfolgungswelle von Kurden im Iran. Die kurdische Führungsschicht wurde weitestgehend ausgeschaltet und bis zur iranischen Revolution herrschte eine Art Friedhofsruhe in den kurdischen Provinzen Irans, aber mit Ausrufung der Islamischen Republik Iran, durch Ayatollah Ruhollah Khomeini 1979, wurden die Kurden im Iran erneut und noch stärker unterdrückt, sodass mit diesem Datum der bewaffnete Widerstand im Iran begann, der bis heute anhält.
[...]
1 Im Arabischen heißt die Stadt auch Ain al-Arab.
2 Arbeiterpartei Kurdistans (kurdisch: Partiya Karkerên Kurdistanê).
3 Volksverteidigungseinheiten (kurdisch: Yekîneyên Parastina Gel).
4 Demokratische Kräfte Syriens (englisch: Syrian Democratic Forces). Das Militärbündnis besteht derzeit aus den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), Frauen-verteidigungseinheiten (YPJ), der kurdisch-turkmenischen Einheit Katāʾib Schams asch-Schimāl, der sunnitisch-arabischen Armee der Revolutionäre (Dschaisch ath-Thuwwar), der sunnitisch-arabischen Schammar-Stammesmiliz Quwat as-Sanadid, der sunnitischen Rebellenbrigade ar-Raqqa (Liwa Thuwar al-Raqqa), den Al-Dschasira-Brigaden und der Lîwai 99 Muşat sowie dem assyrisch-aramäischen Militärrat der Suryoye (MFS).
5 Partei der Demokratischen Union (kurdisch: Partiya Yekitîya Demokrat).
6 Streitkräfte der Autonomen Region Kurdistans. Als Peschmerga werden aber auch bewaffnete Einheiten der einzelnen kurdischen Parteien bezeichnet. Kurdisch: Pêşmerge (Übersetzt: „Die dem Tod ins Auge Sehenden“).
7 Es ist auch das Akronym Daesh (ad-daula al-islāmiyya fī l-ʿIrāq wa-š-Šām) für den IS (ISIS/ISIL) gebräuchlich.
8 Abgekürzt KRG für Kurdish Regional Government.
9 αυτονομία.
10 Maximilian Carl Emil Weber, * 21. April 1864 in Erfurt; † 14. Juni 1920 in München.
11 Weber, Max (1922): Grundriß der Sozioökonomik III. Abteilung: Wirtschaft und Gesellschaft, Teil 1, Kap. 1, § 12. J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen, S. 26.
12 Benedikter, Thomas (2007): Regionalautonomie: ein Joint Venture zur Konfliktlösung. Academia: das Wissenschaftsmagazin der Europäischen Akademie Bozen März, Europäische Akademie Bozen, Bozen, S. 34-37.
13 Ibid. S. 34-37.
14 ugs. auch Land.
15 Georg Jellinek, * 16. Juni 1851 in Leipzig; † 12. Januar 1911 in Heidelberg.
16 Jellinek, Georg (1905): Das Recht des modernen Staates. Erster Band: Allgemeine Staatslehre. Zweite Auflage, O. Häring, Berlin., S. 187ff.
17 Weber, Max (1922): Grundriß der Sozioökonomik III. Abteilung: Wirtschaft und Gesellschaft, Teil 2, Kap. 9, § 2. J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen, S. 822.
18 Ibid., S. 822.
19 Hegel. G. W. F. (1970): Grundlinien der Philosophie des Rechts. Reclam Verlag, Stuttgart, S. 393.
20 Ibid., S. 387.
21 Immergut, Ellen M. und Jäger, Alexander (2007): Staat. Lexikon Politik - Hundert Grundbegriffe, Reclam Verlag, Stuttgart, S. 283.
22 Vgl. Ibid., S. 283.
23 Meist handelt sich hierbei um eine Autonome Region.
24 Ein Beispiel hierfür ist der Zerfall Jugoslawiens, aus dem die Staaten Kroatien, Serbien, Slowenien, Mazedonien, Montenegro und Bosnien-Herzegowina hervorgegangen sind.
25 Inkorporation bedeutet die Einverleibung eines souveränen Staates in einen anderen souveränen Staat. Der einverleibende Staat ist demnach der Inkorporant.
26 Die deutsche Wiedervereinigung ist ein Beispiel für eine Fusion.
27 lateinisch civitas Romana. Anfangs handelte es sich nur um das Bürgerrecht der Einwohner der Stadt Roms. Im Laufe der Ausdehnung des römischen Herrschaftsgebietes wurde das Bürgerrecht auch an andere Personen im Römischen Reich verliehen. Das römische Bürgerrecht konnte durch Geburt (als Kind einer römischen Mutter) oder durch Verleihung (i.d.R. Fürsprachen oder Militärdienst in den Hilfstruppen) erlangt werden.
28 Vgl. Jahn, Egbert (2007): Nation/Nationalismus. Lexikon Politik - Hundert Grundbegriffe, Reclam Verlag, Stuttgart, S. 174.
29 staatlicher Nationen-Begriff.
30 Vgl. Jahn, Egbert (2007): Nation/Nationalismus. Lexikon Politik - Hundert Grundbegriffe, Reclam Verlag, Stuttgart, S. 175.
31 Vgl. Jahn, Egbert (2007): Nation/Nationalismus. Lexikon Politik - Hundert Grundbegriffe, Reclam Verlag, Stuttgart, S. 175.
32 Vgl. Ibid., S. 179.
33 Teile und herrsche.
34 Gemäß der Definition von Johann Gottlieb Fichte ist die Nation überzeitlich existent und bedarf lediglich einer Artikulation. Sie ist also eine von Gott geschaffene, in alle Ewigkeit und unabhängig von der Geschichte bestehende seiende Einheit.
35 Vgl. Tabler, Andrew J. al et (2016): The Lines that Bind - 100 years of Sykes-Picot. The Washington Institute for Near East Policy, Washington D.C., S. 1.
36 Die Konferenz von Sanremo fand vom 19. bis 26. April 1920 statt.
37 Russland sollte Armenien und Teile von Kurdistan erhalten.
38 Das Greater Middle East Project wurde als politischer Begriff von George W. Bush genutzt. Es handelt sich hierbei um eine Initiative zur politischen Umgestaltung des Nahen Ostens.
39 Burkay, Kemal (2009): Kurdistan: Die Kurdenfrage - Geschichte und Gegenwart. Self-Publishing, https://daten2.verwaltungsportal.de/dateien/seitengenerator/kurdistan.pdf, S. 1.
40 Demokratische Föderation Nordsyrien - Rojava (Westkurdistan).
41 Begründer des Zoroastrismus, einer monothoistischen persischen Religion, die bis zur Islamisierung Persiens Staatsreligion war und drei wichtige Grundsätze beinhaltet: gut denken, gut reden, gut handeln.
42 Seit der Zeit der Meder haben sich die Kurden zum Mazdeismus- bzw. Zoroastrismus bekannt.
43 Islamische Dynastie kurdischer Herkunft, die von 950 bis 1170 n. Chr. in Armenien und Aserbaidschan herrschte.
44 Deutsch auch Merwaniden. Eine kurdische Dynastie, die von 990 bis 1096 n. Chr. im Nordirak und Südostanatolien herrschte.
45 Sunnitisch-muslimische Dynastie kurdischer Herkunft, die insbesondere durch Sultan Selahaddin in Europa bekannt wurde.
46 Vgl. Burkay, Kemal (2009): Kurdistan: Die Kurdenfrage - Geschichte und Gegenwart. Self-Publishing, https://daten2.verwaltungsportal.de/dateien/seitengenerator/kurdistan.pdf, S. 2.
47 Die Aufteilung Kurdistans erfolgte im Vertrag von Kasri Shirin 1638.
48 Es handelt sich hierbei um eine Bezeichnung des Sitzes des osmanischen Großwesirs bzw. der osmanischen Regierung. Während langer Perioden des Reiches ging die eigentliche politische Macht von hier aus, und nicht vom Hof des Sultans (Yıldız Köşkü).
49 Burkay, Kemal (2009): Kurdistan: Die Kurdenfrage - Geschichte und Gegenwart. Self-Publishing, https://daten2.verwaltungsportal.de/dateien/seitengenerator/kurdistan.pdf, S. 2.
50 Mesopotamien.
51 Syrien und Libanon.
52 Vgl. Burkay, Kemal (2009): Kurdistan: Die Kurdenfrage - Geschichte und Gegenwart. Self-Publishing, https://daten2.verwaltungsportal.de/dateien/seitengenerator/kurdistan.pdf, S. 2.
53 Vgl. Ibid., S. 2.
54 Ibid., S. 2.
55 Burkay, Kemal (2009): Kurdistan: Die Kurdenfrage - Geschichte und Gegenwart. Self-Publishing, https://daten2.verwaltungsportal.de/dateien/seitengenerator/kurdistan.pdf, S. 3.
56 Der besonders in Europa verbreitete Name bezieht sich auf die Hauptstadt Mahabad im Nord-Westen Irans.
57 Operation Ajax (eig. TPAJAX). Hierbei handelt es sich um einen Putsch durch die amerik. CIA und dem brit. MI6, bei dem die Regierung von Dr. Mossadegh gestürzt und Faslollah Zahedi als Premierminister eingesetzt wurde. Besonders pikant: Um die Ansprache an das Volk, durch den eingesetzten Premierminister Zahedi, im Radio musikalisch zu untermalen wurde versehentlich eine Schallplatte genommen, die die amerikanische Nationalhymne abspielte.
- Quote paper
- Mehran Zolfagharieh (Author), 2019, Kurdistans Erwachen. Stabilität, Demokratie oder Flächenbrand?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/462243
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.