Die Klassikbranche im Umbruch! Nachdem seit Jahren die Abo-Zahlen der Konzerthäuser sinken und der Altersschnitt im Bereich 50+ liegt, stellt sich die Frage nach der Berechtigung von enormen Subventionen. Einhergehend mit der Digitalisierung, ist ein Wandlungsprozess auch in der Klassik Branche nötig. Doch gibt es diesen? Und wie sieht sich die Branche selbst? Hier eine Perspektive über ein Musikgenre, dass sich bewegen muss!
Die Glocke tönt durch das Foyer. Männer in Anzügen, Smokings und Wracks, sowie Frauen in eleganten Kleidern strömen erhaben und äußerst höflich in den Saal. Drinnen erwartet die Eindringenden ein prunkvoller Konzert-Saal im Jugendstil mit rot-gepolsterten Sesseln, vergoldeten Ornamenten an den Wänden, sowie einem großen Kronleuchter der über dem Publikum schwebt.
Auf die Bühne tritt das Wiener Philharmonie-Orchester auf, angeführt vom niederländischen Star Dirigenten Bernard Haitink und unter tosendem Applaus des Publikums. Auf dem Programm, die Symphonie Nr. 9 in D-Dur von Gustav Mahler.
Gemeint sind mit diesem Bild die Salzburger Festspiele, die als eine der bedeutendsten Festivals klassischer Musik auf der Welt gelten und bereits seit 1920 in der Mozartstadt stattfinden (vgl. Wikipedia.de: Salzburger Festspiele, 16.06.2017). Hier trifft sich die Elite der Klassik-Szene, gibt sich die Klinke in die Hand und steht repräsentativ für die Qualität der Salzburger Festspiele. Von Maler über Mozart, Strauß, Brahms oder Tschaikowski sind die großen Namen der klassischen Komponisten Geschichte vertreten und wissen mit buchstäblichen „Klassikern“ ihr Publikum zu verzaubern (vgl. o.V. 2017, 20.06.2017).
Trotz des Versuchs eine Art 60er Jahre Kulturverständnis zu vermitteln, in der Musik für jedermann aufgeführt wird, versammelt sich alljährlich hier die Elite aus Politik und Wirtschaft, sowie das Bildungsbürgertum mit gewisser Kulturaffinität.
Bemerkenswert dabei, dass sich aus einer überblickenden Perspektive auf die sich versammelte Besucherschaft, sowie die Interview-Partner schnell herausstellt, dass sich der Großteil der Gilde im Herbste ihres Lebens steht, was sich an den ergrauten Häupten abzeichnet (vgl. Siemens: Salzburger Festspiele für Jedermann, 16.06.2017). Vielleicht ist dies an dem hohen Durchschnittsalter der Bevölkerung Salzburgs und Umgebung geschuldet, jedoch besteht das Publikum aus überregionalem und sogar internationalem Gästen, weshalb vermutlich der Eintrittspreis, das Programm oder die Musiksparte Grund für den Altersschnitt ist.
Denn lässt man den Blick über die allgemeine Besuchsdemografie der klassischen Musik schweifen, stellt sich heraus, dass dies eher die Regel als die Ausnahme ist (vgl. Tschmuck 2013, 16.06.2017).
Doch woran liegt es, dass Jugendliche und junge Erwachsene nicht zu klassischen Konzerten gehen? Besteht kein Interesse in der Musikrichtung? Ist diese sogar „out“? Oder liegt es womöglich an der Form der Präsentation der Konzerte, also dem Format, dass diese Zielgruppe nicht erreicht wird? Die viel zitierte „Krise der Klassik“ zeichnet ein dunkles Bild für die gesamte Klassik-Branche und sieht diese in akuter Gefahr. Vor allem (Fach-)Magazine, Zeitungen und andere Medien befeuern diese „Krise“ seit längerem und sehen „ein Sterben der Klassik-Hörer“ (vgl. Bech 2010, 16.06.2017)! Und tatsächlich zeigt eine Studie des VDKD, dass der Anteil der Besucher unter 30 Jahren im Jahre 2007 gerade mal 15% ausmachte und der Anteil der Generation 60+ 52% einnahm (VDKD (Hrsg.) 2007, 16.06.2017). Im Vergleich, 1979 war der Anteil jüngerer und älterer Besucher noch recht ausgeglichen. Und auch das Kulturbarometer des Zentrums für Kulturforschung, sah in 2010/2011 keine Verbesserungen der Zahlen (vgl. Keuchel 2011, S. 6). Die daraus entwickelte Angst, dass keine neue Klassik-Hörer Generation folgt ist daher in der Branche groß und so wird schon seit Jahren ein Untergangs-Szenario befeuert, dass von einzelnen, „lauten“ Branchen-Leuten gestützt wird.
Doch gibt es denn wirklich kein Interesse mehr der Jugend an der Klassik, oder bedarf es lediglich eines Wandels der Branche?
Dass sehr wohl ein Interesse der Jugend an der Klassik besteh, kann anhand einiger Faktoren erkannt werden. Zum einen sind die Zahlen der Teilnehmer am bundesweiten Klassik-Wettbewerbs „Jugend Musiziert“ kontinuierlich gestiegen und auch der Anteil der Musikstudenten in Hochschulen stieg die letzten Jahre an (vgl. Jugend Musiziert (Hrsg.), o.J., 16.0.2017 und o.V., 2013, 16.06.2017). Und auch die Wertschätzung für Klassik unterlegen dies. So geben 88 % der Menschen in Deutschland an, dass die Klassik ein wichtiges kulturelles Erbe ist (vgl. Hanssen, 2014, 16.06.2017). Dennoch bleibt das Problem, dass wenig junge Menschen, hiermit sind Menschen unter 30 Jahren gemeint, sich zum Klassik-Konzert auffinden. Nach einer Forsa-Studie geht nur jeder Zehnte im Jahr zu einem klassischen Konzert (vgl. Hanssen, 2014, 16.06.2017).
Auch medial wurde die Krise der Klassik aufgebauscht und zu diesem Bild bewegt. So berichtete der Deutschlandfunk schon in 2003 (!) von der Krise der Klassik und auch in 2015 folgt das ZDF dieser medialen Marschroute (vgl. o.V., 2003, 16.06.2017). Im ZDF Beitrag fordert der Kulturwissenschaftler Martin Tröndle einen Veränderungsprozess und prangert die Konventionen der Klassik an, zu denen unter anderem die Kleiderordnung und Sitte gehört. Aber auch eine gewisse „Langeweile sagt der Kulturmanager- und -wissenschaftler mit Lehrstuhl an der Zeppelin University in Friedrichshafen dem klassischen Konzertprozess nach (vgl. ZDF: Klassik in der Krise, 2015, 16.06.2017).
Zwar spricht gegen eine Krise der Klassik unter anderem die steigenden Zahlen von klassischen Veranstaltungen, erhoben vom deutschen Musikrat (vgl. Musikinformationszentrum (Hrsg.), 2017, 20.06.2017). Dennoch stellt sich die allgemeine Diskussionsthematik, ob klassische Musik auch junge Menschen erreichen sollte und dann entsprechende Veränderung nötig sei?
Einige Stimmen behaupten, dass auch in Zukunft, im gleichen Ausmaß, ein Klassik-Publikum vertreten sein wird. Dabei wird argumentiert, dass das Interesse an klassischer Musik bei vielen erst mit dem Alter eintritt und somit auch über die Jahrzehnte ein entsprechend älteres Publikum existiert (vgl. Eberlein, J.u., S. 1). Das dies anzweifelbar ist, zeigen die oben bereits erwähnten Zahlen vom VDKD und dem Zentrum für Kulturforschung, die zeigen, dass es über die Jahre eine deutliche Verschiebung gab (siehe S. 3).
Auch scheint im Zuge des demografischen Wandels keine Veränderung nötig, da das Verhältnis von Senioren und Jugendlichen immer drastischer Richtung Senioren, und somit zu den momentanen Hauptnutzern, tendiert (vgl. Hoppenstedt, 2006, S. 9). Somit müsste das Publikum in den nächsten Jahren sogar wachsen. Dennoch bleibt dies nur eine mittelfristige Sichtweise, da auch mit schrumpfender Bevölkerung, eine kommende Generation folgt. Zudem steigt durch den demografischen Wandel die Intensität des Marktes und die Konkurrenz der verschiedenen Anbieter. Dies liegt am höheren Angebot durchsinkende Nachfrage, die durch die sinkende Bevölkerungszahl entsteht (Hausmann, 2006, S. 43 ff.).
Dass sich die Gesellschaft und die Nutzung von Musik im Allgemeinen verändert hat, zeigen unter anderem die vielen Genre-Mischungen die es in allen Sparten gibt. Angefangen von David Garrett, der Pop und Klassik verbinden bis zu Vanessa Mae oder Apocalyptica. Die Grenzen verschwimmen im Zuge der sich dynamisch entwickelnden Moderne (Baumann,2003, S. 13). Heute ist das Interessensspektrum nicht mehr auf ein, oder zwei Genres limitiert, sondern vielmehr wird von „jedem etwas“ konsumiert. So kann es sein, dass in der CD Sammlung Jugendlicher, falls diese noch besteht, neben Rammstein und Kraftwerk auch Mozart oder Chopin steht (vgl. o.V., 2003, 18.06.2017). Diese Entwicklung wird auch durch die Veränderung im Streaming sichtbar, wo der Zugriff auf sehr viel Musik einfach ist und dadurch ein breiteres Hör-Spektrum entsteht (Sobbe, 2017, S. 27). Es scheint daher schwer vorhersehbar, inwiefern in Zukunft die Klassik in der Form weiterbestehen wird oder nicht, oder ob auch die folgenden Generationen im Alter zur Klassik finden. Nichtsdestotrotz wird es mit Sicherheit auch in Zukunft ein Klassik-Publikum geben. Jedoch sprechen zwei Gründe für einen Wandel:
Zum einen, könnte ein Wandel für mehr Relevanz einer Branche führen, die seit einigen Jahren gerade medial an Präsenz verloren hat. Sogar auf eher klassischen Sendern wie dem WDR werden kaum noch klassische Konzerte übertragen (vgl. WDR (Hrsg.), 2017, 20,06.2017). Einzige Vertreter mit größerer Präsenz sind populäre Klassik-Künstler wie David Garret oder Jonas Kaufmann. Mehr Relevanz bedeutet, dass durch die Ansprache von mehr jungen und auch anderen sozialen Schichten, der Branchenanteil im Vergleich zu anderen Musik-Sparten zunimmt und damit auch das Aufsehen steigt.
Zudem ist ein weiterer Grund die Legitimation. Gerade in der Klassik-Branche ist der Finanzierungsanteil von Unternehmen hoch, da gerade viele Orchester öffentlich sind (vgl. Michael Söndermann, S. 6). Auch bei vielen Konzertsälen handelt es sich um öffentliche Einrichtungen, mit Subventionen aus Steuergeldern. Daher sollte es doch die Pflicht solcher Institutionen sein, Programme für ein breites Spektrum der Gesellschaft zu bieten. Dies umschließt natürlich nicht nur Jugendliche.
Ein solcher Wandel hält aber auch weitere Vorteile für die Institutionen und die Branche allgemein bereit. Ein größeres, potenzielles Publikum bedeutet nämlich auch mehr mögliche Einnahmen aus einer wirtschaftlichen Perspektive und des Weiteren ist dieser Ansatz auch nachhaltiger, da die frühe musikalische Vermittlung von klassischen Inhalten ein Publikum für die Zukunft mitaufbaut, wie es Bourdieu für Museen bereits erforschte (vgl. Bourdieu, S. 40). Auch Hausmann und Körner betonen, dass in der Kindheits- und Jugendphase „die Grundlage für den Zugang zur Kultur geschaffen“ wird (Hausmann und Körner, 2009, S.39).
Doch wie soll dieser Wandel, den Tröndle anspricht, aussehen, um für ein primär junges Publikum attraktiver zu wirken? Seit Jahrzehnten wird klassische Musik traditionell im Kontext des 18. Und 19. Jahrhunderts aufgeführt. Prunkvolle Säle, eine gewisse elitäre Haltung und eine Ernsthaftigkeit, die sogar zur Unterscheidung von E-Musik und U-Musik geführt hat. Jedoch besteht zur heutigen Zeit ein großer Individualisierungs-Trend, in dem Vorgaben über Verhalten oder Kleidung wenig Anklang findet (vgl. Zukunftsinstitut (Hrsg.), 2015, 18.06.2017). Daher besteht offenbar ein Verlangen nach der Freiheit, nicht einer Konvention entsprechen zu müssen, und sich zum Beispiel so zu kleiden, wie Mann/Frau es möchte.
Auch die künstliche Unterscheidung zwischen ernster und unterhaltender Musik ist überholt. Dass sich die Klassik hier überhöht und über der Populärmusik thront anstatt zu akzeptieren, dass es weitere, gleichbedeutende Musikformen gibt, lässt Sie elitär wirken. Auch wenn klassische Musik nicht nur unterhalten soll und eine Symphonie nicht mit einem 3-Minuten-Popsong verglichen werden kann, ist auch in der Klassik der Unterhaltungsfaktor von großer Bedeutung, der sich in Form von ernsten Inhalten widerspiegeln kann, aber die heutige Erlebnisgesellschaft verlangt ein Erlebnis als Konsumgut (vgl. Schulz, 2005, S. 422). Zudem vermittelt auch die Unterhaltungsmusik ernste Inhalte, weshalb die Abgrenzung schwierig erscheint.
Was Martin Tröndle auch mit „Langeweile“ schildert, ist auch eine Kritik an der Programmgestaltung, die gefühlt nur Klassiker wie Brahms, Gluck oder Beethoven zu kennen scheint. Dass auch gerade eine moderne klassische Musik von temporären Künstlern einen Abgrenzungspunkt, sprich USP, bieten kann und zudem ein echtes neues Erlebnis bietet mit neuer Musik, wird nur teilweise gesehen. Viele Institutionen fürchten das Risiko von Neuem. Dass es hier hochwertige und aufführungswürdige Musik gibt, ist sicher unbestritten. Dass diese auch ankommen dürfte, liegt einerseits daran, dass diese Musik als Reflektion der heutigen Gesellschaft, aktuelle Themen bearbeitet, aber auch Neues/Unbekanntes zeigt, wonach es Menschen gerade in der Moderne zu reizen scheint, wie die starke Entwicklung Richtung Innovation in allen Bereichen zeigt (Ax, 2006, 26.06.2017). Beispielhaft dafür ist das neue Wahrzeichen Hamburgs, die Elbphilharmonie, die ein breites Programm bietet und nicht vor innovativen und modernen Stücken zurückschreckt. Das Stück „Handsfree“ der 39-Jährigen Komponistin Anna Meredith nutzt keine Instrumente und war ein großer Erfolg (NDR: Release The Keast, 18.06.2017). Aber auch Beispiele aus dem Bereich Oper belegen diese Tendenz. So arbeitet das Theater Erfurt seit einigen Jahren erfolgreich mit Uraufführungen (Schuster, 2016, S. 13).
Dass diese theoretischen Überlegungen auch in der Praxis erfolgreich sein können, zeigt das PODIUM Festival in Esslingen am Neckar auf eine bemerkenswerte Art. Bereits mit einem „ECHO“ ausgezeichnet, zeigt das Festival wie eine neue attraktive Form aussehen kann. Dabei versucht der Kopf des Festivals, Steven Walter, und sein Team neue Orte für zum Teil moderne und zum anderen traditionelle klassische Stücke zu finden und durch das kaschieren der Namen der Stücke und Komponisten, die Musik in den Vordergrund zu stellen. Auch was Innovation und Überraschungen angeht, kann das Festival als Best-Practice Beispiel fungieren und begeistert ein durchmischtes Publikum Jahr für Jahr (o.V., 2017, 02.07.2017).
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- Quote paper
- Friedemann Bauknecht (Author), 2017, Nötiger Veränderungsprozess in der Klassikbranche, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/458877
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