Bei der vorliegenden Interpretation propertianischer Dichtung geht es um die Frage, in welche literarische Tradition Properz sich selbst einordnet und welche Vorbilder er ausdrücklich hervorhebt. So lassen sich Schlußfolgerungen für sein dichterisches Selbstverständnis ableiten, die für jede weitere Analyse hilfreich sind. Wertvolle Hinweise finden sich vor allem in den jeweiligen Anfangsgedichten der vier Bücher des Gesamtwerks.
Beispielhaft werden hier anhand des Carmen III, 1 literaturgeschichtliche Zusammenhänge deutlich gemacht: »Callimachi Manes« steht kraftvoll und ostentativ am Beginn des dritten Gedichtbuches, und das ist mehr als die geistreiche Variation eines literarischen Topos, nämlich des Musenanrufs, es ist ein dichterisches Bekenntnis. An exponierter Stelle beruft sich der römische Dichter hier auf die hellenistischen Dichter Kallimachos und Philetas, zwei berühmte Vertreter der alexandrinischen Dichtung. Im Verlauf der Untersuchung wird nachgewiesen, daß der antike Begriff der literarischen "imitatio" nicht wie heute negativ belegt ist, sondern daß für einen antiken Römer der Rückgriff auf berühmte Vorbilder und Autoritäten im Gegenteil ein Qualitätsmerkmal darstellte. Gleichwohl zeigt sich bei der Analyse des Textes, daß Properz bei allem literarischen Traditionsbewusstsein deutlich auch seine eigenständige Leistung und die Neuartigkeit seiner Dichtung hervorhebt - und dies zu recht.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Biographischer, politisch-sozialer und kultureller Hintergrund propertianischen Schaffens
3. Spezielle Intentionen von Properz in den Anfangsgedichten seiner vier Bücher
4. Das dichterische Selbstverständnis im Carmen III, 1
4.1. Darstellung und Gliederung der wesentlichen Inhalte
4.2. Detailinterpretation der Verse 1-20
5. Zusammenfassung und Schlußfolgerungen
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Wenn wir uns heute mit einem antiken Dichter wie Properz näher beschäftigen, dann haben wir eine stillschweigende Voraussetzung bereits getroffen: Wir nehmen nämlich an, daß eine Auseinandersetzung mit seiner Dichtung tatsächlich lohnenswert sein wird, denn wir betrachten ihn als einen begabten und geschickten Künstler, der sein Handwerk versteht und uns etwas zu sagen hat. Doch vielleicht tut es gut, vor jeder detaillierten Interpretation zunächst einmal zu fragen, was denn einen wirklich guten Dichter ausmacht, welche Anforderungen wir an ihn stellen und wie wir seine Qualität methodisch beurteilen können. Dabei werden wir verschiedene Kriterien festlegen, die zwar eine subjektiv unterschiedliche Gewichtung erfahren können, jedoch in der Sache weitgehend übereinstimmen dürften.
Stark vereinfacht erwarten wir von dichterisch-schöpferischen Werken vor allem drei Dinge: Zum einen inhaltliche Ausdrucksstärke und Gedankenreichtum, zweitens formale Präzision und Raffinesse, schließlich – im Hinblick auf Inhalt und Form – Kreativität und Originalität. Beim letzten Punkt muß jedoch sogleich hinzugefügt werden, daß kaum ein Werk ohne Vorgänger und Vorbilder auskommt, so wie die großen Schöpfungen ihrerseits ja wieder Ideal und Anregung für neue Werke geworden sind. Entscheidend ist hier, ob die Vorbilder kritiklos übernommen und somit bloß plagiiert werden, oder ob über sie hinausgegangen wird, um etwas Eigenständiges zu schaffen. Wir werden später sehen, wo Properz seine Vorbilder hat – unter anderem natürlich bei den alexandrinischen Dichtern – und wie er mit ihnen umgeht.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig darauf hinzuweisen, daß in der Antike ein anderes Verständnis von literarischer Nachfolge (imitatio) herrschte als heute[1]. Zwar belegten auch die Römer eine phantasielose Nachahmung mit dem negativen Begriff plagium, doch stellt sich die römische Literatur bewußt und ausdrücklich in die Nachfolge ihrer griechischen Vorgänger; bisweilen freilich durchaus im Sinne eines Wettstreits zwischen griechischem »Meister« und römischem »Schüler«. In jedem Falle gilt die gekonnte imitatio berühmter Vorgänger im antiken Rom nicht wie heute als Mangel an Kreativität, im Gegenteil, die Berufung auf große Vorbilder, die letztlich als Autoritäten gelten, steigert den eigenen Ruhm und wird vom Publikum sogar erwartet. Michael von Albrecht bemerkt dazu: »Wie im politischen Leben Neuerungen als altrömischer Brauch deklariert werden müssen, um akzeptiert zu werden, so muß man sich als Schriftsteller auf eine geistige Ahnenreihe berufen…«[2]
Bei der nachfolgend unternommenen Interpretation propertianischer Dichtung muß demzufolge besonderes Augenmerk darauf verwendet werden zu klären, in welche literarische Tradition Properz sich selbst einordnet und welche Vorbilder er ausdrücklich hervorhebt. So lassen sich Schlußfolgerungen für sein dichterisches Selbstverständnis ableiten, die bei jeder weiteren Analyse hilfreich sein können. Wertvolle Hinweise finden sich vor allem in den jeweiligen Anfangsgedichten der vier Bücher des Gesamtwerks, auf die später noch genauer Bezug genommen wird. Anhand des Carmen III, 1 werden anschließend noch speziellere Zusammenhänge deutlich gemacht. Zuerst soll indessen kurz auf äußere Faktoren hingewiesen werden, die den Dichter ebenfalls beeinflußt haben – vermutlich auch bei der Wahl seiner Vorbilder.
2. Biographischer, politisch-sozialer und kultureller Hintergrund propertianischen Schaffens
Jeder Dichter ist als Kind seiner Zeit und innerhalb der Gesellschaft, in der er lebt, vielfältigen Einflüssen ausgesetzt, denen er sich schwer oder gar nicht entziehen kann und die dementsprechend Eingang in seine Werke finden. Zunächst ist zweifellos der biographische Hintergrund zu jeder Zeit präsent und prägend, sei es in Form von direkten, offenkundigen Bezügen zwischen Fiktion und Realität, sei es eher subtil oder gar unbewußt, so daß Zusammenhänge erst durch feinfühlige Interpretation aufgedeckt werden müssen. In dieser Hinsicht macht es Properz uns leicht und schwer zugleich: Leicht, weil es so gut wie keine objektiven biographischen Informationen gibt[3], auf die man sich beziehen könnte; jedoch in Wahrheit desto schwieriger, weil wir daher aus der Dichtung auf den Dichter rückschließen müssen – ein stets problematisches Unterfangen.
Als weitgehend gesichert kann gleichwohl gelten, daß Properz in Assisi als Angehöriger des Ritterstandes wohl gegen Ende der fünfziger Jahre v. Chr. geboren worden ist, daß seine gens im Perusinischen Krieg große Teile ihres Landbesitzes verlor, daß er bald nach seiner Ankunft in Rom sich ganz der Poesie hingab und bis zu seinem Tod (nach 16 v. Chr.) dem Maecenaskreis angehörte[4]. Daraus läßt sich immerhin ableiten, daß womöglich das Trauma des Kriegserlebnisses ihn zu seiner Abkehr vom politisch tätigen Leben motivierte und gleichermaßen im dichterischen Bereich seine Absage an das »kriegerische« Epos zumindest mitbedingt hat. Weiterhin ist bemerkenswert, daß Properz als Mitglied der Dichtergemeinschaft um Maecenas bestimmten Normen unterworfen und in gewissem Grade der augusteischen Kulturpolitik verpflichtet war. Beides – Kriegserlebnis und Protektion des Maecenas – findet in den Gedichten seinen Niederschlag.
Die unmittelbare gesellschaftliche Kulisse der propertianischen Liebesdichtung bildet das Rom des princeps Augstus, d.h. die Regierungsform des Prinzipats mit allen ihren Konsequenzen. »Nach offiziellem Verständnis war der Prinzipat eine im Recht verfaßte Ordnung, welche die jahrhundertealten Institutionen der römischen res publica fortsetzte oder, wie man es genauer formulierte, sie nach den Wirren eines […] Bürgerkrieges ›wiederherstellte‹…«[5], schreibt Jochen Bleicken in seiner jüngst erschienenen Augustus-Biographie. Mit einer solchen offiziellen Staatsvorstellung sollte offensichtlich das stark ausgeprägte Traditionsbewußtsein der Römer zufriedengestellt werden, welches weiter oben bereits für die Literatur erwähnt worden war. Zudem war Augustus daran gelegen, die faktische Monarchie durch den Schleier einer »Verfassung« und die Fassade der »alten Ordnung« zu verhüllen. Charles de Montesquieu bemerkt hierzu mit treffender Prägnanz: »Sulla, ein hitziger Mensch, riß die Römer mit Gewalt zur Freiheit. Augustus, ein schlauer Tyrann, führte sie sachte zur Knechtschaft.«[6]
Freilich soll bei aller Kritik nicht vergessen werden, daß unter augusteischer Herrschaft das Römische Reich eine nie gekannte Zeit des Friedens, der Stabilität, des Wohlstandes und der kulturellen Blüte erlebte. Im Bereich der Kultur strebte die augusteische Ideologie eine rege Kooperation von Politik und Kunst an, wobei unter anderem eine qualitativ hochwertige Nationalliteratur entstehen sollte, mit der sich das ganze Volk identifizieren konnte. Dementsprechend wurden durch Maecenas, den Freund und literarischen Berater des Kaisers, gezielt junge Talente ausgewählt und gefördert, von denen man einen Beitrag zum Ruhme auch des Staates erwarten konnte. Daraus erklärt sich, was Gian Biagio Conte im Hinblick auf die Literatur des Saeculum Augustum konstatiert: »Auf rein literarischer Ebene ist die Epoche durch eine außerordentliche und unwiederholbare Dichte von Meisterwerken gekennzeichnet.«[7]
Einer jener vielversprechenden und geförderten Poeten ist Properz. Ob er indessen in diesem Zusammenhang als pro-augusteisch, anti-augusteisch, politisch neutral oder überhaupt so einzuordnen ist, kann an dieser Stelle nicht erschöpfend behandelt werden. Nur soviel sei gesagt, daß er von den negativen Ereignissen des Krieges und der Proskriptionen ebenso beeinflußt worden sein muß wie von den Errungenschaften der Pax Augusta und den schöpferischen Kräften, die sie freisetzte. Doch wollen wir nun den Dichter selbst zu Wort kommen lassen und untersuchen, wie Properz die vielfältigen Einflüsse, von denen die Rede war, gebündelt und verarbeitet hat. Er selbst liefert uns dazu insbesondere am Beginn seiner Gedichtbücher aufschlußreiche poetologische Reflexionen, die – auch in ihrer Entwicklung über das Gesamtwerk hin – kurz skizziert werden sollen.
3. Spezielle Intentionen von Properz in den Anfangsgedichten seiner vier Bücher
Im ersten Gedicht eines jeden Buches bietet Properz zunächst im Sinne eines Prologes eine Art thematische Einstimmung auf das, was anschließend in kunstvoller Ausgestaltung und verschiedenen Variationen dem Leser präsentiert wird. In diesem Sinne bilden die Einleitungselegien – zusammen mit den Abschlußgedichten – den inhaltlichen Rahmen des jeweiligen Gedichtbandes[8]. Darüber hinaus erschließt sich jedoch bei genauerem Hinsehen eine weitere Bedeutungsebene, welche über die vordergründig geschilderten Ereignisse und Empfindungen hinausgeht und die Dichtung selbst zum Gegenstand der Betrachtung macht. In der Einleitung wird somit jeder der vier Gedichtzyklen vorab nicht nur thematisch, sondern auch dichtungstheoretisch erschlossen – freilich nicht erschöpfend, sondern eher in der Art einer allgemeinen Übersicht.
Im Vergleich mit anderen römischen Poeten sind die beschriebenen theoretischen Überlegungen, welche kunstvoll in bestimmte Carmina integriert werden, für propertianische Dichtung besonders charakteristisch: »Über das Wesen seiner Kunst äußert er [sc. Properz] sich im Gegensatz zu Tibull gern und ausführlich«[9], schreibt Georg Luck im Nachwort zu seiner Übersetzung beider Elegiker. Und gemäß der literaturgeschichtlichen Darstellung von Elaine Fantham »machen Properz und in geringerem Maße auch Ovid keinen Hehl aus ihren literarischen Affiliationen und Identitäten…«[10]. Michael von Albrecht schließlich geht in seinem Urteil sogar noch einen Schritt weiter und stellt fest: »Properz ist neben Horaz derjenige Augusteer, der am meisten über sein Dichtertum nachgedacht hat.«[11] Dieses Nachdenken artikuliert sich nun wie gesagt in besonderer Weise, aber keineswegs ausschließlich in den vier Einleitungselegien.
Buch I beginnt programmatisch mit dem Namen der Geliebten Cynthia, welche insgesamt das dominierende Thema bleiben wird, auch wenn die erste Elegie rein formal an den Freund Tullus gerichtet ist (wie im übrigen auch die Schlußelegie dieses Buches). Im wesentlichen wird hier zwar der Beginn und die Dauer einer unglücklichen Liebe klagend besungen, doch birgt bereits der Name Cynthia die gewollte Assoziation mit dem Berg Kynthos auf Delos, also der Geburtsstätte des Dichtergottes Apollon. Weiterhin bekennt sich Properz schon in den ersten Versen klar zur Liebesdichtung, und zwar im vollen Bewußtsein, daß dies wider die Vernunft geschieht (nullo vivere consilio, Prop. 1, 1, 6), welche ihn eigentlich zum Dienst im Staate führen müßte.
Wesentlich ausführlicher sind die poetologischen Reflexionen indessen in den folgenden Büchern gestaltet. Im zweiten Band wird eingangs zwar wiederum Cynthia als Quelle der Inspiration gepriesen, doch taucht später auch Kallimachos als Vorbild namentlich auf, und zwar im Rahmen einer ausführlichen Begründung der Ablehnung (recusatio) des Epos zugunsten der kleinen Form der Elegie. Zuvor waren außerdem bereits durch geistreiche Wortspiele Bezüge zu Philetas, zu den kallimacheischen Aitia, zum griechischen Enkomion, zur Lyrik, sogar zum Epos und zur Geschichtsdarstellung hergestellt worden.
[...]
[1] Cf. hierzu Michael von Albrecht: »Geschichte der römischen Literatur – Band 1«. Zweite, bearbeitete Auflage, München 1997, p. 11ff.
[2] Michael von Albrecht, ibid., p. 12.
[3] Cf. Niklas Holzberg: »Die römische Liebeselegie – Eine Einführung«. 2., völlig überarbeitete Auflage, Darmstadt 2001, p. 24f: »Über das Leben der beiden anderen Elegiker [sc. Properz und Tibull] wissen wir so gut wie nichts…«
[4] Cf. Carl Andresen (Hrsg.): »Lexikon der Alten Welt«, Zürich 1990, p. 2447f.
[5] Jochen Bleicken, »Augustus – Eine Biographie«, Berlin 2000, p. 372.
[6] Charles de Montesquieu: »Betrachtungen über die Ursachen von Größe und Niedergang der Römer», 1734, in: Marion Giebel: »Augustus«, 7. Auflage, Reinbek bei Hamburg 2001, p. 143.
[7] Gian Biagio Conte: »Die Literatur der Augusteischen Zeit«, in: Fritz Graf (Hrsg.): »Einleitung in die lateinische Philologie«, Stuttgart und Leipzig 1997, p. 193.
[8] Cf. Michael von Albrecht: »Geschichte der römischen Literatur – Band 1«. Zweite, bearbeitete Auflage, München 1997, p. 610f.
[9] Properz, Tibull: »Liebeselegien«, neu herausgegeben und übersetzt von Georg Luck, Zürich 1996, Nachwort p. 508.
[10] Elaine Fantham: »Literarisches Leben im antiken Rom«. Stuttgart 1998, p. 103.
[11] Michael von Albrecht, ibid., p. 615.
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.