Die vorliegende Arbeit untersucht sprachliche Handlungsmuster im Fremdsprachenunterricht und analysiert hierfür Unterrichtsdiskurse. Mit der Frage, wie ein Handlungsmuster schultauglich wird, haben sich umfassend Konrad Ehlich und Jochen Rehbein befasst. In ihrem 1986 erschienenen Buch "Muster und Institution- Untersuchungen zur schulischen Kommunikation" zeigen sie unter anderem die Merkmale und die Struktur des sprachlichen Handlungsmusters "AufgabeStellen/Aufgabe-Lösen" auf. Beschrieben wird dabei der idealtypische Gesprächsverlauf zwischen Lehrkraft und Teilnehmer im Fremdsprachenunterricht: Angefangen bei der "Aufgabestellung", die die Lehrkraft äußert, bis hin zur positiven beziehungsweise negativen Bewertung des "Lösungsversuchs" und dem damit verbundenen vollständigen Durchlaufen des "Aufgabe-Lösungs-Muster".
Die Bachelorarbeit analysiert eigens aufgenommenes Datenmaterial aus mehreren Deutsch als Fremdsprachenkursen hinsichtlich des sprachlichen Handlungsmusters "Aufgabe-Stellen/Aufgabe-Lösen". Dabei wird überprüft, ob die Unterrichtsdiskurse tatsächlich dem idealtypischen Gesprächsverlauf folgen, den Ehlich und Rehbein mit dem "Aufgabe-Lösungs-Muster" beschreiben. Darüber hinaus soll auf folgende Fragen eingegangen werden: Inwiefern zeigt sich das "Aufgabe-Lösungs-Muster" im analysierten Unterrichtsausschnitt? Äußern die Teilnehmer einen "Lösungsversuch"? Erfolgt eine Bewertung der Teilnehmer durch die Lehrkraft? Bewertet die Lehrkraft den "Lösungsversuch" positiv oder negativ? Wie reagiert die Lehrkraft auf ein eventuelles "Schweigen" der Teilnehmer? Wiederholt die Lehrkraft die Aufgabe noch einmal, "mit oder ohne Wink"? Muss die Lehrkraft die gestellte Aufgabe eventuell selbst beantworten, weil die Teilnehmer keinen "Lösungsversuch" liefern?
Eng verbunden mit dem "Aufgabe-Lösungs-Muster" ist die spezifische Sprechhandlung "Frage", die bei der Analyse der Transkripte ebenfalls berücksichtigt wurde. Darüber hinaus wird der Zusammenhang zwischen der Frage und dem gemeinsamen Wissen von Sprecher und Hörer, der auch für das "Aufgabe-Lösungs-Muster" eine Rolle spielt, beleuchtet.
Inhaltsverzeichnis
1 Vorbemerkung
1.1 Fragestellung
1.2 Datenmaterial
1.3 Vorgehensweise
2 Unterrichtstypische Handlungsmuster
2.1 Sprachliche Handlungsmuster als gesellschaftlich ausgearbeitete Formen des Handelns
2.2 Institutionen als Ensembles von Formen gesellschaftlicher Praxis
2.3 Das Aufgabe-Lösungs-Muster
2.4 Die Frage und das gemeinsame Wissen
2.5 Der Lehrervortrag mit verteilten Rollen
2.6 Das Illokutive Paradoxon des Fremdsprachenunterrichtes
3 Unterrichtstypische Handlungsmuster- am Beispiel verschiedener Unterrichtsdiskurse
3.1 Transkript 1: „Lösungen abliefern“
3.2 Transkript 2: „Lösungen abliefern“
3.3 Transkript 3: „Die fehlende Bestätigung der TN“
3.4 Transkript 4: „Die fehlende Bestätigung der TN“
3.5 Transkript 5: „Das Schweigen“
4 Fazit
Anhang
Transkript 1: „Lösungen abliefern“
Transkript 2: „Lösungen abliefern“
Transkript 3: „Die fehlende Bestätigung der TN“
Transkript 4: „Die fehlende Bestätigung der TN“
Transkript 5: „Das Schweigen“
Literaturverzeichnis
1.Vorbemerkung
1.1. Fragestellung
Mit der Frage, wie ein Handlungsmuster schultauglich wird, haben sich umfassend Konrad Ehlich und Jochen Rehbein befasst. In ihrem 1986 erschienenen Buch „Muster und Institution- Untersuchungen zur schulischen Kommunikation“ zeigen sie u. a. die Merkmale und die Struktur des sprachlichen Handlungsmusters „Aufgabe- Stellen/Aufgabe-Lösen“ auf. Beschrieben wird dabei der idealtypische Gesprächsverlauf zwischen LK1 und TN im Fremdsprachenunterricht: Angefangen bei der „Aufgabestellung“, die die LK äußert, bis hin zur positiven bzw. negativen Bewertung des „Lösungsversuchs“ und dem damit verbundenen vollständigen Durchlaufen des „Aufgabe-Lösungs-Muster“.
Die Bachelorarbeit verfolgt nun das Ziel eigens aufgenommenes Datenmaterial aus mehreren Deutsch als Fremdsprachenkursen hinsichtlich des sprachlichen Handlungsmusters „Aufgabe-Stellen/Aufgabe-Lösen“ zu untersuchen. Dabei soll überprüft werden, ob die Unterrichtsdiskurse tatsächlich dem idealtypischen Gesprächsverlauf folgen, den Ehlich und Rehbein mit dem „Aufgabe-Lösungs-Muster“ beschreiben. Darüber hinaus soll auf folgende Fragen eingegangen werden:
- Inwiefern zeigt sich das „Aufgabe-Lösungs-Muster“ im analysierten Unterrichtsausschnitt?
- Äußern die TN einen „Lösungsversuch“?
- Erfolgt eine Bewertung der TN durch die LK?
-Bewertet die LK den „Lösungsversuch“ positiv oder negativ?
- Wie reagiert die LK auf ein eventuelles „Schweigen“ der TN?
- Wiederholt die LK die Aufgabe noch einmal („mit oder ohne Wink“)?
- Muss die LK die gestellte Aufgabe eventuell selbst beantworten, weil die TN keinen „Lösungsversuch“ liefern?
Eng verbunden mit dem „Aufgabe-Lösungs-Muster“ ist die spezifische Sprechhandlung
„Frage“, die bei der Analyse der Transkripte ebenfalls berücksichtigt werden soll. Hierbei wird vor allem auf die unterschiedlichen Fragetypen und ihre Verwendung im Fremdsprachenunterricht eingegangen. Darüber hinaus soll der Zusammenhang zwischen der Frage und dem gemeinsamen Wissen von Sprecher und Hörer, der auch für das „Aufgabe-Lösungs-Muster“ eine Rolle spielt, beleuchtet werden.
1.2. Datenmaterial
A2- Kurs:
Die Transkripte 3 und 4 wurde in einem A2- Kurs aufgenommen. Die TN des A2- Kurses kamen aus Italien, Korea, China und der Türkei, weshalb es sich um eine heterogene Lernergruppe handelte. Im Kurs lernten insgesamt sechs Frauen und zwei Männer. Die Muttersprache der LK war Russisch. Die LK nutze während der Unterrichtseinheit sowohl die Tafel als auch den Laptop und den Beamer, um den TN Aufgaben und grammatische Strukturen zu erklären. Die Transkript 3 und 4 sind in ein und derselben Unterrichtseinheit aufgenommen wurden, wobei Transkript 3 eine Übung zu den „Verben mit Akkusativ- bzw. Dativobjekt“ und Transkript 4 eine Übung zum „attributiven Adjektiv“ beschreibt.
B2- Kurs:
Die Transkripte 1 und 2 wurden in einem B2-Kurs aufgenommen. Die TN des B2- Kurses kamen aus China, Polen, Nigeria, Kolumbien und dem Iran. Es handelte sich daher ebenfalls um eine heterogene Lernergruppe. Im Kurs lernten insgesamt elf Männer und eine Frau. Die LK war tschechischer Muttersprachler. Die LK nutzte während der analysierten Unterrichtseinheit die Tafel, den Laptop und den Beamer. Laptop und Beamer diente dabei hauptsächlich zur Darstellung von grammatischen Strukturen und dazu gehörigen Beispielsätzen. Übungen wurde dagegen meist an der Tafel erklärt. Die Transkripte 1 und 2 wurden in ein und derselben Unterrichtseinheit aufgenommen. Das Transkript 1 beschreibt das Brainstorming zum Thema „Gründe und Folgen für das Auswandern“ und die anschließende Erklärung der LK zur grammatischen Struktur der „Kausalsätze“. Das Transkript 2 beschreibt die anschließende Übung, mit der die TN des Kurses die grammatische Struktur der „Kausalsätze“ üben und verinnerlichen sollten.
DSH- Kurs:
Das Transkript 5 wurde in einem „DSH- Kurs“ aufgenommen. Die TN des „DSH- Kurses“ streben die Ablegung der „Deutschen Sprachprüfung für den Hochschulzugang“ (= „DSH“) an und müssen zur Aufnahme des Kurses mindestens das Niveau B2 erreicht haben. Die TN des aufgenommenen DSH- Kurses kamen aus Indien, China und dem Iran, weshalb die TN eine heterogene Lernergruppe bildeten. Im Kurs lernten vier Männer und eine Frau. Während der Hospitation in der Unterrichtseinheit fiel auf, dass die LK des DSH-Kurses, im Gegensatz zu den anderen beiden LK, während der Unterrichtseinheit meistens sitzen blieb. Die LK nutze lediglich die Tafel, um unbekannte Wörter zu notieren.
1.3. Vorgehensweise
Nachdem das Thema der Bachelorarbeit festgelegt worden war, wurde zunächst überlegt, wo das Datenmaterial aufgenommen werden könnte. Hierzu bot sich das Fremdsprachenzentrum der Technischen Universität Chemnitz als Partner an. In einem Gespräch mit der kommissarischen Geschäftsführerin Frau Dr. Minogue erläuterte ich das Thema der Bachelorarbeit und den Wunsch einige Aufnahmen in den Deutsch als Fremdsprachenkursen des Fremdsprachenzentrums aufnehmen zu wollen. Nachdem Frau Dr. Minogue und die Dozenten den Aufnahmen zustimmten, konnten insgesamt drei Aufnahmen in den Deutsch als Fremdsprachenkursen aufgenommen werden. Die TN wurden davon unterrichtet, dass die Aufnahmen anonymisiert werden. Während der Unterrichtseinheit erfolgte zudem eine Hospitation, bei der unter anderem auf folgende Aspekte geachtet wurde: „Wie läuft die Unterrichtseinheit ab?“, „Was tragen die TN zum Gelingen der Unterrichtseinheit bei? Arbeiten die TN aktiv im Unterricht mit oder schweigen sie? Wie verhält sich die LK?“.
Im Anschluss an die Erhebung des Datenmaterials konnten die Transkripte mit Hilfe des „Halbinterpretativen Arbeitstranskriptionssystems (kurz: HIAT)“ (Ehlich/Rehbein 1976) angefertigt werden. HIAT bezeichnet ein System zur Verschriftlichung von gesprochener Sprache, das vor allem im Rahmen der funktional-pragmatischen Diskursanalyse eingesetzt wird. Das HIAT- System wurde von Konrad Ehlich und Jochen Rehbein entwickelt. Mit Hilfe der Transkripte konnte das aufgenommene Datenmaterial hinsichtlich des sprachlichen Handlungsmusters „Aufgabe-Stellen/Aufgabe-Lösen“ ausgewertet werden. Die Analyse der Transkripte orientierte sich dabei ebenfalls an der funktional- pragmatischen Diskursanalyse nach Ehlich und Rehbein. Der „Namensbestandteil Pragmatik“ deutet daraufhin, dass die Sprache als „besondere Form menschlichen Handelns“ (Weber/ Becker-Mrotzek 2012: 1) untersucht werden soll. „Funktional“ bedeutet, dass sprachliches Handelns vor allem durch seine „Zweckbezogenheit geprägt gesehen wird“ (ebd.). Die Funktionale Pragmatik untersucht die Sprache „in den Gebieten Grammatik, Syntax, Semantik, Phonologie und Schrift“ (ebd.). „Im Mittelpunkt des Untersuchungsinteresses“ der Funktionalen Pragmatik steht der „Zusammenhang von sprachlichem Handeln, sprachlicher Form und gesellschaftlichen, vor allem institutionellen Strukturen und Zwecken“ (Weber/ Becker-Mrotzek 2012: 2). Darüber hinaus versteht sich die Funktionale Pragmatik als „eigenständige Weiterentwicklung unterschiedlicher Forschungsansätze, vor allem der Sprechakttheorie, der Sprachtheorie Bühlers und der Handlungstheorie“ (ebd.). Die funktional-pragmatische Diskursanalyse bedient sich
„qualitativer Methoden“ und geht „empirisch-induktiv“ (ebd.) vor, d. h. sie „unterzieht Transkripte, die auf der Grundlage von akustischen oder audiovisuellen Gesprächsaufzeichnungen angefertigt wurden, einer hermeneutischen materialgeleiteten Analyse“ (ebd.). Auch die der Arbeit zugrundeliegenden Transkripte wurden mit Hilfe audiovisueller Gesprächsaufzeichnungen angefertigt.
Ausgehend von der in Gliederungspunkt „Fragestellung“ beschriebenen Zielsetzung, gliedert sich die Ihnen vorliegende Arbeit in 3 große Kapitel: Im ersten Kapitel „Vorbemerkung“ soll zunächst erläutert werden, welches Datenmaterial verwendet wurde und wie die Vorgehensweise bei der Erstellung dieser Bachelorarbeit war. Im Fokus des zweiten Kapitels stehen unterrichtstypische Handlungsmuster, wobei neben dem „Aufgabe-Lösungs-Muster“ auch der „Lehrervortrag mit verteilten Rollen“ erläutert werden soll. Darauf aufbauend, soll auch das „illokutive Paradoxon des Fremdsprachenunterrichtes“ beleuchtet werden. Im dritten Kapitel sollen die unterrichtstypischen Handlungsmuster anhand verschiedener Unterrichtsdiskurse analysiert werden. Hierzu werden insgesamt fünf Unterrichtsausschnitte betrachtet. Transkript 1 und 2 beschäftigen sich mit dem „Lösungen abliefern“ im Unterricht. Transkript 3 und 4 beschäftigen sich mit Unterrichtsdiskursen, in denen die LK die TN kaum bzw. gar nicht bewertet hat. Transkript 5 schildert „das Schweigen“ der TN gegenüber der LK während einer Unterrichtseinheit im DSH-Kurs. Abschließend sollen die Ergebnisse der Analyse der Transkripte in einem Fazit zusammengefasst werden.
2. Unterrichtstypische Handlungsmuster
2.1. Sprachliche Handlungsmuster als gesellschaftlich ausgearbeitete Formen des Handelns
Sprachliche Handlungsmuster sind „gesellschaftlich ausgearbeitete Formen des Handelns“, die „von der gesellschaftlichen Praxis“ (IQ1) entwickelt werden. Handlungen werden dabei als „zweckbezogene Tätigkeiten“ aufgefasst, wobei die Zwecke „mit dem System der gesellschaftlich herausgebildeten Bedürfnisse verbunden sind“ (ebd.). Die Zwecke determinieren daher auch die Formen des Handelns und „konstituieren spezifische Ensembles und Abfolgen von Tätigkeiten“, die den Aktanten als Handlungsmuster „zur Verfolgung ihrer Zwecke als gesellschaftlich ausgebildete Größen zu Verfügung“ (ebd.) stehen. Darüber hinaus umfassen sprachliche Handlungsmuster (z. B. das „Aufgabe-Lösungs-Muster“, Ehlich/Rehbein 1986) „konstituierende kleinere Tätigkeitsformen“, die mindestens drei Typen, den sogenannten „Pragmeme“ zugehören: „mentalen Handlungen, Interaktionen und gegenstandsbezogenen Aktionen“ (Ehlich/Rehbein 1979: 541). Mentale Handlungen und Interaktionen seien für sprachliche Handlungsmuster besonders wichtig, wobei das Verhältnis zwischen „Handlungsmustern“ und „Oberflächenerscheinungen“ „komplex und in doppelter Richtung zu bestimmen“ sei: „(a) die Muster determinieren die Oberfläche“ und „(b) die Oberflächenerscheinungen sind Realisierungen der Muster“ (ebd.: 542). Jene „systematischen Strukturen“, die im Handlungsmuster zusammengefassten Handlungen „spezifische Positionen zuweisen“, heißen „Musterpositionen“ (ebd.). Als Beispiele für solche „Musterpositionen“ führen Ehlich und Rehbein die sogenannten „benachbarte[n] Paare von Sprechhandlungen“ (ebd.) an.
Sprachliche Handlungsmuster finden sich häufig in Interaktionen in Lehr-Lern- Beziehungen in Institutionen der Wissensvermittlung, wie der Schule oder Hochschule, wieder. Das Fremdsprachenzentrum, in dem das Datenmaterial aufgenommen worden ist, unterliegt als Teil der Technischen Universität Chemnitz, einem ähnlichen institutionellen Rahmen wie die Hochschule selbst. Im Folgenden sollen daher Institutionen als „Ensembles von Formen gesellschaftlicher Praxis“ erläutert werden.
2.2. Institutionen als Ensembles von Formen gesellschaftlicher Praxis
Nach Ehlich und Rehbein organisiert sich die Bearbeitung von Handlungszwecken in „komplexen Strukturzusammenhängen, von denen die wichtigsten gesellschaftlichen Institutionen“ (Ehlich/Rehbein 1979: 539) seien. Gesellschaftliche Institutionen seien wiederum „Organisationsformen gesellschaftlicher Praxis“, in denen sich die „gesellschaftlichen Gesamtverhältnisse“ ausdrücken, die die „gesellschaftlichen Aktanten miteinander unterhalten und in denen sie ihre Lebenspraxis organisieren“ (ebd.). Institutionen entstehen daher „aus und für spezifische Zweckkombinationen“ und umfassen „darauf bezogene Teilzwecke in sich“ (ebd.: 540). Diese Zwecke determinieren wiederum die sogenannten „Formen des Handelns“, denn durch sie würden „spezifische Ensembles [= Handlungsmuster] von Tätigkeiten und Tätigkeitsabfolgen konstituiert“ (ebd.: 541) werden.
Bezogen auf das aufgenommene Datenmaterial bedeutet dies folgendes: Die Deutsch als Fremdsprachenkurse sind eine „Organisationsform gesellschaftlicher Praxis“, wobei sie vom institutionellen Rahmen des Fremdsprachenzentrums geprägt sind. Das Ziel des Fremdsprachenkurse ist es dabei, die TN dazu zu befähigen, im Alltag sprachlich handeln zu können. Ausgehend von diesem Ziel determinieren sich die „Formen des Handelns“ im Unterricht, wodurch „spezifische Ensembles von Tätigkeiten und Tätigkeitsabfolgen“, also z. B. das „Aufgabe-Lösungs-Muster“, konstituiert werden. Innerhalb des Fremdsprachenkurses drücken sich auch die „gesellschaftlichen Gesamtverhältnisse“ aus, die die LK und die TN miteinander unterhalten: Die LK, als Vertreter des gesicherten Wissens, bestimmt innerhalb des Fremdsprachenkurses, was die TN tun sollen, um das Ziel des Fremdsprachenkurses (= Befähigung zum sprachlichen Handeln) erreichen zu können: Mit Hilfe des „Aufgabe-Lösungs-Musters“ kann die LK den Unterricht zu einem bestimmten Lernziel (z. B. Erlernen einer grammatischen Struktur) hin entwickeln, die LK kann Aufgaben als sogenannter „Aufgabensteller“ erteilen, die LK kann die TN gegebenenfalls in ihren Äußerungen korrigieren, den TN Leistungsrückmeldungen geben usw.
2.3. Das Aufgabe-Lösungs-Muster
Das „Aufgabe-Lösungs-Muster“ (Ehlich/Rehbein 1986) wird, wie bereits beschrieben worden ist, häufig im schulischen Diskurs verwendet und ist für die Institution Schule „spezifisch“ (Brünner 2005: 182). Das „Aufgabe-Lösungs-Muster“ dient dem „Kenntniserwerb, den die Schule als ihren institutionellen Zweck verfolgt“, indem der „Lernstoff“ so an die TN herangetragen wird, dass die TN „das fehlende Wissen bzw. die Lösung selbst finden“ sollen und „mentale Tätigkeiten“ bei ihnen „initiiert werden“ (ebd.).
Ehlich und Rehbein teilen die Elemente des „Aufgabe-Lösungs-Musters“ zunächst auf zwei Aktantengruppen auf: „diejenigen, die die Aufgabe stellen, und diejenigen, die die Aufgabe lösen“ (Ehlich/Rehbein 1986: 14). Der kollektive Prozess des Problemlösens werde also dissoziiert, d. h. seine Teile würden auf verschiedene mögliche Handelnde umgelegt werden: den „Aufgabensteller“, im schulischen Diskurs die LK, und den„Aufgabenlöser“ (ebd.), die TN. Dabei verfüge der „Aufgabensteller“ über die „Problemkonstellation, die Zielsetzung, die sinnvolle (d. h. problemrelevante) Zerlegung der Problematik, die Lösung [und] die Lösungswege“ (ebd.). Die LK als „Aufgabensteller“ unterscheidet sich von den TN, weil sie keine Pläne mehr ausbilden muss, um zur „Lösung“ zu gelangen, weil sie bereits über diese Pläne verfügt. Darüber hinaus braucht die LK „keine Probehandlungen für Teilprobleme“ und auch „keine Prozesse der konkreten Negation auszuführen“ (ebd.: 15). All diese genannten Prozesse, genauso wie die beiden Punkte „Planbildung und Probehandlung fallen [beim „Aufgabe-Lösungs-Muster“ für die LK] weg“ (ebd.). Nach Ehlich und Rehbein sei dies der Ausdruck für einen „Praxisverlust, der das Aufgabe-Lösungs-Muster gegenüber dem Problemlösungsmuster kennzeichnet“ (ebd.).
Im Gegensatz zum „Aufgabensteller“ nimmt der „Aufgabenlöser“ teil an einer „Praxis, nämlich der Herstellung der Aufgabenlösung“ (ebd.). Die „Dissoziierung des Problemlösens“ beim „Aufgabe-Lösungs-Muster“ habe für den „Aufgabenlöser“ gravierende Konsequenzen: „wesentliche Elemente des Problemlösungsmusters sind für ihn in den „Aufgabensteller“ hinein ausgelagert“ (ebd.). So verfüge der „Aufgabenlöser“ weder über die Problemstellung, „noch über die Zielsetzung, noch über die problemrelevanten Zerlegungsmöglichkeiten der Problematik“ (ebd.). Der „Aufgabenlöser“ soll jedoch Lösungen präsentieren, was einen Widerspruch darstellt. Der „Aufgabensteller“, d. h. die LK, übernimmt sowohl die „Gesamt-“ als auch die „Detailzerlegung“, wobei er gleichzeitig über ein „Zielbewusstsein“ verfügt (ebd.). Der TN verfügt dagegen nicht über ein solches „Zielbewusstsein“, was jedoch den zentralen „Steuermechanismus des gesamten Musters“ (ebd.) bildet: Das „Zielbewusstsein“ „leitet die einzelnen Problemlösungsschritte an, es organisiert die Zerlegung der Problematik, es leitet die Planbildung an [und] es konstatiert die Erreichung der Lösung für das Problem“ (ebd.). Daraus ergibt sich nach Ehlich und Rehbein das zentrale Problem des „Aufgabe- Lösungs-Muster“: „Die Auslagerung [des zentralen Steuermechanismus] auf die Seite des Aufgabenstellers“ (ebd.).
Nachfolgend soll nun die Struktur des „Aufgabe-Lösungs-Muster“ erläutert werden: Ehlich und Rehbein bezeichnen die einzelnen Elemente des Musters als „Pragmeme“. Diese „Pragmeme“ würden „mentale Handlungen, Entscheidungsknoten, Interaktionen und körperliche Aktionen“ (ebd.) umfassen. Das „Aufgabe-Lösungs-Muster“ kann schematisch wie folgt dargestellt werden (ebd.: 16):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Beim „Aufgabe-Lösungs-Muster“ handelt es sich um ein „Sequenzmuster“, also den „systematischen Wechsel in der Aktivität der beteiligten Aktanten“ (ebd.: 17): Die „initiale Sequenzposition (1)“ wird durch das „Ergebnis komplexer Tätigkeiten des Lehrers eingenommen“, wobei in ihnen die „unterrichtliche Detailplanung für die im nächsten Schritt zu verbalisierende Aufgabenstellung“ (ebd.) erfolgt. Das Ende dieser Planung sei mit der ausgebildeten Absicht, die Aufgabe stellen zu wollen, erreicht. Die „Sequenzposition (2)“ (ebd.) ist nun die „Aufgabenstellung“, die durch die LK ausgeführt wird. Sofern der TN die Aufgabe für lösbar hält, bildet er in seinem mentalen Bereich eine „Vermutung (6) aus, die er in einem Lösungsversuch verbalisiert“ (ebd.). Ehlich und Rehbein bezeichnen die „Umsetzung des mentalen Sachverhalts in den verbalen [Sachverhalt]“ als „Exothese“ (ebd.: 17). Hält der TN die Aufgabe für nicht lösbar, so reagiert er mit „Schweigen“ (5) (ebd.). Nachdem der TN einen „Lösungsversuch“ geäußert hat, wird dieser von der LK überprüft. Bei einer „positiven Bewertung“ des
„Lösungsversuchs“ folgt eine „positive Einschätzung (17)“ (ebd.). Gleichzeitig gibt die LK dem TN damit zu verstehen, dass das „Aufgabe-Lösungs-Muster“ erfolgreich durchlaufen wurde und sich ein weiteres Muster anschließen kann (siehe 19). Der TN weiß dadurch, dass er keine weiteren Vermutungen anstellen muss. „Zugleich wird mit (18) das im „Lösungsversuch“ enthaltene vermutete Wissen in den Zustand des tatsächlichen Wissens überführt“ (ebd.). Wenn sich aus dem „Lösungsversuch“ des TN eine „negative Bewertung“ (10) ergibt, dann bringt die LK „diese in einer „Exothese für die [Teilnehmer] zum Ausdruck (11) oder [sie] geht direkt zu einer Entscheidung über den Verlauf über (12/13)“ (ebd.). Der LK stehen dabei zwei Möglichkeiten offen: Entweder bricht sie die Sequenz ab (12), wobei ein anderes Muster angeschlossen werden könnte, oder sie geht zu (2) zurück und macht den TN damit deutlich, dass die „Aufgabenstellung“ (2) weiterhin gelöst werden soll. Dadurch wären die TN wiederum aufgefordert, weitere Vermutungen auszubilden (6). Häufig werde das „Weiterhin-in-Kraft-Sein der Aufgabenstellung“ so zum Ausdruck gebracht, dass die LK „die Aufgabe wiederholt oder paraphrasiert“ (ebd.). Die Wiederholung der „Aufgabenstellung“ könne dabei „mit oder ohne Wink (14/15)“ (ebd.) erfolgen.
Darüber hinaus verweisen Ehlich und Rehbein auf den „monologischen Charakter“ des „Aufgabe-Lösungs-Musters“, indem sie eine Differenzierung zwischen den sogenannten „emphatischen“ und „schulischen Dialogen“ herausstellen: Die Gesprächspartner des emphatischen Dialoges seien durch die „Freiwilligkeit der Teilnahme, wechselseitige Anerkennung und gemeinsamer Wahrheitssuche“ (ebd.) charakterisiert. Dem gegenüber würden die TN im schulischen Diskurs der „Anwesenheitspflicht“ unterliegen, sich „nicht unbedingt Anerkennung“ zollen und „häufig desinteressiert am jeweiligen Thema“ (ebd.:
53) sein. Dementsprechend könne der „emphatische Dialogbegriff der Schulwirklichkeit“ auch nur als eine Art „Postulat“ (ebd.) gegenübergestellt werden. Nach Ehlich und Rehbein komme es nur selten zu einem „gemeinsamen Arbeiten von Lehrern und Schülern, wie es der emphatische Dialogbegriff verlangt“ (ebd.). Ehlich und Rehbein bezeichnen das „Aufgabe-Lösungs-Muster“ daher auch als „Vortrag mit verteilten Rollen“ (ebd.).
[...]
1 Die Begriffe „Teilnehmer“ und „Lehrkraft“ werden im Folgenden mit „TN“ bzw. „LK“ abgekürzt. Sämtliche personenbezogenen Bezeichnungen sind geschlechtsneutral zu verstehen und werden sowohl für den Singular als auch für den Plural der jeweiligen Begriffe gebraucht.
- Quote paper
- Monique Hammer (Author), 2016, Sprachliche Handlungsmuster im Fremdsprachenunterricht, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/456768
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