Multilaterale Handelsabkommen spielen eine bedeutende Rolle für die Steuerung und Reglementierung des Welthandelssystems. Dass diese nicht nur für international agierende Wirtschaftskräfte und nationalstaatliche Regierungen relevant sind, sondern erheblichen mittelbaren Einfluss auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der Bürgerinnen und Bürger haben, findet weder im wissenschaftlichen, noch im öffentlich-politischen Diskurs angemessene Berücksichtigung. Am Beispiel des 1995 in Kraft getretenen Dienstleistungsabkommens GATS (General Agreement on Trade in Services), das zusammen mit dem modifizierten Zoll- und Handelsabkommen GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) und dem Patentschutz TRIPs (Trade-Related Intellectual Property Rights) die Grundpfeiler der Welthandelsorganisation (WTO) bildet, soll im Rahmen dieser Arbeit der Einfluss der ökonomisch moti-vierten Handelsliberalisierungen im Dienstleistungssektor auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der Bevölkerung herausgearbeitet und erörtert werden. Dabei richtet sich der Fokus insbesondre auf die Konsequenzen der angestrebten Reformen für die staatliche Daseinsvorsorge und diskutiert deren spezifische Auswirkungen auf Frauen.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Was ist und wofür steht das GATS?
1.1 Zusammenhänge und Hintergründe
1.2 Konzeption und Inhalte
2. Was bedeutet das GATS für die staatliche Daseinsvorsorge?
2.1 Beispiel 1: Wasserversorgung
2.2 Beispiel 2: Bildungswesen
2.3 Zwischenfazit
3. Warum betrifft das GATS insbesondre Frauen?
3.1 Der Dienstleistungssektor als klassisches Beschäftigungsfeld von Frauen
3.2 „Hausfrauisierung“ - Frauen als Lückenfüller
3.3 Verstärkung der Frauenarmut
4. Fazit und Ausblick
5. Schlusswort
Literaturverzeichnis
Einleitung
Multilaterale Handelsabkommen spielen eine bedeutende Rolle für die Steuerung und Reglementierung des Welthandelssystems. Dass diese nicht nur für international agierende Wirtschaftskräfte und nationalstaatliche Regierungen relevant sind, sondern erheblichen mittelbaren Einfluss auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der Bürgerinnen und Bürger haben, findet weder im wissenschaftlichen, noch im öffentlich-politischen Diskurs angemessene Berücksichtigung. Am Beispiel des 1995 in Kraft getretenen Dienstleistungsabkommens GATS (General Agreement on Trade in Services), das zusammen mit dem modifizierten Zoll- und Handelsabkommen GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) und dem Patentschutz TRIPs (Trade-Related Intellectual Property Rights) die Grundpfeiler der Welthandelsorganisation (WTO) bildet, soll im Rahmen dieser Hausarbeit der Einfluss der ökonomisch motivierten Handelsliberalisierungen im Dienstleistungssektor auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der Bevölkerung herausgearbeitet und erörtert werden. Dabei richtet sich der Fokus insbesondre auf die Konsequenzen der angestrebten Reformen für die staatliche Daseinsvorsorge und diskutiert deren spezifische Auswirkungen auf Frauen. Im Mittelpunkt der Ausführung stehen im Wesentlichen zwei Fragenkomplexe:
1. Welchen Einfluss hat das multilaterale Dienstleistungsabkommen GATS auf den öffentlichen Sektor und die staatliche Daseinsvorsorge in Deutschland?
2. Wie wirken sich die angestrebten Reformen auf die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Bürger und insbesondre der Bürgerinnen aus?
Um Antworten auf diese Fragen zu finden, wird im weiteren Verlauf wie folgt vorgegangen: Im ersten Kapitel werden die Ziele, Inhalte und Grundprinzipien des GATS dargestellt. Es soll deutlich werden, vor welchem Hintergrund es entstanden ist, in welchem Zusammenhang es mit anderen multilateralen Handelsabkommen steht und welche Interessen die beteiligten Akteure verfolgen. Auf Grundlage der Ergebnisse des ersten Teils werden in Kapitel 2 die Einflüsse des GATS auf die staatliche Daseinsvorsorge in Deutschland diskutiert. Anhand von zwei Bereichen öffentlicher Dienstleistungen – der Wasserversorgung und dem Bildungswesen – werden Risiken und Gefahren der vom GATS angestrebten Liberalisierungen und Privatisierungen dargelegt und deren Bedeutung für die Bürgerinnen und Bürger thematisiert. Kapitel 3 spezifiziert die Auswirkungen privatisierter öffentlicher Dienstleistungen auf die LeistungsempfängerInnen und hinterfragt die besonderen Konsequenzen, die sich aus ihnen für Frauen ergeben. Ein Fazit fasst die wesentlichen Ergebnisse der Hausarbeit zusammen, bewertet diese und gibt Anregungen für weitere Forschungsaktivitäten.
Bezüglich der Auswahl des zitierten und dieser Arbeit zugrunde liegenden Materials ist anzumerken, dass sich die Recherche nach geeigneter Literatur über das GATS und seine verschiedenartigen Auswirkungen äußerst schwierig gestaltet hat. Zwar existieren zahlreiche Aufsätze, Artikel, Stellungnahmen und sonstige Dokumente aus unterschiedlichen wissenschaftlichen, ökonomischen, staatlichen und gesellschaftlichen Spektren, allerdings sind diese oftmals wenig objektiv und reichen je nach Sichtweise und politischer Einstellung der Verfasser von hymnenartigen Heilsversprechungen bis hin zu unsachlichen Verteufelungen des Abkommens. Da die vorliegende Hausarbeit zum einen eine sachliche Auseinandersetzung mit dem GATS anstrebt und zum anderen ihm gegenüber politisch Stellung beziehen möchte, werden neben Primärquellen sowohl GATTS-freundliche als auch –kritische Autoren zitiert, wobei der Anteil der letzteren aufgrund des politischen Standpunkts des Autors überwiegt. Folgende These liegt den Ausführungen zugrunde:
Die vollständige Verwirklichung des GATS würde zu einem Rückzug des Staates aus der Daseinsvorsorge führen, die Lebensverhältnisse der BürgerInnen erheblich verschlechtern und insbesondre Frauen negativ betreffen.
1. Was ist und wofür steht das GATS?
1.1 Zusammenhänge und Hintergründe
Als einzige international anerkannte Vertragsinstitution legt die Welthandelsorganisation WTO Regeln im Welthandel fest. Einer ihrer drei Grundpfeiler ist seit der Gründung im Jahr 1995 das „Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen“ GATS. Der WTO gehören 146 Mitgliedstaaten an, die zusammen über 90% des Welthandels abwickeln. Mit ihrem Beitritt zur WTO geben die Staaten ihre gesetzgeberische Souveränität in Wirtschaftsdingen weitgehend aus der Hand. Die WTO verabredet ökonomische Richtlinien, bindet die Vertragsstaaten an die Verabredungen und droht ihnen mit erheblichen Handelssanktionen, wenn sie nationale Gesetze verabschieden oder beibehalten, die den unterzeichneten Abkommen widersprechen. Das Ziel der WTO ist ein weltweiter Handel ohne Hemmnisse. Die geforderte Handelsfreiheit schließt alle wirtschaftlichen Güter und Finanzen ein und erfasst darüber hinaus selbst staatliche Leistungen der Daseinsvorsorge.
Während der Vorläufer der WTO, das 1948 in Kraft getretene Zoll- und Handelsabkommen GATT, das in seiner modifizierten Form („GATT 1994“) noch immer den wichtigsten Pfeiler der Welthandelsorganisation darstellt, auf eine Forcierung und Liberalisierung des internationalen Güterhandels abzielte und zu diesem Zweck vor allem auf den schrittweisen Zollabbau seiner Mitgliedstaaten hinwirkte, eröffnete sich mit dem GATS und dessen Fokussierung auf international handelbare Dienstleistungen im Jahr 1995 eine neue Dimension globalen Handels.
Am Ende der „Uruguay-Runde“, der letzten von insgesamt acht Zollsenkungsrunden im Rahmen der GATT-Verhandlungen, verabschiedeten die Regierungsvertreter der Mitgliedstaaten mit dem GATS ein Rahmenwerk für die fortschreitende Liberalisierung des internationalen Handels mit Dienstleistungen. Entsprechend der Ziele des Abkommens verpflichteten sich die Mitgliedstaaten dazu, ab dem Jahr 2000 in aufeinander folgende, regelmäßig stattfindende Verhandlungsrunden einzutreten, um schrittweise einen höheren Stand der Liberalisierungen zu erreichen. Das Hauptanliegen dieser Verhandlungsrunden besteht in der Verminderung bzw. Beseitigung von Maßnahmen, die sich nachteilig auf den internationalen Dienstleistungshandel auswirken, um auf diese Weise einen effektiven Marktzugang zu erreichen. In den Worten von Maude Barlow ausgedrückt „bedeutet dies den Abbau staatlicher Barrieren gegen die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen“ (Barlow 2001).
Der internationale Dienstleistungshandel ist in der längerfristigen Entwicklung der größte Wachstumsbereich des internationalen Handels. Zwischen 1980 und 1999 verzeichnete der Sektor eine Wachstumsquote von 6,9% pro Jahr, wohingegen der Warenhandel im gleichen Zeitraum nur um 5,6% wuchs (vgl. BMWA 2005). Von daher ist es nicht verwunderlich, dass insbesondre die mächtige Koalition der US-amerikanischen Dienstleistungsindustrien, „Coalition of Service Industries“ (CSI), aber auch ihr europäisches Pendant, das „European Service Forum“ (ESF), auf eine weitere Erschließung – und das heißt vor allem Liberalisierung – der verheißungsvollen Märkte drängen. Nationalstaatliche Reglementierungen, durch die bislang insbesondre öffentliche Dienstleistungen der Daseinsvorsorge vor dem Primat gewinnorientierten Wirtschaftens geschützt werden, stehen den Interessen der Dienstleistungsindustrien im Wege. Eine Beseitigung dieser handelshemmenden Regelungen, wie sie das GATS langfristig anstrebt, würde ihnen den Marktzugang zu lukrativen Sektoren wie Gesundheit und Bildung und insbesondre dem strategisch bedeutsamen Wassersektor eröffnen, der Schätzungen zufolge Jahresumsätze von 500 Milliarden Dollar verheißt und aufgrund der absehbaren Verknappung der Ressource Trinkwasser zunehmend wichtiger werden wird (vgl. Fritz 2001; Mies 2003).
1.2 Konzeption und Inhalte
Das GATS unterteilt Dienstleistungen nach einem Klassifikationsschema in 12 Sektoren[1], die ihrerseits in verschiedene Teilbereiche untergliedert sind. Zudem wird zwischen vier unterschiedlichen Erbringungsarten („modes of supply“)[2] des Dienstleistungshandels differenziert. Diese Klassifikationen erlauben eine recht differenzierte Liberalisierung der Dienstleistungen. Die Mitgliedstaaten können grundsätzlich selbst bestimmen, welche Sektoren bzw. Teilbereiche sie für den Markt öffnen und dabei ihre Liberalisierungsverpflichtungen gezielt auf eine bestimmte Erbringungsart beschränken. Allerdings bedeutet eine einmal abgegebene Verpflichtung zur Öffnung des Marktes in einem bestimmten Sektor eine dauerhafte Bindung. Eine Rücknahme ist nur dann möglich, wenn denjenigen Handelspartnern, die durch die Rücknahme schlechter gestellt werden, entweder monetäre Kompensationen oder aber Erstattungen in Form von Liberalisierungen in einem anderen Sektor geleistet werden (vgl. Wahl 2002).
Die Öffnung der einzelnen Sektoren geschieht schrittweise und erfolgt in mehreren Runden. In den so genannten Länderlisten, die Teil des GATS-Vertragswerks sind, verpflichten sich die einzelnen Staaten, welche Dienstleistungen sie für den Markt freigeben und legen Einschränkungen in Bezug auf Marktzutritt und Inländerbehandlung (s.u.) fest. Auf Grundlage der Länderlisten erfolgen dann die zwischenstaatlichen Verhandlungen, in denen die freigegebenen Dienstleistungen und Erbringungsarten gegeneinander gehandelt werden.
Mit dem Eintrag einzelner Sektoren und Erbringungsarten in die Länderlisten verpflichten sich die Staaten zur Einhaltung der zentralen Prinzipien des GATS. Dies sind insbesondre die Prinzipien der Meistbegünstigung, der Inländerbehandlung sowie der Transparenz (vgl. BGBl. II 1994):
Das Meistbegünstigungsprinzip bedeutet, dass Handelsvergünstigungen, die einem Land gewährt werden, automatisch auch allen anderen WTO-Mitgliedern zugestanden werden müssen. Ausnahmen von der Meistbegünstigung gibt es für regionale Integrationsabkommen, so dass beispielsweise Handelsvorteile des EU-Binnenmarktes nicht umstandslos auch Drittstaaten gewährt werden müssen.
Der Grundsatz der Inländerbehandlung verpflichtet die Mitgliedsstaaten, ausländische Anbieter inländischen gleichzustellen, um auf diese Weise die Gleichheit der Wettbewerbschancen zu gewährleisten. Mit diesem Prinzip geht einher, dass staatliche Aufwendungen in einem bestimmten Sektor auch privaten Anbietern zur Verfügung stehen müssen, um diese auf dem jeweiligen Markt – beispielsweise gegenüber gemeinnützigen Anbietern – nicht zu diskriminieren.
[...]
[1] Die 12 Sektoren sind: Unternehmerische und berufsbezogene Dienstleistungen, Kommunikationsdienstleistungen, Bau- und Montagedienstleistungen, Vertriebsdienstleistungen, Bildungsdienstleistungen, Umweltdienstleistungen, Finanzdienstleistungen, Medizinische und soziale Dienstleistungen, Tourismus und Reisedienstleistungen, Erholung, Kultur und Sport, Transportdienstleistungen, Sonstige nicht aufgeführte Dienstleistungen. Diese Klassifizierungen sind in knapp 160 Teilbereiche untergliedert (vgl. BGBl. II 1994)
[2] Mode 1: Grenzüberschreitende Erbringung (Lieferung einer Dienstleistung von einem Land in das andere), Mode 2: Nutzung im Ausland (Erbringung einer Dienstleistung innerhalb eines Landes für Konsumenten eines anderen Landes), Mode 3: Kommerzielle Präsenz (Erbringung einer Dienstleistung durch die kommerzielle Präsenz in einem anderen Land) Mode 4: Präsenz natürlicher Personen (Erbringung einer Dienstleistung durch Personen, die sich zu diesem Zweck temporär in ein anderes Land begeben) (vgl. BGBl.. II 1994).
- Quote paper
- Matthias König (Author), 2005, Das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) - Bedeutung für die öffentliche Daseinsvorsorge und Auswirkungen auf die Geschlechterverhältnisse, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/45441
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