Etwa seit dem deutsch-französischen Krieg 1870-71 findet das Thema Krieg einen Platz in der deutschen Kinder- und Jugendliteratur, wo er bis 1945 entweder als positives oder natürliches und unvermeidbares Phänomen gilt. Soldatendasein wird als Opfer für das Vaterland verherrlicht, Tapferkeit, Mut, Pflichterfüllung und Gehorsam gelten als Soldatentugenden und sind immer positiv besetzt. Die erzählende Kinderliteratur des beginnenden 20. Jahrhunderts ist von den neuen Strömungen des Jugendstils und des Expressionismus kaum berührt, ihre Funktion bleibt weiterhin in erster Linie pädagogisch,„die Kinder im Sinne der bestehenden Verhältnisse zu sozialisieren und sie auf den bevorstehenden Krieg vorzubereiten,“ wie Dahrendorff schreibt, der sogar so weit geht, Mädchenbuchschriftsteller wie Else Ury, Magda Trott, Agnes Sapper und Johanna Spyri zu beschuldigen, durch ihre Vermittlung einer „dem Faschismus nützliche[n] Gesinnung und Funktionsbestimmung der Geschlechter“,womit er die „Verherrlichungeiner „heilen Familie“,„Blut-und Boden-Nähe“und ein konservatives Mutterbild meint, wirksam bei der Vorbereitung des Nationalsozialismus geholfen zu haben. Ob das der Fall ist, sei angezweifelt, das Thema Krieg bei diesen bekannten und sehr beliebten Autorinnen ist aber ein interessantes Phänomen. Ury, Trott und Sapper schrieben etwa zur gleichen Zeit und erlebten den ersten Weltkrieg mit, der aber nur im Werk Urys einen Niederschlag fand.„Nesthäkchen und der Weltkrieg“,der vierte Band ihrer bekanntesten zehnbändigen Nesthäkchen-Serie ist seit dem Zweiten Weltkrieg umstritten und wurde danach bei der bearbeiteten Neuauflage der Reihe weggelassen, weil er Krieg und Vaterlandsliebe in einer Weise darstellt, die für das Deutschland nach 1945 als unzumutbar betrachtet wurde. Als Gegenstand literaturwissenschaftlicher Betrachtungen ist dieser Band jedoch höchst interessant. Nahezu erstaunliche Parallelen dazu weist „Rilla of Ingleside“, der achte Band der Anne-of-Green-Gables-Serie der bekannten kanadischen Mädchenbuchautorin Lucy Maud Montgomery auf. Beide Erzählungen spielen zur Zeit des ersten Weltkriegs, wurden zeitnah verfasst und sind Folgebände einer bis dahin unpolitischen Mädchenbuchserie. In beiden Fällen ist die Hauptperson die jüngste Tochter einer beliebten Arztfamilie, die sich mit den Kriegsgeschehnissen in der Heimat auseinandersetzen muss und dem Krieg einiges opfert. Annemarie Braun ist zu Beginn des Krieges elf Jahre alt, Rilla Blythe fünfzehn.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Hintergrund von „Nesthäkchen und der Weltkrieg“ und „Rilla of Ingleside“
- Krieg, Unglück und Tod als Vorherbestimmung in der „Anne-of-Green-Gables“-Serie
- Vorausdeutungen auf den Krieg
- Walter Blythe und der „Pied Piper“
- Vorbereitung des Kriegs in der Nesthäkchen-Serie
- Rechtfertigung des Krieges – Feindbildzeichnung, Patriotismus, Berufung auf Gott
- Feindbildzeichnung und Patriotismus
- Berufung auf Gott
- „The War to End Wars“ - Ziel des Krieges bei Montgomery
- Kampf für die Zukunft
- Leitmotive
- Sinnerklärung und positive Auswirkung des Krieges bei Ury
- Erziehung durch den Krieg
- Bei Else Ury
- Bei Lucy Maud Montgomery
- Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Funktion des Krieges im Mädchenbuch des Ersten Weltkriegs am Beispiel von Else Urys „Nesthäkchen und der Weltkrieg“ und Lucy Maud Montgomerys „Rilla of Ingleside“. Ziel ist es, die Darstellung der Sinnhaftigkeit des Krieges, die Rechtfertigung von Opferbereitschaft und die Rolle von Frauen und Mädchen im Krieg in beiden Werken zu analysieren.
- Darstellung der Sinnhaftigkeit des Krieges in der „Heimatfront“
- Rechtfertigung von Opferbereitschaft durch Krieg
- Rolle von Frauen und Mädchen im Krieg
- Vergleich der Darstellung des Krieges in beiden Werken
- Rezeptionsgeschichte der beiden Bücher
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Thema ein und stellt die Relevanz der beiden ausgewählten Werke dar. Es werden die besonderen zeitgeschichtlichen Umstände des Ersten Weltkriegs und die Rolle des Krieges in der Kinder- und Jugendliteratur beleuchtet.
Das erste Kapitel befasst sich mit dem Hintergrund der beiden Bücher und deren Einordnung in die jeweiligen Serien. Hier werden die Veränderungen in der Darstellung der Protagonistin im Kontext des Krieges betrachtet.
Das zweite Kapitel widmet sich der Darstellung von Krieg, Unglück und Tod als Vorherbestimmung in der „Anne-of-Green-Gables“-Serie. Es werden Vorausdeutungen auf den Krieg und die Rolle von Walter Blythe als „Pied Piper“ untersucht.
Das dritte Kapitel analysiert die Vorbereitung des Kriegs in der Nesthäkchen-Serie.
Das vierte Kapitel befasst sich mit der Rechtfertigung des Krieges und den Themen Feindbildzeichnung, Patriotismus und Berufung auf Gott in den beiden Werken.
Das fünfte Kapitel untersucht das Ziel des Krieges „The War to End Wars“ bei Montgomery. Es werden Kampf für die Zukunft und Leitmotive im Werk analysiert.
Das sechste Kapitel befasst sich mit der Sinnerklärung und der positiven Auswirkung des Krieges bei Ury.
Das siebte Kapitel analysiert die Erziehung durch den Krieg in den beiden Werken, sowohl bei Else Ury als auch bei Lucy Maud Montgomery.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den Schlüsselbegriffen des Ersten Weltkriegs, der Rolle von Frauen und Mädchen im Krieg, der Rechtfertigung von Opferbereitschaft, der Darstellung von Krieg in der Kinder- und Jugendliteratur, der „Heimatfront“ und dem Vergleich der Werke von Else Ury und Lucy Maud Montgomery.
- Quote paper
- Naemi Fast (Author), 2005, Funktion des Krieges im Mädchenbuch des Ersten Weltkriegs, am Beispiel von Else Urys Nesthäkchen und der Weltkrieg und Lucy Maud Montgomerys Rilla of Ingleside, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/45319