Nathaniel Hawthorne gehört zu den Begründern der spezifisch amerikanischen Literatur. Sein bekanntestes Werk, „The Scarlet Letter“, zuerst erschienen am 16. März 1850 in Boston, beschäftigt sich mit einer Fülle von Einzelheiten aus einem breiten Themenspektrum, das sowohl die spezifisch amerikanische Vergangenheit als auch menschliche Probleme, unter anderem sehr aktuelle, anspricht, hinterfragt und nach Lösungen sucht. Im Zentrum von „The Scarlet Letter“ steht das Problem der Schuld. Der von den beiden Haupthelden begangene Ehebruch liegt zu Beginn der Handlung bereits ein Jahr zurück und wird an sich nicht thematisiert. Es geht in der gesamten „Romance“ um den Umgang der betroffenen Parteien mit dieser Tat und deren Folgen. Die Ehebrecherin, der betrogene Mann, der Liebhaber, die puritanische Gesellschaft, das Kind - ein jeder bewertet und verarbeitet sie unterschiedlich und erlebt dementsprechend unterschiedliche Folgen im Leben. Die vorliegende Arbeit soll sich mit dem Schuldproblem, dessen Verständnis und dessen Auswirkungen auf diese einzelnen Personen bzw. die Gesellschaft beschäftigen, unter Einbeziehung des Hintergrundes des Autors und einiger Thesen aus der Sekundärliteratur. „The Scarlet Letteris an allegory of the Puritan conscience; it is also an historical novel,“ schreibt Douglas Grant in seiner Einleitung zu der Oxforder Ausgabe von 1965. Man geht meistens in der Sekundärliteratur davon aus, dass die Schuldproblematik in diesem Roman auf dem puritanischen Verständnis von Schuld und Sühne basiert. Diese kann man im Einzelnen nicht nachvollziehen, ohne die Grundlagen des puritanischen Glaubens zu kennen. Es ist interessant, diese mit dem Verständnis Hawthornes zu vergleichen, der sich selber nicht zu ihrem Glauben bekannte. Deshalb soll als Grundlage für die Beschäftigung mit der Schuldproblematik der auf der biblischen Lehre basierende puritanische Schuldbegriff dienen. Dieser soll der Aussage von „The Scarlet Letter“ gegenübergestellt werden, die anhand einzelner betroffener Personen in der Handlung untersucht werden soll.
Da über Hawthorne allgemein und vor allem über „The Scarlet Letter“ eine große unübersichtliche Menge an Sekundärliteratur erschienen ist, möchte ich mich auf einige ausgewählte Aufsätze beschränken. Ansonsten soll die Arbeit hauptsächlich aus Textuntersuchung bestehen, in enger Beziehung auf die hinter diesem Text stehende puritanische Bibelinterpretation, aus dem heraus sich ihr Schuldverständnis konzipiert.
Inhaltsverzeichnis
I. Der biblisch- puritanische Schuldbegriff
1. Schuld und Sühne in der Bibel
a) Das Problem der Schuld
b) Die Lösung des Schuldproblems durch Gott
2. Zum puritanischen Schuldverständnis
a) Die Entstehung der puritanischen Bewegung
b) Theologie und Ethik der Puritaner
3. Das „private“ Problem Hawthornes mit der Schuld
II. Die Schuld in „The Scarlet Letter“
1. Der Tatbestand als Schuld
a) Verstoße gegen Gebote Gottes und daraus resultierende gesellschaftliche Ordnungen
b) Schuld an einzelnen Personen
2. Auswirkungen der Schuld auf die einzelnen Personen
a) Hester Prynne
b) Arthur Dimmesdale
c) Roger Chillingworth
III. Mittel der Verdeutlichung der Schuld- und Sühneproblematik
1. Biblisch begründete Hinweise
a) David, Bathseba und Prophet Nathan
b) Der Pranger als Symbol für das Kreuz Jesu
2. Die Rolle des roten A
a) In den Augen der Gesellschaft
b) Für Hester
c) Für Dimmesdale
d) Für Pearl
Schluss
Benutzte Literatur
Einleitung
Nathaniel Hawthorne gehört zu den Begründern der spezifisch amerikanischen Literatur. Sein bekanntestes Werk, „The Scarlet Letter“, zuerst erschienen am 16. März 1850 in Boston, beschäftigt sich mit einer Fülle von Einzelheiten aus einem breiten Themenspektrum, das sowohl die spezifisch amerikanische Vergangenheit als auch menschliche Probleme, unter anderem sehr aktuelle, anspricht, hinterfragt und nach Lösungen sucht. Im Zentrum von „The Scarlet Letter“ steht das Problem der Schuld. Der von den beiden Haupthelden begangene Ehebruch liegt zu Beginn der Handlung bereits ein Jahr zurück und wird an sich nicht thematisiert. Es geht in der gesamten „Romance“ um den Umgang der betroffenen Parteien mit dieser Tat und deren Folgen. Die Ehebrecherin, der betrogene Mann, der Liebhaber, die puritanische Gesellschaft, das Kind – ein jeder bewertet und verarbeitet sie unterschiedlich und erlebt dementsprechend unterschiedliche Folgen im Leben. Die vorliegende Arbeit soll sich mit dem Schuldproblem, dessen Verständnis und dessen Auswirkungen auf diese einzelnen Personen bzw. die Gesellschaft beschäftigen, unter Einbeziehung des Hintergrundes des Autors und einiger Thesen aus der Sekundärliteratur.
„The Scarlet Letter is an allegory of the Puritan conscience; it is also an historical novel,“ schreibt Douglas Grant in seiner Einleitung zu der Oxforder Ausgabe von 1965. Man geht meistens in der Sekundärliteratur davon aus, dass die Schuldproblematik in diesem Roman auf dem puritanischen Verständnis von Schuld und Sühne basiert. Diese kann man im Einzelnen nicht nachvollziehen, ohne die Grundlagen des puritanischen Glaubens zu kennen. Es ist interessant, diese mit dem Verständnis Hawthornes zu vergleichen, der sich selber nicht zu ihrem Glauben bekannte. Deshalb soll als Grundlage für die Beschäftigung mit der Schuldproblematik der auf der biblischen Lehre basierende puritanische Schuldbegriff dienen. Dieser soll der Aussage von „The Scarlet Letter“ gegenübergestellt werden, die anhand einzelner betroffener Personen in der Handlung untersucht werden soll.
Da über Hawthorne allgemein und vor allem über „The Scarlet Letter“ eine große unübersichtliche Menge an Sekundärliteratur erschienen ist, möchte ich mich auf einige ausgewählte Aufsätze beschränken. Ansonsten soll die Arbeit hauptsächlich aus Textuntersuchung bestehen, in enger Beziehung auf die hinter diesem Text stehende puritanische Bibelinterpretation, aus dem heraus sich ihr Schuldverständnis konzipiert.
Ich bin mir dessen bewusst, dass ich bei weitem nicht alle Aspekte dieser breiten Thematik im Rahmen einer Hauptseminararbeit ausschöpfen kann und beschränke mich daher auf einige, mir wesentlich erscheinende Punkte.
Naemi Fast
Frankenthal, Juni 2005
I. Der biblisch- puritanische Schuldbegriff
1. Schuld und Sühne in der Bibel
a) Das Problem der Schuld
Die ganze Bibel handelt im Grunde genommen von der Beziehung zwischen Gott und den Menschen, in der Gott zwar die zuerst handelnde Person ist, der Mensch aber selber Entscheidungen treffen kann. Diese Beziehung begann damit, dass Gott den Menschen schuf, weil Er ein Wesen als Gegenüber haben wollte, mit dem Er kommunizieren konnte, auf einer anderen Ebene als mit den Engeln, die „dienstbare Geister“[1] sind und nur einen eingeschränkten Willen haben. Die Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch war in der ersten Zeit persönlich und ungetrübt, basierte aber schon auf gewissen Bedingungen, die Gott den Menschen gestellt hatte.[2] Er gab den beiden ersten Menschen, Adam und Eva, einen wunderschönen Garten mit vielen Früchten und Tieren zur freien Verfügung, mit der Einschränkung, dass sie nicht von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen essen durften. Der Bruch in der uneingeschränkten Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf passierte in dem Moment, als die Menschen auf die Versuchung der Schlange hin diese Forderung Gottes übertraten und von der Frucht des Baumes der Erkenntnis des Guten und Bösen aßen. Ihr schlechtes Gewissen brachte die beiden Menschen dazu, sich vor Gott zu verstecken. Auf dessen Frage, was geschehen sei, versuchten beide, die Schuld für den Ungehorsam von sich zu schieben. Damit war die erste Sünde geschehen, die im Eigentlichen darin bestand, dass die Beziehung zwischen Gott und den Menschen durch ihre eigene Schuld gebrochen war. Die Konsequenzen ihres Handelns bekamen die ersten Menschen sofort ziemlich hart zu spüren. Da Gott heilig und rein ist, kann Er nicht Gemeinschaft mit Sündigen haben und die Menschen mussten den Paradiesgarten, in dem sie Gottes Gemeinschaft genossen hatten, verlassen. Der Mensch kam in einen Zustand der Sündhaftigkeit, aus dem er sich selbst nicht befreien konnte und der ihn von Gott trennte. Seitdem ist die Sünde, also die Übertretung von Gottes Forderungen, das grundlegende Problem der Menschheit, denn niemand ist fähig, alle Gebote Gottes einzuhalten.
b) Die Lösung des Schuldproblems durch Gott
Das Problem der gebrochenen Beziehung zwischen Gott und Mensch war so unüberbrückbar groß, dass von Seiten der Schuldiggewordenen keine Chance bestand, die Beziehung zu Gott wieder herzustellen. Im Laufe der Jahrhunderte erwiesen sich sämtliche Versuche der Menschen, sich mit Gott zu versöhnen als ungenügend. Der heilige und reine Gott konnte eben nicht mit den sündigen Menschen in Kontakt treten, und sündig waren alle Menschen: „ sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten“.[3] Gott wollte aber nicht von Seiner ursprünglichen Absicht, nämlich der Gemeinschaft mit dem Menschen, lassen. Da Er aber die vollkommene Gerechtigkeit ist, musste dazu zuerst Sühne für die Sünde geschehen. Deshalb akzeptierte Gott bis auf weiteres, also bis Jesus Christus, durchaus „rituelle“ Tieropfer, die die Menschen Ihm als Sühne für ihre begangenen Sünden leisteten, denn „ohne Blutvergießen geschieht keine Vergebung.“[4] Diese Tieropfer waren aber nicht die endgültige Lösung des Schuldproblems, sondern nur eine Vorausdeutung auf diese, woraus sich eine gewisse Spannung ergab, die der Schreiber des Hebräerbriefs im Neuen Testament in Worte fasst:
„Denn das Gesetz hat nur einen Schatten von den zukünftigen Gütern, nicht das Wesen der Güter selbst. Deshalb kann es die, die opfern, nicht für immer vollkommen machen, da man alle Jahre die gleichen Opfer bringen muß. Hätte nicht sonst das Opfern aufgehört, wenn die, die den Gottesdienst ausrichten, ein für allemal rein geworden wären und sich kein Gewissen mehr gemacht hätten über ihre Sünden? Vielmehr geschieht dadurch alle Jahre nur eine Erinnerung an die Sünden. Denn es ist unmöglich, durch das Blut von Stieren und Böcken Sünden wegzunehmen.“[5]
Die Menschen mussten also auf schmerzliche Art und Weise lernen, dass es niemandem möglich ist, Gottes Gebote vollständig einzuhalten und dass das Problem der Schuld auch durch die rituellen Opfer nicht gelöst werden kann. Die Lösung hätte nur ein sündloser Mensch, der die Strafe für alle Sünden auf sich nimmt, sein können. Einen solchen Menschen gab es aber nicht und deshalb blieb die letzte Möglichkeit, dass die einzige sündlose Person überhaupt, also Gott selbst, die Strafe, die die Gerechtigkeit fordert, auf sich nimmt. Dies passierte in der Person Jesu. Er kam wie ein Mensch auf die Welt, allerdings nicht von einem Mann, sondern durch das Einwirken des Geistes Gottes gezeugt, wurde in einer jüdischen Familie in dem von Römern besetzten Judäa geboren und lebte bis zu seinem dreißigsten Lebensjahr ein Leben wie andere Juden auch,[6] mit der Ausnahme, dass er keine Sünde beging.[7] Darauf folgte eine dreijährige Wirkungszeit als Wanderprediger und Wunderheiler. Jesus wies mehrmals darauf hin, dass er kein gewöhnlicher Mensch, sondern der Sohn Gottes ist,[8] was von Gott selbst,[9] von Menschen in seiner Umgebung[10] und sogar vom Gegenspieler Gottes, dem Satan, bestätigt wurde.[11] Der Höhepunkt des Lebens von Jesus auf Erden war der Tod am Kreuz,[12] vordergründig weil er der revolutionären Tätigkeit gegen das römische Regime beschuldigt wurde, eigentlich aber als schuldloses Opfer für die Sünden der Menschheit.
Der Tod Jesu ist unabkömmlich für den Plan Gottes mit den Menschen, ohne ihn hätte alles andere keinen Sinn. Sein schuldloser Tod ist das Opfer, das alle menschliche Schuld sühnt und weitere Anstrengungen des Menschen, Gott gnädig zu stimmen, überflüssig macht:
„Christus aber […] ist auch nicht durch das Blut von Böcken oder Kälbern, sondern durch sein eigenes Blut ein für allemal in das Heiligtum eingegangen und hat eine ewige Erlösung erworben. Denn wenn schon das Blut von Böcken und Stieren und die Asche von der Kuh durch Besprengung die Unreinen heiligt, so daß sie äußerlich rein sind, um wieviel mehr wird dann das Blut Christi, der sich selbst als Opfer ohne Fehl durch den ewigen Geist Gott dargebracht hat, unser Gewissen reinigen von den toten Werken, zu dienen dem lebendigen Gott!“[13]
Seitdem gibt es für jeden Menschen die Möglichkeit, das Opfer Jesu für sich persönlich anzunehmen und damit wieder die Möglichkeit zu haben, sich mit Gott zu versöhnen und mit Ihm zu kommunizieren. Einen anderen Weg außer den durch Jesus gibt es nicht: „ Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“[14] Wichtig ist, dass der Mensch versteht, dass er sein Schuldproblem nicht alleine lösen kann und für seine Schuld nicht selbst büßen kann, sondern nur die Annahme von Jesu Sühne die einzige Lösung dafür ist.
2. Zum puritanischen Schuldverständnis
a) Die Entstehung der puritanischen Bewegung
Im Laufe der Jahrhunderte hatte sich die damals universale katholische Kirche von dem biblischen Heilsverständnis entfernt und die Lösung des Schuldproblems wieder auf die eigenen Schultern genommen, was sich in den zahlreichen Bußleistungen und schließlich auch im Ablasshandel äußerte. Das blieb nachdenkenden und nach Gottes Willen suchenden Menschen nicht verborgen, was die Kritik an Praxis und Lehre der Kirche und schließlich die Entstehung anderer Kirchen und Gemeindeströmungen zur Folge hatte. Der Wendepunkt in Leben und Lehre Luthers war die Erkenntnis, dass Gottes Gnade nicht durch menschliche Bußleistungen zu erreichen ist, sondern ein Geschenk, das Gott dank Jesu Sühnopfer geben kann. „Sola gratia“ wurde zu einem Grundsatz der Reformation, den auch die Führer der anderen Reformationsrichtungen übernahmen.
Eine der im Zuge der Reformation in England entstandenen Glaubensrichtungen ist der Puritanismus. Die unter Heinrich VIII. entstandene anglikanische Staatskirche mit dem Monarchen als Oberhaupt hatte Organisation und Liturgie der früheren Katholischen Kirche weitgehend unverändert gelassen. Die vordergründig machtpolitisch und funktional motivierte Abspaltung von der Römischen Kirche hatte in frommen Kreisen, die eine tiefer greifende Reformation wollten, Empörung und Widerstand hervorgerufen. Innerhalb der anglikanischen Kirche bildete sich deshalb eine Bewegung, die eine radikale Umorganisation von Kirchenstruktur und Liturgie wollte und gegen alle Elemente protestierte, die mit Papsttum, Menschenverehrung, kultischen Ritualen zu tun hatte. Diese Menschen, die sich für eine „reine Kirche“ einsetzten, wurden „Puritans“ genannt, von „to purify“ - reinigen. Hinter dem Begriff Puritaner verbirgt sich eine Anzahl von Gruppen – Independenten, Kongregationalisten, Separatisten und andere. Als die Separatisten wegen ihrer radikalen Glaubensausübung verfolgt wurden, flohen sie zu Beginn des 17. Jahrhunderts in die Niederlande, von wo aus ein Teil von ihnen 1620 auf der „Mayflower“ nach Nordamerika auswanderte. Ihnen folgten in den nächsten Jahren zahlreiche Glaubensgenossen, die in der neuen Welt die Freiheit suchten, ihren Glauben nach eigenen Vorstellungen zu leben. Die neuenglischen Puritaner wurden zu einer speziellen Gruppe innerhalb der gesamten Bewegung, die von großer Bedeutung für die Entstehung des Volkes der USA wurden. Nathaniel Hawthorne stammt von ihnen ab und wählte ihre Gesellschaft als Schauplatz für die meisten seiner Bücher.
b) Theologie und Ethik der Puritaner
Grundsätzlich gehen die Puritaner von der Bibel als absoluten und einzigen Autorität aus, nach der sie ihr Leben gestalten. In diesem Sinne sind sie Anhänger der Reformationsbewegung, die in der katholischen Kirche eine Institution sah, deren religiöse Praxis bei weitem nicht mehr den biblischen Grundsätzen entsprach. Reformatorische Ausgangspunkte der Puritaner sind also die Autorität der Bibel und die Errettung aus Gottes Gnade durch den persönlichen Glauben. Des Weiteren sind sie Anhänger der calvinistischen Sonderlehre, welche die göttliche Prädestination[15] stark betont. Das bedeutet, dass sie daran glauben, Gott habe einen jeden Menschen bereits entweder zum ewigen Leben oder zur ewigen Verdammnis bestimmt. Zu welcher Menschengruppe man gehört, kann man daran erkennen, ob man Erfolg im Leben hat – eine Faustregel, die sich stark auf die Lebensführung der Puritaner ausgewirkt hat. Das äußerte sich unter anderem in der Auffassung, das Leben sei ein ständiger Gottesdienst, was zu strenger Fleißethik, disziplinierter Arbeitsmoral und der Bereitschaft zum gründlichen intellektuellen Gottesdienst führte. Neben der Frage der persönlichen Errettung sahen die Puritaner auch in allen politischen, kirchlichen, familiären oder persönlichen Ereignissen die Vorsehung Gottes.
Die Grundsätze der neuenglischen Puritaner[16] waren außerdem Ablehnung jeglicher kirchlicher und staatlicher Autorität, Ablehnung des „Book of Common Prayer“[17], weil es dem Zweiten Gebot widerspricht[18], absolute Autorität der Ortsgemeinde, Zulassung zur Gemeindemitgliedschaft nur für Bekehrte, die einen göttlichen Lebenswandel führten, die Gemeinde sollte ein freiwilliger Zusammenschluss von Gläubigen sein. Nach dem Vorbild der neutestamentlichen Gemeinde wurden bei den Puritanern diejenigen, die bestimmte Aufgaben in der Gemeinde hatten, nicht Würden- oder Amtsträger genannt, sondern „Minister“ - Diener. Der wichtigste Dienst in der Gemeinde war der „Dienst am Wort“ für den der Pastor zuständig war. Allgemein galt das „Priestertum aller Gläubigen“ und die Gleichwertigkeit aller Gemeindeglieder.
Anders als manche andere protestantischen Splittergruppen distanzierten sich die Puritaner keineswegs von der politischen Mitbeteiligung, sondern waren sehr aktiv darin. Die nach Amerika ausgewanderten Puritaner hatten die Absicht, dort eine „city upon a hill“ zu gründen – eine gottgefällig lebende Gesellschaft, die anderen als Vorbild dienen sollte – eine Vorstellung, die die amerikanische Mentalität bis heute bestimmt. In dieser Gesellschaft musste alles perfekt laufen, weder im organisatorischen noch im moralischen Bereich durfte es Entgleisungen geben. Dissidenten wurden streng bestraft oder ausgewiesen, die bekanntesten Beispiele dafür sind Roger Williams und Anne Hutchinson in den 1630-er Jahren.[19] Moralische Fehltritte wurden hart bestraft, unter anderem als Warnung, was auch in „The Scarlet Letter“ deutlich wird. In diesem Zusammenhang sind einige reale Fälle dokumentiert, die als Vorlage für „The Scarlet Letter“ gedient haben könnten, so z.B. 1644 im Tagebuch des Gouverneurs John Winthrop die Hinrichtung von Mary Latham und James Britton für Ehebruch in Boston[20] oder 1688 in Salem eine harte Prügelstrafe an Hester Craford für Hurerei und ein uneheliches Kind, die durch Major William Hathorne, einen Vorfahren Nathaniel Hawthornes ausgeführt werden sollte.[21] Als Extremfall harter puritanischer Gerichtsbarkeit gelten die Hexenprozesse in Salem 1692, denen mehrere Hexenhysterien und Hinrichtungen vorangegangen waren.
Man wird den Puritanern sicherlich nicht ganz gerecht, wenn man sie gemäß ihrer Darstellung in der Literatur lediglich als verborte, prüde und selbstgerechte Gesellschaft betrachtet, die jegliche persönliche Entfaltung hindert. Ihre strenge Moral resultierte aus dem Bestreben, gottgefällig zu leben und sie nahmen nur Leute in ihre Gemeinschaft auf, die diesen Wunsch in sich hatten. Man wurde nicht gezwungen in ihrer Gemeinschaft zu bleiben und nicht lange nach ihrer Ansiedlung in Neuengland gab es bereits genug andere Siedlungen, wohin man im Bedarfsfall ausweichen konnte. Es ist deshalb etwas problematisch, im Falle der Puritaner von religiöser Unterdrückung zu sprechen, wie das in Aufsätzen über „The Scarlet Letter“ häufig getan wird.
3. Das „private“ Problem Hawthornes mit der Schuld
Nathaniel Hawthorne war ein direkter Nachfahre einiger sehr aktiver neuenglischer Puritaner, über deren Leben und Wirken vieles bekannt ist. Er selber ist in seiner ganzen Existenz diesem puritanischen Erbe verbunden, hat aber ein sehr gespaltenes Verhältnis dazu. Die Aussagen seiner Werke lassen den klaren Rückschluss zu, dass er selber nicht gläubig im Sinne seiner puritanischen Vorfahren war, auch wenn er in einigen Punkten mit ihnen übereinstimmt.
Zeit seines Lebens litt Hawthorne darunter, was sich seine Vorfahren seiner Meinung nach hatten zu Schulden kommen lassen. Obwohl er ein glückliches Privatleben hatte und bereits zu Lebzeiten berühmt war, beschreibt er sich deshalb selbst nicht als glücklich, sondern eher „mild, shy, gentle, melancholic.”[22] Über sein persönliches Schuldverständnis und die auf ihm lastende Schuld der Vorfahren schreibt er in „The Custom House“[23]: „I, the present writer, as their representative, hereby take shame upon myself for their sakes.“[24] Er beschreibt einige dieser „schuldbeladenen“ Vorfahren, z. B. William Hathorne, der 1630 nach Amerika kam: „a soldier, legislator, judge; he was the ruler in the church; he had all the Puritan traits, both good and evil. He was likewise a bitter persecutor […].“[25] Dieser hatte z.B. angeordnet, dass ein Einbrecher mit einem „B“ (burglar) auf der Schulter gebrandmarkt wurde oder dass eine Quäkerfrau[26] durch die Straßen von Salem geprügelt und in die Wildnis gejagt wurde. Traurige Berühmtheit erlangte auch John Hathorne 1692 als Richter bei den Hexenprozessen in Salem. Als erster in seiner Familie fügte Nathaniel Hawthorne ein „w” in den Nachnamen, der vorher „Hathorne“ lautete, ein, was als Distanzierung von seinen Vorfahren aufgefasst wird.[27] Hawthorne suchte gewissermaßen nach einer Lösung für sein Schuldproblem, griff aber nicht nach der Lösung die die Bibel bietet, sondern bastelte sich seine eigene, eher humanistische, Theorie über die Lösung dieses Problems, die er in „The Scarlet Letter“ darstellt. Auch in seinen anderen Werken tritt immer wieder dieses Problem zu Tage, es tauchen häufig ähnliche Charaktere auf - Frauen, die für Ehebruch bestraft wurden, Männer, die Menschlichkeit und Gefühle der Rache opfern oder junge Idealisten ohne Mut, eigene Schuld einzugestehen. In seiner frühen Erzählung „Endicott and the Red Cross” taucht bereits eine Frau auf, die für ihren Ehebruch ein rotes A auf der Brust tragen muss. Hawthorne trug sich dann längere Zeit mit dem Gedanken herum, eine ausführliche Geschichte über die Auswirkungen von Schuld zu schreiben. Man findet z.B. in seinem Notizbuch folgende Einträge: am 27. Juli 1844: „The life of a woman, who, by the old colony law was condemned always to wear the letter A, sewed on her garment, in token of her having committed adultery”[28] ; am 17. November 1847: „A story of the effects of revenge, in diabolizing [corrupting or making evil] him who indulges it.”[29]
Durch seine sehr kritische Schilderung der puritanischen Gesellschaft hat Hawthorne ihr Bild in der Literatur und in den Köpfen stark geprägt. Man übersieht dabei leicht, dass seine Darstellung der Puritaner aus seinem problematischen Verhältnis zu ihnen heraus nicht unbedingt authentisch ausfällt. Obwohl er sich viel mit ihnen beschäftigt hat, scheint Hawthorne den Glauben seiner Vorfahren nicht verstanden zu haben und verurteilt sie aus seinem Gesichtspunkt, ohne ihrem Anliegen gerecht geworden zu sein. Dass Hawthorne im Gegensatz zu ihnen keine echte Lösung für das Schuldproblem gefunden hat, beweist der Schluss von „The Scarlet Letter“. Sein Fazit ist: Schuld kann man nicht loswerden, denn auf dem gemeinsamen Grabstein Hesters und Arthurs steht nur dieser eine Satz: „On A Field, Sable, the Letter A, Gules.“[30]
[...]
[1] Brief an die Hebräer 1,14.
[2] Dazu siehe Genesis 2 und 3.
[3] Brief an die Römer 3,23.
[4] Brief an die Hebräer 9, 22.
[5] Brief an die Hebräer 10,1-4.
[6] Siehe die Evangelien nach Matthäus und Lukas.
[7] Siehe Brief an die Hebräer 4,15.: „ sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde.“
[8] Siehe Evangelium nach Matthäus 16,16-17; Evangelium nach Lukas 22, 70; Evangelium nach Johannes 10.
[9] Siehe Evangelium nach Lukas 1,35 und 3,21-22; Evangelium nach Matthäus 3,16-17 und 17,5; Evangelium nach Markus 1,9-11; Zweiter Brief des Petrus 1,16-17.
[10] Siehe Evangelium nach Matthäus 14,33 und 27,39-54; Evangelium nach Markus 15,39; Evangelium nach Johannes 1,32-34 und 1,49.
[11] Siehe Evangelium nach Matthäus 4,1-11; Evangelium nach Markus 3,11-12; Evangelium nach Lukas 4,1-13.
[12] Siehe Evangelium nach Matthäus 27; Evangelium nach Markus 15; Evangelium nach Lukas 23; Evangelium nach Johannes 19.
[13] Brief an die Hebräer 9, 11-14.
[14] Evangelium nach Johannes 14,6.
[15] Dazu siehe die Dordrechter Beschlüsse von 1619, die englische Übersetzung erschienen in: Gordon Melton (Hg.): The encyclopedia of American Religions; Detroid 1988.
[16] Siehe John Cotton, zitiert bei Gaustad, Edwin S.: A religious history of America, New York 1966, S. 50; und John Winthrop: Reasons to be Consideres for Justifying the Undertakers of the Intended Plantation in New england and for Encouraging Such Whose Hearts God Shall Move to Join with Them in It (1631), zitiert bei Alan Heimert . Andrew Delbanco (Hg.): The Puritans in America. A Narrative Anthology. Cambridge/Mass. U. London 1985, S. 71-72.
[17] Standartgebetsbuch der anglikanischen Kirche.
[18] Das Zweite Gebot: „Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht!“ Exodus 20,4-5.
[19] Diese gründeten den Staat New Hampshire, in dem es später ähnlich zuging wie in Massachussetts.
[20] http://www.eldritchpress.org/nh/nhc.html
[21] http://www.eldritchpress.org/nh/nhc.html
[22] Hawthorne, Twice Told Tales, Vorwort.
[23] „The Custom House“: Einführung in „The Scarlet Letter“, die schon allein wegen der Beschäftigung mit der Schuldthematik bei weitem nicht so unerheblich für die Geschichte Hester Prynnes ist, wie manche Verleger und auch Forscher es zunächst sahen.
[24] Hawthorne, The Custom House, S. 10.
[25] Hawthorne, The Custom House, S. 10.
[26] Quäker: protestantische Glaubensgemeinschaft, die sich unter anderem durch strikten Pazifismus und Ablehnung der Sklaverei auszeichnete und von den Puritanern hart verfolgt wurde.
[27] Siehe z. B. http://www.geocities.com/ibenglish_chs/hawbio.html
[28] Hawthorne, Nathaniel: The American Notebooks. Ed. By Claude M. Simpson. Ohio State University Press, 1972. S. 254.
[29] Hawthorne, Nathaniel: The American Notebooks. Ed. By Claude M. Simpson. Ohio State University Press, 1972. S. 278.
[30] Hawthorne, Scarlet Letter, Kapitel 24, S. 233.
- Quote paper
- Naemi Fast (Author), 2005, Der Umgang mit dem Schuldproblem in Nathaniel Hawthornes "The Scarlet Letter", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/45318
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