Traumatisierte unbegleitete minderjährige Flüchtlinge

Bewältigung kultureller Integrationshindernisse in Erstversorge-Einrichtungen


Bachelorarbeit, 2018

42 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitang

1. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge

2. Begriff
2.1 Definition
2.1.1 Flüchtling
2.1.2 Minderjährig
2.1.3 Unbegleitet
2.2 Tatsächlicher Personenkreis
2.3 Flucht
2.3.1 Ursachen
2.3.2 Gründe
2.3.3 Fluchterfahrungen

3. Traumatisierung
3.1 Definition
3.1.1 Allgemeiner Sprachgebrauch
3.1.2 Medizinischer Sprachgebrauch
3.1.3 Trauma in der Sozialen Arbeit
3.2 Entstehung
3.3 Arten
3.3.1 Man-made-disaster versus Natural-disaster
3.3.2 Einmalige versus fortgesetzte und kumulative Belastung
3.3.3 Primäre versus sekundäre Traumatisierung
3.4 Folgen
3.4.1 Übererregung
3.4.2 Intrusion
3.4.3 Konstriktion
3.5 Beachtung von Traumata in der Sozialen Arbeit

4.1 Einreise
4.2 Erstkontakt
4.3 Erstversorgung
4.3.1 Aufgaben der Erstversorgung
4.3.2 Ablauf der Erstversorgung in Hamburg

5. Integration
5.1 Begriff der Integration
5.2 Formen der Integration
5.2.1 Rechtliche Integration
5.2.2 Wirtschaftliche Integration
5.2.3 Soziale Integration
5.2.4 Kulturelle Integration
5.2.4.1 Sprache und nonverbale Kommunikation
5.2.4.2 Grundwerte
5.2.4.3 Abweichende Grundwerte
5.2.5 Integrationshindernisse
5.2.5.1 Integrationsverweigerung und besondere Hindernisse
5.2.5.2 Fehlende Sachmittel
5.2.5.3 Fehlende Akzeptanz
5.2.5.4 Fehlendes qualifiziertes Personal
5.2.5.5 Interkulturelle Kompetenz
5.2.6 Schutzfunktionen

6. Bewältigung in Erstversorge-Einrichtungen
6.1 Durch die Migranten
6.2 Einschränkungen
6.3 Möglichkeiten durch Soziale Arbeit
6.3.1 Sachliche und fachliche Begleitung
6.3.2 Vertrauensarbeit
6.3.3 Praktische Arbeit
6.3.3.1 Hauswirtschaftliche Tätigkeiten
6.3.3.2 Spiele
6.3.3.3 Sport
6.3.3.4 Singen und Musik
6.3.3.5 Exkursionen
6.3.3.6 Berufsvorbereitung

7. Fazit

Einleitung

Migration von Menschen aus ihrer Heimat an andere Orte im eigenen Land oder in fremde Länder stellt ein Phänomen dar, das schon aus geschichtlichen Zeiten bekannt und weltweit verbreitet ist.

Das deutsche Volk ist dafür ein gutes Beispiel, leitet sich der Begriff ״Volk“ doch von ״folgen“ ab. Das Volk bildete sich aus denen, die sich unabhängig von ihrer Herkunft einer Gruppe bei der Völkerwanderung anschlossen und ihr folgten. Migration gab es durch die Hugenotten aus katholisch beherrschten Gebieten Frankreichs ins protestantische Preußen. Viele Deutsche wandelten im Rahmen der Industrialisierung aus wirtschaftlichen Gründen und wegen existenzieller Notlagen über Hamburg und Bremen nach Amerika aus. Später flüchteten Deutsche aus politischen Gründen u. a. nach England, Amerika, Norwegen und sogar in die Türkei, in der es seitdem das Fremdwort ״heymatlos“ gibt. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es eine große, lang anhaltende Fluchtbewegung aus den Ostblockstaaten und der DDR nach Westdeutschland und eine geförderte Einwanderung aus Italien, dem Balkan, Griechenland und der Türkei zur Befriedigung des Arbeitskräftebedarfs im sogenannten deutschen ״Wirtschaftswunder“.

Und dennoch Stehen wir heute vor Problemen zur Bewältigung von angeblich überraschenden Flüchtlingsströmen aus Krisen- und Kriegsgebieten im Nahen und Mittleren Osten und aus Nord-, West- und Ostafrika.

Diese Arbeit befasst sich auf der Grundlage der Besonderheiten des Personenkreises, der Fluchtgründe und der erlittenen Traumata mit einem kleinen Gebiet zu diesen Problemen, nämlich, wie mit den besonders schütz- und hilfebedürftigen Kindern und Jugendlichen um­zugehen ist, die ohne ihre Eltern geflüchtet sind oder sie auf der Flucht verloren haben, und wie man ihnen möglichst frühzeitig, unmittelbar nach der Ankunft in Deutschland helfen kann, sich zu integrieren um hier ein geordnetes Leben führen zu können. Dabei sollen die Gesichtspunkte der kulturellen Verschiedenartigkeit und der kulturellen Integration besonders beachtet werden.

(Hinweis: Ich habe in dieser Arbeit dem deutschen Sprachgebrauch entsprechend die männliche Form für Perso­nen beiderlei Geschlechts und wenn eine Person als Beispiel für männliche oder weibliche Personen steht, ver­wendet. Die Möglichkeiten besonderer Endungen erscheinen mir unüblich und künstlich. Das behindert nach meiner Ansicht die Lesbarkeit des Textes genau so, wie die Benutzung jeweils der männlichen und weiblichen Form, ohne das dies einen Nutzen zur Gleichbehandlung der Geschlechter darstellen würde.)

1. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge

Gegenstand dieser Arbeit ist die Arbeit mit jungen Menschen, die sich ohne Angehörige in Einrichtungen der Sozialen Arbeit befinden und die wegen dieser sozialen Situation und wegen psychischer Beeinträchtigungen einer besonderen Aufmerksamkeit bedürfen. Deshalb soll zunächst der Personenkreis bestimmt und Gründe für Flucht und Traumata aufgezeigt werden.

2. Begriff

Ausländische Kinder und Jugendliche, die ohne ihre Eltern oder andere Sorgeberechtigten nach Deutschland eingereist sind, werden von deutschen Behörden und Einrichtungen unter Beachtung ihrer altersbedingten Situation in besondererWeise behandelt. Elm wen geht es?

2.1 Definition

Für die Soziale Arbeit mit ihnen ist eine Definition, die diese Personen von anderen abgrenzt, meist nicht erforderlich und im konkreten Fall und zu einem bestimmten Zeitpunkt oft nicht möglich. Eine ungefähre Vorstellung des Personenkreises, mit dem Soziale Arbeit in den Erst- versorge-Einrichtungen befasst ist, sollte aber bestehen. Der Begriff des ״unb eglei teten min- deijährigen Flüchtlings“ (umF) soll deshalb erläutert werden.

2.1.1 Flüchtling

Als Flüchtling wird nach Art. 1 Abs. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK)1 in Verbin­dung mit Art. 1 Abs. 2 des Protokolls2 dazu vom 31. Januar 1967 jede Person bezeichnet,

״die aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Natio­nalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer poli­tischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; oder[...]“.

Zudem werden minderjährige, nicht von Sorgeberechtigten begleitete Personen unabhängig davon, ob ein Schutzgesuch gestellt wird, zu den umF gerechnet. Nach der UN-Kinderrechts- Konvention stehen ihnen ungeachtet ihrer Staatsbürgerschaft im Ankunftsland dieselben Rechte wie Kindern zu, die in diesem Land geboren sind und dessen Staatsbürgerschaft sie besitzen (vgl. Ruf, 2016, S.14).

Seit der Änderung des SGB VIII und den Ergänzungen durch die Paragrafen 42 a bis 42 f SGB VIII durch das Umverteilungsgesetz3 vom 28.10.2015 werden in Anlehnung an den Gesetzestext Minderjährige, die unbegleitet nach Deutschland einreisen, auch als unbegleitete minderjährige Ausländerinnen (uraA) bezeichnet. Die Bezeichnung verschleiert den beson­ders schutzbedürftigen Status dieser Personen durch die Verwendung der neutralen Bezeich­nung als Ausländer gegenüber dem Ausdruck Flüchtling, der deren besondere Situation auch im allgemeinen Sprachgebrauch zum Ausdruck bringt (vgl. Noske, 2011, s. 34). Die Verwen­dung dieser Bezeichnung wird daher in Fachkreisen kritisiert (vgl. Schmidt, 2015). Bei dem für die Inobhutnahme und die Erstversorgung in Hamburg zuständigen Landesbetrieb Bildung und Erziehung (LEB) spricht man weiterhin vom unbegleiteten minderjährigen Flüchtling (vgl. Müller, 2018, s. 1 [Fn 1]). In dieser Arbeit wird aus diesen Gründen ebenfalls der ge­läufige Begriff des unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings verwendet.

2.1.2 Minderjährig

Minderjährig sind nach deutschem Recht Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollen­det und somit nach § 2 BGB noch nicht volljährig sind. Nach Art. 12 Abs. 1 GFK gilt für die Beurteilung der Voll- und Minderjährigkeit das Recht des Landes, in dem sich die Person auf­hält. Somit sind unter 18 Jahre alte Flüchtlinge in Deutschland als Minderjährige zu be­handeln. Mit Rücksicht darauf, dass verlässliche Unterlagen zum Alter oft nicht vorliegen und die Feststellung des Alters im Zweifelsfall einen nicht unerheblichen Aufwand und Zeit beansprucht, werden im Zusammenhang mit der Sozialen Arbeit alle Personen als minder­jährig behandelt, solange ihre Volljährigkeit nicht festgestellt ist.

2.1.3 Unbegleitet

Wenn von unbegleitetem minderjährigem Flüchtling gesprochen wird, ist damit nicht gemeint, dass der Jugendliche sich völlig alleinstehend auf der Flucht befand und nach Deutschland eingereist ist. Er wird sich häufig in einer Gruppe mit anderen Flüchtlingen befinden, zusam­men mit Geschwistern oder anderen Flüchtlingen aus seiner Heimat oder mit Flüchtlingen, die sich auf der Flucht zu einer Gruppe zusammengefunden haben oder von Schleppern zusammengeführt wurden (vgl. Schmieg, 2017, s. 5). Unbegleitet bedeutet andererseits auch nicht, dass es ausreicht, einen einzelnen mindeijährigen Flüchtling anzutreffen.

Unbegleitet bedeutet im Zusammenhang mit der Fluchtsituation von Mindeijährigen nach § 42 a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII vielmehr, dass der Minderjährige ohne Eltern oder andere Sorgeberechtigten eingereist ist.

Auch für dieses Element des Begriffs wird eine scharfe Trennung nicht sinnvoll sein, da sich nicht immer und nicht kurzfristig feststellen lassen wird, ob Eltern oder andere Sorgebe­rechtigte auf der Flucht von der Person getrennt wurden und von ihr getrennt eingereist, nicht oder noch nicht eingereist, in ein anderes EU-Land eingereist, oder umgekommen sind, oder ob eine Trennung vorgetäuscht wird.

2.2 Tatsächlicher Personenkreis

Zusammengefasst werden also tatsächlich Personen als ״unbegleitete minderjährige Flücht­linge“ in den Aufnahme-Einrichtungen behandelt, die das 18. Lebensjahr noch nicht offen­sichtlich vollendet haben, sich ohne Sorgeberechtigte in Deutschland aufhalten um hier Asyl, anderweitigen Schutz oder Hilfe zu suchen (vgl. Ruf, 2016, s. 14). Eine Abgrenzung zum Begriff des unbegleiteten mindeijährigen Ausländers wird verzichtet. Es wird in Kauf ge­nommen, dass wegen unklarer Altersabgrenzung auch schon Volljährige mit erfasst sein können und auch Personen, von denen der Aufenthalt von Sorgeberechtigten nicht bekannt ist.

2.3 Flucht

Standortveränderungen von Menschen können verschiedene Gründe haben. Europäer haben sich in den vergangenen Jahrhunderten von Europa nach Nord-, Mittelamerika und Australien bewegt um dort Kolonien zu gründen, ältere Menschen verlassen ihre Heimat, um in klima­tisch angenehmerer Umgebung ihren Lebensabend zu verbringen. Von Flucht spricht man, wenn eine solche Ortsveränderung Einzelner oder von Gruppen durch Bedrohung oder Gefahr verursacht wird.

2.3.1 Ursachen

Klimawandel, Krieg und damit zusammenhängende wirtschaftliche Not und politische Ver­folgung stellen aktuell Ursachen für große Fluchtbewegungen dar. Menschen bewegen sich dabei nicht nur aus der unmittelbaren Gebiet der Bedrohung in eine benachbarte inländische Region oder in ein Nachbarland, sondern über Ländergrenzen hinweg, insbesondere aus den Ländern der sogenannten Dritten Welt u. a. in westeuropäische Länder. Möglicherweise stellt der Umgang in den sogenannten zivilisierten Ländern mit der Umwelt und deren Wirtschafts­Ordnung Ursachen für die Auswirkungen des Klimawandels in der Dritten Welt, für die dortigen kriegerischen Auseinandersetzungen und die dadurch bedingte Not und Verfolgung dar. Eine solche Einschätzung mag die Einstellung in der Sozialen Arbeit zur Tendenz und Intensität der Arbeit mit den Betroffenen beeinflussen, soll aber nicht Gegenstand dieser Arbeit sein.

2.3.2 Gründe

Jedenfall erscheint es erforderlich, sich die Vielzahl der im Einzelfall eine Flucht veran­lassenden Gründe bewusst zu machen, um angemessen in der Arbeit mit den Betroffenen agieren und reagieren zu können.

Kriege zwischen benachbarten Staaten und Bürgerkriege im eigenen Land können zu Be­drohungen von Menschen, zum Verlust der materiellen Lebensgrundlage und zum Verlust von Familienangehörigen führen. Ebenso können Naturkatastrophen zu Armut und Unruhen und zur Konkurrenz von ethischen und religiösen Gruppen führen. Aber auch fehlende Zukunfts­perspektiven können einen so starken Druck auf Betroffene ausüben, der wie eine äußere Ge­fahr oder Bedrohung Anlass zur Flucht gibt.

Fluchtgründe für junge Menschen stellen Ausbeutung, Sklaverei und Kinderarbeit dar. Drohende Zwangsrekrutierung als Kindersoldat oder Verfolgung wegen Kriegsdienstver­Weigerung können junge Menschen zur Flucht veranlassen oder ihren Eltern Anlass geben, die davon Bedrohten zur Flucht zu bewegen. Mädchen und junge Frauen können sich durch Flucht drohender Zwangsheirat, sexuellem Missbrauch oder Zwangsprostitution entziehen. Familienangehörige oder Dritte können Mädchen ggf. vor drohender Genitalverstümmelung durch Hilfe zur Flucht bewahren. Weiterhin können Jugendliche nach Tötung der Eltern als Weisen oder alleinstehend nach Verhaftung der Eltern Zuflucht in einem anderen Land suchen (vgl. Detempel, 2013, s. 15).

Andererseits werden Jugendliche wegen Verelendung im eigenen Land nach Europa geschickt, um dort Sicherheit und einen Lebensunterhalt für sich zu finden und durch Geld­Überweisungen zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen oder Familienangehörige nach­zuholen (vgl. Pärusel, 2009, s. 20) oder Familien schicken Kinder fort, weil diese wegen mangelnder Ressourcen eine Last oder Gefahr für die anderen Familienmitglieder darstellen (vgl. Detempel, 2013, s. 15).

Für eine Flucht junger Menschen ohne begleitende Familienangehörige gibt es darüber hinaus noch die Möglichkeit, dass die Flucht zwar gemeinsam mit Begleitpersonen begonnen wurde, im Laufe der Flucht diese aber getrennt wurden, sich getrennt haben oder umgekommen sind. Jedenfalls befinden sich solche Kinder und Jugendliche in der Rolle von Objekten, über deren Schicksal andere entschieden haben und (z. B. durch Schlepper) entscheiden und die nicht verstehen, warum sie von ihrer Familie getrennt in ein ihnen fremdes Land gebracht werden oder wurden (vgl. Detempel, 2013, ebd.).

2.3.3 Fluchterfahrungen

Junge Flüchtlinge kommen zumeist mit Hilfe von Personen in das europäische Land ihrer Wahl, die die Ermittlung der Fluchtwege, die Organisation der Flucht und die Verbringung über die Grenzen gewerbsmäßig übernehmen. Sie verlangen dafür oft unter Vortäuschung viel günstigerer Verhältnisse auf der Flucht und im Zielland erhebliche Geldzahlungen von den Flüchtenden und/oder deren Familien. Es werden je nach Art der Schleusung Beträge in Größenordnungen von 3.000,00 6 bis zu 20.000,00 6 verlangt (vgl. Fesenmeier, 2015). In der Regel können die Flüchtenden oder deren Familien die Beträge nicht aus Ersparnissen zahlen. Sie werden dann durch Verkauf der letzten Güter aufgebracht oder durch Verschuldung bei Verwandten und Bekannten oder einer ganzen Dorfgemeinschaft (vgl. Fesenmeier, 2015, ebd.).

Auf der Flucht müssen die Flüchtenden meist selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen. Dazu sind sie oft auf schlecht bezahlte, unsichere oder illegale Beschäftigung angewiesen oder auf Diebstahl, Betrug oder Prostitution. Die oft monatelange Flucht ist deshalb sehr belastend. Schutzlos und vielen Gefahren ausgeliefert, müssen sie einen strapaziösen Weg hinter sich bringen auf dem sie Hunger, Obdachlosigkeit, Krankheit, Gewalt, Kriminalität, Missgunst, Vertrauensbruch, Enttäuschung selbst durchleben oder bei anderen erleben. Das Leben in Armut, ausgebeutet, Gewalttätigkeiten ausgesetzt und behandelt als Mensch zweiter Klasse sind den meisten jugendlichen Flüchtlingen wohlvertraut (vgl. Mogk, 2016, s. 45). Schlechte Wetterbedingungen wie Kälte oder Schnee erschweren und verlängern häufig die Flucht. So kann sich eine Flucht über Jahre erstrecken (vgl. Schmieg, 2017, s. 11). Neben den in der Regel bereits träum atisi erenden Erlebnissen im Herkunftsland führen solche Flüchter­fahrungen zur zusätzlichen Traumatisierung (vgl. Gravelmann, 2016, s. 13).

Während der Flucht und im Ankunftsland sind insbesondere die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge auf sich allein gestellt, ohne stützende Familie oder verlässliche andere ver­trauensvolle Strukturen. Die Verbindungen in die Herkunftsländer und die dort möglicher­weise noch vorhandene Familie oder Bekannte sind unterbrochen und auch unter Nutzung moderner Kommunikationsmittel, wie Mobiltelefon oder Skype u. ä., kaum herstellbar. Dazu dürften in der Regel die Mittel zur Beschaffung geeigneter Geräte hier und in der Heimat fehlen. Und selbst wenn auf diese Weise Kontakte hergestellt und aufrechterhalten werden können, bringen diese virtuellen Kontakte nicht die Bindung, die ein Jugendlicher für einen Rückhalt und eine persönliche Festigung benötigt. Neue Kontakte und Beziehungen können im Ankunftsland meist nur mit Personen aufgebaut werden, die wie der Jugendliche selbst von Flucht und den dort gemachten Erfahrungen betroffen und verunsichert ist. Oft sind dann die Fachkräfte der Jugendhilfe die ersten Ansprechpartner für neue Beziehungen und sie werden zu zentralen Bezugspersonen (vgl. Gravelmann, 20İ6, s. 14).

Je nach Herkunfts- und Ankunftsland gibt es unterschiedliche Fluchtwege. Diese sind - je nachdem, ob die Grenzen offen oder geschlossen sind - legal, illegal oder nicht passierbar. Über die Art, wie Flüchtlinge diese beschwerlichen und gefährlichen Wege meistern, gibt es vielzählige Berichte. So werden auf der Balkanroute sehr lange Wegstrecken zu Fuß oft unter widrigen Witterungsbedingungen bewältigt. Wer es sich leisten kann, nutzt streckenweise einen Bus oder ein Schleuserauto. Bei der Route über das Mittelmeer erfolgt die Flucht mit Hilfe von oft völlig überfüllten, überalterten und kaum seetüchtigen Booten. Nicht selten treiben diese tagelang auf dem Meer, ehe sie die Küste in Griechenland, Italien, Spanien oder auf Malta erreichen. Häufig werden sie von Küstenwachen, Handelsschiffen oder von frei­willigen Helfern als Schiffbrüchige aufgegriffen (vgl. Schmieg, 2017, s. 10 f.)

3. Traumatisierung

Als Trauma werden sowohl im allgemeinen Sprachgebrauch als auch in der medizinischen Systematik einerseits die auslösenden Faktoren (verletzendes Ereignis, Traumatisierung) und andererseits deren Folgen (Verletzung, Trauma im engeren Sinn) bezeichnet.

3.1 Definition

3.1.1 Allgemeiner Sprachgebrauch

Der Begriff ״Trauma“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet ״Wunde“. Das Bild der körperlichen Verwundung wird zur Beschreibung auch eines seelischen Vorgangs verwendet (vgl. Maercker, 2017, s. 11), um die leidvolle Erfahrung oder das dramatische Erlebnis als besondere Belastung für den Betroffenen zu kennzeichnen (vgl. Maercker, 2017, ebd.).

3.1.2 Medizinischer Sprachgebrauch

In der medizinischen Systematik sind Traumata als besondere BelastungsStörungen unter den ICDIO-Codes F43.2 als posttraumatische B elastungs Störung und F43.3 als Anpassungs­Störung zu verorten (DIMDI, 2016, s. 196 f).

3.1.3 Trauma in der Sozialen Arbeit

In der Sozialen Arbeit wird dabei teils enger, teils weitergehend als nach der medizinischen Systematik jede psychosoziale Reaktion auf eine Situation oder Ereignis als Trauma be­zeichnet, das das Leben- oder die körperliche Unversehrtheit bedrohend ist oder sich als Angst auslösendes Erlebnis darstellt, und außerhalb des bekannten Erfahrungsbereichs liegt. Dazu gehören schwere Unfälle, Erkrankungen, Naturkatastrophen, Kriegserlebnisse und psychische, körperliche und sexuelle Gewalt an sich selbst oder an Dritten sowie Verlust- und Vernachlässigungserfahrungen (vgl. DeGPT, o. J.). Solche Erlebnisse und Erfahrungen haben Flüchtlinge bereits in ihrer Heimat, dann während der Flucht und schließlich auch bei der Ankunft und dem Aufenthalt in Deutschland.

3.2 Entstehung

Ein Trauma entsteht, wenn das biologische Stresssystem durch erschütternde Ereignisse, über­fordert wird (vgl. DeGPT, o. J.). Im Gegensatz zu einem positiven, den Menschen stärkenden Eustress, führt eine Überforderung zu belastendem, krank machendem Disstress, bei dem der Betroffene die gemachte Erfahrung nicht in seinen Erlebnisschatz integrieren, verarbeiten und dann wieder ausgliedern kann. Sein biologisches System verarbeitet das Geschehen vielmehr unter beständiger Anstrengung ohne Lösung weiter. So macht nicht das stressende Ereignis oder die Erfahrung unmittelbar krank; sondern die mangelnde Bewältigung des Stresses (vgl. Imm-Bazlen, 2017, s. 52 f). Die Auswirkungen können dabei sowohl psychischer als auch körperlicher Art oder einer Kombination davon sein (vgl. DeGPT, o. J.).

3.3 Arten

Zum Verständnis von Traumata, für den Umgang mit traumatisierten Menschen und zur Be­handlung werden die auslösenden Faktoren und die Erscheinungsformen von Traumata nach verschiedenen Gesichtspunkten unterschieden (vgl. Sänger, 2016):

3.3.1 Man-made-disaster versus Natural-disaster

Bei den Man-made-disastern handelt es sich um solche Situationen, die von Menschen ver­ursacht sind, wie kriegerische Zerstörungen, Folter, Vergewaltigung.

Natural-disaster sind vom menschlichen Handeln unabhängige Naturkatastrophen, aber auch Unfälle als zufällige Ereignisse und klimatische Ereignisse, bei denen die menschliche Ursache nicht unmittelbar wahrzunehmen ist.

3.3.2 Einmalige versus fortgesetzte und kumulative Belastung

Einmalige Belastungen, auch Typ-I-Trauma genannt, werden - wie der Name sagt - durch einmalige Ereignisse ausgelöst; z. B. Verkehrsunfall, Raub, Vergewaltigung, Erdbeben.

[...]


1 Bundesgesetzblatt Bd. II, 1953 s. 559

2 Bundesgesetzblatt Bd. II, 1969 s. 1293

3 Bundesgesetzblatt Bd. I, 2015 s. 1802

Ende der Leseprobe aus 42 Seiten

Details

Titel
Traumatisierte unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
Untertitel
Bewältigung kultureller Integrationshindernisse in Erstversorge-Einrichtungen
Hochschule
Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg
Note
2,3
Autor
Jahr
2018
Seiten
42
Katalognummer
V452970
ISBN (eBook)
9783668851979
ISBN (Buch)
9783668851986
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Migration, Flucht, Kinder- und Jugendhilfe, Trauma, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
Arbeit zitieren
Hatice Baran (Autor:in), 2018, Traumatisierte unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/452970

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