Am 14. Februar 2012 wurde die eidgenössische Volksinitiative «Gegen Masseneinwanderung» in Form eines ausgearbeiteten Entwurfs eingereicht. Die Initianten argumentierten, dass sich die Einwanderungszahlen seit der Einführung der vollständigen Personenfreizügigkeit im Jahr 2007 massiv erhöhten. Die negativen Auswirkungen dieser Masseneinwanderung sollen sich unter anderem auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt in Form von Arbeitslosigkeit oder Lohndruck bemerkbar machen.
Deshalb fordern sie im Rahmen des neuen Art. 121a BV, dass die Schweiz die Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern wieder eigenständig durch jährliche Höchstzahlen und Kontingente kontrolliert. Ausserdem sollen völkerrechtliche Verträge, welche dieser Norm widersprechen, gemäss der Übergangsbestimmung in Art. 197 Ziff. 11 BV innerhalb von drei Jahren nach der Annahme der Initiative neu verhandelt werden. Obwohl der Bundesrat empfahl, die Volksinitiative abzulehnen, wurde sie am 9. Februar 2014 durch Volk und Stände angenommen. Der neue Art. 121a BV und Art. 197 Ziff. 11 BV traten unmittelbar mit der Annahme in Kraft.
Zur Umsetzung der neuen Verfassungsartikel verabschiedete der Bundesrat im Dezember 2017 diverse Verordnungsänderungen, welche zusammen mit den von der Bundesversammlung im Dezember 2016 beschlossenen Gesetzesänderungen am 1. Juni 2018 in Kraft traten. Ungeachtet der Tatsache, dass das Vorgehen von Seiten des Bundes auf Kompatibilität ausgerichtet ist, stellt sich nach wie vor die Frage ob die vorliegende Umsetzung mit den Verpflichtungen aus dem Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der EU vereinbar ist.
Zur Klärung dieser Fragestellung wird einleitend der Begriff und die Bedeutung der Personenfreizügigkeit im Verhältnis Schweiz – EU erläutert sowie die grundsätzlichen Verpflichtungen welche sich für die Schweiz aus dem Freizügigkeitsabkommen ergeben skizziert. Des Weiteren wird die Auslegung des Freizügigkeitsabkommens und der autonome Nachvollzug der EuGH-Rechtsprechung im Rahmen der Schweizerischen Rechtsprechung beleuchtet. Um die Vorteile des Abkommens zu verdeutlichen, wird ausserdem ein Überblick über das Verfahren des Zugangs zum Schweizerischen Arbeitsmarkt von EU-/EFTA-Staatsangehörigen im Vergleich zu Drittstaatenangehörigen gegeben.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einführung in die Thematik
- 2 Personenfreizügigkeit im Verhältnis Schweiz – EU
- 2.1 Begriff der Personenfreizügigkeit
- 2.2 Grundzüge des freien Personenverkehrs
- 3 Volkswirtschaftliche Bedeutung der Personenfreizügigkeit für die Schweiz
- 3.1 Umfang der Personenfreizügigkeit
- 3.1.1 Einreise-, Niederlassungs- und Arbeitnehmerfreizügigkeit
- 3.1.2 Beschränkte Liberalisierung des Dienstleistungsverkehrs
- 3.1.3 Begleitrechte
- 3.2 Begleitende Massnahmen
- 3.2.1 Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit
- 3.2.2 Anerkennung von Diplomen und sonstigen Fähigkeitsnachweisen
- 3.2.3 Übernahme des EU-Besitzesstands
- 4 Zur Auslegung des Freizügigkeitsabkommens
- 4.1 Allgemeine völkerrechtliche Auslegungsgrundsätze
- 4.2 Auslegung des Freizügigkeitsabkommens im Besonderen
- 4.3 Praxis des Bundesgerichts zum autonomen Nachvollzug
- 5 Arbeitsmarkt Schweiz - EU
- 5.1 Schrittweise Einführung der Personenfreizügigkeit
- 5.2 Verfahren der Stellensuche eines EU-Arbeitnehmers in der Schweiz
- 5.2.1 Meldepflicht
- 5.2.2 Kurzaufenthaltsbewilligung L EU/EFTA
- 5.2.3 Aufenthaltsbewilligung B EU/EFTA
- 5.2.4 Ausweis Ci EU/EFTA
- 5.2.5 Grenzgängerbewilligung G EU/EFTA
- 5.2.6 Niederlassungsbewilligung C EU/EFTA
- 6 Verfahren für Arbeitssuchende aus dem Nicht-EU/EWR-Raum
- 6.1 Allgemeines
- 6.2 Verfahrensvergleich
- 6.3 Zulassungskriterien für Drittstaatangehörige auf dem Schweizer Arbeitsmarkt
- 7 Zur Umsetzung von Art. 121a BV
- 7.1 Diskriminierungsverbot für ausländische Arbeitnehmer nach dem FZA
- 7.2 «Inländervorrang light»: Ein Verstoss gegen das Diskriminierungsverbot?
- 8 Handlungsoptionen der Schweiz
- 8.1 Diplomatische Konfliktlösung
- 8.1.1 Informelle Konsultation
- 8.1.2 Konfliktlösung im gemischten Ausschuss
- 8.2 Verstoss gegen das FZA
- 8.2.1 Einseitige Schutzklausel
- 8.2.2 Folgen eines Verstosses
- 8.2.2.1 Rechtsprechung des Bundesgerichts
- 8.2.2.2 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge
- 8.3 Kündigung des FZA
- 8.3.1 Kündigung
- 8.3.2 Kündigungsberechtigung
- 9 Reaktionsmöglichkeiten der EU auf die Missachtung der FZA-Pflichten durch die Schweiz
- 9.1 Rechtlich
- 9.2 Faktisch und Politisch
- 10 Fazit und Ausblick
- Die Auswirkungen der Masseneinwanderungsinitiative auf die Personenfreizügigkeit
- Die rechtliche Auslegung des Freizügigkeitsabkommens und dessen Vereinbarkeit mit der Initiative
- Die Handlungsoptionen der Schweiz im Falle eines Verstosses gegen das FZA
- Die möglichen Reaktionen der EU auf ein Nichteinhalten der FZA-Pflichten durch die Schweiz
- Die künftigen Perspektiven der Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der EU
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der völkerrechtlichen Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative im Hinblick auf das Freizügigkeitsabkommen (FZA) zwischen der Schweiz und der Europäischen Union. Ziel ist es, die rechtlichen Herausforderungen und Handlungsoptionen der Schweiz im Kontext der Initiative zu analysieren.
Zusammenfassung der Kapitel
Kapitel 1 führt in die Thematik der Masseneinwanderungsinitiative und deren völkerrechtliche Implikationen ein. Kapitel 2 beleuchtet den Begriff der Personenfreizügigkeit im Verhältnis Schweiz – EU sowie die grundlegenden Elemente des freien Personenverkehrs. Kapitel 3 untersucht die volkswirtschaftliche Bedeutung der Personenfreizügigkeit für die Schweiz, insbesondere den Umfang und die begleitenden Massnahmen. Kapitel 4 befasst sich mit der Auslegung des Freizügigkeitsabkommens, sowohl nach allgemeinen völkerrechtlichen Prinzipien als auch im Kontext spezifischer Bestimmungen.
Kapitel 5 analysiert den Arbeitsmarkt Schweiz – EU, wobei die schrittweise Einführung der Personenfreizügigkeit sowie die Verfahren für EU-Arbeitnehmer in der Schweiz im Vordergrund stehen. Kapitel 6 behandelt die Verfahren für Arbeitssuchende aus dem Nicht-EU/EWR-Raum und deren Zulassungskriterien auf dem Schweizer Arbeitsmarkt. Kapitel 7 befasst sich mit der Umsetzung von Art. 121a BV und den damit verbundenen rechtlichen Herausforderungen, insbesondere dem Diskriminierungsverbot für ausländische Arbeitnehmer.
Kapitel 8 präsentiert die Handlungsoptionen der Schweiz im Kontext der völkerrechtlichen Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative, darunter diplomatische Konfliktlösungen und mögliche Konsequenzen eines Verstosses gegen das FZA. Kapitel 9 beleuchtet die rechtlichen und politischen Reaktionsmöglichkeiten der EU auf eine Missachtung der FZA-Pflichten durch die Schweiz.
Schlüsselwörter
Die Arbeit fokussiert auf die zentralen Themen der Personenfreizügigkeit, der völkerrechtlichen Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative, des Freizügigkeitsabkommens (FZA) zwischen der Schweiz und der EU, des Inländervorrangs, der Diskriminierungsverbote, der Handlungsoptionen der Schweiz, der Reaktionen der EU und der rechtlichen Folgen.
- Quote paper
- Anonym (Author), 2018, Völkerrechtliche Umsetzung von Art. 121a BV, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/452755