Diese Arbeit mit dem Titel "Hartnäckige Witwe und der Widerstand von Frauen. Exegese Lk 18, 1-8" umfasst die folgenden Inhalte in Stichpunkten: Zum Text; Sozialgeschichtliche Fragen; Feministische Beobachtung zur Auslegungsgeschichte, besonders der Gegenwart; Feministische Perspektive
Bei dem Text in Lk 18,1-8 handelt es sich um ein Gleichnis. Dies ist daran zu erkennen, dass es von dem Erzähler in Vers eins direkt erwähnt wird: „Jesus sagte ihnen durch ein Gleichnis (…)“ .
Ein Gleichnis ist eine Erzählung, bei dem ein bestimmtes Ereignis im Fokus steht. Die vorkommenden Akteure dienen der Identifikation oder zur Abwehr. Bei Lk 18,1-8 ist schnell zu erkennen, dass die Witwe die Rolle mit dem höchsten Identifikationspotenzial ist. Dem Richter wird, schon bei der Vorstellung seiner Person in Vers 2 genommen, in dem er als jemand betitelt wird, der Gott nicht fürchtet dieses Potenzial genommen. Die sprachliche Grundlage für Gleichnisse ist die Metapher. Eine Metapher besteht meistens aus zwei Teilen, die in semantischer Spannung zu einander stehen. Ein Beispiel ist der Ausdruck „die Sonne lacht“. Das Subjekt, die Sonne in Verbindung mit dem Prädikat lacht führt zu einer semantischen Störung, die zur Folge hat, dass ein neuer Sinn geschaffen wird. Sellin definiert dies wie folgt: „Die Metapher ist eine Prädikation, in der zwischen Subjekt und Prädikat eine semantische Spannung besteht, die auf einer höheren Ebene verstehend aufgehoben wird.“ Bei der Erzählung von der Witwe und dem Richter ist es jedoch nicht so einfach. Hier sind Subjekt und Prädikat schwerer zu erkennen als bei dem eben genannten Beispiel. Das Subjekt dieser Metapher ist das Thema, welches sich schon durch vorherige Kapitel zieht - das Kommen des Menschensohnes (Lk 17, 22-37, Lk 18, 8 ). Das Prädikat hierzu ist die Gleichniserzählung an sich (Lk 18,2-5). Dieser Umstand zeigt, dass es sich um eine Parabel handelt, denn eine „Parabel ist eine Metapher, deren Prädikat aus einer ganzen Erzählung besteht.“ Die Metapher befindet sich in diesem Fall also nicht innerhalb des Gleichnisses, sondern sie ist das Gleichnis, was Lk 18,1-8 zu einer metaphorischen Erzählung, einer Parabel werden lässt. Typisch für eine Parabel ist, dass sie von einem Einzelfall berichtet, dessen Inhalt im Gegensatz zum Gleichnis nicht Alltägliches thematisiert. „Konventionelle Denk- und Verhaltensmuster“ sollen überdenkt werden.
Hartnäckige Witwe und der Widerstand von Frauen (Lk 18.1-8)
A: Zum Text
-Gleichnis von der hartnäckigen Witwe -> kleine Geschichte vom Frauenwiderstand gegen Unrecht -> Witwe wird zum Vorbild für das Verhalten aller Glaubenden Gott und den Menschen gegenüber gemacht
-Unrecht, dass der Witwe angetan wurde liegt auf zwei Ebenen
1. Opfer eines Mannes: der ihre wirtschaftliche Lebensgrundlage angetastet hat & gegen
die sie sich mit Hilfe eines Richters zu wehren versucht -> Klagt im Gericht gegen ihn
(Im Gleichnis taucht er als Widersacher auf)
2. Opfer einer ungerechten Rechtssprechung, die auf ihr Recht keine Rücksicht nimmt
-Der Richter hat sie mehrmals abgewiesen, wie das Gleichnis erzählt
-das doppelte Unrecht, das dieser Frau geschieht, ist Gegenstand der Dauerklage der Hebräischen Bibel gegen die Täter des Unrechts und das Volk, in dessen Mitte dieses Unrecht geschieht
-aus alttestamentlichen Material als auch aus dem Gleichnis selbst ist zu entnehmen, dass diese Texte dieses doppelte Unrecht gegen Witwen als strukturelles Unrecht ansehen (die alttestamentlichen Texte sprechen schon durch die dauernde Wiederholung dieser Anklage das Unrecht als strukturell an)
-> NT Gleichnis tut dasselbe, indem es die Notlage als typischen Fall darstellt (S.152)
-wird deutlich, dass im frühen Christentum wie in der jüdischen Tradition auch sonst ein Bewusstsein dafür vorhanden war, dass eine patriarchale Gesellschaft strukturelles Unrecht begeht, gegen das Gott einschreitet
-Richter fürchtet Gott nicht (V. 2.4): dokumentiert mangelnde Gottesfurcht auch in seinem Verhalten der Witwe gegenüber, denn der Gott der hebräischen Bibel fordert eine gerechte Rechtssprechung für Witwen
-Richter verkörpert ungerechten Herrscher, der sich nach der biblischen Tradition für allmächtig hält & in seinem Hochmut das Recht der Armen mit Füßen tritt
-Über diesen hochmütigen Herrscher, unter denen das Volk Israel in seiner Geschichte oft litt, spricht die biblische Tradition aus der Perspektive des Volkes, das Gott auf seiner Seite weiß: Gott stürzt die Gewaltigen von den Thronen (Lk 1,52). Diese Tradition ist in der Selbstaussage (Lk 18,4) und Beschreibung (Lk 18,2) des Richters präsent: ״der Gott nicht fürchtet und keine Menschen achtet“
-Widerstand der Witwe gegen das doppelte Unrecht (wird vielen Witwen angetan): zieht wegen des Übergriffes vor Gericht und dass sie sich vom ungerechten Richter nicht abweisen lässt (Verhält sich lästig -> bereitet ihm Mühe (V.5))
-Er schafft ihr Recht, um von ihrer Hartnäckigkeit nicht mehr behelligt zu werden-Wenn schon der ungerechte Richter der Witwe Recht verschafft, um wie viel mehr Gott denen, die ihn bitten. (S.153)
-Schwierigkeit: Vergleich Gottes mit ungerechtem Richter
-Schwerpunkt des Textes: liegt auf dem Verhalten der Glaubenden (V.8), der Erwählten (V.7), bzw. der in V.1 angeredeten Jüngerinnen und Jünger Jesu: Sie sollen sich Gott gegenüber wie die hartnäckige Witwe verhalten: Immerfort beten, nicht verzweifeln (V.1), Tag und Nach zu Gott schreien wegen ihres Rechtes (V.7) und glauben (V.8)
-> ganze Existenz soll der Situation der Witwe vor dem ungerechten Richter vergleichbar sein-Gebet und Schrei zu Gott gegen das erfahrene Unrecht beschreiben das ganze Leben der Glaubenden, ihre Anstrengung, ihren Protest gegen Unrecht, ihr Vertrauen zu Gott, denn sie wissen, dass er ganz anders handelt als der ungerechte Richter-das Gleichnis konzentriert den Blick auf dieses widerstände Verhalten der Glaubenden, für das eine hartnäckige Witwe das Vorbild abgibt
-Sie haben die Hoffnung, dass Gottes Gericht Gerechtigkeit herstellen wird (S.154)
B: Sozialgeschichtliche Fragen
-Widerstand vor Gericht ist ein vielverhandeltes Thema in antiken Texten aller Bereiche (S. 155)
-Sie (Witwe) ist immer wieder zu dem ungerechten Richter gegangen und hat ihr Recht gefordert (V.3), aber hat ihm auch Vorwürfe gemacht und ihn an seine Pflicht erinnert-Der rahmen des Gleichnisses Lk 18 (V.1 und V.6-8) bezieht sich auf die Frau als ununterbrochen Redende oder gar Schreiende.
-Da das Geschrei der Frauen häufiger in Beschreibungen ihrer Widerstandes anzutreffen ist, ist diese Annahme nicht unwahrscheinlich. (S.156)
-Sie weiß, dass er ein ungerechter Richter ist, und er will auch nichts anderes sein, trotzdem bringt sie ihn durch ihr hartnäckiges Kommen und Rede dazu, Recht zu sprechen (S. 156-157)
-Witwe steht in erkennbarer Widerstandstradition
-Beharrlichkeit, mit der in diesen Texten um das Recht gekämpft wird, ist mehrfach mit dem Überschreiten der gesellschaftlichen Rolle verbunden-Ganz deutlich ist die Überschreitung der gesellschaftlichen Rolle in Lk 18, 1-8: So darf sich keine Witwe -vermutlich überhaupt keine Frau- verhalten-Rollenüberschreitung führt in der Auslegung zum Sarkasmus des Richters (V.5): Er sagt zu sich selbst: Ich muss ihr Recht verschaffen, ״damit sie nicht am Ende kommt und mir ins Gesicht schlägt“
-> Griechische Wort: hypopiazein meint den gewaltigen Faustschlag unter die Augen und hat keine
sinnbildliche Bedeutung
-eine Frau, die sich nicht wie eine Frau verhält: wird unterstellt, dass ihr nun auch Gewalt zugetraut werden kann (S.157)
-Der Sarkasmus des Richters in Lk 18, 1-8 ist Ausdruck von Sexismus und eine zynische Umkehrung der Realität, in der eher die ihr Recht suchenden Menschen von Gerichtsdienern geschlagen werden als der Richter (S.157-158)
Widerstand in der Zeit des frühen Christentums
-Unter Frauenwiderstand (kann aufs Flaus oder gesellschaftlich-staatliche Bereiche bezogen sein) verstehe ich Flandlungen und Verhaltensweisen von Frauen, mit denen sie sich als einzelne oder kollektiv gegen ihre Unterdrückung zur Wehr setzen
-Frauenwiderstand richtet sich gegen Frauenunterdrückung, oft zugleich gegen damit verbundene andere Aspekte patriarchaler Unterdrückung (S.158)
-Die Theklaakten sind ein herausragendes Dokument der Frauenwiderstandsgeschichte im frühen Christentum (Relevanz für die Rekonstruktion der historischen Realität nicht zu unterschätzen; werden nicht als historische Berichte angesehen) (S.159)
-Eheverweigerung christlicher Frauen in der Alten Kirche wird von der nichtchristlichen Gesellschaft als Gefährdung der öffentlichen Ordnung angesehen-Die Flerrschaft von Männern über Frauen ist ein entscheidender Bestandteil der gesellschaftlichen Flerrschaftsordnung (S.161)
-Öffentliches Reden von Frauen galt im römischen Reich und Teilen des frühen Christentums als Frauen unangemessen und als politisch aufrührerisch (S. 164)
-Es ist Widerstand von Frauen gegen das patriarchale System, das ihnen durch den Zwang der Frauenrolle Unfreiheit bringt (von mir: nicht gegen das männliche Geschlecht an sich)
-Diese Unterdrückung der Frauen durch die Frauenrolle begegnet Frauen vom ״privaten“ alltäglichen Bereich ihrer menschlichen Beziehungen bis in den Bereich ihrer Rolle in der Öffentlichkeit.
-(Der Begriff Patriarchat wird hier zur Bezeichnung einer gesamtgesellschaftlichen organisierten Flerrschaftsstruktur benutzt, in der Flerrschaft über Frauen, aber auch über Männer, die die Männerrolle nicht erfüllen, über Arme und Fremde mit subtiler und auch offener Gewalt durchgesetzt wird)
-NT viel zu wenig über die Praxis frühchristlicher Gemeinden und noch weniger über Frauenwiderstand sagt (S.165)
-Die hartnäckige Witwe tut genau das Gegenteil dessen, was in Mt 5,40 von Christen verlangt wird. Sie kämpft vor Gericht um ihr Recht, verzichtet also nicht auf Gegenwehr (S.172). Das Gleichnis von der hartnäckigen Witwe, in dem für ihr Verhalten ja Partei ergriffen wird, zeigt noch einmal, dass in Mt 5,40 an Männerverhalten gedacht ist und dass in der Jesustradition ein Bewusstsein dafür vorhanden ist dass Frauenwiderstand seine eigene Gestalt hat (S.172-173)
-Die historische Erfahrung von Frauen, die in der revolutionären Phase von Widerstand ״gleichberechtigt“ gebraucht werden, nach dem Ende dieser Phase aber wieder von den Männern auf ihre Frauenrolle verwiesen werden, entspricht der androzentrischen Wahrnehmung und patriarchalen Praxis auch von gewaltlosen Widerstand. Solange Widerstand gegen sexistische Unterdrückung nicht in den gewaltlosen Widerstand einbezogen wird, stützt eine androzentrische Wahrnehmung und patriarchale Praxis des Pazifismus das sexistische Unrecht (S.173) Und wenn Frauen Zuschlägen?
-Dass Frauen von (Ehe)Männern geschlagen werden dürfen, selbst aber nicht schlagen, ist in patriarchalen Gesellschaften Bestandteil des patriarchalen Selbstverständnisses.
-Das Gleichnis von der hartnäckigen Witwe zeigt, dass es sexistischer Topos ist, Frauen zu verunglimpfen, indem ihnen Gewalttätigkeit nachgesagt wird (S.173)
-Mit der Beobachtung des frauenfeindliches Klischees - schlagende Frauen sind besonders verabscheuenswert - soll nicht wieder behauptet werden, dass Frauen nicht schlagen (S.174). Es ist aber sorgfältig zu untersuchen, was es bedeutet, wenn eine Frau zurückschlägt, und ihr Schlagen nicht mit dem patriarchalen Klischees (nur böse Frauen schlagen, gute sind gewaltlos) zu deuten (S. 174-175)
c: Feministische Beobachtung zur Auslegungsgeschichte, besonders der Gegenwart
-Das Gleichnis heißt häufig schon in der Überschrift ״Gleichnis von der bittenden Witwe“. So verliert das Gleichnis die Widerständigkeit, und die Frau passt wieder in die patriarchal definierte Frauenrolle, nach der Witwen bitten, aber nicht hartnäckig nach ihrem Recht schreien oder ״Mühe bereiten“ (Lk 18,5)
-Jesusbild: Jesus als den bedingungslosen gewaltlosen Mann von dem terroristischen Gewalttäter abgrenzt (S.176)
D: Feministische Perspektive
-Das Gleichnis von der hartnäckigen Witwe fängt wie in einer Miniatur ein Modell und Vorbild ein
-Glaube wird in diesem Gleichnis als geduldige Widerstandsarbeit im Alttag und Schreien nach Gerechtigkeit verstanden
-Das Gleichnis erzählt von einer Witwe, da mit ihr im Rahmen der biblischen Tradition zugleich die strukturelle Gewalt in den Mittelpunkt rückt
-zeigt aber nicht ein bemitleidendes Opfer, sondern eine zäh kämpfende Frau, die von dem sexistischen Richter als potentiell gewalttätig denunziert wird-es ist zu überlegen, ob die hartnäckige Witwe nicht ein besseres Vorbild für christliche Frauen - und Männer - abgibt, als ein unschuldig-gewaltloser Jesus-Jede Frau, die sich weigert, am Platz der Frauen zu bleiben, leistet Widerstand gegen den Sexismus (S.177)
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- Quote paper
- Elisa Ripke (Author), 2017, Hartnäckige Witwe und der Widerstand von Frauen. Exegese Lk 18, 1-8, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/452589