Gegenstand der vorliegenden Hausarbeit ist es, sich mit der These auseinanderzusetzen und Erklärungen auf Fragen hinsichtlich der zwiespältigen Person Tonio Krögers zu finden. Das Gefangensein Tonio Krögers zwischen zwei Identitäten, nämlich dem Bürger- und Künstlertum, sind ebenfalls Kern dieser Seminararbeit.
Sie präsentiert dafür zunächst zwei Strömungen aus Friedrich Nietzsches Kunstkritik "Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik", nämlich das Apollinische und Dionysische und analysiert dann die Hauptfigur in Hinblick auf das "Apollinische und Dionysische". Beim Dionysischen und Apollinischen geht es um unterschiedliche Standpunkte hinsichtlich des Seins. Ist das Sein Tonio Krögers in der Individuation gefangen und wehrlos wie in den apollinischen Künsten oder kann es die Überschreitung wie im Dionysischen erfahren?
Inhalt
1. Einleitung
2. Das Apollinische und Dionysische nach Friedrich Nietzsche
3. Tonio Kröger: Gefangen zwischen Apollon und Dionysos?
4. Schluss
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„So kam es nur dahin, daß er, haltlos zwischen krassen Extremen, zwischen eisiger Geistigkeit und verzehrender Sinnenglut hin und her geworfen, unter Gewissensnöten ein erschöpfendes Leben führte, (…) das er, Tonio Kröger, im Grunde verabscheute.“1 Seiner eigenen Identität fremd zu sein und ein Leben zu führen, das man gar nicht möchte, ja sogar verabscheut, muss zweifellos eine äußerst komplizierte Situation sein. Jeder Mensch sucht im Laufe seines Lebens nach der eigenen Identität, aber anscheinend hat nicht jeder das Glück, diese auch zu finden. Denn das Zitat führt vor Augen, wie Tonio Kröger im Konflikt mit sich selbst steht und „auf der Suche nach dem menschlichen Glück“2 ist. Die Frage ist aber, wieso er ein Leben führt, welches er selbst verabscheut und sich zwischen Extremen hin- und hergerissen fühlt? Die These ist, dass die Figur Tonio Kröger, aus dem gleichnamigen Werk Thomas Manns, zwischen den Welten des Dionysos und Apollon gefangen sei.
Gegenstand der vorliegenden Hausarbeit ist es, sich mit der These auseinanderzusetzen und Erklärungen auf Fragen hinsichtlich der zwiespältigen Person Tonio Krögers zu finden. Das Gefangensein Tonio Krögers zwischen zwei Identitäten, nämlich dem Bürger- und Künstlertum, sind ebenfalls Kern dieser Seminararbeit. Sie präsentiert dafür zunächst zwei Strömungen aus Friedrich Nietzsches Kunstkritik Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik 3, nämlich das Apollinische und Dionysische 4 und analysiert dann die Hauptfigur in Hinblick auf das Apollinische und Dionysische. Beim Dionysischen und Apollinischen geht es um unterschiedliche Standpunkte hinsichtlich des Seins. Ist das Sein Tonio Krögers in der Individuation gefangen und wehrlos wie in den apollinischen Künsten oder kann es die Überschreitung wie im Dionysischen erfahren?
2. Das Apollinische und Dionysische nach Friedrich Nietzsche
Thomas Mann arbeitet bei der psychologischen Gestaltung seiner Protagonisten oft mit philosophischen Überlegungen von Denkern wie Arthur Schopenhauer oder Friedrich Nietzsche.5 In Tonio Kröger beschäftigt sich Mann mit der Kunsttheorie des Apollinischen und Dionysischen von Nietzsche, die 1872 entwickelt wurde. Dionysisch und apollinisch sind antagonistische Begriffe, die sich aus der griechischen Mythologie ableiten. Apollinisch geht zurück auf Apollon, „der Gott der Form, der Klarheit, des festen Umrisses, des hellen Traumes und vor allem: der Individualität“.6 Dionysisch leitet sich vom „wilden Gott“7 Dionysos ab, der das ekstatische und irrationale Prinzip sowie rauschhafte und sinnliche Zustände repräsentiert. Er ist ein Gott der Feier, der Ausgelassenheit und der Entindividualisierung. Apollon hingegen verkörpert das rationale und aufgeklärte Prinzip und bringt insbesondere Form und Ordnung zum Ausdruck.8 Nietzsche ordnet das sogenannte Dionysische der Musik und dem Tanz zu und das sogenannte Apollinische den bildenden Künsten.9
Worin liegt nun der Unterschied zwischen dem Apollinischen und Dionysischen hinsichtlich des Seins? Dionysos steht für ein Seinsprinzip, das sich nicht auf die menschliche und individuelle Existenz beschränkt, sondern die Grenzen der Individuation sprengt. Das Dionysische ist stürmisch, leidenschaftlich und reizend zugleich, es verspricht die Befreiung von Leiden und den ungehemmten Genuss.10 Dem gegenüber zielt das apollinische Sein sehr stark auf die Individuation ab, nämlich auf „das höchste geistige Bewußtsein“, das Sich-Entwickeln sowie das zielhafte Ausgerichtetsein des Geistes.11 Es steht dem Dionysischen „als Individuationsgewalt entgegen“ und formt das Apollinische „zu allem was vereinfacht, heraushebt, stark, deutlich, unzweideutig, typisch macht“.12 Für Nietzsche ist das Dionysische der Grund des Seins und das alle Menschen verbindende selbstgestaltlose Urprinzip des chaotischen Werdens und Vergehens, das sich der rationalen Hinterfragbarkeit zuletzt entzieht.13 Nach Nietzsche ist die Existenz des Menschen seine individuelle Bewusstsamkeit gleichsam einer Nussschale, die auf dem „tobenden Meere“ treibt.14 Die individualisierte Existenz, das Ich-Bewusstsein und die personalisierte Erinnerung und Identität des Menschen ist von den Wogen des Abgrund des Werdens und Seins, also des Dionysischen, umrandet.15 Das Lebensprinzip des Dionysischen fordert die Hingabe an das Rausch- und Triebhafte, an die Ekstase und ist beim Ausleben präsent in Form von Schmerz und Lust.16 Das Apollinische ist für ihn ein Schleier gleichsam der Samthandschuh in dem die Kralle des Dionysischen steckt, da das apollinische Formprinzip das dionysische Lebensprinzip unterdrückt.17 „Durch die gewaltsame Unterdrückung des vitalen Lebens entsteht jedoch eine Erstarrung, aus der sich ein „Erstarken zum Bösen, Verbotenen, zum sittlich Unmöglichen“ ergibt, bis jener Punkt erreicht ist, an welchem das unterdrückte Leben wiederkehrt.“18 Das Zusammenspiel des Apollinischen und Dionysischen bildet das Ideal der künstlerischen Rezeption.19 So versucht Thomas Mann in Tonio Kröger das Zusammenspiel der beiden Götter in der Person von Tonio Kröger zu verankern, jedoch ist die Figur weit davon entfernt, das Idealbild zu verkörpern. Tonio Kröger ist eher zwischen den zwei Welten gefangen und versucht seine Identität und Zugehörigkeit in der Gesellschaft zu finden.
3. Tonio Kröger: Gefangen zwischen Apollon und Dionysos?
Thomas Mann nutzt Nietzsches bipolares Begriffspaar des Apollinischen und Dionysischen, um das Bürger- und Künstlertum, in das Tonio Kröger gefangen ist, näher zu veranschaulichen. Mann setzt das Bürgertum mit dem Apollinischen und das Künstlertum mit dem Dionysischen gleich. Aber „im Gegensatz zu Nietzsches Konzeption, für die der Gleichgewichtzustand entscheidend ist, wird das Verhältnis zwischen dem Dionysischen und Apollinischen bei Mann ein absolutes Gegensatzverhältnis umgedeutet, was sich vor allem in seiner Figurendarstellung zeigt“.20 So sieht man bei näherer Betrachtung, dass Tonio Kröger eine Figur der Gegensätze ist. Der Vor- und Nachname Tonio Krögers stehen schon im Missverhältnis zueinander, der ihn zum Außenseiter macht, da sein Vorname Tonio „so verrückt“ und eigentlich „doch überhaupt kein Name“ ist (TK, S. 251). Den Vornamen hat er seiner „dunklen und feurigen Mutter“ mit exotisch-südländischen Wurzeln zu verdanken (TK, S. 247). Den Nachnamen Kröger hat er von seinem Vater, einem bürgerlichen Konsul aus Lübeck, erhalten. Der Vater ist ein „weit würdiger und respektabler“ Mann, mit „sinnenden blauen Augen“ (TK, S.247). Die Verwertung des Vornamens ist ein Beweis für die nicht funktionierende Integration des Protagonisten „in die bürgerlich-konservative Weltsicht“.21 Tonio Kröger hat Schwierigkeiten sich in eine passende Welt zu integrieren und isoliert sich immer mehr von der Außenwelt. „Im Verhältnis zwischen den Namen spiegelt sich die Nord-Süd-Spannung als Antagonismus zwischen dem bürgerlich-protestantischen Leistungsethos des Nordens und der schönheitstrunkenen Unproduktivität des Südens.“22 Das Dunkle, Feurige und Südländische der Mutter sowie der Vorname Tonio stehen hier symbolisch für das Dionysische, während der Vater und der Nachname Kröger das Apollinische verkörpern.
Tonio Kröger sehnt sich nach Bürgerlichkeit und Leben, damit einher geht seine Liebe und sein Neid zu bürgerlichen und blonden Personen: „Meine tiefste und verstohlenste Liebe gehört den Blonden und Blauäugigen, den hellen Lebendigen, den Glücklichen“ (TK, S. 318). Er verliebt sich mit 14 Jahren in seinen Jugendfreund Hans Hansen, weil dieser blond und „schön war“ (TK, S. 248). Seit Tonio „ihn kannte, empfand er Sehnsucht, sobald er ihn erblickte, eine neidische Sehnsucht, die oberhalb der Brust saß und brannte.“ (TK, S. 248) Als 16-Jähriger geriet er erneut in Verliebtheit, mit der blonden und blauäugigen Ingeborg Holms, obwohl er „genau wußte, daß die Liebe ihm viel Schmerz, Drangsal und Demütigung“ bringen würde (TK, S. 255).
Tonios Liebe bleibt in beiden Fällen unerwidert, sie manifestiert aber den Beweis für die Ausgrenzung am Bürgertum. Ironischerweise verehrt ihn nur die dunkelhaarige Rechtsanwaltstochter, Magdalena Vermehren, die genauso eine Außenseiterin ist wie Tonio Kröger (TK, S. 258). So fallen nämlich beide beim Tanzen negativ auf, da Magdalena oft hinfällt und Tonio auf die falsche Seite der Damen geriet: „Halt, halt! Kröger ist unter die Damen geraten!“ (TK, S. 258 f.). Aber nicht nur das dunkle Aussehen oder die falsche Seite beim Tanzen machen Tonio zum Außenseiter, sondern auch seine homosexuelle Neigung. Seine Männlichkeit wird sogar in Frage gestellt: „Ist der Künstler überhaupt ein Mann?“ (TK, S. 271). Wieder hat man den Beweis dafür, dass die Figur im Gegensatzverhältnis steht, da seine sexuelle Neigung unklar ist und sogar sein Geschlecht in Frage gestellt wird. Ein weiterer gegensätzlicher Punkt ist der starke Kontrast zwischen dem Hellen und Dunklen, dieser ist nämlich ein Leitmotiv in der Erzählung und steht analog für das Apollinische und Dionysische.23 „Die zentralen Antithesen Geist und Leben, Künstler und Bürger lassen sich hier einfügen: So steht Geist als Ausformung apollinischer Gewalt dem Leben, der Künstler als apollinischer Außenseiter dem Bürger als Gegensatz gegenüber.“24 Im Gespräch mit der Künstlerin Lisaweta Iwanowna lässt sich das Ganze deutlicher machen: „Es ist aus mit dem Künstler, sobald er Mensch wird und zu empfinden beginnt.“ (TK, S. 271)
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1 Mann, Thomas: Tonio Kröger. In: Frühe Erzählungen 1893 - 1912. In der Fassung der Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe. Hrsg. von Terence J. Reed. 3. Auflage. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag 2016. S. 265 [Sigle (TK)]
2 Vgl. Kurwinkel, Tobias: Apollinisches Außenseitertum. Konfigurationen von Thomas Manns »Grundmotiv« in Erzähltexten und Filmadaptionen des Frühwerks. Würzburg: Königshauses & Neumann 2011. S. 97.
3 Nietzsche, Friedrich: Die Geburt der Trag ö die aus dem Geiste der Musik. Leipzig: E. W. Fritzsch 1872.
4 Ebd.
5 Vgl. Ewen, Jens: Erzählter Pluralismus. Thomas Manns Ironie als Sprache der Moderne. Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann 2017 (= Thomas-Mann-Studien 54). S. 165.
6 Nietzsche, Friedrich: Nietzsche. Biographie seines Denkens. Hrsg. von Rüdiger Safranski. München: Eugen Diederichs Verlag1997. S. 30.
7 Ebd.
8 Vgl. ebd. S. 30 ff.
9 Vgl. Kurwinkel, T.: Apollinisches Außenseitertum. S. 13.
10 Vgl. ebd. S. 14.
11 Jünger, Friedrich Georg: Griechische G ö tter: Apollon - Pan - Dionysos. Frankfurt am Main: Klostermann 1943. S.10 ff.
12 Vgl. Kurwinkel, T.: Apollinisches Außenseitertum. S. 14.
13 Vgl. Kristiansen, Børge: Apollinisch/Dionysisch. In: Thomas Mann Handbuch. Leben, Werk, Wirkung. Hrsg. von Andreas Blödorn. Stuttgart: Metzler 2015. S. 283 f.
14 Vgl. Nietzsche, F.: Nietzsche. S. 32.
15 Vgl. ebd.
16 Vgl. Nietzsche, F.: Nietzsche. S. 31
17 Vgl. Kristiansen, B.: Apollinisch/Dionysisch. S. 284.
18 Ebd.
19 Vgl. Ewen, J.: Erzählter Pluralismus. S. 161.
20 Kristiansen, B.: Apollinisch/Dionysisch. S. 284.
21 Vgl. Kurwinkel, T.: Apollinisches Außenseitertum. S. 101.
22 Ebd.
23 Vgl. Kurwinkel, T.: Apollinisches Außenseitertum. S. 107.
24 Ebd. S. 111.
- Quote paper
- Ismail Uzunoglu (Author), 2018, Eine Figurenanalyse nach Friedrich Nietzsches Kunstprinzip in Thomas Manns "Tonio Kröger", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/452313
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