In Zeiten des globalen Wettbewerbs und zunehmender öffentlicher Aufmerksamkeit gewinnen Nichtmarktstrategien für Unternehmen immer mehr Bedeutung. Dabei handelt es sich um Maßnahmen in der gesellschaftlichen und politischen Umwelt, die zur Verbesserung oder zum Schutz der eigenen Marktposition dienen.
Besonders die Lebensmittelbranche muss sich auf ihre Nichtmarktumwelt einstellen. Denn Konsumenten fragen zum Beispiel vermehrt gesunde und nachhaltige Produkte nach. Welche gesellschaftlichen und politischen Akteure hierbei eine Rolle spielen, erklärt Ibrahim Ruç in seiner Publikation.
Dafür analysiert Ruç verschiedene Nichtmarktstrategien und stellt ihre jeweiligen Erfolgsfaktoren vor. Er plädiert dafür, dass Unternehmen auf Forderungen der Nichtmarktumwelt eingehen. Besonders der deutschen Lebensmittelindustrie empfiehlt er eine antizipative Nichtmarktstrategie.
Aus dem Inhalt:
- Strategisches Management;
- Bio;
- Stakeholder;
- Marktstrategie;
- Zuckersteuer
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
2 Strategie im Kontext der Unternehmensumwelt
2.1 Der Strategiebegriff
2.2 Die Umweltanalyse
3 Die Nichtmarktumwelt
3.1 Definition und Abgrenzung zum Markt
3.2 Die Analyse der Nichtmarktumwelt auf Themenbasis
3.3 Die Analyse der Nichtmarktumwelt auf Stakeholder-Basis
4 Nichtmarktstrategien
4.1 Ökonomische Begründung für den Einsatz
4.2 Der Zeitpunkt für Nichtmarktstrategien
4.3 Nichtmarktstrategietypen
4.4 Nichtmarktmaßnahmen
4.5 Nichtmarktstrategieformulierung
4.6 Integration von Markt- und Nichtmarktstrategien
5 Determinanten und Resultate
5.1 Interne Faktoren
5.2 Externe Faktoren
5.3 Einfluss auf die Unternehmensleistung
6 Nichtmarktumwelt der Lebensmittelbranche
6.1 Analyse der Nichtmarktumwelt
6.2 Praxisbeispiele für Nichtmarktstrategien
6.3 Special Case: Relationale kollektive Nichtmarktstrategien durch das BLL
6.4 Weitere Beispiele
6.5 Empfehlungen für die Lebensmittelindustrie
7 Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Konzept zur Analyse der Umwelt
Abbildung 2: Die drei Dimensionen der Stakeholder
Abbildung 3: Stakeholder-Kategorien
Abbildung 4: Lebenszyklus von Nichtmarktthemen mit Reputations- und Informationskaskaden
Abbildung 5: Entscheidungsbaum zur Nichtmarktstrategieentwicklung
Abbildung 6: Modell einer integrierten Nichtmarktstrategie
Abbildung 7: Häufigkeiten der Google-Suchen zu den Begriffen Zucker, Fett und Salz
Abbildung 8: Pro-Kopf-Konsum von Erfrischungsgetränken in Deutschland in den Jahren 2007-2017 (in Liter)
Abbildung 9: Analyse der Nichtmarktumwelt am Beispiel aktueller Themen
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Hauptunterschiede zwischen Markt- und Nichtmarktumwelt
Tabelle 2: Arten reaktiver Strategien und Widerstandsgrade
Tabelle 3: Generelle Strategietypen
Tabelle 4: Aktive Strategietypen und Maßnahmen
Tabelle 5: Empirisch festgestellte Determinanten von Nichtmarktstrategien
Tabelle 6: Positionen der Parteien bzgl. Nichtmarktthemen
1 Einleitung
Der unternehmerische Erfolg wird zunehmend auch von Faktoren des Marktumfelds bestimmt. Dabei gewinnt die gesellschaftliche und politische Legitimität der Unternehmen immer mehr an Bedeutung. Nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit innerhalb gesetzter Rahmenbedingungen entscheidet über den Erfolg, sondern auch das Management der Rahmenbedingungen durch Nichtmarktstrategien. Nichtmarktstrategien bezeichnen dabei Maßnahmen in der gesellschaftlichen und politischen Umwelt, die zur Verbesserung oder zum Schutz der eigenen Marktposition dienen.
Die Lebensmittelbranche ist eine Branche, in der viele dieser Faktoren von erheblicher Bedeutung sind. Konsumenten fragen vermehrt gesunde und nachhaltige Produkte nach und achten auf Herkunft und Inhalt. Die Nachfrage nach Bio- und Fairtrade-Produkten, aber auch die steigende Nachfrage nach Produkten die „frei von“ u.a. Zucker sind, veranschaulichen diese Veränderungen. Unternehmen reagieren bereits darauf und bieten vermehrt zuckerfreie Produkte an. Hierbei spielen gesellschaftliche und politische Akteure eine bedeutende Rolle.
NGOs wie foodwatch sowie Ärzte, Krankenkassen und Medizinverbände fordern derzeit eine Zuckersteuer auf Getränke, eine Ampelkennzeichnung auf der Vorderseite von Lebensmittelverpackungen und Einschränkungen für an Kinder gerichtetes Marketing. Ähnliche Ziele hat auch die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten und erwartet von der Industrie Lösungskonzepte zur Reduktion von Zucker, Fett und Salz. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fordert Steuern auf Zutaten wie Zucker.
Eine mögliche Zuckersteuer und andere gesellschaftliche Veränderungen betreffen viele Unternehmen der Lebensmittelbranche. Ziel dieser Master-Arbeit ist es zu untersuchen, wie Unternehmen ihre Nichtmarktumwelt managen können und welche Möglichkeiten sie haben, ihre Beziehungen zur gesellschaftlichen und politischen Umwelt zu gestalten.
Am Beispiel ausgewählter Unternehmen der Lebensmittelbranche in Deutschland wird anhand relevanter Nichtmarktthemen veranschaulicht, welche Nichtmarktstrategien eingesetzt werden.
2 Strategie im Kontext der Unternehmensumwelt
2.1 Der Strategiebegriff
Strategien bestimmen die grundsätzliche Richtung des Unternehmens und bestimmen somit die zukünftige Unternehmensentwicklung. Aufgrund der langfristigen Ausrichtung beanspruchen Strategien keine Unveränderbarkeit und können im Laufe der Zeit verändert werden. Veränderungen im Unternehmen selbst oder am Markt können Anlass dazu sein. Der langfristige Charakter von Strategien beinhaltet daher qualitative Zielsetzungen, die möglichst genau versuchen, zukünftige Entwicklungen im Unternehmen und am Markt zu antizipieren und idealerweise strategische Neuausrichtungen zu vermeiden. Denn die grundsätzliche Richtung, die Strategien vorgeben, bestimmen mittel- und kurzfristige Pläne des Unternehmens und müssen trotz des qualitativen Charakters auf soliden Annahmen beruhen.1
Im Rahmen der Strategieentwicklung gilt stets die Sicherung des langfristigen Unternehmenserfolges. Dazu müssen Entscheidungen bezüglich der Strategie getroffen werden, die Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz hervorbringen. Dies bedeutet letztlich, dass jene Maßnahmen umgesetzt werden, die dazu führen, dass die Kunden das Leistungsangebot des Unternehmens gegenüber den Wettbewerbern bevorzugen. Die hier erwähnten Maßnahmen sind sowohl interner als auch externer Natur, d.h. die Unternehmensressourcen und die Positionierung am Markt müssen derart gestaltet werden, dass sie Wettbewerbsvorteile erzeugen.2
Strategische Entscheidungen sind jedoch keine konkreten Handlungsvorgaben, sondern allgemein formulierte Zielsetzungen, die die wesentlichen Rahmenbedingungen für die einzelnen Unternehmensteilbereiche vorgeben. Strategische Entscheidungen müssen daher auch allgemeingültig und in verschiedenen Situationen anwendbar sein. Zudem müssen diese auch bei sich zukünftig verändernden internen und externen Gegebenheiten realisierbar sein. Die Tatsache, dass strategische Entscheidungen aus mehreren Teilentscheidungen bestehen, setzt auch voraus, dass diese konsistent sind. Letztlich müssen diese auch derart gestaltet sein, dass sie, trotz der allgemeinen und qualitativen Formulierung, an die Unternehmensteilbereiche unmissverständlich kommuniziert werden können, da diese die Operationalisierung der Strategie verantworten.3
2.2 Die Umweltanalyse
Die Umweltanalyse ist zusammen mit der internen Unternehmensanalyse die Voraussetzung für die Strategieentwicklung. Zusammen bilden sie die Informationsgrundlage für die Bestimmung der internen Stärken und Schwächen sowie der externen Chancen und Risiken im Sinne des sog. SWOT-Ansatzes. Ergänzt werden diese eher qualitativen Analysen durch systematische, idealerweise quantitative Prognose- und Frühaufklärungssysteme.4
Die Umwelt eines Unternehmens kann mitunter sehr breit definiert werden. Daher müssen, auch aus Gründen der Praktikabilität, zunächst die relevanten Umweltfaktoren herausgefiltert werden. Die betrachteten Umweltfaktoren müssen dabei im Zusammenhang mit dem Unternehmensziel stehen, sprich die Zielerreichung positiv oder negativ beeinflussen können. Umweltfaktoren, die die Zielerreichung beeinflussen, können unternehmensspezifisch sein, d.h. unmittelbar im Umfeld des Unternehmens, wie z.B. Eigenschaften und Verhalten der Konkurrenten. Sie können aber auch in der globalen bzw. Makroumwelt des Unternehmens auftreten und somit nur mittelbar die Zielerreichung beeinflussen. Umweltfaktoren, die der Makroumwelt zugeordnet werden können, sind z.B. politische Entscheidungen, Regulierungen oder soziale Normen.5 Diese sind einige der Ausgangspunkte von Nichtmarktstrategien, welche in den folgenden Abschnitten näher betrachtet werden.
Eine systematische Vorgehensweise bei der Umweltanalyse setzt eine Konzeption voraus. Welge et. al. (2017) konzipieren die Umweltanalyse dergestalt, dass zunächst die Makroumwelt analysiert wird. Untersuchungsgegenstand sind hier politische, ökonomische, soziale, technologische, ökologische oder rechtliche Trends, die die Zielerreichung mittelbar beeinflussen und somit die Rahmenbedingungen des Unternehmens bestimmen. Im nächsten Schritt wird die Branchenstruktur betrachtet. Mit dem Modell der „Five Forces“ nach Porter wird die Struktur der Branche analysiert, in dem das Unternehmen agiert bzw. zu agieren plant. Ist die Struktur der Branche bekannt, wird im nächsten Analyseschritt die Branchendynamik betrachtet. Dies ist notwendig, weil die Analyse der Branchenstruktur nach Porter’s Modell nur einen statischen Blick auf den Wettbewerb liefert und somit nur Eigenschaften beschreibt. Wettbewerbsvorteile können auf Basis dieser Analyse nur geschaffen werden, wenn die Branchendynamik sehr gering ist. Da diese Annahme nicht für alle Branchen allgemeingültig sein kann, muss die Branchendynamik gesondert betrachtet werden. Wenn die Dynamik bekannt ist, wird im Konzept von Welge et. al. (2017) die Analyse weiter konkretisiert und es werden sog. strategische Gruppen innerhalb der Branche identifiziert. Während die Analyse der Branchenstruktur und -dynamik die Branche als Ganzes betrachtete, ist die Analyse der strategischen Gruppen konkreter und identifiziert Gruppen von Unternehmen, die sich strategisch homogen verhalten. Die Umweltanalyse wird weiter konkretisiert, indem im letzten Schritt Stärken und Schwächen der Konkurrenten weitgehend betrachtet werden.6 Die folgende Abbildung veranschaulicht das Konzept.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Konzept zur Analyse der Umwelt
Für Nichtmarktstrategien spielt die Makroumwelt eine bedeutende Rolle, denn die Akteure hinter politischen und sozialen Faktoren, die das Unternehmen beeinflussen, können hier identifiziert werden.7
Die Makroumwelt beinhaltet politisch-rechtliche, ökonomische, soziale, technologische und ökologische Einflüsse und beschreibt somit die allgemeine Umwelt des Unternehmens. Politisch-rechtliche Faktoren sind vor Allem jene Rahmenbedingungen, die das unternehmerische Handeln regulieren. Das politische System eines Landes bestimmt dabei auch, wie viele verschiedene Einflüsse vorhanden sein können. Politisch-rechtliche Umweltfaktoren können daher auf kommunaler, Landes-, föderaler oder supranationaler Ebene einen Einfluss auf das Unternehmen ausüben. Diese Einflüsse betreffen bspw. Umwelt- und Verbraucherschutzbestimmungen, Steuern, intellektuelles Eigentum bis hin zur formellen Gestaltung von Unternehmen selbst. Weiterhin gehören auch die politische Stabilität und die Qualität staatlicher Institutionen zu den politisch-rechtlichen Faktoren. Die Förder- und Subventionspolitik wird ebenfalls hierzu gezählt, da auch diese die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen beeinflussen.8
Ökonomische Umweltfaktoren bezeichnen makro- und mikroökonomische Entwicklungen. Auch hier kann die Betrachtung von einzelnen Standorten bis zur Weltwirtschaft durchgeführt werden. Betrachtet werden hierbei Größen wie Wirtschaftswachstum, Arbeitslosenquote, Lohnniveau, Inflationsrate, Zinsniveau, Zölle, etc. Diese ökonomischen Größen sind relevant, weil die Nachfrage, die Kostenstruktur des Unternehmens und die zukunftsbezogenen Erwartungen des Unternehmens hierdurch beeinflusst werden. Die betrachteten Größen wiederum werden von der Wirtschafts-, Fiskal- und Geldpolitik der jeweils betrachteten Länder beeinflusst. Auch beeinflussen die Eigenschaften der Kapitalmärkte und das Vorhandensein von Produktionsfaktoren im Allgemeinen diese ökonomischen Größen.9
Die technologische Umwelt beschreibt Entwicklungen der Informations- und Kommunikationstechnologien und der wissenschaftlichen Forschung im Allgemeinen, die Prozesse in Unternehmen verändern, neue Produkte, Märkte oder Geschäftsmodelle ermöglichen. Unternehmen setzen vermehrt auf Technologien um in den erwähnten Bereichen Wettbewerbsvorteile zu generieren.
Ökologische Umweltfaktoren beschreiben die natürlichen Umweltbedingungen, wie die geographische Lage eines Unternehmens, die Nähe zu und Verfügbarkeit von Rohstoffen sowie die Beeinflussung der Umwelt durch das Unternehmen selbst. Die Öffentlichkeit erhöht zunehmend die Umweltstandards für Unternehmen und dies beeinflusst unter anderem die Kostenstruktur. Herausforderungen und Trends in diesem Bereich können auch als Chance zur Positionierung des Unternehmens für bestimmte Kundengruppen genutzt werden.10
3 Die Nichtmarktumwelt
3.1 Definition und Abgrenzung zum Markt
Auf Märkten interagieren Unternehmen mit anderen Personen, Unternehmen oder Institutionen auf freiwilliger Basis und tauschen Eigentumsrechte aus. Beide Parteien verfolgen i.d.R. das Ziel, den eigenen Nutzen zu maximieren. Dadurch resultiert Angebot und Nachfrage, welches durch den Preismechanismus einen Markt erst möglich macht.
Die Natur der Interaktionen in der Nichtmarktumwelt sind andersartig. Hier interagiert das Unternehmen mit der Öffentlichkeit, der Politik, öffentlichen Einrichtungen, den Medien, speziellen Interessensgruppen und vielen weiteren Gruppen und Stakeholdern (folgend als Nichtmarktakteure bezeichnet). Interaktionen können freiwillig sein, wenn das Unternehmen beispielsweise in einen Dialog mit diesen Akteuren tritt. Interaktionen sind aber nicht immer freiwillig und können auf Grundlage von rechtlichen Vorschriften erfolgen oder von Akteuren ausgehen. Akteure auf dem Nichtmarkt, mit denen das Unternehmen agiert, verfolgen nicht notwendigerweise nur das Ziel der persönlichen Nutzenmaximierung. Sie können kollektiv, öffentlich, mit Mehrheitsbeschlüssen und/oder auf Basis vorgeschriebener Prozesse handeln.11
Marktstrategien beinhalten Maßnahmen, die in der Marktumwelt zu Wettbewerbsvorteilen führen sollen, um so bestimmte Unternehmensziele zu erreichen und einen Mehrwert zu schaffen. Nichtmarktstrategien hingegen beinhalten Maßnahmen im Nichtmarktumfeld, die die Makroumwelt derart gestalten, dass die Zielerreichung unterstützt und die Effektivität der Marktstrategien insgesamt verbessert wird. Auch sie zielen darauf ab, letztlich einen Mehrwert für das Unternehmen und ihre Anteilseigner zu schaffen oder zu bewahren.12 Nichtmarktstrategien können sich in Form von Maßnahmen wie z.B. Lobbyarbeit zur steuerlichen Förderung des Absatzes bestimmter Produkte oder zur Senkung von Handelsbarrieren bestimmter importierter Inputfaktoren manifestieren.
In Märkten herrschen relativ einfache, kausale bzw. universelle Regeln: Ceteris paribus führt ein steigender Preis zu einer geringeren Nachfrage et vice versa. Unternehmen betrachten Märkte als Teil ihrer Umwelt und versuchen hier Wettbewerbsvorteile zu erlangen, um Kunden zu gewinnen und ihren Gewinn zu maximieren. Jedoch sind auch Märkte gewissermaßen von der Nichtmarktumwelt umgeben. Die Nichtmarktumwelt, mit ihren politischen oder sozialen Aspekten, beeinflusst die Marktumwelt und bestimmt die Regeln darin. Die Nichtmarktumwelt ist daher normativ. In der Nichtmarktumwelt sind jedoch kausale Zusammenhänge oder universelle Regeln schwer zu identifizieren, weil die sie je nach Land, Kultur, Branche und Thema teilweise stark variieren kann. Zudem gibt es in der Nichtmarktumwelt keinen wirtschaftlichen Austausch, wodurch Geld als übertragbares Mittel nicht vorhanden ist. Während in der Marktumwelt also Gewinne aus Produkt A in die Entwicklung von Produkt B übertragen werden können, ist dies in der Nichtmarktumwelt nicht möglich. So kann der Erfolg aus der Lobbyarbeit in den USA nicht dazu genutzt werden, Genehmigungen für eine Fusion in der EU einzuholen. Es ist daher nicht Geld per se, welches in den Interaktionen der Nichtmarktumwelt im Fokus steht, sondern Informationen – und diese sind kontextspezifisch. Während das Thema Lobbyarbeit oftmals mit Geld in Verbindung gebracht wird, sind es Informationen über regulatorische Optionen und deren Kosten-Nutzen-Verhältnisse, die entscheidend sind.13
In der Marktumwelt ist die Marktführerschaft eines der Ziele von Unternehmen. Hier versuchen sie den Wettbewerb zu schlagen. In der Nichtmarktumwelt hingegen sind sowohl individuelle, als auch kollektive Handlungen vorhanden, weil u.U. einzelne Unternehmen weniger Einfluss auf politische Entscheider ausüben können, als Branchenverbände. Auch bewerten politische Entscheider das Interesse spezieller Branchen höher, als das Interesse einzelner Unternehmen. Es gibt zwar auch in der Nichtmarktumwelt einen Wettbewerb, dieser findet jedoch zwischen den verschiedenen Interessensgruppen statt.14
Während in der Marktumwelt Flexibilität und eine schnelle Reaktion auf sich ändernde Umstände von Vorteil sind, kann dies in der Nichtmarktumwelt nachteilig sein. Denn in der Nichtmarktumwelt ist eher Konsistenz und ein langfristiges Denken von Vorteil, weil dies Vertrauen in Gesellschaft und Politik schaffen kann.15
Die folgende Tabelle fasst einige Hauptunterschiede zwischen der Markt- und Nichtmarktumwelt zusammen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Hauptunterschiede zwischen Markt- und Nichtmarktumwelt
Vgl. Voinea; van Kranenburg (2017) und Bach; Allen (2010)
Die Unternehmensumwelt besteht aus Markt- und Nichtmarktkomponenten, daher müssen Unternehmen bei der Analyse ihrer Umwelt und der darauf basierten Strategieentwicklung auch die Nichtmarktumwelt berücksichtigen.16
3.2 Die Analyse der Nichtmarktumwelt auf Themenbasis
Zur Analyse der Nichtmarktumwelt bedarf es zunächst einer Konzeption, welches diesen in einen Kontext mit der Unternehmensumwelt und dem Unternehmen selbst stellt.
In seinem vielzitierten Grundlagenwerg beschreibt David P. Baron die Nichtmarktumwelt anhand von vier I’s: Issues, institutions, interests und information. Issues sind die eigentlichen Themen der Nichtmarktumwelt. Dies kann z.B. eine Änderung von Gesetzen zugunsten eines Unternehmens oder Nichtmarktakteurs sein. Institutions sind alle relevanten Institutionen, die an dieser Änderung von Gesetzen beteiligt sind, sprich Parlamente und parlamentarische Gruppen, Behörden und andere staatliche Organe. Interests schließt alle Individuen oder Organisationen, die Präferenzen zu oder Interessen an den Themen (issues) haben, ein. Zu diesen Interessengruppen können Konkurrenten, Lieferanten, Kunden, NGOs und die Medien gezählt werden, sofern sie Präferenzen oder Interessen zu den Themen besitzen. Baron zählt die Träger von öffentlichen Ämtern nicht zu den Interessensgruppen (interests) sondern zu den Institutionen (institutions), auch wenn diese ein Interesse an der Sache (issue) haben können. Informationen (information) bezieht sich auf die Annahmen oder das Wissen der jeweiligen Akteure über die Aktionen und Reaktionen sowie den Interessen und Fähigkeiten der Unternehmen und Interessensgruppen.17
David Bach und David P. Allen entwickelten den Ansatz von Baron weiter indem sie aufbauend auf seinem Konzept das (ia)[3]-System zur Analyse der Nichtmarktumwelt entwickelten. Hierbei liegt der Fokus auch auf den Themen (issues). Im Kontrast zu Konzepten im CSR gehen also Nichtmarktstrategien nicht von Stakeholdern aus, sondern von einzelnen politischen und sozialen Themen. Ein Ausgangspunkt für die Wahl der relevanten Themen ist die Wettbewerbsstrategie des Unternehmens. Die Strategie und die Wettbewerbsvorteile bestimmen, welche politischen und sozialen Themen für die Schaffung des Mehrwertes relevant sind.18
Das (ia)[3]-System dient zur systematischen Analyse der Themen (issues), Akteure (actors), Interessen (interests), Arenen (arenas), Informationen (information) und Stärken (assets) im Kontext der Nichtmarktumwelt. Die Analyse der Nichtmarktumwelt können Unternehmen anhand der folgenden sechs Fragestellungen strukturieren19:
- Welche Themen gibt es?
Die Nichtmarktumwelt eines Unternehmens wird durch Themen bestimmt. Akteure agieren auf Grundlage von verschiedenen Themen und die Allianzen und Aktionen können sich je nach Thema ändern.
- Wer sind die Akteure?
Die Identifikation der Themen ermöglicht die Identifikation der jeweiligen Akteure, sprich den jeweiligen Interessensgruppen, und den möglichen Konflikten unter ihnen. Die relevanten Akteure sind jene, die allgemein ein ideelles oder wirtschaftliches Interesse an den jeweiligen Themen haben. Organisationen spielen hier eine wichtige Rolle, da sie bspw. in Form von Branchenverbänden die Interessen einzelner Unternehmen evtl. effektiver vertreten können, als die Unternehmen selbst.
- Was sind ihre Interessen?
Sind die Akteure identifiziert, müssen im nächsten Schritt die eigentlichen Interessen dieser Akteure bestimmt werden. Es gilt, die Motivation und relevanten Ziele zu identifizieren. Ein weiterer Analysepunkt ist, inwiefern diese Akteure homogen zueinander sind und ob es Unterschiede gibt, die durch Unternehmen ausgenutzt werden können. Eine derartige Analyse der Interessen diverser Akteure ermöglicht auch die Erstellung von strategischen Gruppen. Dadurch können mögliche Partner und wichtige Gegner identifiziert werden.
- In welchen Arenen agieren die Akteure?
Nichtmarktthemen werden in verschiedenen Arenen bzw. Schauplätzen behandelt. Gerichte, Regulierungsbehörden, parlamentarische Gremien, Branchenverbände, Medien, sozialen Netzwerke und Blogs sind Beispiele für Arenen. Alle Orte der sozialen und politischen Kommunikation können Arenen darstellen, sofern diese Nichtmarktthemen behandeln. Die Identifikation der Arenen ist wichtig, weil in verschiedenen Arenen, verschiedene Methoden angewendet werden. In Behörden oder Gerichten führt die Kommunikation wissenschaftlicher Fakten oder des gesellschaftlichen Nutzens einer Sache zum Erfolg. Dies ist weniger der Fall, wenn Themen in der öffentlichen Domäne bspw. den Medien behandelt werden. Hier können emotionale Argumente eine breitere Unterstützung erhalten, als sachliche und rationale. Das Wissen über die Arena, in denen die Akteure agieren, ist daher ein elementarer Bestandteil der Analyse der Nichtmarktumwelt, da andernfalls die Themen nicht behandelt werden können.
- Welche Informationen bringen die Themen in den Arenen voran?
Wie soeben beschrieben, sind je nach Arena die Nutzung verschiedener Informationen effektiver, als andere. Die Analyse der Informationen, welche in den verschiedenen Arenen die Themen voranbringen, ist der nächste logische Analyseschritt. Umfrageergebnisse zur öffentlichen Meinung einer Sache sind hilfreich für die Beeinflussung von Politikern, während diese in einem gerichtlichen Kontext eher weniger effektiv sind. Die Identifikation der arenaspezifischen und relevanten Information ist daher ein wichtiger Bestandteil bei der Analyse der Nichtmarktumwelt.
- Welche Stärken (assets) benötigen die Akteure, um in diesen Arenen erfolgreich zu sein?
Die zur Arena passenden Informationen für die relevanten Themen sind wichtig, jedoch müssen auch die Stärken der Nichtmarktakteure und der Unternehmen analysiert werden. Werden Themen in der Öffentlichkeit behandelt, sind Ansehen und Reputation wichtig und stellen somit eine Stärke (asset) dar, die es zu besitzen gilt, um erfolgreich die eigenen Positionen zu vertreten. Das Wissen um behördliche oder parlamentarische Prozesse hingegen, können eine Stärke darstellen, wenn das Thema in diesen Arenen behandelt wird. Kontakte zu Politikern, Branchenverbänden und Unternehmensnetzwerken oder zu Medien können ebenfalls eine Stärke darstellen, weil sie eine Grundlage zur Verbreitung von Informationen sein können.
Jedoch kann auch gegenteiliges der Fall sein. Denn wo Stärken vorhanden sind, können auch Schwächen existieren. So kann eine schlechte Reputation eine Schwäche darstellen. Wenn Akteure mit Politikern oder Unternehmen assoziiert werden, die eine schlechte Reputation besitzen, dann können diese eine Schwäche des jeweiligen Akteurs darstellen. Das Wissen um die relevanten Stärken (oder Schwächen) kann folglich dazu dienen, die jeweiligen Themen in der richtigen Arena mit den richtigen Informationen effektiv zu vertreten und das Nichtmarktumfeld im eigenen Interesse zu gestalten.
3.3 Die Analyse der Nichtmarktumwelt auf Stakeholder-Basis
Die Stakeholder-Theorie ist ein breites Forschungsgebiet, das sich auf die Interessen verschiedener Gruppen oder Individuen fokussiert, welche die Zielerreichung eines Unternehmens beeinflussen oder durch die Handlungen eines Unternehmens beeinflusst werden. Anders ausgedrückt sind Stakeholder Gruppen oder Individuen, die ein legitimes Interesse an den materiellen oder prozeduralen Aspekten der unternehmerischen Tätigkeiten aufweisen. Folglich können Stakeholder auch als all diejenigen bezeichnet werden, die freiwillig oder unfreiwillig, positiv oder negativ zur Wertschöpfung beitragen und einen potenziellen Nutzen oder Schaden durch die unternehmerischen Tätigkeiten oder Unterlassungen haben. Stakeholder sind daher Mitarbeiter, Management, Lieferanten, Kunden, Kapitalgeber aber auch Öffentlichkeit, Staat, Medien, Kooperationspartner sowie frühere oder zukünftige Generationen. Des Weiteren können auch Bildungseinrichtungen, Wettbewerber, Branchenverbände, NGOs, Regulierungsbehörden und Politiker als Stakeholder betrachtet werden.20
Diese Fülle an Stakeholdern kann in primäre und sekundäre Stakeholder unterteilt werden, um die Analyse der Unternehmensumwelt zu strukturieren. Primäre Stakeholder sind all jene, die in einer wirtschaftlichen Beziehung zum Unternehmen stehen, d.h. sie sind Mitarbeiter, Management, Lieferanten, Kunden, Kooperationspartner und Kapitalgeber. Die sekundären Stakeholder sind all jene, die in einer nicht-wirtschaftlichen Beziehung zum Unternehmen stehen, jedoch den Definitionen im vorherigen Absatz entsprechen. Diese können allgemein als Staat und Gesellschaft bezeichnet werden und ihre Haupteigenschaft ist, dass sie die institutionellen Rahmenbedingungen des wirtschaftlichen Handelns definieren. Durch ihre Tätigkeit gehen Unternehmen einen impliziten Vertrag mit der Gesellschaft ein, wodurch vorausgesetzt wird, dass sie sich zum einen an Gesetze halten und zum anderen, dass ihre Tätigkeit gesellschaftlich akzeptiert wird. Verstößen Unternehmen dagegen, sinkt ihre gesellschaftliche Akzeptanz, welches die Legitimität des Unternehmens verringert und somit Zielerreichung und Fortbestand gefährdet wird.21
Eine andere Sichtweise auf Stakeholder betrachtet das Unternehmen innerhalb eines Netzwerkes, in dem wirtschaftliche und Nichtmarkt-Stakeholder vorhanden sind. Zur präziseren Analyse der Stakeholder werden sie in drei Dimensionen unterschieden. Diese sind die Ressourcenbasis, die Branchenstruktur und die sozio-politische Arena. Diese drei Dimensionen stehen nicht nur mit dem Unternehmen in einer Beziehung, sondern sind auch in einer Wechselbeziehung zueinander. Die Stakeholder in der Ressourcenbasis sind die Kapitalgeber, Mitarbeiter, Kunden und Nutzer. Sie üben Druck auf das Unternehmen aus, damit es die notwendigen materiellen und immateriellen Güter sowie Finanz-, Sozial- und Humankapital kombiniert und die gewünschten Produkte und Dienstleistungen anbietet. Die Stakeholder in der Branchenstruktur sind die Unternehmen der Supply Chain, Kooperationspartner und Allianzen, Regulatoren, Branchenverbände und NGOs. Diese Stakeholder setzen die branchenrelevanten Rahmenbedingungen und haben daher einen wichtigen Einfluss auf die Positionierung des Unternehmens. Die Stakeholder in der dritten Dimension, der sozio-politischen Arena, sind der Staat bzw. das Rechtssystem sowie die Gesellschaft. Diese geben, wie vorhin auch erwähnt, den Unternehmen die Legitimation für Ihre Tätigkeit und erwarten im Gegenzug einen Nutzen für die Gesellschaft. Diese Stakeholder wollen sich von verantwortungslosem, unrechtmäßigem und unethischem unternehmerischen Handeln schützen. Daher sanktionieren diese Stakeholder ein solches Verhalten durch Demonstrationen, Lobbyarbeit, Regulierungen und Gesetzesänderungen, wenn sie glauben, es entstünde ein gesellschaftlicher Schaden.22
Die nachfolgende Abbildung veranschaulicht die soeben beschriebenen Stakeholder-Dimensionen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Die drei Dimensionen der Stakeholder
Da Stakeholder eine große Anzahl verschiedenartiger Akteure sein können, ist es notwendig diese zu Priorisieren. Im Kontext der Analyse der Nichtmarktumwelt ist eine Priorisierung sinnvoll, da nicht jeder Stakeholder denselben Druck ausüben kann. Mitchell et al. (1997) priorisieren die Stakeholder dazu anhand von drei Faktoren: Macht, Legitimität und Dringlichkeit. Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass diese drei Faktoren keinen dauerhaften Zustand darstellen, sondern variabel sind. Sie sind soziale Konstrukte und keine objektive Realität und das Bewusstsein der Stakeholder darüber kann vorhanden sein oder nicht.23
Der Faktor Macht kann in die drei Kategorien Macht durch Zwangsausübung, utilitaristische Macht und normative Macht unterteilt werden, die isoliert oder kombiniert auftreten können. Macht durch Zwangsausübung wird ausgeübt durch physischer Gewalt bzw. Androhung dieser und Einschränkungen. Die utilitaristische Macht wird ausgeübt durch den Einsatz materieller bzw. finanzieller Ressourcen. Normative Macht sind symbolische Einflüsse, die Regeln definieren können.24
Der Faktor Legitimität beschreibt die allgemeine Wahrnehmung über Verhaltensweisen, die im Rahmen des sozialen Konstrukts von Normen und Werten als wünschenswert betrachtet werden. Die Faktoren Legitimität und Macht sind interdependent, weil die Ausübung von Macht ohne Legitimität nicht möglich ist und Legitimität alleine nicht ausreicht, damit Stakeholder ihre Interessen geltend machen können.25
Der Faktor Dringlichkeit beschreibt zum einen die Zeitsensitivität und zum anderen die Bedeutung eines Interesses für den Stakeholder. Dieser Faktor kann bestimmen, ob ein Stakeholder sich seiner Interessen bewusst und wie groß der Handlungsdrang ist. Somit kann der Faktor Dringlichkeit die Handlungen eines Stakeholders bestimmen.26
Stakeholder können einen, zwei oder alle drei dieser Faktoren besitzen. Dadurch ergeben sich sieben verschiedenen Typen von Stakeholdern:
1- Ruhende Stakeholder besitzen den Faktor Macht, haben jedoch keine Legitimität und keinen Drang, um Druck auf das Unternehmen auszuüben. Dennoch müssen auch diese Stakeholder ernst genommen werden, da sie sich die Faktoren Legitimität beschaffen oder sich der Dringlichkeit bewusstwerden können.27
2- Diskretionäre Stakeholder besitzen den Faktor Legitimität, haben jedoch keine Macht und keinen Drang, um Druck auf das Unternehmen auszuüben. Unternehmen adressieren diese Stakeholder i.d.R. zu wohltätigen Zwecken und um ihr Image im Rahmen des CSR zu verbessern.28
3- Anspruchsvolle Stakeholder besitzen den Faktor der Dringlichkeit, haben jedoch keine Macht und keine Legitimität, Druck auf das Unternehmen auszuüben. Diese stellen keine Gefahr für Unternehmen dar, sofern sie in dieser Kategorie verweilen, da sie nur Ansprüche stellen, jedoch keinerlei Möglichkeiten besitzen, um Druck auf das Unternehmen ausüben zu können.29
4- Dominante Stakeholder besitzen die Faktoren Macht und Legitimität, jedoch keine Dringlichkeit. Dennoch sind diese Stakeholder besonders wichtig, da sie Möglichkeiten besitzen, auf einer legitimen Basis ihre Interessen gegen das Unternehmen geltend zu machen und Druck auszuüben. Die fehlende Dringlichkeit deutet darauf hin, dass sie davon jedoch ablassen könnten.30
5- Abhängige Stakeholder besitzen die Faktoren Legitimität und Dringlichkeit, verfügen jedoch über keine Macht, alleine Druck auf das Unternehmen auszuüben. Um Ihre Interessen geltend zu machen, sind diese Stakeholder daher abhängig von anderen mächtigeren Stakeholdern oder von dem freiwilligen Handeln des Unternehmens.31
6- Gefährliche Stakeholder besitzen die Faktoren Macht und Dringlichkeit, jedoch verfügen sie über keine Legitimität. Diese Kombination macht sie deswegen gefährlich, weil sie Ihre Ansprüche durch illegitime Mittel geltend machen möchten. Gewaltsame Streiks, Sabotagen durch Mitarbeiter und Anschläge zählen zu den Mitteln dieser Stakeholder, weshalb sie ein Sicherheitsrisiko für das Unternehmen darstellen.32
7- Bestimmende Stakeholder besitzen alle drei Faktoren und können unter allen Stakeholdern den größten Druck auf das Unternehmen ausüben. Unternehmen sind daher gezwungen zu handeln und diesen Stakeholdern mit geeigneten Maßnahmen zu begegnen.33
Während Stakeholder der Kategorien 1-3 nur geringen Druck ausüben können, ist der Druck bei den Stakeholdern der Kategorien 4-6 moderat. Es muss berücksichtigt werden, dass diese Faktoren variabel sind und Stakeholder fehlende Faktoren erwerben können. Somit können dominante, abhängige oder gefährliche Stakeholder zu bestimmenden Stakeholdern werden.34 Die folgende Abbildung veranschaulicht die verschiedenen Typen von Stakeholdern.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Stakeholder-Kategorien
Die vorhin erwähnte Variabilität in der Macht der Stakeholder verdeutlicht zum einen die Dynamik, die es in der Nichtmarktumwelt gibt. Zum anderen erschwert sie die Analyse der Nichtmarktumwelt, weil folglich auch Ergebnisse der Analysen über keine längerfristige Beständigkeit verfügen. Eine Analyse der Nichtmarktumwelt auf Basis von einzelnen Themen, in denen Akteure, Interessen, Arenen, Informationen und Stärken jeweils themenspezifisch betrachtet werden, erscheint daher sinnvoller.
4 Nichtmarktstrategien
4.1 Ökonomische Begründung für den Einsatz
Eine Vielzahl von Nichtmarktakteuren wie Individuen, Organisationen und Institutionen versuchen durch verschiedene Arten Unternehmen zu beeinflussen. Formell durch Gesetze und Regulierungen und informell durch gesellschaftlichen Druck, politischem Aktivismus und der Gestaltung der öffentlichen Wahrnehmung des Unternehmens und seiner Aktivitäten. Dadurch erleiden Unternehmen Wettbewerbsnachteile oder diese werden verstärkt. Gleichzeitig stellt der potenzielle Druck durch Nichtmarktakteure und damit verbundene mögliche Veränderungen in den Rahmenbedingungen Unsicherheiten für Unternehmen dar. Daher sind Unternehmen gezwungen, mit ihrer Nichtmarktumwelt zu interagieren und einen Einfluss auszuüben auf die Gestaltung der Rahmenbedingungen ihres wirtschaftlichen Handelns und auf die öffentliche Wahrnehmung dessen.35
Nichtmarktaktivitäten können sowohl von Nichtmarktakteuren als auch von Unternehmen selbst ausgehen. In beiden Fällen ist das Ziel des Unternehmens der Werterhalt oder die Wertsteigerung, welches in Form des Unternehmenswertes oder anderen Größen wie Unternehmensgewinn oder Cash-Flow ausgedrückt werden kann. Nichtmarktakteure verfolgen ideelle Ziele wie Umweltschutz, Schutz der Gesundheit oder die allgemeine nachhaltige Nutzung von Ressourcen.
Gehen Nichtmarktaktivitäten von den Nichtmarktakteuren aus, können diese verschiedene Formen annehmen. Abstrahiert betrachtet verfolgen diese Aktivitäten das Ziel, die gesellschaftlichen oder politischen Rahmenbedingungen derart zu verändern, dass Unternehmen bestimmte Tätigkeiten verändern oder unterlassen. Dazu organisieren Nichtmarktakteure Kampagnen, in denen sie Unternehmen auffordern, bestimmte Praktiken zu verändern. Diese Aufforderungen können bspw. die Reduzierung der Umweltbelastung oder Unterlassung aggressiver Marketingtaktiken sein. Geben Unternehmen diesen Forderungen nach, werden sie durch den Nichtmarktakteur belohnt. Dies kann in Form von öffentlicher Anerkennung durch den Nichtmarktakteur, die Verleihung von Zertifikaten oder das Versprechen sein, in Zukunft keine weiteren Forderungen an das Unternehmen zu stellen. Gehen Unternehmen den Forderungen der Nichtmarktakteure nicht nach, fügen diese dem Unternehmen einen Schaden zu. Dies kann durch Boykott, Demonstrationen, öffentlicher Kritik und ähnlichen Mitteln, die der Materie oder der Reputation des Unternehmens schaden, erfolgen.36
Formalisiert man die soeben beschriebene Kampagnenstrategie von Nichtmarktakteuren, so kann die Forderung als bezeichnet werden, die Belohnung als und der Schaden als . Eine Kampagne besteht folglich aus . Akzeptiert das Unternehmen die Forderung des Nichtmarktakteurs, ist sein Gewinn folglich ), lehnt er die Forderung ab, ist sein Gewinn , welches der Ausgangszustand für das Unternehmen ist. Wobei die Gewinnfunktion konkav ist. Da die Forderungen i.d.R. Veränderungen darstellen, die das Unternehmen sonst aus Gründen der Gewinnmaximierung nicht durchführen würde, ist .37 Hier wird davon ausgegangen, dass bspw. zusätzliche Maßnahmen zur Reduktion der Umweltbelastung unter dem gesetzlichen Limit mit höheren Produktionskosten einhergehen, Preise rigide sind und folglich der Gewinn sinkt.
Erfüllt das Unternehmen die Forderung, erhält er zusätzlich die Belohnung , lehnt er die Forderung ab, wird ihm der Schaden zugefügt. Ein rational agierendes Unternehmen würde in diesem Modell die Forderung nur dann erfüllen, wenn die Bedingung aus Formel 4.1.1 zutreffen würde.38
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Dies bedeutet, dass der neue Gewinn zuzüglich Belohnung größer gleich dem ursprünglichen Gewinn abzüglich des Schadens sein muss, damit das Unternehmen die Forderungen des Nichtmarktakteurs erfüllt.
Während auf einem vollkommenen Markt Eigentumsrechte ausgetauscht werden und dies auf freiwilliger Basis nur dann geschieht, wenn beide Marktteilnehmer einen Nutzen davontragen, ist dies hier nicht der Fall. In diesem Modell stellt ein Nichtmarktakteur das Unternehmen vor die Wahl zwischen Belohnung und Schaden. Erfüllt das Unternehmen die Forderung, wird er belohnt. Lehnt er die Forderung ab, wird ihm ein Schaden zugefügt. Die Interaktion geht in diesem Modell vom Nichtmarktakteur aus und das Unternehmen wird in Abhängigkeit von Formel 4.1.1 unfreiwillig positiv oder negativ hiervon beeinflusst.
Der Nutzen des Nichtmarktakteurs wird bestimmt durch seine Strategie und kann daher als beschrieben werden. Wenn das Unternehmen die Forderungen des Nichtmarktakteurs erfüllt, erhält dieser den Nutzen und wenn das Unternehmen die Forderungen ablehnt , wobei stetig steigt. Die Kosten, das Unternehmen zu belohnen, wenn es die Forderungen erfüllt, sei und die Kosten, das Unternehmen bei Ablehnung der Forderung zu bestrafen sei , wobei und ebenfalls stetig steigen. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Unternehmen die Forderungen erfüllt, wird als und die Wahrscheinlichkeit, dass dieser die Forderungen ablehnt, als beschrieben, wobei ist. Die folgende Formel veranschaulicht soeben beschriebenes.39
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der Nutzen, den der Nichtmarktakteur erhält, kann einen ideellen oder wirtschaftlichen Charakter haben. Ideell ist sie dann, wenn eigene Moralvorstellungen verwirklicht werden oder unerwünschte negative externe Effekte verringert werden. Einen wirtschaftlichen Charakter hat sie dann, wenn durch die Kampagne höhere finanzielle Mittel eingeworben werden.40
Die Formel 4.1.2 veranschaulicht, wie Unternehmen proaktiv gegen aktivistische Kampagnen vorbeugen können. Da rational agierende Nichtmarktakteure nur dann eine Kampagne beginnen werden, wenn sie annehmen, dass ist, können Unternehmen diesen dadurch vorbeugen, in dem sie zum einen den Nutzen bei Erfüllung der Forderung möglichst gering und die Kosten zur Bestrafung bei Nichterfüllung möglichst hoch erscheinen lassen. Nichtmarktakteure werden auch dann keine Kampagne initiieren, wenn die Kosten zur Belohnung höher sind, als der Nutzen . Dies ist dann möglich, wenn Unternehmen potenzielle Forderungen von Nichtmarktakteuren antizipieren und entsprechende Strategien41 umsetzen. Dieses bedeutet auch, dass Unternehmen ebenfalls Nichtmarktstrategien initiieren müssen.
[...]
1 Vgl. Hungenberg (2014), S. 4.
2 Vgl. ebd.
3 Vlg. Thommen; Achleitner (2012), S. 971-974.
4 Vgl. Welge et. al. (2017), S. 299.
5 Vgl. ebd., S. 300.
6 Vgl. Welge et. al. (2017), S. 303, 309, 319, 351, 355.
7 Vgl. Baron (1995), S. 48.
8 Vgl. Hungenberg (2014), S. 393-394.
9 Vgl. ebd., S. 394.
10 Vgl. Hungenberg (2014), S. 396.
11 Vgl. Baron (1995), S. 47.
12 Vgl. ebd., S. 47-48.
13 Vgl. Bach; Allen (2010).
14 Vgl. ebd.
15 Vgl. ebd.
16 Vgl. Baron (1995), S. 47.
17 Vgl. Baron (1995), S. 48.
18 Vgl. Bach; Allen (2010).
19 Vgl. Bach; Allen (2010).
20 Vgl. Voinea; van Kranenburg (2017), S. 52.
21 Vgl. Voinea; van Kranenburg (2017), S. 52-53.
22 Vgl. ebd., S. 53-54.
23 Vgl. Mitchell et. al. (1997), S. 868-869.
24 Vgl. Voinea; van Kranenburg (2017), S. 59.
25 Vgl. ebd., S. 59-60.
26 Vgl. Mitchell et. al. (1997), S. 870.
27 Vgl. ebd., S. 875.
28 Vgl. ebd., S. 875.
29 Vgl. Mitchell et. al. (1997), S. 875-876.
30 Vgl. ebd., S. 876-877.
31 Vgl. ebd., S. 877.
32 Vgl. ebd., S. 877-878.
33 Vgl. ebd., S. 878.
34 Vgl. ebd.
35 Vgl. Voinea; van Kranenburg (2017), S. 67.
36 Vgl. Baron; Diermeier (2007), S. 604-605.
37 Vgl. ebd.
38 Vgl. ebd., S. 604.
39 Vgl. Baron, Diermeier (2007), S. 605.
40 Vgl. ebd.
41 Siehe dazu „antizipative Strategien“ in Kapitel 4.3.2.
- Quote paper
- Ibrahim Ruç (Author), 2019, Nichtmarktstrategien in der Lebensmittelbranche. Wie reagieren Unternehmen richtig auf die Forderungen von Konsumenten?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/450630
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