Bei der Erforschung von neuen sozialen Bewegungen fällt auf, dass es sich um ein komplexes Forschungsobjekt handelt. Das ist in einem Forschungszweig immer daran zu erkennen, wenn es viele verschiedene Theorien gibt, die alle ihre Richtigkeit haben, allerdings die Sache nicht in ihrem vollen Umfang behandeln. Bei der Untersuchung der Neuen Sozialen Bewegungen ist festzustellen, dass sich innerhalb der Bewegungsforschung fünf Paradigmen hervortun, wenn es um die Erklärung des Aufkommens und der Protestbereitschaft der Neuen Sozialen Bewegungen geht. Bei diesen Paradigmen wird auch von Bezugssystemen gesprochen. Was genau ist ein Paradigma? Bei einem Paradigma handelt es sich um eine Grundannahme, die sich innerhalb eines Forschungszweigs durchgesetzt hat und vo n dem größten Teil der Forscher nicht mehr hinterfragt wird. Es repräsentiert „die spezifische Weltsicht, mit der die Forscher ihren jeweiligen Gegenstandsbereich beobachten und beschreiben.“ Untersuchungsgegenstand des ersten Teils dieser Arbeit, ist eines dieser Paradigmen. Es geht um den so genannten „Structural Strains“ Ansatz. Zu Erforschen gilt es, unter welchen Aspekten dieses Bezugssystem das Forschungsobjekt wahrnimmt und in wie fern es bei diesem Ansatz zu einer ganzheitlichen Untersuchung der Neuen Sozialen Bewegungen kommt.
Dazu soll der Structural Strains Ansatz aus drei Perspektiven beleuchtet werden. Als erstes geht es um die Erfahrung der relativen Deprivation, die zum Protestverhalten führen soll, des Weiteren sind es die strukturellen Vorraussetzungen, die zur Erklärung der neuen sozialen Bewegungen herhalten müssen und zum Schluss soll auch noch die Wertwandelthese von Inglehart behandelt werden.
INHALTSVERZEICHNIS
I. STRUCTURAL STRAINS
A. EINLEITUNG
B. DIE ERFAHRUNG DER RELATIVEN DEPRIVATION
C. DIE STRUKTURELLEN VORAUSSETZUNGEN
1. MODERNISIERUNGSPROZESSE
2. DIE SOZIALSTRUKRUTELLE VERORTUNG DER AKTIVEN
D. WERTWANDELTHESE NACH INGLEHART
1. DEFINITION MATERIALISTISCHER – POSTMATERIALISTISCHER WERTE
2. DER BEGRIFF DER KOGNITIVEN MOBILISIERUNG
E. FAZIT
II. DER HABERMASSCHE LEBENSWELTBEGRIFF
A. BEGRIFFSENTLEHNUNG AUS DER PHÄNOMENOLOGIE
B. REFORMULIERUNG DES LEBENSWELTBEGRIFFES
C. RATIONALISIERUNGSPROZESSE IN DER LEBENSWELT
III. DIE KOMMUNIKATIONSKULTUR DER NEUEN SOZIALEN BEWEGUNGEN
A. DER SOZIALE RAUM
B. DIE KOMMUNIKATIONSMILIEUS
1. DIE POLITISCHE ÖFFENTLICHKEIT
2. DIE ZIVIGESELLSCHAFT
IV. TRÄGER GRÜNER KOMMUNIKATIONSKULTUR NACH GIEGEL
A. DIE SOZIALBERUFLICHE MITTELSCHICHT
B. DIE BEDEUTUNG DER HABERMASSCHEN THEORIE
C. DIE KOMMUNIKATIONSKULTUR DER GRÜNEN PARTEI
V. SCHLUSS
VI. BIBLIOGRAPHIE
I. STRUCTURAL STRAINS
I.A. EINLEITUNG
Bei der Erforschung von neuen sozialen Bewegungen fällt auf, dass es sich um ein komplexes Forschungsobjekt handelt. Das ist in einem Forschungszweig immer daran zu erkennen, wenn es viele verschiedene Theorien gibt, die alle ihre Richtigkeit haben, allerdings die Sache nicht in ihrem vollen Umfang behandeln. Bei der Untersuchung der Neuen Sozialen Bewegungen ist festzustellen, dass sich innerhalb der Bewegungsforschung fünf Paradigmen hervortun, wenn es um die Erklärung des Aufkommens und der Protestbereitschaft der Neuen Sozialen Bewegungen geht. Bei diesen Paradigmen wird auch von Bezugssystemen gesprochen.
Was genau ist ein Paradigma? Bei einem Paradigma handelt es sich um eine Grundannahme, die sich innerhalb eines Forschungszweigs durchgesetzt hat und von dem größten Teil der Forscher nicht mehr hinterfragt wird. Es repräsentiert „die spezifische Weltsicht, mit der die Forscher ihren jeweiligen Gegenstandsbereich beobachten und beschreiben.“[1]
Untersuchungsgegenstand des ersten Teils dieser Arbeit, ist eines dieser Paradigmen. Es geht um den so genannten „Structural Strains“ Ansatz. Zu Erforschen gilt es, unter welchen Aspekten dieses Bezugssystem das Forschungsobjekt wahrnimmt und in wie fern es bei diesem Ansatz zu einer ganzheitlichen Untersuchung der Neuen Sozialen Bewegungen kommt.
Dazu soll der Structural Strains Ansatz aus drei Perspektiven beleuchtet werden. Als erstes geht es um die Erfahrung der relativen Deprivation, die zum Protestverhalten führen soll[2], des Weiteren sind es die strukturellen Vorraussetzungen, die zur Erklärung der neuen sozialen Bewegungen herhalten müssen[3] und zum Schluss soll auch noch die Wertwandelthese von Inglehart behandelt werden[4].
Nachdem im beginnenden Abschnitt versucht wurde, das Bewegungsphänomen mittels eines Paradigmas der Bewegungsforschung zu beleuchten, soll in den daran anschließenden Kapiteln eine gesamtgesellschaftliche Theorie herangezogen werden. Jürgen Habermas’ Bände zur Theorie des kommunikativen Handelns, sowie weitere Schriften dieses Wissenschaftlers, dienen hierzu als Grundlage. Ziel ist es zu zeigen, welchen anderen Aspekten eine tragende Bedeutung zuzuordnen ist, um zu erklären, warum Menschen sich zu Bewegen aufgefordert fühlen. Im doppelten Sinne von körperlicher, und beinahe noch wichtiger, im Sinne von geistiger Bewegung. Hierfür sollen die Ausführungen zum Begriff der Lebenswelt erste Klarheiten schaffen. Nachdem dargestellt ist, durch welche Besonderheiten die Lebenswelt gekennzeichnet und durch welche Bedingungen begrenzt ist, soll die Thematik der Kommunikationskultur innerhalb der Neuen Sozialen Bewegungen problematisiert werden. Hierbei wird sich herausstellen, welche Kommunikationsansprüche die einzelnen Milieus, für die Erhaltung ihrer je spezifischen Lebenswelt veranschlagen.
Zum Abschluss soll ein Essay von Hans-Joachim Giegel herangezogen werden. Dieser wird dazu dienen, exemplarisch zu zeigen, wer in der konkreten Welt, in der Handlungen Konsequenzen tragen, auf welche Art und Weise befähigt ist, die Verantwortung für Denkprozesse und Debatten der Mitmenschen zu tragen.
I.B. DIE ERFAHRUNG DER RELATIVEN DEPRIVATION
Zustände von bestimmten Systemen, sei es biologischer, physiologischer oder sozialer Art, werden nur dann in einen anderen Zustand wechseln, wenn Einfluss darauf genommen wird. In einem Staatssystem ist die maßgeblichste Möglichkeit etwas zu beeinflussen und damit zu verändern, Politik zu betreiben. Verbände, Gewerkschaften und Parteien ringen durch geschickt eingesetzte Wahlwerbung oder jahrelanger Präsenz um ihre Mitglieder. Denn in einem demokratischen System, wie wir es in Europa vorfinden, sind Mehrheiten jene, die die Verantwortung tragen müssen bei Entscheidungsfragen. Aber nicht nur die etablierten Parteien sind von ihren Anhängern abhängig, sondern vor allem die Neuen Sozialen Bewegungen. Aufgrund ihrer außerparlamentarischen Stellung sind sie verschärft auf die Resonanz beim gemeinen Bürger angewiesen. Im Folgenden soll sich damit beschäftigt werden, warum Menschen sich veranlasst fühlen, aktiv in den politischen Prozess ihres Landes mit einzugreifen.
Das Paradigma ‚Structural Strains’ soll in diesem Kapitel thematisiert werden. Im Wesentlichen werden dazu zwei Theorien beleuchtet. Zum einen die der ‚sozialstrukturellen Verortung’ von Bewegungsanhängern und zum anderen die ‚Wertwandelthese nach Inglehart’. Beide Überlegungen greifen dabei, wenn auch meist nur implizit, dass Konzept der ‚relativen Deprivation’ auf. Deshalb soll dieses Konzept zunächst vorgestellt und in Zusammenhang mit den anderen zwei Erklärungen gebracht werden.
Eine erste Erklärung kann das Fremdwörterbuch geben. Da wird ‚Deprivation’ als Entzug oder Absetzung definiert.[5] Es handelt sich hierbei also um einen Terminus mit negativer Konnotation. Aber genau diese negative Grundstimmung, die erzeugt werden kann, spiegelt den Unmut der Bürger eines Landes wieder. Die Behauptung ist nun, dass „[...] das Ausmaß der generellen Unzufriedenheit der Mitglieder einer Gesellschaft mit der ökonomischen oder gesellschaftlichen Situation das Auftreten der verschiedensten Arten politischer Partizipation positiv beeinflusst.“[6] Dahinter steckt nämlich, dass Menschen sich benachteiligt fühlen. Aufgrund ihrer Sozialisation sind sie sensibel für Diskrepanzen hinsichtlich ihrer Erwartungen an die Volksvertreter und die daran anschließenden Konsequenzen derer Umsetzungen. Sie fühlen sich enttäuscht oder gar hintergangen. Man spricht im genauen von relativer Deprivation, wenn sich die tatsächliche und erwartete Güterversorgung beziehungsweise Bedürfnisbefriedigung nicht in dem Zeitrahmen abläuft, der dafür veranschlagt wurde.
Wenn angehende Lehrer an hessischen Hochschulen jahrelang in dem Glauben sicherer Arbeitsplätze leben und dann aber zu einem bestimmten Zeitpunkt das Angebot für Lehrer stark eingeschränkt wird von der Landesregierung, dann kann man von relativer Deprivation sprechen. „In einer solchen Situation entstehen – so Davies – Revolutionen.“[7] Das es für eine Revolution mehr bedarf als bloße Stellenkürzungen im hessischen Land ist nachvollziehbar. Dennoch ist die enorme Diskrepanz zwischen dem, was angehenden Lehrern vernünftiger Weise zustehen würde und dem was erreicht bzw. eingehalten werden kann, augenscheinlich. Je höher also die normative Erwartung und je geringer das, was man tatsächlich bekommt, desto höher ist die relative Deprivation. Man könnte also die Hypothese aufstellen, dass jene mit einer hohen relativen Deprivation, am ehesten politisch aktiv werden. Leider sprechen eine Menge anderer Faktoren und Erklärungen gegen diese Überlegung des spontanen Engagements.
Etwas allgemeiner verläuft die Deutung der relativen Deprivation bezogen auf die Wertwandelthese. Denn die sozialstrukturelle Verortung gibt keine Antwort darauf, was sich im innersten der Menschen abspielt. Was hat sie geprägt? Wann sind sie zu was bereit?
All das bezieht sich auf das Stichwort Wahrnehmung. Die mündigen Bürger können sich erst zu politischer Partizipation motiviert fühlen, wenn sie spüren, dass ihr Wertsystem missachtet wird. Beispielhaft dafür ist die Einstellung gegenüber faschistischen oder gar rassistischen Gedankenguts. Während noch in der Zeit des 2. Weltkrieges in Deutschland, es für die Mehrheit der Bürger gerechtfertigt war die jüdische Bevölkerung oder Andersdenkende, wie die Kommunisten, zu diskriminieren und dann in letzter Konsequenz zu exekutieren, ist dies im Anschluss an das Kriegsende 1945 öffentlich nicht mehr geduldet worden. Dass organisierte Strukturen im Untergrund weiterhin dieses Gedankengut vertreten und verbreiten, ist traurige Realität. Dabei hat sich aber nicht etwa der ‚Ist-Wert’ geändert, sondern die ‚Soll-Erwartung’. Mehrheitlich scheinen unsere Mitmenschen zu verinnerlichen, dass wir doch alle nur Lebewesen mit Hoffnungen und Ängsten sind, die an verschiedenen Teilen der Erde, unter verschiedenen Umständen aufgewachsen sind. Das scheint der von Inglehart beschriebene Wertewandel glücklicherweise mit sich gebracht zu haben.
I.C. DIE STRUKTURELLEN VORAUSSETZUNGEN
I.C.1. MODERNISIERUNGSPROZESSE
Aufbauend, auf das Konzept der relativen Deprivation, ist der „Rekurs auf neue, zentrale Problemlagen moderner Gesellschaften“[8]. Als Vertreter dieser Ansicht sind Raschke (1985) und Rucht (1994) zu nennen. Die These lautet: Das Auftreten der Neuen Sozialen Bewegungen lässt sich durch Modernisierungsprozesse der Gesellschaft erklären.
Raschke sieht seit der französischen Revolution drei Entwicklungsphasen: die vorindustriell-modernisierende (1789-1850), die industrielle (1850/60-1960) und die nachindustrielle Phase. Diese Phasen führten zur sozialen, politischen und kulturellen Modernisierung, die Anlass zur Entstehung sozialer Bewegungen war. So entstanden die frühbürgerlichen Bewegungen in der vorindustriell-modernisierenden, die Arbeiterbewegung in der industriellen und die Neuen Sozialen Bewegungen in der nachindustriellen Phase. Diese einzelnen Bewegungen stellen, nach Raschke, die dominanten Bewegungen der jeweiligen Zeit dar. Brand meint zu Raschkes Erklärungsmodell, dass die dritte Phase so eigentlich nur auf die deutsche Erscheinungsform zutrifft. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Bewertung der neuen sozialen Bewegung als dominante Bewegung unserer Zeit, gerade das sei noch eine offene Frage.[9]
Etwas differenzierter betrachtet Rucht Modernisierungen in der Gesellschaft. Er analysiert Modernisierungsprozesse auf zwei Ebenen. Zum ersten ist es die fortschreitende funktionale Differenzierung der Gesellschaft. Gemeint ist hierbei eine Aufspaltung der Gesellschaft in verschiedene Arbeitsbereiche. Dadurch entstehen unterschiedliche Sphären, wie zum Beispiel die Ökonomie oder das Recht. Das Problem, das sich durch eine zunehmende Ausdifferenzierung der Gesellschaft ergibt ist: Der kommunikative Austausch zwischen den einzelnen Sphären geschieht nur noch sporadisch oder gar nicht. Jeder einzelne Bereich ist in sich einer Komplexitätssteigerung erlegen, die für außenstehende nur äußerst schwer nachzuvollziehen ist. In den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft werden sogar verschiedene „Sprachen“ gesprochen, die sogenannten Expertensprachen. Die funktionale Differenzierung geht also über eine Arbeitsteilung hinaus. Die zweite Modernisierungsebene sieht Rucht auf der Handlungsebene, die immer Ich-Zentrierter wird. Der einzelne Mensch erlebt in Folge der Modernisierungsprozesse einen „Zuwachs autonomer Entscheidungsmöglichkeiten und Entscheidungszwänge“[10]. Diese beiden Achsen versucht Rucht nun in der Geschichte zu verorten. Er teilt die kürzere Vergangenheit in vier verschiedene Entwicklungsstufen ein. Es geht vom
„ ‚Absolutismus’ (Modernisierungsstufe 1) über den ‚liberalen Kapitalismus’ (Modernisierungsstufe 2) hin zum ‚organisierten Kapitalismus’. Innerhalb des ‚organisierten Kapitalismus’ vollziehe sich dann – in den 60er Jahren, im Gefolge der langgezogenen Prosperitätsphase der Nachkriegsjahrzehnte – ein weiterer Modernisierungsschub hin zum ‚wohlfahrtsstaatlichen Kapitalismus’ (Modernisierungsstufe 4), der aber ‚eine geringere Eingriffstiefe als die vorangegangenen Zäsuren’ aufweise.“[11]
Durch Modernisierungsumbrüche entstehen, nach Rucht, immer Verlierer und Gewinner. Für die linke Bewegung, die die Grenzen des Kapitalismus sieht, öffnen sich die so genannten „Windows of opportunity“[12]. Das führt zum Protestverhalten ihrer Anhänger. Auch die rechte Bewegung findet hier in diesem Modell eine Erklärung. Sie sind die Modernisierungsverlierer.
An diesem Modell hat Brand seine Einwände. Zunächst einmal ist die Trennung zwischen organisiertem und wohlfahrtsstaatlichem Kapitalismus nicht so einfach wie Rucht sie vollzieht. Das zweite Problem liegt dann auf der Hand: Die Verortung der sozialen Bewegungen innerhalb des wohlfahrtsstaatlichen Kapitalismus gestaltet sich schwierig, da sie ihre Anfänge schon vor den 60er Jahren hatten. Außerdem kann ein Modernisierungsschub durchaus auch die Folge einer sozialen Bewegung sein. Er muss nicht zwangsläufig die Ursache sein. Die schwerwiegendste Kritik, die Brand an diesen Erklärungsansatz hat, ist, dass hier zyklische Wandlungsprozesse nicht mit eingerechnet worden sind. Es ist zu beobachten, dass in der Geschichte ein ständiger Wechsel zwischen konservativen und reformistischen Phasen stattfindet. Aus diesem Grund sind Modernisierungsschübe als Erklärung für soziale Bewegungen nicht ganz hinreichend. Es ist vielmehr die Frage zu stellen, warum die Modernisierung mit der sozialen Bewegung als Begleiterscheinung ausgerechnet zu dieser Zeit wieder stattfindet und nicht einige Jahrzehnte früher oder später. Eine gute Erklärung sollte auch die zyklischen Veränderungen einer Gesellschaft mit in ihre Argumentation einbringen.
Als Fazit sei gesagt, dass Modernisierungsumbrüche durchaus Einfluss auf die Protestbereitschaft sozialer Bewegungen besitzen. Es reicht nur nicht aus, dem Aufkommen einer sozialen Bewegung, ausschließlich durch Erklärungen mittels eines Modernisierungsprozesses näher zu kommen.
I.C.2. DIE SOZIALSTRUKTRURELLE VERORTUNG DER AKTIVEN
Eine weitere Erklärung für das Aufkommen der neuen sozialen Bewegungen ist die sozialstrukturelle Verortung der Aktiven. Hierbei werden die sozialstrukturellen Gemeinsamkeiten der Teilnehmer einer Protestaktion untersucht. Es fällt bei den sozialen Bewegungen zunächst auf, dass sie klassenübergreifend aktiv sind. Auch eine Gemeinsamkeit lässt sich erkennen: Akteure der Neuen Sozialen Bewegungen sind hauptsächlich Personen aus der gebildeten Mittelschicht. Die Aktiven der neuen sozialen Bewegungen finden sich im überproportionalem Maße in den kulturellen und sozialen Dienstleistungsberufen wieder. Sie werden von Brand auch die „Humandienstleistungsberufe“[13] genannt. Es handelt sich also um Menschen, die beruflich mit Menschen zu tun haben. Sie sind nicht direkt an der Produktion von Gütern, bzw. an der Wirtschaft beteiligt. Die Erklärung für diese Feststellung formuliert Brand folgendermaßen:
„Als Träger emanzipativer, ökologischer, antitechnokratischer oder pazifistischer Bewegungen sei diese Gruppe deshalb in besonderem Maße prädisponiert, weil sie aufgrund ihrer Sozialisation und der Schwerpunkte ihrer beruflichen Tätigkeit (Gesundheit, Sinnstiftung, Selbstverwirklichung, Befriedigung sozialer Bedürfnisse) eine besondere Sensibilität für die lebensweltlichen Folgeprobleme und Selbstgefährdungspotentiale verselbständigter industrieller Wachstumsimperative entwickelt habe.“[14]
Die Menschen solcher Berufe sind besonders sensibel für Folgeprobleme der industriellen Gesellschaft und des Wirtschaftswachstums. Das wird an der Anti-Atomkraftbewegung am deutlichsten.
Es ist vor allen Dingen durch den enormen Zuwachs des Humandienstleistungssektors zu erklären, dass die Anliegen dieser Berufssparte einen immer höheren Stellenwert bekommen. Hanspeter Kriesi bezeichnet diese Aktiven als die „sozial-kulturellen Professionellen“[15]. Im Gegensatz zu diesen Professionellen steht der „Kader“.
Auch die rechte Bewegung lässt sich sozialstrukturell verorten. Es sind vor allem junge, gering qualifizierte Männer, die zu rechtsradikalen Ausschreitungen neigen. Sie verfügen meist über schwache soziale Bindungen und über einen niedrigen Bildungsstatus. Ein zusätzlich verstärkender Faktor ist die fehlende Sicherheit im Beruf oder Arbeitslosigkeit.
Als Fazit lässt sich festhalten, dass sozialstrukturelle Verortungen in jedem Fall ermöglichen, die Anhänger der Neuen Sozialen Bewegungen zu charakterisieren. Es reicht aber nicht aus, dass Aufkommen der Proteste durch die sozialen Lagen der Akteure zu erklären.
I.D. WERTWANDELTHESE NACH INGLEHART
Die Fähigkeit Kritik formulieren zu können und sich an Protesten zu beteiligen oder sie gar selbständig zu organisieren, hängt in erster Linie davon ab, ob das Individuum persönlich davon betroffen ist. Betroffen sein kann es wiederum nur, wenn es erkennt, dass die eigenen, gefestigten Vorstellungen von ‚Recht und Ordnung’ vom jeweiligen politischen, sozialen oder wirtschaftlichen System, nicht oder nicht vollständig vertreten werden. Dies hat nun aber zur Grundlage, dass die Menschen in dem jeweiligen System, in ihrem Denken eine stabile Vorstellung davon haben, welche Werte von höchster Priorität für sie persönlich sind. Diese Werte können ganz unterschiedlicher Natur sein. Es gibt solche, die die Sorge um die eigene Familie betreffen und es gibt solche, die das eigene Leben, unabhängig von anderen Mitmenschen, betreffen. Eigenverantwortung und Selbstverwirklichung sind hier die Stichworte. Ich will an dieser Stelle Wertvorstellungen als relativ tiefverwurzelt und stabil definieren, da man sonst von einfachen, kurzfristigen Verhaltensänderungen ausgehen kann.
Im Folgenden sollen nun Werte in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung gesetzt werden, die ganz allgemeinen, universalistischen Naturen sind. Gemeint sind Werte, die sich zum einen mit den Bedürfnissen, die die Körperlichkeit betreffen, beschäftigen und zum anderen solche, die die Bedürfnisse des Geistes widerspiegeln.
Es soll herausgestellt werden, dass aufgrund des entstehenden Wohlfahrtstaates und dem Einsetzen der Bildungsrevolution in den Fünfziger und Sechziger Jahren ein Wandel stattgefunden hat, von materialistischen Wertvorstellungen (solche, die sich auf physisches Wohlergehen beziehen), hin zu postmaterialistischen Wertvorstellungen (solche, die sich auf psychisches Wohlergehen beziehen), bei einem Großteil der europäischen Bevölkerung. Dies wurde empirisch untersucht auf der Grundlage von Fragebögen zu Einstellungsmustern der europäischen Bevölkerung. Im Verlauf der Ausarbeitung werden sie vorgestellt und die Ergebnisse aufgezeigt. Letztlich wird es das Ziel sein, zu erklären, warum Menschen aufgrund einer veränderten Gesinnungshaltung zu der Teilnahme an politischem Handeln bereit sind. Die Wertwandelthese nach Inglehart wird eine Möglichkeit darstellen, zu klären, wie dieses enorme Protestpotential in den Sechziger, Siebziger und Achtziger Jahren entstehen konnte.
I.D.1. DEFINITION MATERIALISTISCHER – POSTMATERIALISTISCHER WERTE
Die Wertwandelthese nach Inglehart stellt einen weiteren Bestandteil des ‚Structural Strains’-Ansatzes dar. Sie beschreibt die Veränderung von Werthaltungen innerhalb der Gesellschaft seit den 50er Jahren. Es sollen also die Wertvorstellungen von Individuen erörtert werden.
Die These zeigt auf, wie und warum Menschen einen Sinneswandel erleben und ihre Prioritäten dementsprechend neu setzen oder veränderten Gegebenheiten anpassen.
Auf empirische Untersuchungen gestützt, legt Inglehart dar, wie sich Ideale, wie sich die generelle Gesinnungshaltung, ändern.
Er bewies, dass eine Gesinnungsänderung eintrat, die vom sogenannten Materialismus zum sogenannten Postmaterialismus führte. Um diese klar zu umreißen, wurden Fragekataloge entwickelt, die auf die Prioritätssetzung von Menschen abzielte. Bevor das geschehen ist, mussten allerdings grundlegende Annahmen formuliert werden, die nahe legen, dass ein Wandel im Wertesystem stattfinden konnte. Inglehart bedient sich dazu zweier Hypothesen. Zum einen die Mangelhypothese, zum anderen die Sozialisationshypothese.
Die Mangelhypothese besagt, dass wir die Dinge subjektiv am höchsten einschätzen, die relativ knapp sind. Die meiste Aufmerksamkeit widmen wir also den Dingen, deren Befriedigung am wenigsten gewährleistet ist. Inglehart leitet dies „[...] aus Abraham Maslows Theorie von einer der menschlichen Motivation zugrundeliegenden
Bedürfnishierarchie [...]“[16] ab. Dieser Theorie zufolge müssen erst alle ‚materiellen’ Bedürfnisse des Lebensunterhalts und der Sicherheit gedeckt sein, bevor ‚immaterielle’ Bedürfnisse, zum Beispiel Anerkennung oder kreative Lebensgestaltung, ausgelebt werden können. Es entsteht somit erst Platz und Zeit für „höher“ gesteckte Ziele, wenn die Basis gewohnheitsmäßig abgesichert ist.
Die Sozialisationshypothese ergänzt mit der Feststellung, dass die Grundwerte einer Person die Bedingungen reflektieren, die während der Kindes- und Jugendzeit vorherrschten. Von entscheidender Bedeutung ist also, welche sozialen, politischen, ökonomischen und kulturellen Gegebenheiten von einem Menschen in seinen formativen Jahren erfahren wurden, in welchem Milieu die meiste Zeit verbracht wurde. Die frühe Sozialisation scheint somit ein viel höheres Gewicht zu haben für die Entwicklung der Persönlichkeitsstruktur, als die spätere. Veränderungen geschehen im Alter nur noch sehr langsam oder bedürfen einschneidender Schicksalserlebnisse, um Ansichten die aus der Erfahrung herrühren, zu verändern oder ganz zu verwerfen. Denkbar ist hierbei die Einstellung zur Verteilung der Geschlechterrollen.
Ganz exemplarisch sind die Generationen die um 1935 in Deutschland geboren wurden und diese, die erst um 1950 geboren wurden. Erstere haben ihre Kindheit im Krieg verleben müssen und schätzen somit ein sicheres Zuhause mit jedem Tag warmen Essen höher ein, als jene letztgenannten, die ihre Kindheit in Deutschland, im aufsteigenden wirtschaftlichen Wachstum erlebt haben. Es stehen sich also Erfahrungen der totalen Unsicherheit, mit Erfahrungen der totalen Sicherheit gegenüber. Dies erklärt zumindest, wieso seit den späten sechziger Jahren so ein vermehrtes Interesse an der Verwirklichung immaterieller Bedürfnisse bestand. Diese Menschen haben nicht hungern und frieren müssen im Krieg. Sie haben gar keine direkten(persönlichen) Erfahrungen mit Krieg gemacht. Ihre Erfahrungen in den ersten Jahren ihres Lebens sind ganz andere gewesen. Wohlstand oder vielleicht sogar Reichtum sind für sie charakteristisch. Sie sind daran interessiert politisch zu partizipieren, um zum Beispiel zu verhindern, dass die kriegstreibenden Nationen Wettrüsten betreiben mit Waffen, deren atomare Sprengkraft alles bisher Dagewesene an Waffengewalt, um ein vielfaches übertrifft und von daher nur schwer einzuschätzen und zu kontrollieren ist. Um einfach eine Möglichkeit zu haben, bei politischen Entscheidungen Einfluss nehmen zu können. All das war vorher nur schwer denkbar, schon allein auf Grund der Tatsache der diktatorischen Herrschaft der Faschisten in Deutschland.
Zusammenfassend soll an dieser Stelle deutlich gemacht werden, was Materialismus definiert und was Post-Materialismus definiert. Als Materialisten werden somit die bezeichnet, die sich den Bedürfnissen am stärksten zuwenden, die mit dem direkten physischen Überleben zu tun haben. Zugang zu Nahrung und Wasser, der Schutz der körperlichen Unversehrtheit durch die Polizei oder das Militär. Zu Post-Materialisten zählen alle die, welche sich am stärksten mit nichtmateriellen Bedürfnissen, wie Zugehörigkeit oder Selbstverwirklichung, auseinandersetzen. Genauso wie der Wunsch nach einer weniger unpersönlichen Gesellschaft. Auch hier existieren Mischformen, denen dann jeweils nur eine tendenzielle Ausrichtung für eine Seite inhärent ist. Inglehart bezeichnet sie als „gemischt materialistisch“ bzw. „gemischt postmaterialistisch“[17].
I.D.2. DER BEGRIFF DER ‚KOGNITIVEN MOBILISIERUNG’
Die Wertwandelthese Ingleharts besagt also, dass aufgrund der Herausbildung des Wohlfahrtstaates in den 50er und 60er Jahren und der Bildungsrevolution, der Wechsel von materialistischen zu postmaterialistischen Werten stattfinden konnte. Die Sicherheit, derer sich die Menschen erfreuten, was das reine ‚am Leben erhalten’ angeht, also jeden Tag etwas zu Essen zu Haben, ein Bett zum schlafen, die Möglichkeit sich zu reproduzieren und die Kinder auch entsprechend erziehen zu können, und das gleichzeitige Aufkommen der vor allem jungen sozialwissenschaftlich-akademisch qualifizierten, führte dazu, dass sich ‚Akzeptanzwerte’, wie Pflicht und Fleiß, zu ‚Selbstentfaltungswerten’, wie Freiheit und Selbstbestimmung verändern konnten.
Der von Inglehart benutzte Begriff der ‚kognitiven Mobilisierung’, soll im Folgenden eingeführt, aber zunächst erst einmal erklärt, werden. Dieser Ausdruck lässt sich nämlich hervorragend mit der Theorie des Wertwandels in Einklang bringen. Er soll klarer werden lassen, warum bei Menschen Gedanken des Protests und der politischen Partizipation verknüpft sind mit ihren Wertvorstellungen.
Zunächst möchte ich darlegen, dass es sich um einen Terminus handelt, der sich auf das Training politischer Kompetenzen bezieht. Kompetenzen die ein jedes Individuum braucht, um in einem komplexen Staatssystem, wie das der Bundesrepublik, sich orientieren zu können. Die kognitive Mobilisierung stellt ein stabiles Merkmal gewisser Menschen oder politischer Kulturen dar. Ganz gleich ob sie hoch oder niedrig ausgebildet ist.
Jemand mit einer hohen kognitiven Mobilisierung hat Eigenschaften wie hohes Bildungsniveau, politische Informiertheit und politisches Interesse inne. Die in den formativen Jahren geprägten Wertvorstellungen haben hierbei einen immensen Einfluss. Ebenso wie der Berufsstand der Eltern von unglaublichem Einfluss ist auf die schulische Ausbildung. Die Frage nach der Finanzierung eines Studiums impliziert die Frage, ob der Sohn oder die Tochter nicht möglicherweise mit 16 schon arbeiten gehen müssen, um die Familie zu unterstützen. Ihnen bleibt damit unter Umständen die Möglichkeit verwährt, ein Gymnasium oder eine weiterführende Berufsschule zu besuchen. Bei diesen Bedingungen ist es sehr wahrscheinlich, dass die politische und auch allgemeine Bildung Defizite erfährt.
I.E. FAZIT
Als erstes ist die relative Deprivation zu nennen, die besagt, dass Menschen aus dem Gefühl, benachteiligt zu sein, politisch Handeln. Wenn sie eine Diskrepanz zwischen den Erwartungen und der tatsächlichen Umsetzung durch die Regierungsparteien wahrnehmen, sie sich enttäuscht oder gar hintergangen fühlen, entstehen soziale Bewegungen. Bei der relativen Deprivation läuft die tatsächliche und erwartete Güterversorgung beziehungsweise Bedürfnisbefriedigung nicht in dem Zeitrahmen, der dafür veranschlagt wurde, ab.
Auch Modernisierungsumbrüche haben Einfluss auf die Protestbereitschaft der neuen sozialen Bewegungen. Ganz besonders die Entstehung der rechten Gruppierungen lässt sich damit begründen.
Die linken Bewegungen lassen sich durch den Verlust der gesellschaftlichen Fähigkeit zu kommunizieren erklären. In der sehr materialistisch geprägten Gesellschaft spielt die Kommunikation keine besonders bedeutende Rolle mehr. Das schafft Konfliktpotenzial.
Alain Touraine sieht als Ursache für die politischen Unruhen den schon immer bestehenden zentralen Konflikt der Gesellschaft: der Konflikt zwischen „Herren“ und „Knechten“. Durch die Veränderung der Gesellschaft interpretiert er diesen Konflikt allerdings anders als es noch in der Klassengesellschaft getan wurde. Es handelt sich nämlich dann um den zentralen Konflikt in der Gesellschaft, wenn sich eine Gruppe gegen die Art zu kommunizieren auflehnt.
Auch die sozialstrukturelle Verortung der Aktiven spielt eine nicht unbedeutende Rolle beim Aufkommen der Proteste. Es ist sehr auffällig, dass die Aktiven der linken Bewegung hauptsächlich aus dem Humandienstleistungssektor kommen. Die Akteure der rechten Bewegung ihre Gemeinsamkeit im Fehlen einer Sicherheit für die Zukunft haben, was durch Arbeitslosigkeit enorm verstärkt wird.
Als letztes ist noch die Wertwandelthese Ingleharts aufzuzählen, die aufklärt warum gewisse Menschen in der Gesellschaft ihre Wertvorstellungen durch Repräsentanten der Gesellschaft verletzt gesehen haben. Es missfiel ihnen, dass die persönliche Ebene zu Gunsten finanzieller Sicherheit, Leid tragen musste. Aus diesem Grund verschafften sich diese Postmaterialisten Gehör auf Landesebene.
II. DER HABERMASSCHE LEBENSWELTBEGRIFF
II.A. BEGRIFFSENTLEHNUNG AUS DER PHÄNOMENOLOGIE
Zum zentralen Bestand soziologischer oder auch pädagogischer Forschung und Theorie, gehört der Begriff der Lebenswelt. Er vermittelt zunächst einen Eindruck der schieren Unergründlichkeit. Dahinter verbirgt sich nämlich all das, was Menschen tagtäglich beschäftigt. Sei es innerlich verborgen, in Form von Geheimnissen oder nach außen hin sichtbar, in der Gestalt von Brücken, Telekommunikationsmitteln oder eben Demonstrationen.
„Früher erstreckte sich die Lebenswelt kaum über das eigene Dorf hinaus – heute ist die Welt zum Dorf geworden. Medien, Internet, Waren und Tourismus haben sie in unsere Reichweite gebracht – und damit all ihre Möglichkeiten und Verheißungen.“[18]
Der aus der Phänomenologie stammende Terminus bezeichnet die wahrgenommenen und gelebten Situationen im alltäglichen Dasein. Es ist das, was für uns subjektiv und objektiv allgegenwärtig ist. Husserl hat den Begriff, wie eben beschrieben, für die Welt der Erfahrungen und das sich nicht mit Wissenschaft beschäftigende Leben benutzt.[19] Schütz hingegen gebrauchte ihn für die Bezeichnung von selbstverständlichen, gewöhnlichen Alltagswelten, die von den einzeln Handelnden miteinander geteilt wird.[20]
An dieser Stelle wird schon deutlich, dass der Begriff dehnbar ist, seine Horizonte flexibel verschoben werden können. Dementsprechend gebraucht auch Habermas den Begriff der Lebenswelt in einem eigenen Kontext.
II.B. REFORMULIERUNG DES LEBENSWELTBEGRIFFES
Die Bedeutung dieses Terminus musste der Struktur der Theorie des kommunikativen Handelns angepasst, um im Kontext der Sprache richtig gebraucht werden zu können. Habermas reformulierte ihn also entsprechend den Anforderungen seines eigenen Theorierahmens.[21] Die präsente Situation ist der Kern der jeweils momentanen Lebenswelt, in der Bedürfnisse der Verständigung und Möglichkeiten zum Handeln vorherrschen. Innerhalb dieser Situation sollen geplante Handlungen ein bestimmtes Ziel erreichen.
„Eine Situation ist ein durch Themen herausgehobener, durch Handlungsziele und –pläne artikulierter Ausschnitt aus lebensweltlichen Verweisungszusammenhängen, die konzentrisch angeordnet sind und mit wachsender raumzeitlicher und sozialer Entfernung zugleich anonymer und diffuser werden.“[22]
Eine Konstruktion von selektiven und vorher interpretierten Bedingungen sind bedeutend für weitere Aktivitäten und können problemlos kognitiv abgerufen werden. Sicherlich werden immer nur Informationen verwendet, die im je präsenten Kontext relevant sind. Die Lebenswelt hat die Funktion eines kommunikativen Pools aus dem alles nötige gesaugt werden kann:
„Dieser Wissensvorrat versorgt die Angehörigen mit unproblematischen, gemeinsam als garantiert unterstellten Hintergrundüberzeugungen; und aus diesem bildet sich jeweils der Kontext von Verständigungsprozessen, in denen die Beteiligten bewährte Situationsdefinitionen benutzen oder neue aushandeln.“[23]
Allerdings schränkt Habermas hier schon ein, indem er sagt, dass Restriktionen vorherrschen wenn ein Handelnder versucht seine Intentionen durchzusetzen. Gemeint ist damit, dass bestimmte, in der Gesellschaft vorherrschende Normen, Werte und Tatsachen die Art und Weise der Kommunikation limitieren. Verwiesen sei hiermit auf die Geltungsansprüche Wahrheit, Aufrichtigkeit, Gerechtfertigkeit und Verständlichkeit die im Kapitel „Die Kommunikationskultur der Neuen Sozialen Bewegungen“[24] ausführlicher behandelt werden. Zunächst soll der Begriff der Lebenswelt stärker beleuchtet werden.
Innerhalb der Lebenswelt lassen sich strukturelle Komponenten finden. Habermas definiert diese als Kultur, Gesellschaft und Persönlichkeit, innerhalb derer sich die symbolische Reproduktion vollzieht.
„Diesen Vorgängen der kulturellen Reproduktion, der sozialen Integration und der Sozialisation entsprechen die strukturellen Komponenten der Lebenswelt Kultur, Gesellschaft und Person.“[25]
Kultur gilt als Ressource für Wissen, dass interpretiert werden kann; Gesellschaft manifestiert die Zuordnung von Individuen zu sozialen Gruppen innerhalb erlaubter Ordnungen und Persönlichkeit meint die Fähigkeiten und Fertigkeiten mit denen ein Mensch seine Identität ausbildet.
Ein nächstes Merkmal der Lebenswelt ist, dass die Alltagspraxis weitgehend unproblematisch bleibt, da sie von lebensweltlichen Gewissheiten zehrt. Es gilt zwischen situationsbezüglichen Horizontwissen, themenabhängigen Kontextwissen und lebensweltlichen Hintergrundwissen zu unterscheiden.[26] Unter Horizontwissen ist solches Wissen zu verstehen, welches stillschweigend geteilt, vorrausgesetzt wird. Es erleichtert die Verständigung, da nicht jedes Wort hinterfragt werden muss. Man weiß aufgrund seiner Sozialisation, dass zum Beispiel ein Satz grammatikalischen Regeln folgen muss, um für den Hörer Sinn zu ergeben. Man kommt nur bei Störungen dieser Ordnungen auf die Idee, dass Gesagte in seiner syntaktischen Richtigkeit anzuzweifeln. Zur Erklärung des Kontextwissens möchte ich ein sehr anschauliches Beispiel von Habermas selbst zitieren:
„Wenn ich die übliche Länge einer Vorlesungsstunde um nur zehn Minuten überschreite oder von der akademischen Behandlung des Themas Lebenswelt auf eine bevorstehende Ferienreise abschweife, richtet sich die Aufmerksamkeit auf die verletzten pragmatischen Vorraussetzungen, die wir bis dahin stillschweigend geteilt hatten.“[27]
Gemeint ist also das Wissen über die je aktuellen Zusammenhänge von Bedingungen innerhalb eines Milieus.
Das lebensweltliche Hintergrundwissen stellt eine gesonderte Form von Wissen dar, die scheinbar über Kontext- und Horizontwissen zu stehen scheint. Es ist geprägt von einer unvermittelten Gewissheit, einer Totalisierenden Kraft und aus beiden hervorgehend, einer holistischen Undurchdringlichkeit.[28]
„Es lässt sich nicht in der gleichen Weise intentional zu Bewusstsein bringen und bildet eine Tiefenschicht unthematischen Wissens, in der das immer noch vordergründige Horizont- und Kontextwissen wurzeln.“[29]
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Lebenswelt als symbolische Reproduktionsstätte fungiert, in der kommunikatives Handeln durch die Modi Verständigung und Handlungskoordinierung schließlich zu Vergesellschaftung führen. Sie unterliegt damit einer dialektischen Form, da ihre Gehalte einerseits als Ausgangspunkt jeglichen Handelns dienen, aber gleichzeitig ihre Traditionen durch Aneignung und Fortbildung, also Interpretationsleistungen, auf ein immer höheres Niveau transformiert werden, welches dann wieder die potentielle Ressource für folgende Generationen darstellt.
II.C. RATIONALISIERUNGSPROZESSE INNERHALB DER LEBENSWELT
Die Entwicklung der aktuell reichsten Länder der Erde erfuhr den stärksten Anstieg, nachdem im beginnenden 19. Jahrhundert, die Agrarwirtschaft in immer kürzer aufeinanderfolgenden Schritten, auf die Industriewirtschaft umgestellt wurde. Bekanntermaßen wurde all dies hauptsächlich durch die Entwicklung und Verbreitung der Dampfmaschine ermöglicht.
„Während der Industrialisierung im 19. Jahrhundert wurde dann aus dem Tagwerk ein Werktag, und fortan teilte die Stechuhr die Zeit in Arbeit und „Freizeit“. Pünktlichkeit wurde zur Tugend, belohnt mit einer silbernen Uhr zum Betriebsjubiläum.“[30]
Wie hier schon angedeutet, verlief die Rationalisierung der Arbeit nicht ohne Einfluss auf die Lebenswelt. Auch diese wurde rationalisiert, dem Trend der Arbeitsgegebenheiten schlichtweg untergeordnet. Es zählte nicht mehr arbeiten, um zu leben, sondern leben, um zu arbeiten.
„Die Systemevolution bemisst sich an der Steigerung der Steuerungskapazitäten einer Gesellschaft, während das Auseinandertreten von Kultur, Gesellschaft und Persönlichkeit den Entwicklungsstand einer symbolisch strukturierten Lebenswelt anzeigt.“[31]
Den Prozess, den Habermas, als bedeutender Vertreter der Frankfurter Schule, als innere Kolonialisierung der Lebenswelt [32] durch systemische Imperative[33] erkannt hat. Als Folge dessen treten die Lebensweltpathologien [34] Verrechtlichung, kulturelle Verarmung und das fragmentierte Bewusstsein auf. Konsequenzen in der Lebenswelt: Nachbarn einigen sich über ihre Konflikte vor Gericht, Familienmitglieder kommunizieren über das Mobiltelefon, dass, was Experten auf dem Gebiet ihrer Arbeit erforschen und praktizieren, bleibt auch innerhalb ihres Milieus, aufgrund der Angst vor geistigem Diebstahl, also Methoden des Konkurrenzdrucks, und die gemeine okzidentale Bevölkerung wird durch permanenten Konsumüberfluss derart betäubt und abgestumpft, dass die Zusammenhänge zwischen luxuriöser Güterversorgung auf allen Ebenen der menschlichen Errungenschaften, und der Ausbeutung unserer Umwelt, seien sie botanischer oder humaner Art, nicht mehr erkannt oder ganz einfach ignoriert und verdrängt werden. Freundschaften werden nicht mehr gepflegt, sondern nach Kosten-Nutzen Kalkülen abgewägt. Die soziale Integration über Freundeskreise und Cliquen, Peer-Groups und andere Bekanntschaften leiden an mangelnder persönlicher Interaktion, bei der Gestik, Mimik und Sprachmusik gefühlt werden kann. Es ist rationaler sich vor den Rechner daheim zu setzen und via Internet-Chat mit den virtuellen Gefährten, scheinbar gleichgesinnten, innerstes auszutauschen. Man vertraut sich eher der anonym seelsorgenden Masse, als Nahestehenden an. Auch wenn dieses Bild sicherlich überzogen ist, so ist es doch auch noch nicht grotesk genug, um die gegenwärtigen Tendenzen in den industrialisierten Gesellschaften völlig verzogen zu versinnbildlichen.
Eine weitere Besonderheit der Lebensweltrationalisierung ist durch die „[...] Dezentrierung der Weltbilder [...]“[35] gekennzeichnet. Der Glaube an Gottheiten oder aber auch die Einstellung gegenüber der Natur verlor sich im Zuge des Foranschreitens der Naturwissenschaften. Die Geschichte der Forschung hat vorläufig bewiesen, dass zum Beispiel die Erde nicht der Mittelpunkt des Universums ist, dass Vernunft die Moral steuert und nicht etwa per se die zehn Gebote oder aber auch, dass Menschen die andere Menschen töten, nicht von bösen Geister getrieben werden, sondern allenfalls von einem vergewaltigten Unterbewusstsein. Auch das Bewusstsein für unseren Erdenball hat sich drastisch verändert seit dem wir die ersten Fotos aus dem luftleeren Weltraum zu Gesicht bekommen haben - das Denken der westlichen Menschen hat innerhalb der letzten Hundert Jahre gravierende Veränderungen durchleben müssen. Jedes Mal wurde die kollektive Identität erneut auf die Probe gestellt. Geltungsansprüche mussten diskursiv geprüft werden und die Resultate gegebenenfalls in das persönliche Bild der modernisierten Welt integriert werden.
„Die Dialektik der Rationalisierung besteht darin, dass auf der einen Seite „eine weitgehend rationalisierte Lebenswelt zu den Ausgangsbedingungen von Modernisierungsprozessen“ (Habermas, 1981b: 564) gehört, (Lebenswelt-) Rationalisierung also unverzichtbar ist – auf der anderen Seite ein anscheinend ebenso unvermeidbares Übermaß an Rationalisierungen auf eben diese Lebenswelt zurückschlägt.“[36]
Das Ergebnis dieses Prozesses ist die schon angedeutete Verdinglichung, unter der Habermas die „[...] pathologische Verformung von kommunikativen Infrastrukturen der Lebenswelt [...]“[37] versteht. Beispielhaft dafür kann die Kommunikation innerhalb von Familien angeführt werden. Situationen in denen in vergangenen Zeiten mit Kindern, Alten oder Kranken persönlich, von Blutsverwandten zu Blutsverwandten, gesprochen und allgemein umgegangen wurde, werden heute „[...] Tagesmütter, Haushalts- und Pflegehilfen.“[38] bezahlt. An viel zu vielen Stellen der alltäglichen Welt sind Geld und Macht die vorrangigen Steuerungsmedien der Moderne und Postmoderne geworden. Motivierung durch Anreiz oder Abschreckung zum Ausführen oder Unterlassen von Handlungen. Die Bewohner der industrialisierten Länder sind überfüllte Konsumenten, aufgeblähte Klienten und neutralisierte Staatsbürger[39], wenn es nur die Situation von ihnen verlangt.
Die Rationalisierung der Lebenswelt lässt sich weiter verdeutlichen, wenn man folgendes bedenkt:
„Die Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Interessenlagen schlägt sich infolge von Mobilitätsprozessen und von heterogenen Sozialmilieus („cross-pressures“) nieder in einer Differenzierung der Wert- und Einstellungsmuster vieler Gesellschaftsmitglieder [...] Das Resultat dieser Entwicklung ist eine Abnahme der motivational vermittelten sozialen Kontrolle von Individuen.“[40]
Übertragen auf den Bereich der Politik bedeutet dies, dass Bürger eine geringere Identifikation zu Parteien erleben und sich deshalb eher an einzelnen Relevanzen der Agenda aufhalten und das damit verbunden, die Mehrheitsverhältnisse sehr instabil und damit wechselnd sind. Exemplarisch dafür können wohl die Neuwahlen des deutschen Bundestages im September 2005 genannt werden.
Zusammenfassend für die Rationalisierung der Lebenswelt lässt sich festhalten:
„Von Prozessen der Verständigung weitestgehend entkoppelt, stehen die Subsysteme von Ökonomie und staatlicher Verwaltung einer Lebenswelt gegenüber, in der – als Ergebnis interner Rationalisierung entlang der Geltungsdimensionen kommunikativen Handelns – Wissenschaft, Recht als Institution, Moral und Kunst als autonome Wertsphären entstanden sind, die sich von der kommunikativen Alltagspraxis abgelöst haben.“[41]
III. DIE KOMMUNIKATIONSKULTUR DER NEUEN SOZIALEN BEWEGUNGEN
Dieses Kapitel soll sich nun mit den Vorraussetzungen und Bedingungen für gelungene Verständigungen zwischen Menschen beschäftigen. Es soll herausgestellt werden, über welche Zusammenhänge eine gemeinsame Sache erwachsen kann. Dazu werden zunächst die Kommunikationsstrukturen und anschließend die Charakteristik von Milieus, innerhalb derer sich politische Partizipation herausbildet, beleuchtet.
III.A. DER SOZIALE RAUM
Das Potential, Sprache entwickeln zu können ist uns angeboren. Was uns nicht angeboren ist, ist die Fähigkeit, mit der erlernten Sprache umzugehen. Im Laufe unserer je individuellen Evolution erfahren wir, welche Konsequenzen sich aus bestimmten Sprechhandlungen ergeben. Der Mensch lernt, dass sich Sprache ganz speziell einsetzen lässt. Genannt seien an dieser Stelle die von Habermas herausgearbeiteten Handlungsbegriffe. Demnach unterscheidet er teleologische Handlungen, normenregulierende Handlungen, dramaturgische Handlungen und kommunikative Handlungen [42] voneinander .
Befindet man sich im Austausch mit Mitmenschen, dann spürt man, dass ein besonderes Verhältnis eingegangen worden ist, in dem sich Erwartungen und Verantwortungen ergeben haben. Immer wieder stellt sich neu die Herausforderung Gesagtes zu verstehen und eigene Gedanken hervorzubringen, die bestenfalls im Einklang mit ersterem stehen. In so miteinander geteilten Situationen wird der soziale Raum [43] geschaffen. Er ist durch verschiedene Eigenschaften charakterisiert. Er kann sehr intim sein, wenn sich zum Beispiel ein Paar gegenseitig ihre Liebe offenbart. Er kann aber auch sehr offen sein, wenn zum Beispiel ein Part dieses Paars bei einer öffentlichen Veranstaltung einen Heiratsantrag macht. Die Situation kann nach wie vor intim sein und dennoch ist der erzeugte soziale Raum ausgedehnter, da nun jeder Teilhabende auf Gesagtes zugreifen kann und die Betroffenen ganz legitim darauf ansprechen kann. Der soziale Raum steht somit für eventuelle Gesprächspartner, die sich beteiligen möchten offen. Die erzeugte Verbindung zwischen Kommunikationsteilnehmern kann also mit dringlichem, banalem, interessanten, langweiligen, unterhaltsamen oder persönlichen Inhalten angereichert sein. Unter welchen Bedingungen Gespräche aufgenommen oder auch beendet werden, möchte ich im folgenden darstellen.
Von zentraler Bedeutung sind die von Habermas aufgestellten Geltungsansprüche. Sie werden als pragmatische Universalien [44] bezeichnet, da die Erfüllung der Ansprüche grundlegende Vorraussetzungen für eine sinnhafte Unterhaltung sind. Er unterscheidet hierbei zwischen Wahrheit, Richtigkeit und Wahrhaftigkeit[45]. Mit dem Geltungsanspruch der Wahrheit wird bei konstativen Sprechhandlungen geprüft, inwieweit die Aussage in der objektiven Welt der Tatsachen die Aussage als zutreffend zu akzeptieren ist. Werden Aussagen als kontrovers erkannt, besteht die Möglichkeit in einen theoretischen Diskurs[46] zu treten und das Gesagte mit Argumenten zu be- bzw. zu widerlegen. Normenregulierte Sprechhandlungen in der sozialen Welt werden an ihrer Werteorientierten Richtigkeit bemessen. Es stellt sich die Frage, inwieweit das Kommunizierte moralisch-praktisch angemessen formuliert wurde.
Mit dem Geltungsanspruch der Wahrhaftigkeit ist die subjektive Welt angesprochen. Man schätzt ab, ob ausgedrückte Gefühle, Intentionen oder Wünsche, die sogenannten dramaturgischen Handlungen authentisch sind. Hat mir mein Gegenüber glaubwürdig vermittelt, dass zum Beispiel die Zeilen seines politischen Pamphlets sein Innerstes widerspiegeln.
Als letzter Geltungsanspruch sei die Verständlichkeit genannt, die „[...] nicht mit einem eigenständigen Weltbezug, sondern mit dem Gebrauch der Sprache [...] als Medium verknüpft, in dem Sachverhalte der objektiven, sozialen oder subjektiven Welt thematisiert und auf diese Weise intersubjektiv verfügbar gemacht werden können.“[47]
Eine Sonderstellung innerhalb des sozialen Raumes nehmen die kommunikativen Handlungen ein. Sie sind verständigungsorientiert und die Sprache ist nicht nur Medium, sondern kann auch selbst zum Thema gemacht werden. Sprechakte der Interaktionsteilnehmer werden gedeutet und zum Gegenstand des Austausches gemacht. Man spricht hierbei auch von Metakommunikation[48]. Alle oben ausgeführten Ansprüche an die Unterhaltung können geltend gemacht werden. Charakteristisch für kommunikative Akte ist die gezielte Koordinierung der Sprechhandlungen. Schließlich soll das Ziel einer Diskussion, die auf Argumente gestützte Einigung sein.
„D.h. die Sprecher „nehmen nicht mehr geradehin auf etwas in der objektiven, sozialen oder subjektiven Welt Bezug, sondern relativieren ihre Äußerungen an der Möglichkeit, dass deren Geltung von anderen Aktoren bestritten wird“ (Habermas 1981, Bd.1, 149).“[49]
Innerhalb dieser Ausführungen soll nun gezeigt werden, welche konkreten Bedingungen auf die Kommunikation innerhalb des sozialen Raumes der politisch Interessierten einwirken. Zunächst soll der Begriff des Einflusses eingeführt werden.
„>>Einfluss<< hat Parsons als eine symbolisch generalisierte Form der Kommunikation eingeführt, die Interaktionen kraft Überzeugung bzw. Überredung steuert.“[50]
Organisationen oder auch einzelne Personen können über ein Ansehen verfügen, dass es ihnen aufgrund des schon von vornherein entgegengebrachten Vertrauens gestattet, Einfluss zu nehmen auf die Willensbildung von Bürgern oder auch Regierungen. Exemplarisch hierfür sei Rudi Dutschke genannt. Galionsfigur der 68er Studentenbewegung und spätere Gründungsmitglied der Partei „Der Grünen“ verfügte über soviel Charisma, dass er ganze unter Umständen Tausendschaften von Menschen innerhalb weniger Tage oder gegebenenfalls Stunden mobilisieren konnte.
„Nachdem am 2. Juni 1967 der Student Benno Ohnesorg bei einer Demonstration gegen den Schah von Persien von einem Polizisten erschossen worden war, riefen Dutschke und der SDS bundesweit zu Sitzblockaden auf, um die Aufklärung der Todesumstände zu erzwingen. Zudem forderten sie den Rücktritt der Verantwortlichen für den Polizeieinsatz und die Enteignung des Verlegers Axel Springer.“[51]
Oder
„Am «Internationalen Vietnam-Kongress» an der Berliner TU am 17. und 18. Februar 1968, den Dutschke mitorganisiert hatte, beteiligten sich mehrere tausend Studenten. Die Abschlussdemonstration wurde die bis dahin größte deutsche Protestveranstaltung gegen den Vietnamkrieg. Dabei rief Dutschke zur massenhaften Desertion amerikanischer Soldaten und zur "Zerschlagung der NATO" auf.“[52]
Um dies zu erreichen sollten gewisse, vollkommen pragmatische Bedingungen innerhalb der Kommunikation erfüllt sein. Zum Beispiel müssen die Themen verständlich formuliert und außerdem von allgemeinem Interesse sein. Das Publikum muss gewissermaßen von der Relevanz überzeugt werden. Außerdem sollte dabei auf „[...] den Verzicht von Expertensprachen, die nur für ein eng begrenztes Fachpublikum verständlich wären.“[53] geachtet werden.
Wie nun also dargestellt erlaubt die Kommunikation innerhalb des sozialen Raumes eine Fülle an Möglichkeiten für diskursive Auseinandersetzungen und die daraus resultierenden politischen Aktivitäten. Betont sei, dass die Strukturen der Unterhaltungen bestimmten Gesetzmäßigkeiten Folgen sollten, um als sinnhaft und produktiv zu gelten. Um Menschen für soziale Bewegungen zu aktivieren, bedarf es gründlicher Verständigungs- und Handlungskoordinierung.
III.B. DIE KOMMUNIKATIONSMILIEUS
Die anschließenden zwei Unterpunkte sollen repräsentativ für die Aktivierung von politischem Bewusstsein stehen. Vorgestellt werden Strukturen innerhalb der Gesellschaft, mittels derer sich Bereitschaft für die Beteiligung an Fragen des öffentlichen Lebens ergeben können und es soll herausgestellt werden, über welche Mittel diese Strukturen verfügen.
III.B.1. DIE POLITISCHE ÖFFENTLICHKEIT
Zunächst gilt es festzuhalten, was die politische Öffentlichkeit nicht ist. Diese Abgrenzung soll erlauben, sie in ihrer eigentlichen Form und Funktion zu verstehen. Die politische Öffentlichkeit lässt sich demnach nicht als Institution, System oder Organisation definieren. Sie ist nichts konkret erkennbares mit Anschrift in einem Telefonbuch, wie etwa Bundesministerien oder Vereine.
„[Sie ist] nach außen hin durch offene, durchlässige und verschiebbare Horizonte gekennzeichnet. Die Öffentlichkeit lässt sich am ehesten als ein Netzwerk für die Kommunikation von Inhalten und Stellungnahmen, also von Meinungen beschreiben; dabei werden die Kommunikationsflüsse so gefiltert und synthetisiert, dass sie sich zu themenspezifisch gebündelten öffentlichen Meinungen verdichten.“[54]
Weiterhin lässt sich das Netzwerk in Strukturen unterscheiden, die in ihrem Organisationsgrad und ihrer Reichweite differieren. Habermas unterscheidet zwischen der Öffentlichkeit in Cafés, Kneipen oder auf Plätzen in der Stadt; der Öffentlichkeit während inszenierter Veranstaltungen wie Konzerten oder Theateraufführungen; und der abstrakten Öffentlichkeit, die über zum Beispiel Leser ein und derselben Zeitung hergestellt wird. Immer steht die Kommunikation mit ihrer Form und ihrem Inhalt im Zentrum der Überlegungen. Es findet eine Vermittlung statt zwischen privaten und nicht-privaten Sektoren der Lebenswelt, die wie oben schon ausgeführt, die symbolische Reproduktion übernehmen. Die Themen sind nicht fix oder nur durch spezielle Beziehungen zwischen Aktoren gekennzeichnet, sondern zeichnen sich eben gerade durch wechselnde, sich verändernde Bedingungen innerhalb der Kommunikation aus. Die Themen werden von der Sphäre der Lebenswelt in die politische Öffentlichkeit oder eben auch in entgegengesetzter Richtung kanalisiert. Lebensgeschichtliche Verarbeitung ist hier die zentrale Vorraussetzung. Die daraus resultierende kommunikative Macht [55] bezeichnet zum Beispiel die Ergebnisse von Wahlen, die dann zur Zuteilung der politischen Ämtern führen, genauso wie friedliche Aktionen des zivilen Ungehorsams bei denen symbolisiert wird, dass bestehende legitimierte Gesetze in Frage gestellt werden müssen. Etwa wenn vorgegebene Demonstrationsrouten spontan verlassen werden, um zum eigentlichen Objekt des Protests vorzudringen, welches administrative Mächte mit vorher auferlegten Bestimmungen verhindern wollten. Eine andere Form der Machtausübung die der politischen Öffentlichkeit gegenüber steht, ist die von Gewerkschaften und Unternehmerverbände gebrauchte soziale Macht[56]. Hiervon spricht man, wenn die Bürger eines Landes gezielt mit Informationen versorgt werden.
„Generell wird man sagen können, dass sich das vom Fernsehen konstruierte Bild der Politik weitgehend aus Beiträgen zusammensetzt, die bereits für die Medienöffentlichkeit produziert und über Konferenzen, Verlautbarungen, Kampagnen usw. in sie eingeschleust werden.“[57]
Soziale und kommunikative Macht befinden sich also in einem dauerhaften Spannungsfeld, dass durch die Aktivitäten der Vertreter beider Seiten gespeist wird. Man kann es wohl als eine dauerhafte Aufladung von Progression seitens der Neuen Sozialen Bewegungen und Regression und Repression seitens der regierenden Volksvertretung verstehen.
III.B.2. DIE ZIVILGESELLSCHAFT
Im folgenden Abschnitt soll die zweite Kommunikationsstruktur innerhalb der Gesellschaft vorgestellt werden. Es handelt sich um die Zivilgesellschaft. Diese ist nun im Gegensatz zu der politischen Öffentlichkeit, als konkreter Zusammenschluss von Menschen verortbar.
„Die Zivilgesellschaft setzt sich aus jenen mehr oder weniger spontan entstandenen Vereinigungen, Organisationen und Bewegungen zusammen, welche die Resonanz, die die gesellschaftlichen Problemlagen in den privaten Lebensbereich finden, aufnehmen, kondensieren und lautverstärkend an die politische Öffentlichkeit weiterleiten.“[58]
Folgt man dieser Lesart, ist die Zivilgesellschaft die Wiege für den Protest in einem Land. In diesen Zusammenschlüssen von Menschen gleicher Intentionen, entstehen neue Gedanken durch diskursive Vermittlung der eigenen Ansichten und Vorstellungen. Sie erwehren sich der Beherrschung durch Massenmedien, der Beobachtung durch Markt- und Meinungsforschungsagenturen und der Propaganda und Werbung durch die großen Volksparteien. Es sind die Familien, Freundeskreise und karitativen Einrichtungen, die dafür sorgen, dass Probleme in der Gesellschaft thematisiert und nach außen getragen werden. Die Vorraussetzungen hierfür seien nur am Rande genannt.
„Der Unversehrtheit privater Lebensbereiche dient der grundrechtliche Schutz von >>Privatheit<<; Persönlichkeitsrechte, Glaubens- und Gewissensfreiheit, Freizügigkeit, Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, die Unverletzlichkeit der Wohnung sowie der Schutz der Familie umschreiben eine unantastbare Zone persönlicher Integrität und selbständiger Gewissens- und Urteilsbildung.“[59]
Die Zivilgesellschaft versucht also aktiv gegen Entscheidungen der Regierenden vorzugehen, in dem sie deren Entscheidungen kritisch hinterfragt und gegebenenfalls argumentativ widerlegt und durch öffentlichen Protest untermauert und defensiv, durch die Erhaltung von subkulturellen Gegenöffentlichkeiten und damit der Möglichkeit durch kommunikative Handlungen kollektive Identitäten zu stabilisieren und zu fördern.
IV. TRÄGER GRÜNER KOMMUNIKATIONSKULTUR NACH GIEGEL
Das abschließende Kapitel wird sich mit einem Essay von Hans Joachim Giegel beschäftigen.
Es soll beispielhaft gezeigt werden, welche Schicht von Menschen sich vornehmlich mit Fragen der allgemeinen Verunsicherung beschäftigt. Die also Problemfelder wie Nutzung der Atomkraft für Energiegewinnung, Wettrüsten, Schutz der Umwelt, Gleichstellung der Frau oder Ästhetisierung der urbanen Zentren thematisieren. Es soll gezeigt aus welchen Milieu sie sich rekrutieren und welche Art der Kommunikation bei ihnen vorherrscht. Außerdem soll herausgearbeitet werden, in welchen Punkten in Giegels Essay sich Parallelen zu den Überlegungen Habermas’ finden lassen. Schließlich wird noch ein Ausschnitt der Kommunikationskultur der Partei „Bündnis 90/ Die Grünen“ vorgestellt.
IV.A. DIE SOZIALBERUFLICHE MITTELSCHICHT
Wie schon im ersten Kapitel dieser Ausarbeitung[60] festgehalten, lässt sich das Protestpotential am wahrscheinlichsten aus einer ganz gewissen Schicht innerhalb der Gesellschaft rekrutieren. Angesprochen sind die Vertreter des „Humandienstleistungssektors“[61]. Alle die also die im öffentlichen Dienst, in Krankenhäusern, Pflegeheimen, Jugendclubs, Theater, Vereinen oder Schulen arbeiten. Bei einem Menschen aus der sozialberuflichen Mittelschicht hat ein Prozess stattgefunden, in dem er es für wichtig hält „[...] sich in kommunikativen Beziehungen und intimen Interaktionen als sensible und affektuell betroffene Person zu entfalten.“[62] Das persönliche Miteinander und das Erkennen von aktuell Konfliktträchtigen Ereignissen innerhalb der Lebenswelt, hat einen hohen Stellenwert für diese Individuen.
Diese Schicht ist durch einen hohen Grad an Auswahl von Lebensmöglichkeiten gekennzeichnet. Ihre Lebenslage ermöglicht ihnen ein gesichertes Einkommen und damit verbunden einen gewissen Wohlstand. Sie können in starkem Maße bestimmen, welche Form ihre Lebenswelt annehmen soll. Ironischerweise stellen diese Selektionen für die sozialberufliche Mittelschicht einen Mangel dar, in der äußersten Steigerung sogar Selbstzweifel. Gerade weil sie soviel Möglichkeiten zur Auswahl haben, ist es „[...] leichter als bei einer von Selbstzweifeln nicht geplagten Existenzform [...] ihm verständlich zu machen, dass er einen falschen Weg geht.“[63] Allerdings bedeutet dieses nicht-festgelegt-sein auch, dass Angehörige dieser Schicht sich ein Stück Lernfähigkeit aus ihrer Jugendzeit bewahrt haben. Ihnen fällt es leichter flexibel auf Veränderungen innerhalb ihres Selbstbildes zu reagieren. Überhaupt kann gesagt werden, dass sie über das nötige kognitive Verarbeitungsvermögen verfügen, um sich über sich selbst immer wieder neu aufzuklären. Es lässt sich vorstellen, dass dies durch Musestunden, in denen man über sich selbst nach denkt passiert oder aber auch das es vorrangig durch schreiben oder reden mit Freunden, Partner, Familie und Bekannten geschieht. Somit ist ihnen auch folgendes ermöglicht:
„Er kann sich anmaßen, das Urteil von Experten an seinen eigenen Maßstäben [Geltungsansprüchen, Anm. des Verfassers] zu messen und es gegebenenfalls beiseite zu schieben.“[64]
Ein weiterer Vorteil, der dieser Schicht zugeordnet werden kann, ist die Nutzung neuster Kommunikations- und Fortbewegungsmitteln. Folgend aus ihrer Bewertung von Kommunikation im allgemeinen und ihrer materiellen Sicherheit, ist ihnen möglich Informationen schnellst möglich zu generieren, zu vervielfältigen und anschließend zu verbreiten. Über Telefon, Fax, E-Mail und die dazugehörigen Bildschirme, Eingabegeräte, Drucker und Kopierer, können in kürzester Zeit Massen von Mitmenschen, wenigstens rein theoretisch, miteinander informativ verbunden werden. Der hohe Grad an Mobilität erlaubt innerhalb weniger Stunden von einer Großstadt zur nächsten zu pendeln.
Zur Lebenswelt der sozialberuflichen Mittelschicht gehören Gespräche und Diskussionen in denen sie ihre „[...] Sensibilität für die destruktiven Folgewirkungen der Modernisierung [...]“[65] entwickeln. Die Errungenschaften der Moderne werden diskursiv in Frage gestellt. Weiterhin ist es auch die eigene Mittäterschaft[66] die thematisiert wird. Sie erkennen das sie gerade durch ihre Nutzung von Technik und Mobilität mit an der Entstehung der gesellschaftlichen Problemlagen teilhaben. Die eigene Verantwortung ist zentraler Bestandteil des Denkens dieser Menschen. Sie tritt den Problemen also nicht nur gegenüber, sondern muss sich eingestehen, selber Bestandteil dieses Problems zu sein.
„Ganz generell zieht der Gedanke der Mittäterschaft die Vorstellung nach sich, dass der Selbstveränderung bei der Revolutionierung der gesellschaftlichen Verhältnisse eine zentrale Rolle zukommt.“[67]
Dieses eben dargestellte reflexive Bewusstsein, kann wohl als Besonderheit innerhalb der Kommunikation in der sozialberuflichen Mittelschicht, herausgehoben werden. Das die Distanz zum eigenen Denken noch nicht das aktive Eingreifen in den politischen Protest zur Folge hat, ist wohl nachvollziehbar. Dennoch haben sie damit den Ausgangspunkt für Veränderungen markiert.
IV.B. DIE BEDEUTUNG DER HABERMASSCHEN THEORIE
Die Tragweite der Theorie des kommunikativen Handelns soll nun im folgenden Abschnitt ein wenig näher dargestellt werden. Exemplarisch hierfür soll auch der schon genannte Essay von Giegel dienen. Es soll gezeigt werden, an welchen Stellen sich die Habermasschen Thesen wiederfinden lassen.
Zunächst seien die von Habermas weitläufig erklärten Rationalisierungsprozesse heranzuziehen. Er bezieht sich zwar in seinem Werk hauptsächlich auf die Rationalisierungen innerhalb der Lebenswelt, allerdings wird auch von ihm verdeutlicht, dass diese Veränderungen von den Rationalisierungen der Berufswelt herrühren. Giegel beschreibt nun in seinem Aufsatz eben diese Spezialisierung innerhalb der Berufe. Er belegt, dass die Rationalisierungen innerhalb des Dienstleistungssektors nicht zugunsten der Marktökonomie verändert werden, sondern es soll eine „[...] auf das Wohl des Klienten ausgerichtete professionelle Einstellung abverlangt [werden].“[68] Die Detailrationalisierungen geschehen, um das gestiegene Versorgungsniveau weiterhin bedienen zu können. Erreicht wird dies sicherlich durch die Erweiterung der EDV-Abteilungen in den Ämtern und deren eigens eingerichteten internen Netzwerke, welche die Kommunikation untereinander erheblich beschleunigen und vereinfachen. All das sind aber die Folgen von politischen Entscheidungen und nicht etwa von direktem marktwirtschaftlichem Konkurrenzdruck.
Als nächstes geht Giegel in seinem Essay auf die Pathologien der Moderne ein. Habermas innere Kolonialisierung der Lebenswelt wird aufgegriffen und Verarbeitet. Giegel schreibt, wie obenstehend schon erwähnt, der sozialberuflichen Mittelschicht eine besondere Sensibilität für die aktuellen Problemlagen zu.
„Es ist die drohende Zerstörung des Reichtums an Lebensmöglichkeiten, der differenzierten Formen der Bedürfnisbefriedigung jenseits der Schwelle an der die Sicherung des Existenzminimums erreicht ist, wovon diese Schicht beunruhigt und zur politischen Reaktion gezwungen wird: [...] Umweltzerstörung [...], ausgerichtete Funktionalität [...], kulturindustrielle Zurichtung [...], Ausweitung formaler Organisationen [...], Verrechtlichung [...], Männliche Dominanz und [...] Kriegsgefahr [...].“[69]
Der Zerfall der Möglichkeiten zur symbolischen Reproduktion wird erkannt und ausführlich von Giegel erläutert.
Ein nächster Zusammenhang besteht bei den Strukturen innerhalb der Kommunikation. Die von Habermas definierten Geltungsansprüche werden vom Essayisten implizit aufgegriffen. Bei der Charakterisierung der sozialberuflichen Mittelschicht wird geklärt, dass sie einerseits Problemlagen thematisieren und zum anderen auch befähigt sind, Expertenurteile, Durchsetzungsvermögen von Parteiprogrammen oder die Glaubwürdigkeit von Unternehmensvorstandsvorsitzenden anzuzweifeln und gegebenenfalls zu entkräften. All das setzt voraus, dass die Geltungsansprüche Wahrheit, Gerechtfertigkeit, Aufrichtigkeit und Verständlichkeit diskursiv geprüft und als erfüllt anerkannt worden sind. Da diese wie schon erwähnt, die Vorraussetzung für sinnhafte/vernünftige Auseinandersetzungen sind.
IV.C. DIE KOMMUNIKATIONSKULTUR DER GRÜNEN PARTEI
Im Folgenden soll beispielhaft gezeigt werden, welche Themen innerhalb der grünen Politik kommuniziert werden und mit welchen Ausdrucksweisen für Wähler geworben wird.
Dazu dient der Überblick des Parteiprogramms:
„1. Neue Arbeit schaffen – Arbeit mit Zukunft – Teilhabe
2. Ökologisch Fahrt gewinnen – Mehr Grün für Umwelt und Verbraucher
3. Die neue Bildungspolitik - Soziale Gerechtigkeit, Leistung und Verantwortung
4. Vorfahrt für Kinder - Kinder achten und fördern
5. Gleiche Rechte – Gleiche Chancen – Konsequente Geschlechterpolitik
6. Offene Gesellschaft und demokratische Teilhabe - Bürgerrechte stärken
7. Europa in der Einen Welt - Globalisierung gerecht gestalten”[70]
Wie vorher anhand der Prioritäten der sozialberuflichen Mittelschicht gezeigt, finden sich in diesem Parteiprogramm Themen der Umwelt, Bildung und Chancengleichheit wieder. Die Themen der Lebenswelt sind auf die Agenda einer parlamentarischen Großpartei gekommen.
Abschließend soll nun noch ein Auszug von der Homepage der Grünen als Abrundung dieses Kapitels dienen.
„“Eine Modernisierung ist ohne Ökologie nicht möglich." Das zweite Alleinstellungsmerkmal, mit dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sich im Parteienspektrum profilieren, ist die Stellung als "die moderne, werteorientierte und emanzipative Linke", wie es im Entwurf heißt: "Auf das dramatische Problem der Massenarbeitslosigkeit, die Globalisierung und die Klimazerstörung gibt es keine einfachen Antworten, wie es uns die Neoliberalen oder altlinken Populisten vormachen wollen."[71]
V. SCHLUSS
Verschiedene Philosophien der Menschheit lehren uns, dass nichts unabhängig von anderen Gegebenheiten existieren kann. Die Lehre vom Holismus offenbart uns die Ganzheit allen seins. Alle bestehenden Strukturen sind immer nur Teil innerhalb einer größeren Struktur. Nichts scheint unabhängig davon zu sein. So wie zum Beispiel die physikalischen Elementarkräfte Gravitation, Elektromagnetismus und die starke und schwache Wechselwirkung nach momentanen Erkenntnisstand der Teilchenphysik, die Welt im innersten zusammenhält. Alles erfahrbare steht in einem allumfassenden Zusammenhang.
Genau dies ist auch bei dieser Arbeit das Resultat. Es sollte deutlich geworden sein, dass die gesellschaftlichen Strukturlagen und der Wertewandel eindeutigen Einfluss nehmen, auf Form und Funktion der Kommunikation. Aber auch die Form und Funktion der Sprache nahm und nimmt Einfluss auf gesellschaftliche Strukturen und die Veränderung von Werten und Normen. Ein ewiger Kreislauf den man aufgrund limitierenden Fragestellungen immer nur Ausschnittsweise betrachten kann. In den vorrangegangen Kapiteln wurde nun also verglichen, mit welchen Erklärungen, man das Zustandekommen und die Erhaltung von Neuen Sozialen Bewegungen deuten kann. Beide Wege nahmen hierfür das Individuum in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Unterschieden haben sie sich in mehreren Punkten. Zum einen wurden die gesellschaftsstrukturelle Verortung und die subjektive Wahrnehmung expliziert und zum anderen traten die Betonung der Lebenswelt und der Sprache, als Medium und relativer Nullpunkt für jegliche Formen der politischen Aktivität, hervor.
Sicherlich ist die Kommunikation unter Menschen elementar, geradezu das, was Homo Sapiens Sapiens überhaupt menschlich macht. Aber all das wäre nicht denkbar, ohne die vielfältigen Bedingungen, die zur zwischenmenschlichen Teilung von Wissen führen.
VI. BIBLIOGRAPHIE
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Giegel, Hans Joachim: Ein Träger Grüner Politik: Die sozialberufliche Mittelschicht, in: Vorgänge, Jg. 25, H. 6, S. 25 – 37.
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Habermas, Jürgen: Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaates. Frankfurt/Main 1992, S. 434 – 464.
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Lehner, Franz: Die „stille Revolution“: Zur Theorie und Realität des Wertwandels in hochindustrialisierten Gesellschaften, keine Seitenangabe verfügbar.
Opp, Karl-Dieter, Pöhls, Volker: Soziale Probleme und Protestverhalten: Eine Empirische Konfrontation des Modells rationalem Verhaltens mit soziologischen und demographischen Hypothesen am Beispiel von Atomkraftgegnern. Opladen: Westdeutscher Verlag. 1984, S. 208-231.
Schneider, Wolfgang Ludwig: Grundlagen der soziologischen Theorie. Band II. Wiesbaden 2002, S. 186 – 237
Treibel, Annette: Einführung in soziologische Theorien der Gegenwart. 5. aktualisierte und verbesserte Auflage. Opladen 2000, S. 160 – 176.
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[...]
[1] Hellmann, Kai-Uwe: Paradigmen der Bewegungsforschung, Opladen, S. 91.
[2] Siehe auch unter Punkt I.B in dieser Arbeit.
[3] Siehe auch unter Punkt I.C in dieser Arbeit.
[4] Siehe auch unter Punkt I.D in dieser Arbeit.
[5] Bertelsmann Universal Lexikon, Fremdwörterbuch; Bertelsmann Lexikon Verlag GmbH Gütersloh 1993.
[6] Karl-Dieter Opp, Soziale Probleme und Protestverhalten; Opladen: Westdeutscher Verlag, 1984, S. 208.
[7] Karl-Dieter Opp, Soziale Probleme und Protestverhalten; Opladen: Westdeutscher Verlag, 1984, S. 212.
[8] Ebd., S. 39.
[9] Vgl. ebd., S. 42f.
[10] Ebd., S. 43.
[11] Ebd.
[12] Ebd.
[13] Brand, Karl-Werner: Humanistischer Mittelklassen-Radikalismus, Opladen, S. 38.
[14] Ebd., S. 37.
[15] Kriesi, Hanspeter: Neue Soziale Bewegungen: Auf der Suche nach ihren gemeinsamen Nenner, 1987, S. 315-334.
[16] Klages, Helmut / Kmieciak, Peter (Hrsg.): Wertwandel und gesellschaftlicher Wandel. Frankfurt/Main; New York, S. 281.
[17] Klages, Helmut / Kmieciak, Peter (Hrsg.): Wertwandel und gesellschaftlicher Wandel. Frankfurt/Main; New York, S. 295
[18] GEO – Das Reportage Magazin, Gruner + Jahr AG & Co. KG, August 2005, S.82
[19] Treibel, Annette: Einführung in soziologische Theorien der Gegenwart. 5. aktualisierte und verbesserte Auflage. Opladen 2000, S. 165
[20] Schneider, Wolfgang Ludwig: Grundlagen der soziologischen Theorie. Band II. Wiesbaden 2002, S.209
[21] Schneider, Wolfgang Ludwig: Grundlagen der soziologischen Theorie. Band II. Wiesbaden 2002, S.209
[22] Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2. Frankfurt 1981, S. 187; Hervorhebungen im Original
[23] Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2. Frankfurt 1981, S. 191; Hervorhebungen im Original
[24] Siehe Kapitel III.A. dieser Arbeit
[25] Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2. Frankfurt 1981, S. 209; Hervorhebungen im Original
[26] Habermas, Jürgen: Nachmetaphysisches Denken. Philosophische Aufsätze. Frankfurt 1988, S. 89 - 90
[27] Habermas, Jürgen: Nachmetaphysisches Denken. Philosophische Aufsätze. Frankfurt 1988, S. 90
[28] Habermas, Jürgen: Nachmetaphysisches Denken. Philosophische Aufsätze. Frankfurt 1988, S. 92 - 93
[29] Habermas, Jürgen: Nachmetaphysisches Denken. Philosophische Aufsätze. Frankfurt 1988, S. 90
[30] GEO – Das Reportage Magazin, Gruner + Jahr AG & Co. KG, August 2005, S.89
[31] Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2. Frankfurt 1981, S. 228
[32] Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2. Frankfurt 1981, S. 293
[33] Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2. Frankfurt 1981, S. 277
[34] Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2. Frankfurt 1981, S. 293
[35] Treibel, Annette: Einführung in soziologische Theorien der Gegenwart. 5. aktualisierte und verbesserte Auflage. Opladen 2000, S. 170
[36] Treibel, Annette: Einführung in soziologische Theorien der Gegenwart. 5. aktualisierte und verbesserte Auflage. Opladen 2000, S. 171
[37] Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2. Frankfurt 1981, S. 549
[38] GEO – Das Reportage Magazin, Gruner + Jahr AG & Co. KG, August 2005, S.89
[39] Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2. Frankfurt 1981, S. 514
[40] Lehner, Franz: Die „stille Revolution“: Zur Theorie und Realität des Wertwandels in hochindustrialisierten Gesellschaften, keine Seitenangabe verfügbar; Hervorh. im Original
[41] Schneider, Wolfgang Ludwig: Grundlagen der soziologischen Theorie. Band II. Wiesbaden 2002, S.242; Hervorh. Im Original
[42] Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 1. Frankfurt 1981, S. 126 - 128
[43] Habermas, Jürgen: Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats. Frankfurt/Main 1992, S. 436
[44] Treibel, Annette: Einführung in soziologische Theorien der Gegenwart. 5. aktualisierte und verbesserte Auflage. Opladen 2000, S. 159
[45] Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 1. Frankfurt 1981, S. 376
[46] Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 1. Frankfurt 1981, S. 447
[47] Schneider, Wolfgang Ludwig: Grundlagen der soziologischen Theorie. Band II. Wiesbaden 2002, S.201; Hervorh. Im Original
[48] Treibel, Annette: Einführung in soziologische Theorien der Gegenwart. 5. aktualisierte und verbesserte Auflage. Opladen 2000, S. 160
[49] Schneider, Wolfgang Ludwig: Grundlagen der soziologischen Theorie. Band II. Wiesbaden 2002, S.201; Hervorh. Im Original
[50] Habermas, Jürgen: Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats. Frankfurt/Main 1992, S. 439
[51] http://de.wikipedia.org/wiki/Rudi_Dutschke; 24.07.05
[52] http://de.wikipedia.org/wiki/Rudi_Dutschke; 24.07.05
[53] Schneider, Wolfgang Ludwig: Grundlagen der soziologischen Theorie. Band II. Wiesbaden 2002, S.234; Hervorh. Im Original
[54] Habermas, Jürgen: Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats. Frankfurt/Main 1992, S. 436
[55] Schneider, Wolfgang Ludwig: Grundlagen der soziologischen Theorie. Band II. Wiesbaden 2002, S.235; Hervorh. Im Original
[56] Schneider, Wolfgang Ludwig: Grundlagen der soziologischen Theorie. Band II. Wiesbaden 2002, S.236; Hervorh. Im Original
[57] Habermas, Jürgen: Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats. Frankfurt/Main 1992, S. 455
[58] Habermas, Jürgen: Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats. Frankfurt/Main 1992, S. 443
[59] Habermas, Jürgen: Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats. Frankfurt/Main 1992, S. 446
[60] Siehe Kapitel I.C.2. dieser Arbeit
[61] Siehe Kapitel I.C.2. dieser Arbeit
[62] Giegel, Hans Joachim: Ein Träger grüner Politik: Die sozialberufliche Mittelschicht. In: Vorgänge, Jg. 25, H.6; S. 28
[63] Giegel, Hans Joachim: Ein Träger grüner Politik: Die sozialberufliche Mittelschicht. In: Vorgänge, Jg. 25, H.6; S. 30
[64] Giegel, Hans Joachim: Ein Träger grüner Politik: Die sozialberufliche Mittelschicht. In: Vorgänge, Jg. 25, H.6; S. 30
[65] Giegel, Hans Joachim: Ein Träger grüner Politik: Die sozialberufliche Mittelschicht. In: Vorgänge, Jg. 25, H.6; S. 31; Hervorh. Im Original
[66] Giegel, Hans Joachim: Ein Träger grüner Politik: Die sozialberufliche Mittelschicht. In: Vorgänge, Jg. 25, H.6; S. 34
[67] Giegel, Hans Joachim: Ein Träger grüner Politik: Die sozialberufliche Mittelschicht. In: Vorgänge, Jg. 25, H.6; S. 36
[68] Giegel, Hans Joachim: Ein Träger grüner Politik: Die sozialberufliche Mittelschicht. In: Vorgänge, Jg. 25, H.6; S. 28; Hervorh. Im Original
[69] Giegel, Hans Joachim: Ein Träger grüner Politik: Die sozialberufliche Mittelschicht. In: Vorgänge, Jg. 25, H.6; S. 31
[70] http://www.gruene.de/index.htm; 25.07.05
[71] http://www.gruene-partei.de/cms/wahlen/dok/72/72580.modern_oekologisch_gerecht.htm; 25.07.05
- Quote paper
- Ronny Steinbrück (Author), 2005, Ein Blick auf Neue Soziale Bewegungen anhand des Paradigmas Structural Strains und der Theorie des kommunikativen Handelns von Jürgen Habermas, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/45036
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