Stanislaw Ignacy Witkiewicz als Pionier des metaphysischen Theaters und die Umsetzung seiner philosophischen Theorie der Reinen Form im Drama Stanislaw Ignacy Witkiewicz, dem polnischen avantgardistischen Künstler mit außergewöhnlicher Mehrfachbegabung, beschritt den Höhepunkt seines kreativen Schaffens, sowohl in der Malerei als auch als Autor und im Theater in den 1920er Jahren. Er scheint jedoch in seiner Theorie der Reinen Form, die er insbesondere im Theater umsetzte, seiner Zeit voraus gewesen zu sein, dem Gedanken, die Bühne als Ort einer transzendenten Begegnung zu verstehen, das Theater als einen Ort, an dem ein „metaphysisches Gefühl“ entstehen kann und soll. Zwischen seiner Auffassung von Kunst als einer Art religiöser Mystik und derer Antonin Artauds bestehen bemerkenswert enge Parallelen. So ist wenig verwundernd, dass Witkiewiczs Dramen erst im experimentellen Theater der 60er Jahre „entdeckt“, anerkannt und geschätzt wurden, als das Theater völlig umgewertet wurde.
Im folgenden möchte ich mich mit der Frage auseinander setzen, inwieweit Witkiewicz seine Theorie der Reinen Form in seine m Schaffen umgesetzt hat, mit welcher Wirkungsabsicht und durch welche Mittel und Elemente. Hierbei werde ich mich auf seine dramatische Kunst beschränken, die Theorie der Reine Form vom Formalismus/ Formismus her erläutern, um schließlich über Witkiewiczs Haltung zum Theater zur konkreten Veranschaulichung zu gelangen. Anhand der beiden Stücke Das namenlose Werk (1921) und Verrückte Lokomotive (1923) will ich aufzeigen, wie Witkiewicz Mittel der Deformation, der Groteske und Antiillusionierung einsetzt, um gerade durch die damit entstehende Fragmentierung die Form hervortreten zu lassen, um eine metaphysische Einheit im Ganzen, die wahrhaftige künstlerische Schönheit zu schaffen.
Inhaltsverzeichnis
1.Stanislaw Ignacy Witkiewicz als Pionier des metaphysischen Theaters und die Umsetzung seiner philosophischen Theorie der Reinen Form im Drama
2. Witkiewiczs Theorie der Reinen Form auf dem Hintergrund von Formalismus und Formismus
2.1. Formalismus und Formismus
2.2. Witkiewiczs Theorie der Reinen Form
2.3. Zusammenfassung
3. Die Reine Form im Theater
3.1. Witkiewicz und das Theater
3.2. Reine Form durch Deformation in Witkiewiczs Theater
3.3. Zusammenfassung
4. Umsetzung der Theorie im Drama
4.1. Spielen mit den Konventionen und Erwartungshaltungen der Rezipienten
4.2. Einheit und metaphysische Wirkung durch Fragmentierung
4.3. Zusammenfassung
5. Umsetzung der Reinen Form mit fraglicher Wirkung
Bibliographie
1. Stanislaw Ignacy Witkiewicz als Pionier des metaphysischen Theaters und die Umsetzung seiner philosophischen Theorie der Reinen Form im Drama
Stanislaw Ignacy Witkiewicz, dem polnischen avantgardistischen Künstler mit außergewöhnlicher Mehrfachbegabung, beschritt den Höhepunkt seines kreativen Schaffens, sowohl in der Malerei als auch als Autor und im Theater in den 1920er Jahren. Er scheint jedoch in seiner Theorie der Reinen Form, die er insbesondere im Theater umsetzte, seiner Zeit voraus gewesen zu sein, dem Gedanken, die Bühne als Ort einer transzendenten Begegnung zu verstehen, das Theater als einen Ort, an dem ein „metaphysisches Gefühl“ entstehen kann und soll. Zwischen seiner Auffassung von Kunst als einer Art religiöser Mystik und derer Antonin Artauds bestehen bemerkenswert enge Parallelen. So ist wenig verwundernd, dass Witkiewiczs Dramen erst im experimentellen Theater der 60er Jahre „entdeckt“, anerkannt und geschätzt wurden, als das Theater völlig umgewertet wurde.
Im folgenden möchte ich mich mit der Frage auseinander setzen, inwieweit Witkiewicz seine Theorie der Reinen Form in seinem Schaffen umgesetzt hat, mit welcher Wirkungsabsicht und durch welche Mittel und Elemente. Hierbei werde ich mich auf seine dramatische Kunst beschränken, die Theorie der Reine Form vom Formalismus/ Formismus her erläutern, um schließlich über Witkiewiczs Haltung zum Theater zur konkreten Veranschaulichung zu gelangen. Anhand der beiden Stücke Das namenlose Werk (1921) und Verrückte Lokomotive (1923) will ich aufzeigen, wie Witkiewicz Mittel der Deformation, der Groteske und Antiillusionierung einsetzt, um gerade durch die damit entstehende Fragmentierung die Form hervortreten zu lassen, um eine metaphysische Einheit im Ganzen, die wahrhaftige künstlerische Schönheit zu schaffen.
2.Witkiewiczs Theorie der Reinen Form auf dem Hintergrund von Formalismus und Formismus
2.1. Formalismus und Formismus
In den Kunstformen der Poesie, Malerei und des Theaters besteht ein Form- Inhalt- Dualismus, der meist zugunsten des Inhalts im Ungleichgewicht mit der Form steht. Im Unterschied zur naturalistischen Kunst, die darum bemüht ist, Leben und Realität um der inhaltlichen Seite willen so naturgetreu und verständlich wie möglich abzubilden oder wiederzugeben, heben die Vertreter des Formalismus die Formseite eines Kunstwerkes hervor. In ihrer Betrachtungsweise wird die formale Struktur und Gesetzlichkeit als maßgeblich angesehen, die Betonung liegt auf der Analyse der Form und der Verwendung formaler Elemente. Der Formalismus geht sogar so weit, den Inhalt, die gegenständliche, thematische Komponente als kunstfremd oder außerkünstlerisch zu erklären, verherrlicht die formalistische Kunst als eine „von allem Gegenständlich- Darstellerischen befreite“ oder „auf ihr Wesentliches, die Form reduzierte Kunst“, die „frei von gesellschaftlichen Bindungen und Verantwortlichkeiten“ sei[1]. In der Tendenz zur formalen Verfeinerung, zum Ästhetizismus und Spiel mit den Formelementen wird die Wirklichkeit als Bezugspunkt von Kunst entwertet; Kunst erfülle somit keine Erkenntnisfunktion sondern komme der wesentlichen Forderung nach Form nach.[2]
Die expressionistische Künstlerbewegung der Formisten, die um 1916 die Anfänge der polnischen Avantgardekunst einleitete, schuf aus den komplexen Traditionen der formbewußten und formalistischen Kunst eine eigenständige Synthese, die sich schon von der Bezeichnung gegenüber dem abgegriffenen Formalismus- Begriff absetzen und auf eine neue Auseinandersetzung mit dem Form- Inhalt- Problem verweisen wollte. Stanislaw Ignacy Witkiewicz, zumal Philosoph und Künstler, trug als Theoretiker Bedeutendes zu dieser Gruppe bei, ebenso Leon Chwistek. Letzterer stellt beispielsweise zur Veranschaulichung dar, dass ein traditioneller Satz allzu klar verstanden, die Aufmerksamkeit des Lesers vom Inhalt sofort absorbiert, ohne ihn dabei mit der Form der Sprache, wie Rhythmus oder Klang, zu konfrontieren und dadurch der Leser vom künstlerischen Ausdruck weggeführt werde.[3]
2.2.Witkiewiczs Theorie der Reinen Form
Vor diesem Hintergrund schreibt auch Witkiewicz:
In der Ästhetik gibt es den Form- Inhalt- Dualismus und Systeme, die eines dieser Elemente stärker als das andere berücksichtigen, d.h. realistische und formistische Systeme. Da man keinen der Faktoren negieren kann, geht es um das Schaffen eines solchen Systems, das dem Verhältnis der beiden gerecht werden und ihnen den richtigen Platz im Kunstphänomen als Ganzes zuweisen könnte. (...) Ich betone, dass mein System ein formistisches sein wird.[4]
Witkiewicz also bringt deutlich zum Ausdruck, dass er seiner Kunst bewusst die formistische zugrunde legt. Er begründet die Notwendigkeit der reinen Formen in der Kunst philosophisch und psychologisch, indem er auf die komplexen Veränderungen der Psyche des modernen Menschen und dessen Lebensumstände verweist. Menschentypen von kompliziertem Charakter, und insbesondere Künstlernaturen, „die dazu neigen, das metaphysische Gefühl als solches zu durchleben“[5] werden deformiert und erfahren dadurch die „Ungesättigtheit an der Form“ im Kunstwerk. Dies führe zur Suche nach neuen Formen, die in letzter Konsequenz „in der Sphäre der reinen Form“[6] zu finden sei. Hierdurch werde der Deformation und dem Unsinn eine höhere Sanktion erteilt[7], als lediglich programmatisch und pervertiert Unsinn um der elaborierten Unsinnigkeit willen zu betreiben, was z. B. den Dadaisten vorgeworfen wird. Vielmehr gehe es darum, wie Leon Chwistek es ausdrückt, den Inhalt derart zu verändern, um „zu einer vollendeten, also keine Veränderung zulassenden Form zu gelangen“[8].
Diese Modifikation führt 1) dazu, dass man einen vieldeutigen Inhalt erreicht, der aufgrund seiner Unbestimmtheit gleichsam im Hintergrund bleibt und es der Form erlaubt in den Vordergrund zu treten, 2) zu einer Hervorhebung der grundlegenden Eigenschaften der Form (...).[9]
Malerei, Poesie und Theater sind im Gegensatz zur Musik, die aus reinen, einheitlichen Qualitäten besteht, an Gegenständliches und Inhalt gebunden. Um sich über das Dingliche hinwegzusetzen, die Inhalt- Lastigkeit zu überwinden, müssen Mittel wie die Deformation der Gegenstände, fehlender Sinn oder Inkonsistenz der Figuren im Theater verwendet werden[10], um durch Antirealismus und Antiästhetik zur Freiheit und Vollkommenheit der Form durchzustoßen. Witkiewicz lehnt Kunst, die lediglich zur Illustration eigener Ansichten oder gesellschaftlicher Missstände herhalten muss und im Theater einige „Mannequins“ für einen Abend manipuliere[11] für irrelevant und unkünstlerisch. Für ihn ist Kunst, und im besonderen Masse Theater als deren komplexeste Form die Plattform, den Rezipienten in einen Ausnahmezustand außerhalb des alltäglichen Lebens zu versetzen, was ihn das Mysterium der Existenz erahnen und erfühlen läßt[12]. Die abstrakte Schönheit der Reinen Form vermag metaphysische Gefühle auszulösen und schafft eine Begegnung mit der Wahrheit über die Einheit des Individuums mit dem Universum.
2.3.Zusammenfassung
Auf dem Hintergrund des Formalismus beruhend, der Überzeugung, dass das Formale der Kunst ihren wesentlichen künstlerischen Bestandteil ausmache, entwickelt Stanislaw Ignacy Witkiewicz als Glied der ersten Avantgardegeneration seine Theorie der Reinen Form. Durch das Erleben der Struktur eines Kunstwerks, das Abstraktschöne soll beim Zuschauer ein metaphysisches Gefühl entstehen, das als existentielle Grunderfahrung auf die Einheit in der Vielfalt im Universum verweisen soll.
[...]
[1] Vgl. Olbrich, Harald. (Hrsg.): Lexikon der Kunst. Band II. (1989). 552f.
[2] Ebd.
[3] Vgl. Chwistek, Leon. „Der Formismus “. 155. (s. Lam, Andrzej. 1990)
[4] Witkiewicz, Stanislaw. Über die Reine Form. (Erstdruck: Zet 1932)
[5] Witkiewicz, Stanislaw. „Die Theorie der Reinen Form in der Poesie“. 206. (s. Lam, Andrzej. 1990.)
[6] Ebd.
[7] Vgl. ebd.
[8] Vgl. Chwistek, Leon. „Der Formismus“. 155.(s. Lam, Andrzej. 1990.)
[9] Ebd.
[10] Vgl. Witkiewicz, Stanislaw. „Die Theorie der Reinen Form in der Poesie.“ 203.
[11] Vgl. Gerould, Daniel Charles. Witkacy. S. I. Witkiewicz as an imaginative write r. Seattle: 1981. 261.
[12] Ebd.
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