Rezension von G. Günter Voß, Kerstin Rieder "Der arbeitende Kunde. Wenn Konsumenten zu unbezahlten Mitarbeitern werden"
(Frankfurt/ M. 2005)
Haben Sie kürzlich etwas im Internet bestellt oder eine Onlineüberweisung getätigt? Falls ja, gehören auch Sie zum Kreis der Menschen, welche G. Günter Voß und Kerstin Rieder in ihrem Buch „Der arbeitende Kunde. Wenn Konsumenten zu unbezahlten Mitarbeitern werden.“ beschreiben. Die Wenigsten können sich davon ausnehmen, da die heutige Konsumwelt von moderner Technik geprägt ist und ihre Kunden immer häufiger aktiv an der Leistungserbringung von Unternehmen beteiligt werden.
Die ersten Überlegungen zu diesem Phänomen trafen die Autoren im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts zur „Dienstleistung als Interaktion“. Entgegen des bisherigen Fokus der Wirtschaftsforschung konzentrieren sich Voß und Rieder bei ihrer Untersuchung weniger auf Kaufentscheidungen und die Nutzung von Produkten durch Konsumenten, sondern betrachten das Verhältnis von Kunden und Unternehmen aus sozialwissenschaftlicher Perspektive. So wird dargelegt, in welchen Bereichen sich das Outsourcing von Arbeit auf Privatpersonen vollzieht, was die Ursachen für die zunehmende Instrumentalisierung von Kunden sind, welche persönlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen sich langfristig daraus ergeben
Haben Sie kürzlich etwas im Internet bestellt oder eine Onlineüberweisung getätigt? Falls ja, gehören auch Sie zum Kreis der Menschen, welche G. Günter Voß und Kerstin Rieder in ihrem Buch „Der arbeitende Kunde. Wenn Konsumenten zu unbezahlten Mitarbeitern werden.“ beschreiben. Die Wenigsten können sich davon ausnehmen, da die heutige Konsumwelt von moderner Technik geprägt ist und ihre Kunden immer häufiger aktiv an der Leistungserbringung von Unternehmen beteiligt werden. Die ersten Überlegungen zu diesem Phänomen trafen die Autoren im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts zur „Dienstleistung als Interaktion“. Entgegen des bisherigen Fokus der Wirtschaftsforschung konzentrieren sich Voß und Rieder bei ihrer Untersuchung weniger auf Kaufentscheidungen und die Nutzung von Produkten durch Konsumenten, sondern betrachten das Verhältnis von Kunden und Unternehmen aus sozialwissenschaftlicher Perspektive. So wird dargelegt, in welchen Bereichen sich das Outsourcing von Arbeit auf Privatpersonen vollzieht, was die Ursachen für die zunehmende Instrumentalisierung von Kunden sind, welche persönlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen sich langfristig daraus ergeben können und wie diese Entwicklung historisch eingeordnet wird.
Die traditionelle Arbeitssoziologie und -psychologie betrachtet den Konsumenten und seine Beweggründe bisher bestenfalls marginal und bewertet ihn als zahlenden, jedoch externen Faktor des Betriebsablaufs. Voß und Rieder schließen die Lücke und verknüpfen die sich gegenseitig bedingenden Aspekte von Arbeit und Konsum auf anschauliche Art und Weise.
Die Professoren für Soziologie beschreiben ihr Werk selbst als „Essay im ursprünglichen Sinne“, nämlich „als Versuch, eine Entwicklung zu beschreiben und zu verstehen, die noch am Anfang steht und deren Verlauf offen ist […]“ (Voß, Rieder 2005: 8). Das Buch ist numerisch in fünf Kapitel gegliedert und weist wenige Ebenen von maximal vier Unterpunkten auf. Vorwort, Einleitung, Nachwort und das Literaturverzeichnis ermöglichen es dem Leser, die Inhalte nachzuvollziehen und sich ggf. weiterführendes Wissen anzueignen. Dies ist mitunter notwendig, da sich an die vielen Alltagsbeispiele und witzigen Illustrationen der ersten Hälfte der Monografie, einige anspruchsvolle Darstellungen zu verschiedenen sozialwissen- schaftlichen Theorien von Marx bis Habermas anschließen. Weiterhin wird der Verstehensprozess des Lesers durch die Autoren unterstützt, indem Informations- kästen eingefügt wurden. Die Quellen stehen direkt unter den Abbildungen oder wurden mittels deutscher Zitierweise als Fußnoten ergänzt.
Bevor Voß und Rieder ihre Überlegungen zum „arbeitenden Kunden“ beginnen, skizzieren sie im ersten Kapitel den gegenwärtigen Kundenalltag und zeigen die praktische Bedeutung des Themas. Lange vorbei sind die Zeiten der strengen Dame hinter dem Tresen, welche uns das gewünschte Stück Fleisch oder den Kaffee reichte. Moderne Kunden sind eigenständig. Sie wissen, wie bspw. Leergutautomaten oder Kontoauszugdrucker funktionieren, wie man eine Fahrkarte zieht oder den Check-In am Flughafen meistert. Auch die öffentliche Verwaltung nutzt diese Entwicklung mittlerweile. Ist „Elster“ heute noch eine optionale Möglichkeit die Steuererklärung online zu verschicken, so mutmaßen die Autoren, dass diese und weitere Meldungen, die derzeit noch auf Amtswegen erledigt werden, wahrscheinlich bald nur noch webbasiert sind. Die Argumentation von Voß und Rieder ist dabei schlüssig und holt den Leser in seiner Lebenswelt ab.
Das Paradebeispiel für das neue Verhältnis von Unternehmen und Kunden ist IKEA. Es wird ausführlich dargelegt, welche Strategien das schwedische Möbelhaus nutzt, um seinen Käufern die Selbstständigkeit an der Kasse und die Montage des Billy-Regals schmackhaft zu machen und somit Kosten zu sparen. Die angeführten Zahlen der 15 Millionen Arbeitsstunden und 120 Millionen Euro volkswirtschaftlichen Aufwandes, dürften seit 2005 sogar noch gestiegen sein.
Kapitel 2 des Buches zeigt den historischen Prozess der steigenden Auslagerung betrieblicher Aufgaben hin zum Kunden. Voß und Rieder erklären wie, warum und in welchen Wirtschaftssektoren sich ein aktiver Konsum ab Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland entwickelt hat. Die Beispiele von den ersten Kaufhäusern, der später entstandenen Selbstbedienung bis hin zum heutigen E-Business sind dabei allgemein verständlich und knüpfen an eigene Erfahrungen an. Denn die Auslagerung von Arbeiten an Kunden, Patienten und Bürger findet derzeit in vielen Bereichen statt. Technische Neuerungen spielen hierbei eine wichtige Rolle. Sie bilden die Schnittstellen zwischen Unternehmen und Privatpersonen. Serviceleistungen sind teilweise sogar nur noch gegen einen Aufpreis verfügbar.
Mitwirkende Kunden gab es gewissermaßen schon immer, die Art und Weise ihrer Tätigkeit hat sich jedoch erheblich verändert. Deren wissenschaftliche Entdeckung und wirtschaftliche Nutzung wird im dritten Kapitel beleuchtet. Von Voß und Rieder wird gezeigt, wie in den 1970er Jahren die „Dienstleistungsgesellschaft“ zur öffentlichen Debatte wurde.
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- Quote paper
- Enneriema Aunerz (Author), 2017, Rezension zu "Der arbeitende Kunde. Wenn Konsumenten zu unbezahlten Mitarbeitern werden" von G. Günter Voß und Kerstin Rieder, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/449850