In der vorliegenden Arbeit zum Thema“ Der Medea-Mythos: Zwischen Dämonisierung und Psychologisierung„ beschäftige ich mich mit der widersprüchlichen und facettenreichen Figur der Medea, die ich nicht eindimensional, sondern in ihrer ganzen Mehrdeutigkeit interpretieren möchte. Ausgehend von der Auseinandersetzung mit der Mythenproduktion als einer wichtigen Sozialisationsinstanz der kulturellen Identität u.a. der Völker, nähere ich mich den symbolischen Weiblichkeitsentwürfen in der Figur Medeas, in der ambivalente Männerphantasien, unterschiedliche soziale Rollen und produktive und zerstörerische Komponenten verkörpert sind.
Entlang des Verständnisses der verschiedenen Facetten Medeas als tragisch-weibliches Subjekt, beschäftige ich mich des Weiteren sowohl mit ihren destruktiven und mörderischen weiblichen Anteilen als auch mit ihren weiblich schöpferischen Fähigkeiten. Dabei geht es mir darum, anhand der Medea-Figur eine anregende Perspektive zur Beziehung zwischen der offensiven weiblichen Sexualität, weiblicher Aggression und dem Streben nach Selbstbehauptung aufzuzeigen. Im Mittelpunkt dieser Problematik wird die als bedrohlich empfundene Verbindung zwischen der sogenannten virulenten weiblichen Sexualität und der mütterlichen Rolle der Frau stehen. Diese ambigue Vorstellung von der Frau als `unzüchtiges Weib` und gleichzeitig `entsexualisierte Mutter`, die eine reine Verkörperung von Männerphantasien darstellt, wird in dieser Arbeit als Grundlage für das Verständnis der Ambivalenz in der Medea-Figur verstanden.
Im abschließenden Teil der Arbeit wende ich mich der Medea-Version von Franz Grillparzer zu, der in der älteren Literaturforschung für seine „Psychologisierung des Medea-Mythos“ gepriesen wurde. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Psychologie im Medea-Mythos wird den Ausgangspunkt für die Behauptung bilden, dass die Grillparzersche Reinterpretation des Medea-Mythos als „ eine moderne Ehetragödie“ in der Tradition der veränderten Werte des ausgehenden 18. Jahrhunderts bezüglich der Rolle der Familie und der Frau und der extremen „Polarisierung der Geschlechtercharaktere“ steht und deswegen den ursprünglichen subversiven Kern und den provokativen Charakter der Medea-Figur schwächt. Im Schlussteil werden die Analyseergebnisse noch einmal kurz zusammengefasst und eine kritische Bilanz gezogen.
Inhaltsverzeichnis
1. EINLEITUNG
2. MYTHEN ALS AUSDRUCK MÄNNLICHER DOMINANZ ODER ZUM PATRIARCHALISCHEN CHARAKTER UNBEWUßTER KOLLEKTIVVORSTELLUNGEN
3. MEDEA ALS PARADIGMA EINES TRAGISCH-WEIBLICHEN SUBJEKTS : INTERPRETATIONSMÖGLICHKEITEN DER MEDEA-FIGUR
3.1. „FURCHTERREGENDE BARBARIN“
3.2. MEDEA ALS AMBIVALENTES MÄNNERPHANTASMA: ZWISCHEN ZWEI WEIBLICHKEITSENTWÜRFEN OSZILLIEREND
3.3. TABUISIERUNG WEIBLICHER SEXUALITÄT ODER WARUM DIE ANEIGNUNG SEXUELLER WÜNSCHE MEDEA ALS EIN AGGRESSIVES MONSTER ERSCHEINEN LÄSST?
3.4. FEMME FORTE – MEDEA ALS VERKÖRPERUNG EINER UTOPISCHEN WEIBLICHKEIT
4. GRILLPARZERS MEDEA: PSYCHOLOGISIERUNG ODER TRIVIALISIERUNG DES MEDEA-MYTHOS?
4.1. „ZWANG DER MUTTERLIEBE“ ALS DOMINANTER TOPOS AB MITTE DES 18. JAHRHUNDERTS
4.2. „MODERNE EHETRAGÖDIE“ ODER ZUR PRODUKTION DES SEKUNDÄRMYTHOS ÜBER DIE VERZWEIFELTE EHEFRAU
5. SCHLUSSBEMERKUNGEN
6. BIBLIOGRAPHIE
1. EINLEITUNG
In der vorliegenden Arbeit zum Thema“ Der Medea-Mythos: Zwischen Dämonisierung und Psychologisierung„ beschäftige ich mich mit der widersprüchlichen und facettenreichen Figur der Medea, die ich nicht eindimensional, sondern in ihrer ganzen Mehrdeutigkeit interpretieren möchte. Ausgehend von der Auseinandersetzung mit der Mythenproduktion als einer wichtigen Sozialisationsinstanz der kulturellen Identität u.a. der Völker, nähere ich mich den symbolischen Weiblichkeitsentwürfen in der Figur Medeas, in der ambivalente Männerphantasien, unterschiedliche soziale Rollen und produktive und zerstörerische Komponenten verkörpert sind.
Entlang des Verständnisses der verschiedenen Facetten Medeas als tragisch-weibliche s n s Subjekt, s beschäftige ich mich des Weiteren sowohl mit ihren destruktiven und mörderischen weiblichen Anteilen als auch mit ihren weiblich schöpferischen Fähigkeiten. Dabei geht es mir darum, anhand der Medea-Figur eine anregende Perspektive zur Beziehung zwischen der offensiven weiblichen Sexualität, weiblicher Aggression und dem Streben nach Selbstbehauptung aufzuzeigen. Im Mittelpunkt dieser Problematik wird die als bedrohlich empfundene Verbindung zwischen der so genannten virulenten weiblichen Sexualität und der mütterlichen Rolle der Frau stehen. Diese ambigue Vorstellung von der Frau als `unzüchtiges Weib` und gleichzeitig `entsexualisierte Mutter`, die eine reine Verkörperung von Männerphantasien darstellt, wird in dieser Arbeit als die Grundlage für das Verständnis der Ambivalenz in der Medea-Figur verstanden.
Im abschließenden Teil der Arbeit wende ich mich der Medea-Version von Franz Grillparzer zu, der in der älteren Literaturforschung für seine „Psychologisierung des Medea-Mythos“[1] gepriesen wurde. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Psychologie im Medea-Mythos wird den Ausgangspunkt für die Behauptung bilden, dass die Grillparzersche Reinterpretation des Medea-Mythos als „ eine moderne Ehetragödie“ in der Tradition der veränderten Werte des ausgehenden 18. Jahrhunderts bezüglich der Rolle der Familie und der Frau und der extremen „Polarisierung der Geschlechtercharaktere“[2] steht und deswegen den ursprünglichen subversiven Kern und den provokativen Charakter der Medea-Figur schwächt.
Im Schlussteil werden die Analyseergebnisse noch einmal kurz zusammengefasst und eine kritische Bilanz gezogen.
2. MYTHEN ALS AUSDRUCK MÄNNLICHER DOMINANZ ODER ZUM PATRIARCHALISCHEN CHARAKTER DER UNBEWUßTEN KOLLEKTIVVORSTELLUNGEN
Bei der Auseinandersetzung mit dem Thema „Mythologie“ und „Mythos“ wird man zwangsläufig mit den zwei unterschiedlichen Zugriffsweisen konfrontiert, die den Begriff „Mythos“ einmal abstrakt und einmal konkret fassen.
Für Roland Barthes ist der Mythos „ein sekundäres, semiologisches System“, das eine zweidimensionale Wirksamkeit besitzt. Da ein Mythos laut Barthes „eine spezifische Weise des Bedeutens“[3] darstellt, könnte man fast sagen, dass ein Mythos demnach im Prinzip nichts A a nderes als eine mit suggestiver Bedeutung aufgeladene Botschaft ist. Die Bedeutung einer solchen Botschaft, die Roland Barthes zufolge nie eindeutig ausfällt und immer zusätzliche semantische Ebenen aufweist, ist immer von einer bestimmten mythischen Präsenz überflutet[4], so dass diese Botschaft häufig die Formen eines natürlichen Faktums annimmt. Demnach sind wir jederzeit von selbst produzierten und reproduzierten Mythen umkreist /umringt .
Der Religionswissenschaftler Klaus Heinrich (1982)[5] charakterisiert die Mythologie als eine Sammlung sagenhafter Geschichten, die das Leben der Götter und Helden sowie die ursprünglichen Geschehnisse erzählen. Dem Autor zufolge sind die mythischen Helden, Geschehensorte und Ereignisse mit den Ursprungsmächten verbunden. In diesem Sinne bildet die Genealogie als Bezugnahme auf die ursprünglichen Quellen die Hauptfunktion der Mythen. Demnach lassen sich Mythen als uralte Geschichten definieren, die an die gemeinschaftlichen Wurzeln zurückgehen und den Ursprüngen des Volkes eine Form und Gestalt geben. Der Mythos schlägt also eine Art Brücke zwischen der weit entfernten Vergangenheit, der Gegenwart und einer möglichen Zukunft. In der Mythologie als kultureller Schöpfung entsteht eine prekäre Spannung zwischen dem inneren Drang, sich von den kulturellen Ursprüngen und familiären Überlieferungen loszulösen, und der wiederkehrenden Sehnsucht, zu diesen Ursprüngen zurückzukehren, um die Einsamkeit und die möglicherweise fehlende soziale Anerkennung zu vermeiden /überwinden . In diesem Wechselspiel von Bruch und Kontinuität in den kulturellen Traditionen und der gesellschaftlichen Praxis wird eine wichtige Funktion des Mythos deutlich: Mythen fungieren quasi als Sozialisationsinstanz der kulturellen Identität der Völker. Als ursprüngliche kulturelle Schöpfungen verwirklichen sie einerseits die unbewussten kollektiven Phantasien und andererseits symbolisieren sie jene Verbote und Rituale, die einer Volksgemeinschaft zugrunde liegen.
Zusammenfassend lässt sich dazu sagen, dass die Mythen Erzählungen von kulturellen Werten, sozialen Strukturen und Verwandtschaftsbeziehungen darstellen, die aus den kollektiven Vorstellungen und in der kulturellen Identität gegründeten /begründeten? Symbolbildern herrühren. Die Mythen, die schon per se ideologisch aufgeladen sind, instrumentalisiert und immer den jeweiligen Interessen in den Dienst gestellt werden, entwickeln sich aus der ganzen Komplexität der gesellschaftlichen Machtverhältnisse und Herrschaftsstrukturen, die von uns in den Gegensätzen zwischen Natur und Kultur, durch scheinbar unüberwindbare Klassenantagonismen und durch Polarisierung der Geschlechter erfahren werden. Genau die Mythen sind es/ Es sind genau die Mythen, die Tendenzen und Möglichkeiten schaffen zur Subversion gegen ein verhärtetes mythologisches Denken bis hin zu dem schöpferischen Prozess der Selbstreflexion hin , bezüglich der andere r n Wege und der Neuerschaffung und Neuinterpretation von der Wirklichkeit, schaffen . Denn genau die Mythen schaffen eröffnen potenzielle symbolische Räume, aus denen sich die Polarisierung und die hierarchische Strukturierung der Geschlechter entwickel n t, die bis heute nicht aufgehört ha ben t, das Verhältnis von zwischen Frauen und Männern zu prägen.
Patriarchale Schem ata en und Machtverhältnisse, die in das gesellschaftliche Unterbewusstsein eingeschrieben sind und alle Bereiche gesellschaftlich-kulturellen Lebens strukturieren, finden wir in den symbolischen Kulturvorstellungen wieder. Diese symbolischen Kulturvorstellungen, die meist Ausdruck männlicher Dominanz sind und im Dienste kollektiver Männerwünsche stehen, werden in den unbewussten Mythen durchgesetzt. So bleiben Weiblichkeitsentwürfe in Literatur und Kunst fast ausschließlich mit Dunkelheit, Chaos und der Irrationalität verbunden, die in extremer Weise die Andersartigkeit in der abendländischen Kultur seit der Entstehung der modernen Welt charakterisiert haben.
Warum der Medea-Mythos bei den meisten (männlichen) Autoren eine für ihn typische Wendung nimmt - , nämlich die Kindstötung von der Mutterhand - , wird nun ein Stück verständlicher: Es sind nicht nur die dämonischen Züge der Frau, die sie als Inkarnation einer grenzlosen Bösartigkeit erscheinen lassen und die nach einer Domestizierung innerhalb patriarchalischer Institutionen verlangen. Das schreckliche Ende kehrt vorwegnehmend hervor /ein, wogegen sich die männliche Herrschaft unbedingt verwahren muss. Denn die Frau, die sich zur Gebieterin über Leben und Tod macht und die nicht innerhalb der Grenzen patriarchaler Macht bleiben will, trifft das Männerrecht an seinem wundesten Punkt: dem der Erbfolge, die seine Fortexistenz garantiert. Nicht der Kindesmord selbst er bildet den abschreckenden Kern des Medea-Mythos, sondern das präzise nachgezeichnete Profil einer Täterin, die sich den patriarchalen Traditionen entgegen stellt und sich der mörderischen Aggression bedienen muss, um die eigene Würde und das Selbstwertgefühl wiederzuerlangen. Der Medea-Mythos veranschaulicht die Machtausübung bei der Mythenproduktion[6]: D d urch die Medea-Gestalt werden die schöpferisch e weibliche Potenz und sexuelle Aktivität, Wunsch nach Autonomie und Selbstbehauptung zum personifizierten und symbolträchtigen Bild des Monströsen und Anti-Weiblichen.
Mythen erweisen sich stärker als Tabus: S s ie entwerfen die Bilder und Strukturen, in denen eine Kultur lebt. Sie verfestigen die kulturellen, geschlechtlichen und sonstigen Rollenspiele und Differenzen und erhalten diese aufrecht . Derjenige /Diejenige, der /die sich dieser Machtmanifestation in den Mythen und unserer Sprache bewusst ist, wird dann immer wieder bedenken müssen, welche Bilderwelt und welche geistige Wirklichkeit er /sie sich aneignet.
3. MEDEA ALS PARADIGMA EINES TRAGISCH-WEIBLICHEN SUBJEKTS : INTERPRETATIONSMÖGLICHKEITEN DER MEDEA-FIGUR
Den Hauptgegenstand dieses Kapitels bilden unterschiedliche Interpretationsebenen der Medea-Figur als Paradigma des tragisch-weiblichen Subjekts. Der Medea-Mythos kann in seiner ganzen Komplexität innerhalb des Weiblichkeitsdiskurses die verschiedensten Interpretationsmöglichkeiten von Medeas Persönlichkeit anbieten[7]. Ausgehend von der facettenreichen Gestaltung der Figur der Medea werden sowohl die Aspekte der Fremdheit als auch die selbstbehauptenden Komponenten und die zerstörerischen Anteile der weiblichen Aggression in der Figur der Medea diskutiert. Dabei wird die bedrohlich empfundene Verbindung zwischen der virulent en weiblichen Leidenschaft, der und Sexualität und der Mutterschaft als Verkörperung von Männerphantasien und die Grundlage für das Verständnis der Ambivalenz in der Medea-Figur angesehen betrachtet .
In der Figur der Medea sehen wir uns mit der Schwierigkeit konfrontiert, sie in eine bestimmte Form der Weiblichkeit einzugliedern. Denn die Figur Medeas stellt innerhalb des Weiblichkeitsdiskurses ein provozierendes literarisches Bild dar, das sich zwischen den weiblichen und männlichen Polen, zwischen der Opferrolle der Frau/Mutter und der Position des weiblichen Subjekts bewegt, das gegen die patriarchale Ordnung rebelliert und sich gegen die tradierte weibliche Rolle durchsetzen kann. Bei Medea treffen wir auf eine tragische Frauenfigur, in der widersprüchliche Gefühle, verschiedene soziale Rollen und konflikthafte Bilder zusammenfließen. Medea repräsentiert /vereint in sich sowohl das Göttliche als auch das i I rdisch e , Menschliche in sich verein t ; , sie oszilliert zwischen dem heroischen Bild einer Kämpferin um die Verwirklichung des eigenen Lebensentwurfs und dem Bild eines weiblichen, Kinder mordenden Dämons.
Auf der einen Seite erscheint uns Medea als eine heftig leidenschaftlich verliebte Frauen- und Muttergestalt, die über die Klugheit verfügt und den Selbstbestimmungswillen verfügt besitzt, auf der anderen Seite finden wir in Medea eine aggressive, destruktive Frau, die keine Grenzen kennt und die auf g G rund ihrer zerstörerischen Wut als als eine Allegorie der monströsen, beängstigenden Mutter mystifiziert wird.
Das widersprüchliche Bild der Medea, das in der Rezeptionsgeschichte des Dramas und in den Bearbeitungen vieler anderer Autoren /innen häufig auf eine entsetzliche, entmenschlichte Figur reduziert und von der Dämonisierung der Weiblichkeit geprägt wurde, kann trotz des offenkundigen „Verbrechens“ Medeas auch positiv interpretiert werden. Medea präsentiert sich schließlich als keine entsexualisierte Mutter oder unterwürfige Frau, sondern als eine verliebte und leidenschaftliche Frau, die um ihre die eigene Autonomie kämpft[8].
Oft wird die Medea-Figur auch in die idealisierte Opferrolle gedrängt, wo sie als Opfer der Liebe und passives Objekt eines unabwendbaren Schicksals dargestellt wird – eine Art verzweifelte Ehefrau, der keine andere Wahl übrig bleibt, als sich an dem Ehegatten durch die Tötung gemeinsamer Kinder zu rächen. Zwischen dem Bild der Mutter als skrupellose Mörderin und der Figur einer verzweifelten Ehefrau möchte ich eine alternative /weitreichendere Möglichkeit der Interpretation finden, die über die Ablehnung oder die Idealisierung der Figur Medeas hinausgeht.
Die ganze Palette Vielfalt der möglichen der Medea-Interpretationen kann nicht in diesem Kapitel wiedergegeben werden, deswegen stehen in dem Mittelpunkt des Kapitels nur ausgewählte Interpretationsansätze, die mir für die nachfolgende Auseinandersetzung mit der Grillparzerschen Rezeption des Medea-Stoffes relevant erscheinen.
3.1. „FURCHTERREGENDE BARBARIN“
Seitdem Euripides die Medea-Figur als eine Fremde aus einer wilden, archaischen Welt am schwarzen Meer stammend, schilderte, gehört der Topos des /der Fremden und des /der Anderen zu dem unwandelbaren mythischen Kern der Medea-Gestalt.[9] Oszillierend zwischen Gott und Mensch, verkörpert Medea eine Nichtgriechin, eine Fremde, eine Barbarin, die aus einem fernen Land kommt, um sich im Zentrum der griechischen Zivilisation niederzulassen und sich unter das korinthische Volk zu misch t en, das sie als eine Bedrohung wahrnimmt.
Medea personifiziert eine auffällige weibliche Figur, die mit den griechischen Weiblichkeitsidealen nichts G g emeinsam es hat, denen zufolge Frauen unbekannt, still und isoliert zu leben haben. Medea Sie stellt eine kluge, gelehrte Frauenfigur dar, deren Tätigkeiten nicht nur auf das Familienleben beschränkt sind bleiben . In der Figur Medeas verbinden sich auf den ersten Blick `unversöhnliche` Fähigkeiten und Eigenschaften, die sie zu einer unbequemen weiblichen Gestalt innerhalb der griechischen Kultur machen. Ihr argumentatives Denkvermögen und ihr Selbstbehauptungswille lassen eine verheiratete Mutter zweier Kinder als ein Faszinosum erscheinen: B b ei dem griechischen Volk löste Medea sowohl Anziehung als auch Schrecken und Verachtung aus. Ihr Oppositionsgeist und der Kampf um die Autonomie markierten quasi eine Überschreitung des Geschlechterunterschieds, d er ie für die griechischen Männer mit der gefürchteten Herrschaft der Frauen in Sparta und auf Kreta in der Verbindung stand.[10]
In der Position als Fremde steht /fungiert Medea vor allem als Symbol für die unbewussten tierischen Triebkräfte, die unkontrollierbaren, menschlichen Leidenschaften und schließlich die weibliche Natur, die für die Griechen /innen des 5. Jahrhunderts vor Christus mit dem Begriff des ` Barbarischen ` quasi gleichbedeutend waren. Barbarisch hieß gleich Nicht-Griechisch: A a lles, was dem männlichen, rationalen Geist fremd war oder fremd vorkam, war unter dem Begriff `barbarisch` zusammengefasst. Das heißt dann, dass das Barbarische vor allem mit der `wilden weiblichen` Natur und den tierischen Triebkräften assoziiert wurde. Was für die Griechen `barbarisch` war, war für die Männer um 1900 unter dem Begriff „Kulturkrise der Moderne“ zusammengefasst, in dem die Moderne in Gestalt einer weiblichen Jüdin als eine Bedrohung für die „Verweiblichung des Männlichen“ aufgefasst wurde.[11]
Medeas leidenschaftliche Liebe und aktiver Part in ihrer Beziehung zu Jason symbolisieren nicht nur eine weibliche Aggression, die innerhalb der traditionellen mit der Mutterschaft und Fähigkeit zur Fürsorge und Hingabe verbundenen Rolle der Frau in der Gesellschaft als fremd und schlechthin verpönt erscheint, sondern auch eine Art Unkontrolliertheit, die für die Weltanschauung der Griechen einen Traditions- und Geschlechterrollenbruch bedeutete.
Medeas Fähigkeit zu Selbstreflexion und ihr sprachliches Ausdrucksvermögen, das man in der Antike nur bei den Griechen vorzufinden glaubte, lassen sie als eine provokativ e weibliche Figur erscheinen, die sich nicht nur ihrer nachteiligen Stellung als ausländische Frau in Korinth bewusst war (1), sondern auch die patriarchalischen Verhältnisse beklagt (2):
[...]
[1] 1). Heinz Politzer: Franz Grillparzer oder das abgründige Biedermeier. Kapitel „Mythos und Psychologie“. Wien 1972;
2). Bachmeier, Helmut: Franz Grillparzer. Dramen 1817-1828, Frankfurt am Main 1986.
[2] Hausen, Karin: Die Polarisierung der Geschlechtercharaktere. 1977, S. 366-368
[3] Barthes, Roland: Mythen des Alltags. Nördlingen 1996, S. 85
[4] Göbel-Uotila, Marketta: Medea. Ikone des Fremden und des Anderen in der europäischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Hildesheim / Zürich 2005, S. 29-30
[5] Heinrich, Klaus: Die Funktion der Genealogie im Mythos. In: ders. Vernunft und Mythos. Stroemfeld, Frankfurt am Main 1982.
[6] Angelova, Penka: Die Geburt von Europa oder Noch etwas über das weibliche Sein im Mythos. 2002, S. 8
[7] Herr, Corinna: Medeas Zorn. Eine `starke Frau` in Opern des 17. und 18. Jahrhunderts.2000, S. 10
[8] Hidalgo-Xirinachs, Roxana: Die Medea des Euripides. Zur Psychoanalyse der weiblichen Aggression und Autonomie. 2002, S. 39
[9] Göbel-Uotila, Marketta: Medea. Ikone des Fremden und des Anderen in der europäischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Hildesheim / Zürich 2005, S. 15
[10] „Aristoteles brachte die Frauenherrschaft in Sparta und auf Kreta mit einer Tendenz zur moralischen Dekadenz und zur Zerstörung der sozialen und politischen Einrichtungen der polis in Verbindung.“ In: Hidalgo-Xirinachs, Roxana: Die Medea des Euripides. Zur Psychoanalyse der weiblichen Aggression und Autonomie. 2002, S. 55
[11] Bublitz, Hannelore: Das Geschlecht der Moderne. Zur Genealogie und Archäologie der Geschlechterdifferenz. In: Das Geschlecht der Moderne. Frankfurt am Main 1998, S. 43
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