Eine der größten Schwierigkeiten, die sich bei der Deutung zu Franz Kafkas Erzählung Die Verwandlung immer wieder für die Interpreten ergab, war die Frage nach dem Grund für die Verwandlung des Protagonisten Gregor Samsa in ein „ungeheures Ungeziefer“. Wenn man diese aber erst mal als fiktionales Element akzeptiert, dann erübrigt sich auch der Zwang, sie innerhalb der Erzählung logisch zu erklären. Die Geschichte kann man dann auch als gedankliches Experiment verstehen, das auf die Frage Antwort zu geben versucht, wie eine typisch kleinbürgerliche Familie reagieren würde, wenn sich eines ihrer Mitglieder in ein Ungeziefer verwandelte.
Trotz ihres fiktionalen Charakters verweist die Erzählung auf reale Mechanismen der Gewalt, der Entfremdung und der Verdrängung, nach denen die kapitalistisch-kleinbürgerliche Gesellschaft in der Realität funktioniert. So lassen sich an den Figuren der Erzählung bestimmte typische Verhaltensmuster beobachten, die zur Ausgrenzung Gregors, sowie zum Erhalt der kleinbürgerlichen Ordnung führen.
Der Vater repräsentiert hier die konservative Kraft des Patriarchen, dessen Macht innerhalb der Familie die Grundlage, auf der sie einst aufgebaut wurde, schon verloren hat. Die Mutter dagegen ist diejenige, die sich fügt. Ihrer Schwäche entspricht eine zwischenmenschliche Sensibilität, die sie aber nicht durchzusetzen vermag. Bei ihr wirken die Verdrängungsmechanismen am stärksten. In Grete sehen wir eine sich heranbildende Macht. Ausgehend von ihrer ehemaligen Außenseiterposition erarbeitet sie sich ihre Autorität, ohne die kleinbürgerliche Ordnung, in deren Schutz sie gedeiht, zu verlassen. Gregor ist das Gegenbild dazu und zeichnet sich in erster Linie durch seine Passivität aus. Er glaubt, durch das Zurechtdefinieren dessen, was sein sollte, auf die Realität Einfluss üben zu können. Zu den Familienmitgliedern kommen noch Nebenfiguren, die bestimmte Eigenschaften der Samsas zutage bringen oder diese karikieren. So bilden die drei Zimmerherren ein Gegenbild zu Gregor und zeigen gleichzeitig die Welt, aus der er kommt. Zudem zeigt sich die unterwürfige Seite der Familie im Verhalten ihnen gegenüber. Ähnlich fördert der Prokurist das nach außen hin um Maskierung bemühte Auftreten des Vaters sowie Gregors bisherige Abhängigkeit vom Beruf zutage. Zu guter Letzt ist die Bedienerin, welche die Realität unverblümt darstellt, ein Spiegel, welcher der Familie vorgehalten wird.
Inhaltsverzeichnis
- Teil I
- Allgemeine Daten zur Entstehung
- Zur Publikation
- Zur Form und zur Tradition des Verwandlungsmotivs
- Teil II
- Charakterisierung und Beziehungen zwischen den einzelnen Figuren
- Gregor
- Gregors Beziehung zu sich selbst: Der Fremde im eigenen Körper als passiver Beobachter
- Gregors Beziehung zu seinem Beruf
- Die Flucht vor der Realität ins Sprachliche
- Gregors Verhältnis zu seiner Familie
- Gregors Kleinbürgertum
- Gregors Kontaktscheue und Sexualität
- Individualität
- Der Tod Gregors
- Der Vater
- Die Mutter
- Beide Eltern
- Grete
- Der Prokurist
- Die drei Zimmerherren
- Die knochige Bedienerin
- Die Rolle der Sprache und die Rolle der Musik
- Exkurs: Ein Vergleich mit Grillparzers Erzählung Der arme Spielmann
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit analysiert Franz Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“ im Hinblick auf die Beziehungen zwischen den Figuren und ihre Rolle als Spiegelbild der kleinbürgerlichen Gesellschaft. Ziel ist es, die Interaktionen und Konflikte zwischen Gregor Samsa und seinen Familienmitgliedern im Kontext der sozialen Normen und Machtstrukturen zu untersuchen.
- Die Ausgrenzung und Isolation des Andersartigen
- Die Rolle der Familie und die Bedeutung von sozialen Normen
- Die Ambivalenz von Sprache und Kommunikation
- Der Konflikt zwischen Individualität und gesellschaftlicher Anpassung
- Die Funktionsweise von Macht und Autorität in der kleinbürgerlichen Familie
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel beleuchtet die Entstehung und Publikationsgeschichte der Erzählung sowie die Rezeption in der zeitgenössischen Kritik. Es geht auf die Bedeutung des Verwandlungsmotivs in der Literaturgeschichte ein.
Das zweite Kapitel konzentriert sich auf die Charakterisierung und Beziehung der Figuren zueinander. Es beleuchtet Gregors Transformation, seine Beziehung zu seiner Familie und seine Rolle als Außenseiter in der kleinbürgerlichen Gesellschaft.
Schlüsselwörter
Die zentralen Themen der Arbeit sind die Verwandlung, die kleinbürgerliche Gesellschaft, die Familie, die Ausgrenzung, der Andersartige, die Sprache, die Kommunikation, Individualität, Macht und Autorität.
- Quote paper
- Diego De Filippi (Author), 2005, Die Figuren in Franz Kafkas Erzählung 'Die Verwandlung' und ihre Beziehungen untereinander als Spiegelbild der kleinbürgerlichen Gesellschaft, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/44897