Die Branche der Wirtschaftsprüfer muss sich gegenwärtig diversen Herausforderungen stellen. Hierzu zählen nicht nur die voranschreitende Digitalisierung und die Globalisierung. Auch durch Bilanzskandale sowie Finanz- und Wirtschaftskrisen stand sie in der Kritik der Öffentlichkeit.
Aufgrund von Wachstum und steigender Komplexität ist eine Vollprüfung aller rechnungslegungsrelevanten Informationen jedoch kaum mehr umzusetzen. Immer häufiger greifen Abschlussprüfer deshalb zur risikoorientierten Jahresabschlussprüfung.
In seiner Publikation erklärt Ali Ercan, wie genau eine risikoorientierte Jahresabschlussprüfung funktioniert und worauf Prüfer achten sollten. Die Kernelemente des risikoorientierten Prüfungsansatzes sind die Prüfungsplanung, Prüfungsstrategie, das Prüfungsprogramm sowie die Prüfungsdurchführung. Ercan beschreibt die einzelnen Schritte detailliert und praxisnah.
Aus dem Inhalt:
- Principal-Agency-Problem;
- Prüfungsrisiko;
- Fehlerwesentlichkeit;
- Prüfungshandlungen;
- Bilanz;
- IKS-Prüfung
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einführung
1.1 Problemstellung
1.2 Aufbau der Arbeit
2 Grundlagen der Jahresabschlussprüfung
2.1 Zielsetzung und Nutzen der Jahresabschlussprüfung
2.2 Prüfungssubjekt
2.3 Prüfungsobjekt
3 Konzept des risikoorientierten Prüfungsprozesses
3.1 Zielgrößen im Prüfungsprozess
3.2 Prüfungsrisiko und seine Bestandteile
3.3 Prüfungsrisikomodell
3.4 Wasserhahn-Sieb-Analogie
3.5 Fehlerwesentlichkeit und Wesentlichkeitsebenen
4 Vier-Phasen der risikoorientierten Jahresabschlussprüfung
4.1 Auswahl, Bestellung und Abberufung des Abschlussprüfers
4.2 Prüfungsplanung, Prüfungsstrategie und Prüfungsprogramm
4.3 Analyse der unternehmerischen Kontrollen
4.4 Aussagebezogene Prüfungshandlungen
5 Zusammenfassende Schlussbetrachtung
Anmerkungen
Literatur- und Quellenverzeichnis
Anhang
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieer Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Zusammenspiel der Komponenten des Prüfungsrisikos
Abbildung 2: Wesentlichkeitskonzept des IDW PS 250 n.F.
Abbildung 3: Zusammenhang zwischen Gesamtwesentlichkeit und Toleranzwesentlichkeit
1 Einführung
1.1 Problemstellung
Die Wirtschaftsprüfungs-Branche muss sich gegenwärtig diversen Herausforderungen stellen. Hierzu zählen derzeit nicht nur die voranschreitende Digitalisierung und die Globalisierung. Auch durch Bilanzskandale, Finanz- und Wirtschaftskrisen stand die Wirtschaftsprüfung in der Kritik der Öffentlichkeit. Dementsprechend waren umfassende Eingriffe und Regulierungen in die Wirtschaftsprüfung die Folge.1 Schließlich dient der Jahresabschluss für die Stakeholder2 als aussagekräftiges Informationsinstrument für alle Vorgänge und die wirtschaftlichen Ergebnisse des Unternehmens. Diese Informationen dienen nicht nur analytischen Zwecken, sondern bilden auch die Grundlage für das Verhalten der Jahresabschlussadressaten.3 Da der Jahresabschluss jedoch von der Unternehmensleitung erstellt wird, besteht die Möglichkeit einer inkorrekten bzw. einer verzerrten Informationsdarstellung.4 Diese Informationsasymmetrie stellt das Risiko der Jahresabschlussadressaten dar, dass Fehlinformationen im Hinblick auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage im Jahresabschluss enthalten sind und somit die Grundlage für wirtschaftliche Entscheidungen erlischt. Dieser Interessenskonflikt zwischen den Jahresabschlusserstellern und den Jahresabschlussadressaten wird in der Fachsprache ‚Principal-Agency-Problem’ genannt. Um dieses Problem zu lösen, ist in vielen Ländern wie in Deutschland – insbesondere für Kapitalgesellschaften – eine verpflichtende Prüfung des Jahresabschlusses durch einen externen Prüfer (Abschlussprüfer) vorgesehen. Der Prüfer hat die Aufgabe, ein Urteil über die Einhaltung der gesetzlichen Rechnungslegungsvorschriften abzugeben. Hierbei fungiert der Prüfer als Kontrollinstanz. Er soll die Qualität sowie das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Normkonformität der im Jahresabschluss enthaltenen Informationen stärken. Der Prüfer muss bei gewissenhafter Berufsausübung wesentliche Unrichtigkeiten (Risiken) sowie Verstöße erkennen.5 Daher liegen Art und Umfang der Prüfungshandlungen im Ermessen des Abschlussprüfers, jedoch wird dieses Ermessen durch Gesetze sowie berufsständische Verlautbarungen6 beschränkt. Da sich die Unternehmen im Laufe der Zeit immer mehr wandeln, größere Informationsmengen zu verarbeiten sind und diese immer komplexer werden, ist eine Vollprüfung aller rechnungslegungsrelevanten Informationen praktisch nicht umzusetzen. Neben Zeit- und Kostenaspekten würde dies auch dem Wirtschaftlichkeitsgrundsatz der Jahresabschlussprüfung widersprechen.7
Um trotzdem den Grundsätzen der Prüfungssicherheit, Prüfungsgenauigkeit und Wirtschaftlichkeit gerecht zu werden, wurde der risikoorientierte Prüfungsansatz entwickelt. Dieser ermöglicht dem Prüfer, seinen Fokus auf die Prüfungsschwerpunkte zu legen, die das höchste Risiko einer Fehleinschätzung in sich bergen. Somit besteht das Kernelement des risikoorientierten Prüfungsansatzes in der Prüfungsplanung, Prüfungsstrategie, Prüfungsprogramm sowie der Prüfungsdurchführung.
1.2 Aufbau der Arbeit
Die vorliegende Thesis verfolgt das Ziel, den gesamten Prozess des risikoorientierten Prüfungsansatzes in der Jahresabschlussprüfung darzustellen und die einzelnen Schritte aufzuzeigen.
Im zweiten Kapitel werden im Anschluss an die Einführung grundlegende Aspekte der Jahresabschlussprüfung im Hinblick auf deren Ziele und Nutzen dargelegt. Des Weiteren werden das Prüfungssubjekt sowie das Prüfungsobjekt genauer erläutert.
Den Kern der Arbeit bilden die Kapitel drei und vier. Im dritten Kapitel wird die Funktionsweise eines risikoorientierten Prüfungsprozesses nähergebracht. Es werden u. a. die Zielgrößen im Prüfungsprozess, das ‚Joint-Risiko-Modell’ sowie das Prüfungsrisiko und seine Bestandteile behandelt. Neben den Prüfungsrisiken wird auf die Fehlerwesentlichkeit und dessen Ebenen eingegangen. Des Weiteren wird der risikoorientierte Prüfungsansatz anhand der illustrierten ‚Wasserhahn-Sieb-Analogie’ nochmals zusammenfassend erklärt.
Daraufhin wird im vierten Kapitel der gesamte Prozess der Jahresabschlussprüfung – unterteilt in die jeweiligen Phasen – herausgearbeitet. Begonnen wird mit der Phase der Prüfer-Findung. Diese Phase wird in Auswahl, Bestellung sowie die Abberufung des Prüfers untergliedert. Im Anschluss daran wird die Prüfungsplanung näher betrachtet, die die Grundlage für die Prüfungsstrategie und das Prüfungsprogramm bildet. Hierzu werden im ersten Schritt die Geschäftstätigkeit sowie das Umfeld des zu prüfenden Unternehmens analysiert. In der nächsten Phase wird die Analyse der unternehmerischen Kontrollen in Form einer ‚IKS-Prüfung’ näher beleuchtet, die mit den vorherigen gesammelten Erkenntnissen das Fundament für die letzte Phase bildet. In der letzten Phase werden weitere aussagebezogene Prüfungshandlungen dargestellt, die sich in analytische Prüfungshandlungen und Einzelfallprüfungen aufteilen. Sie gewähren dem Prüfer eine hohe Risikosicherheit und ermöglichen somit die Abgabe eines Prüfungsurteils mit hinreichender Sicherheit. Die im Anschluss an die Prüfung folgende Phase der Berichterstattung ist aufgrund ihrer untergeordneten Relevanz für den risikoorientierten Prüfungsansatz nicht Bestandteil dieser Arbeit.
Das fünfte Kapitel bildet eine Schlussbetrachtung, die die wesentlichen Ergebnisse des risikoorientierten Prüfungsansatzes in der Jahresabschlussprüfung zusammenfasst.
2 Grundlagen der Jahresabschlussprüfung
2.1 Zielsetzung und Nutzen der Jahresabschlussprüfung
Zunächst werden die essenziellen Grundlagen der Jahresabschlussprüfung genauer erläutert.
Die Jahresabschlussprüfung dient grundsätzlich dem Schutz aller Personen, die in geschäftlicher Beziehung mit einem Unternehmen stehen, wie z. B. Gesellschafter, Unternehmen, Aktionäre oder Lieferanten. Sie ist auch als Berichterstattung für Personen zu sehen, die erst eine geschäftliche Beziehung aufbauen möchten, Kredite jeglicher Form gewähren oder die Gesellschaft übernehmen möchten.8 Somit umfasst die Prüfung im Kern fünf Funktionen. Die erste Funktion ist die Kontrollfunktion. Diese lässt sich aus § 317 Abs. 1 S.2 HGB ableiten. Dort heißt es, dass sich die Prüfung des Jahresabschlusses darauf zu erstrecken hat, "ob die gesetzlichen Vorschriften und sie ergänzende Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags oder der Satzung beachtet worden sind." 9 Bestärkt wird diese Aussage durch den IDW PS 200, Tz. 8. Dieser Standard besagt sinngemäß, dass die Jahresabschlussprüfung die Verlässlichkeit der im Jahresabschluss und im Lagebericht verankerten Informationen bestätigt und somit die Glaubhaftigkeit steigert.10 Somit lässt sich die Prüfung auch als Gesetzes- und Ordnungsmäßigkeitsprüfung bezeichnen.11
Neben der Kontrollfunktion kommt der Jahresabschlussprüfung die Informationsfunktion gegenüber den gesetzlichen Vertretern, den Aufsichtsorganen sowie den Anteilseignern zu.12, 13 Dieser Aufgabe kommt sie primär mit dem Prüfungsbericht gem. § 321 HGB nach.14 Der Bericht hat den Grundsätzen der Unparteilichkeit, der Vollständigkeit, der Wahrheit und der Klarheit zu entsprechen und ist gesetzlich mindestens in einen "Vorweg"-Teil, einen Hauptteil und einen besonderen Teil zu untergliedern.15 Gemäß § 321 Abs. 1 S. 1. HGB ist der Prüfer dazu verpflichtet, über Art und Umfang sowie über das Ergebnis der Prüfung "schriftlich und mit der gebotenen Klarheit" zu berichten.16
Im "Vorweg"-Abschnitt hat der Abschlussprüfer eine Stellungnahme durch die gesetzlichen Vertreter im Hinblick auf deren Beurteilung des Fortbestands und der zukünftigen Entwicklung der Gesellschaft unter Berücksichtigung des Lageberichts aufzunehmen.17
Der Hauptteil des Berichts setzt sich damit auseinander, ob die Buchführung und die einzelnen Bestandteile des Jahresabschlusses, wie beispielsweise Jahresabschluss, Konzernabschluss bzw. Lagebericht oder Konzernlagebericht, den gesetzlichen Vorschriften und den ergänzenden Regelungen des Gesellschaftsvertrags oder der Satzung entsprechen.18 Außerdem ist festzustellen, ob der gesamte Abschluss unter der Beachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung und weiterer Rechnungslegungsgrundsätze ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft übermittelt.19 Eine kongruente Darstellung ist auch für die Aktionäre einer Aktiengesellschaft von Bedeutung, da es eine glaubwürdige Arbeit des Vorstands suggeriert.20
Des Weiteren hat die Jahresabschlussprüfung eine Beglaubigungsfunktion gegenüber externen Adressaten des Jahresabschlusses (JA).21 Diese Funktion ist in Form eines Bestätigungsvermerks (§ 322 Abs. 1 S. 1) manifestiert, der neben Gegenstand, Art und Umfang der Prüfung auch eine Zusammenstellung des Prüfungsergebnisses enthält.22 Außerdem werden die dabei angewandten Rechnungslegungs- sowie Prüfungsgrundsätze angeführt.23 Für die Öffentlichkeit leitet sich daraus laut OLG Düsseldorf das Vertrauen des Rechtsverkehrs ab.24 Das Prüfungsergebnis muss zweifelsfrei beschreiben, um welche Form des Vermerks gem. § 322 Abs. 2 S. 1 HGB es sich handelt:25
-ein uneingeschränkter Bestätigungsvermerk
-ein eingeschränkter Bestätigungsvermerk
-Versagung des Bestätigungsvermerks aufgrund von Einwendungen
-Versagung des Bestätigungsvermerks mangels eines Prüfungsurteils durch den Abschlussprüfer
Es ist jedoch zu unterstreichen, dass durch die Erteilung eines uneingeschränkten Bestätigungsvermerks nicht von gesunden wirtschaftlichen Verhältnissen auszugehen ist. Der Vermerk bescheinigt lediglich die Übereinstimmung der handelsrechtlichen Rechnungslegung mit den dafür geltenden Normen.26 Im Fachjargon wird diese Diskrepanz zwischen normenkonformer Prüfungsrealität und der Erwartungshaltung der Öffentlichkeit Erwartungslücke oder ‚expectation gap’ genannt.27
Um dieser Lücke entgegenzuwirken, werden, wie erwähnt, im Bestätigungsvermerk ausführlich Gegenstand, Art und Umfang der Prüfung erläutert. Da es in diversen Fällen zu einer Berichtigung der aufgedeckten Fehler im Jahresabschluss – wie beispielsweise einer falschen Bewertungsvorschrift für Vorräte – kommen kann, erfüllt die Prüfung auch eine Korrekturfunktion. Zuletzt wird durch die Möglichkeit der Aufdeckung von möglichen Verstößen durch den Abschlussprüfer eine Präventivfunktion bzw. ein Anreizsystem für den Abschlussersteller generiert, da der Abschlussersteller schon vor der Prüfung dazu veranlasst wird, normenkonform zu agieren.28
2.2 Prüfungssubjekt
Der Begriff Prüfungssubjekt befasst sich mit der Frage ‚Wer’ geprüft wird. Im dritten Unterabschnitt des zweiten Abschnitts des dritten Buches des Handelsgesetzbuches hat der Gesetzgeber die Pflicht, den Gegenstand und den Umfang der Jahresabschlussprüfung verankert. Laut § 316 Abs. 1 HGB sind "der Jahresabschluss29 und der Lagebericht30 von Kapitalgesellschaften, die nicht kleine im Sinne des § 267 Abs. 1 sind31, durch einen Abschlussprüfer32 zu prüfen." 33 Diese gesetzlich vorgeschriebene Prüfung gilt sowohl für die bekannten Kapitalgesellschaften wie AG, KGaA, GmbH oder GmbH & Co. KG analog auch für haftungsbeschränkte Personenhandelsgesellschaften i. S. d. § 264a HGB.34
Vereinfacht ausgedrückt handelt es sich hierbei um alle OHG und KG, die nicht kleine Gesellschaften i. S. v. § 267 Abs. 1 HGB sind und bei denen nicht wenigstens ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person bzw. eine Personengesellschaft mit einer natürlichen Person als persönlich haftender Gesellschafter ist. Sofern ein Konzernabschluss, bestehend aus Konzernbilanz, Konzern-GuV, Konzernanhang, Kapitalflussrechnung sowie Eigenkapitalspiegel gem. § 297 HGB, vorliegt, ist dieser ebenfalls durch einen AP zu prüfen. Im Allgemeinen erfüllt diese Abgrenzung der Prüfungspflicht eine Schutzfunktion, die dem Interesse der Öffentlichkeit dient.35
Neben der großen wirtschaftlichen Außenwirkung zeichnen diese prüfungspflichtigen Unternehmen besondere Merkmale wie die beschränkte Haftungsgrundlage der Gläubiger oder das ‚Trennungsprinzip’ zwischen den Eigentümern des Unternehmens und dessen Geschäftsführern aus. Somit sind die Geschäftsführer den Gesellschaftern Rechenschaft schuldig. Genauso steht den Kapitalgebern ein besonderes Privileg der Information sowie Überwachung zu.37
Für besondere Wirtschaftszweige, wie beispielsweise dem Bankenwesen, dem Versicherungswesen oder dem Energieversorgungswesen gibt es Sondervorschriften, die zu beachten sind. Somit entfällt die Größenabhängigkeit für die Prüfungspflicht bei Kreditinstituten sowie Versicherungen komplett. Sie sind unabhängig von der Größe nach § 267 HGB und § 340k HGB bzw. § 341k HGB prüfungspflichtig. Ähnlich verhält es sich bei Energieversorgungsunternehmen gem. § 6b Abs. 1 EnWG. Dort gilt die gesetzliche Prüfungspflicht rechtsformunabhängig, aber nur, wenn eine Gesellschaft vorliegt, die nicht klein nach § 267 HGB ist.38 Neben diesen gesetzlich vorgeschriebenen Prüfungen (Pflichtprüfungen) gibt es auch freiwillige Prüfungen, wie sie zur Bonitätsprüfung vor einer Kreditvergabe vorkommen oder sobald Unternehmenstransaktionen infrage kommen.39
Hat keine Prüfung stattgefunden, so kann der Jahresabschluss nicht festgestellt werden, heißt es laut § 316 Abs. 1 S. 2 HGB.40 Ein geprüfter JA liegt vor, sobald vom AP der Vermerk über die Prüfung erteilt und der Prüfungsbericht erstellt wurde. Unabhängig von der Art des Vermerks ist die rechtswirksame Feststellung des Jahresabschlusses grundsätzlich gegeben.41 Sollte ein JA ohne Prüfung festgestellt werden, ist dieser prüfungspflichtige Jahresabschluss nichtig und somit ohne jegliche Rechtskraft gemäß § 256 Abs. 1 Nr. 2 AktG. Dem Zweck der Erfüllung der Offenlegungspflicht gem. § 325 Abs. 1 Nr. 1 HGB wird der Jahresabschluss somit nicht gerecht.42 Als Offenlegung wird die öffentlich zugängliche Bekanntmachung von Unternehmensinformationen bezeichnet. Sollten nach erfolgreichem Abschluss der Prüfung i. V. m. mit der Vorlage des Prüfungsberichts Änderungen im Jahresabschluss vorgenommen werden, die eine erneute Überprüfung der Unterlagen erfordern, ist eine weitere Prüfung notwendig. Dies wird als Nachtragsprüfung bezeichnet. Sollte sie nicht erfolgen, ist der JA nach § 256 Abs. 1 Nr. 2 AktG nichtig.43, 44
2.3 Prüfungsobjekt
Nachdem geklärt ist, wer unter die Prüfungspflicht fällt, wird beleuchtet, welche Prüfungsgegenstände relevant sind.
Gemäß § 317 Abs. 1 S. 1 HGB sind in die Prüfung des Jahresabschlusses mit Lagebericht auch die Buchführung (§§ 238–241 HGB) und das Inventar gem. § 240 HGB miteinzubeziehen.45 Zu den Pflichtbestandteilen des Jahresabschlusses gehören die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung (GuV (§ 242 HGB) sowie der Anhang (§ 264 Abs. HGB) zusätzlich zu den Bestimmungen etwaiger Gesellschaftsverträge oder Satzungen. Liegt ein Konzern vor, so ist der Konzernabschluss mit allen einbezogenen Jahresabschlüssen sowie Konzernlageberichten zu prüfen.46 Der Umfang erweitert sich bei kapitalmarktorientierten Kapitalgesellschaften, die nicht der Verpflichtung eines Konzernabschlusses unterliegen, um eine Kapitalflussrechnung und einen Eigenkapitalspiegel.47 Eine weitere Besonderheit liegt bei börsennotierten AGs vor. In deren Prüfung erweitert sich der Umfang lt. § 317 Abs. 4 HGB um die Prüfung des Risikofrüherkennungssystems nach § 91 Abs. 2 AktG.48
Der gesetzlich festgelegte Umfang der Prüfung kann weder durch den Abschlussprüfer noch durch die zu prüfende Gesellschaft eingeschränkt werden. Wohingegen eine Auftragserweiterung nach Bestätigung grundsätzlich möglich ist.49
Hierbei handelt es sich um eine Prüfung der Rechnungslegung. Es wird überprüft, ob der JA und der KA den gesetzlichen Vorschriften50 entsprechen, und nicht, ob das Unternehmen wirtschaftlich gut aufgestellt ist, die Geschäftsführung ihre Aufgaben ordnungsgemäß erfüllt oder Versicherungsschutz für das Unternehmen besteht. Unabdingbar ist auch die Beachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung gem. §§ 238, 243 Abs. 1 HGB.51 Die Prüfung verfolgt somit das Ziel, Unrichtigkeiten und Missachtungen der Gesetzesnormen, die sich wesentlich auf die Darstellung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage gem. § 264 Abs.2 HGB auswirken, zu erkennen.52
Unter der Prüfung der Buchführung wird nicht nur die Funktionsweise der Finanzbuchführung verstanden, sondern auch jene der Nebenbuchhaltungen wie der Anlagenbuchhaltung, Lohn- und Gehaltsbuchhaltung oder Lagerbuchhaltung. Die Betriebsbuchhaltung in Bezug auf die Kosten- und Leistungsrechnung ist grundsätzlich nicht mit einzubeziehen, es sei denn, sie dient als Bemessungsgrundlage für den Ansatz und die Bewertung einzelner Bilanzposten.53
Auch bei der Prüfung des Lageberichts (§ 289 HGB) bzw. des Konzernlageberichts (§ 315 HGB) ist einiges zu beachten. Im Allgemeinen hat jede Gesellschaft, die unter die Prüfungspflicht fällt, einen LB bzw. KLB aufzustellen, sofern sie keine kleine Kapitalgesellschaft ist.54 Für die Prüfung ist die gleiche Sorgfalt wie bei der JAP erforderlich.55
Laut § 317 Abs. 2 S. 1 HGB ist das Einklang-Gebot gefordert. Das bedeutet, dass der Lagebericht bzw. Konzernlagebericht zunächst im Einklang mit dem Jahresabschluss (JA) bzw. Konzernabschluss (KA) stehen muss. Des Weiteren ist mithilfe der während der Prüfung bereits gewonnen Erkenntnissen zu prüfen, ob der Lagebericht (LB) bzw. Konzernlagebericht (KLB) insgesamt eine zutreffende Darstellung des Unternehmens widerspiegelt.56 Außerdem ist wie bei der Jahresabschlussprüfung zu eruieren, ob die gesetzlichen sowie satzungsmäßigen Normen bei der Aufstellung des LB bzw. KLB eingehalten wurden.57
Aufgrund der Einführung des BilReG ist nicht mehr nur darauf zu achten, ob der Bericht keine falschen Vorstellungen des Unternehmens generiert, sondern auch, ob er eine zutreffende Vorstellung vermittelt. Infolgedessen müssen die Chancen sowie Risiken der zukünftigen Entwicklung der Gesellschaft zutreffend dargestellt werden.58
Die Bilanz wird auf Ausweis, Nachweis und Bewertung geprüft. Zunächst ist zu ermitteln, ob eine bestimmte Bilanzposition aufgrund von Normen des HGB bilanzierungsfähig ist. Weiter wird auf den sachgemäß richtigen Ausweis in der Bilanz geachtet. Bei der Nachweisprüfung ist zu untersuchen, ob die ausgewiesenen Vermögensgegenstände auch physisch vorhanden und in den Büchern aufgenommen sind. Abschließend befasst sich die Bewertungsüberprüfung mit den wertmäßig korrekt aufgenommenen Beständen sowie den Zu- und Abgängen und den Wertminderungen und Wertzuschreibungen.59
Die GuV, die sämtliche Erträge sowie Aufwendungen abbildet, unterliegt lediglich einer Ausweisprüfung und einer Bestands- bzw. Abgrenzungsprüfung. Die Bewertung entfällt, da diese bereits bei der obigen Prüfung der Bilanz geprüft wird.60
Bei börsennotierten Aktiengesellschaften ist der Prüfungsauftrag um die Prüfung des Risikofrüherkennungssystems i. S. d. § 91 Abs. 2 AktG nach § 317 Abs. 4 HGB zu erweitern. Hierbei untersucht der AP, ob der Vorstand die ihm obliegenden Maßnahmen in einer geeigneten Form getroffen hat und somit das eingerichtete Überwachungssystem seinen Zweck erfüllt, frühzeitige Risiken, die dem Unternehmen schaden könnten, zu erkennen.61
Die Prüfung des Anhangs bemisst sich nach der Erfüllung der handelsrechtlichen Angabepflichten.62
3 Konzept des risikoorientierten Prüfungsprozesses
3.1 Zielgrößen im Prüfungsprozess
Sinn und Zweck der risikoorientierten Jahressabschlussprüfung ist es, dem Abschlussprüfer zu ermöglichen, ein hinreichend sicheres Urteil darüber abzugeben, ob der Jahresabschluss in Einklang mit den relevanten Rechnungslegungsnormen steht.63 Daraus resultieren im Prüfungsprozess zwei Zielgrößen. Die erste Zielgröße ist die Wirksamkeit (Effektivität). Es soll sichergestellt werden, ein Urteil mit hinreichender Sicherheit zu erlangen. Die zweite Zielgröße ist die Wirtschaftlichkeit (Effizienz) der durchzuführenden Prüfung.64 Demnach ist für die Abschlussprüfung der wirtschaftlichste Prüfungsprozess auszuwählen und durchzuführen. Dieser ist dann erreicht, sobald die Differenz zwischen Urteilsbildungsbeitrag (Ergebnis) und Prüfungskosten (Mitteleinsatz) im Vergleich zu anderen Prozessen ein Maximum erreicht. Somit ergibt sich für die Zielfunktion, dass die Abgabe eines hinreichend sicheren Prüfungsurteils bei minimalen Prüfungskosten zu erreichen ist. Aus den Prüfungsnormen leitet sich die zu fordernde Mindesturteilsqualität ab.65, 66
3.2 Prüfungsrisiko und seine Bestandteile
Die Grundlage für die Entwicklung einer risikoorientierten Prüfungsstrategie und daraus resultierender Prüfungshandlungen bildet eine ordentliche Auseinandersetzung mit dem Prüfungsrisiko durch den Abschlussprüfer.67 Neben Fehlern, wie dem Übersehen von wesentlichen Betrugsfällen oder dem Erteilen falscher Ratschläge, wäre das schlimmste Vergehen eines Abschlussprüfers (AP) das Erteilen eines unbeschränkten Bestätigungsvermerks für einen Jahresabschluss oder Lagebericht, der in wesentlichen68 Belangen falsch ist.69 Die Folge wäre ein unzutreffender Bestätigungsvermerk. Dennoch wird in der Prüfungspraxis ein Prüfungsrisiko in Höhe von ca. 5 % als angemessen akzeptiert.70
Das Prüfungsrisiko besteht aus dem Risiko für wesentliche inkorrekte Angaben in der Rechnungslegung (Fehlerrisiko) und dem Entdeckungsrisiko. Die Fehlerrisiken kann der AP zwar einschätzen, jedoch ohne jegliche Einflussmöglichkeit, diese Fehler einzudämmen.71 Selbstverständlich besteht zwischen den einzelnen Komponenten ein enger Zusammenhang, der sich auf das Prüfungsrisiko auswirkt.72
3.2.1 Fehlerrisiko
Das Fehlerrisiko lässt sich als Funktion aus inhärentem Risiko73 und Kontrollrisiko darstellen.74 Hierbei handelt es sich um Risiken, die nicht mit hinreichender Sicherheit durch das unternehmensspezifische interne Kontrollsystem (IKS)75 und deren spezielle Kontrollen aufgedeckt und gestoppt werden können.76 Das Fehlerrisiko steht somit für die Wahrscheinlichkeit, dass wesentliche Fehler die internen Kontrollen des Mandanten umgehen. Das Konzept des risikoorientierten Prüfungsansatzes verlangt vom AP, diese Risiken aufzudecken und zu beurteilen. Dies gelingt ihm durch die Gewinnung von speziellen Unternehmensinformationen aus dem Unternehmensumfeld, aus besonderen Merkmalen des Unternehmens, des Aufbau und der Funktionsweise des IKS oder durch das wirtschaftliche sowie rechtliche Umfeld des Kunden.77, 78
Das Fehlerrisiko ist im Hinblick auf die Auswirkung auf die Rechnungslegung in Fehlerrisiken auf Abschlussebene und in Fehlerrisiken auf Aussageebene zu differenzieren. Für jeden Fall sind eigene Handlungsreaktionen gefragt. In Form von überraschenden Prüfungshandlungen oder durch die Betonung einer kritischen Haltung reagiert der Prüfer auf abschlussbezogene Risiken. Wohingegen bei aussagebezogenen Fehlerrisiken Systemprüfungen erfolgen. Generell hat der AP auf diese Art von Risiko keinen Einfluss. Nach Auffassung von Brösel/Freichel/Toll kann der Prüfer aber indirekt auf das Fehlerrisiko einwirken. Er kann die Prüfung als Präventivmaßnahme und somit risikoreduzierend ausgestalten.79
3.2.1.1 Inhärentes Risiko
Der IDW Prüfungsstandard Nr. 261 Tz. 6 gibt die Definition für das inhärente Risiko, abgeleitet vom Originaltext80 der "International Standards on Auditing" (ISA) als die Anfälligkeit eines Prüffeldes für das Auftreten von Fehlern, die für sich oder zusammen mit Fehlern aus anderen Prüffeldern wesentlich sind ohne Beachtung der internen Kontrollen wieder.81 Eine weitere Erläuterung bietet Krommes an. Er beschreibt das innewohnende (inhärente) Risiko als Risiko, "dass gewollt oder ungewollt signifikante Fehlaussagen auftreten können". „Dabei bleibt die Wirksamkeit der internen Kontrollen, die zur Fehlerverhütung, -entdeckung und -korrektur dienen, außer Betracht“.
Beeinflusst wird das inhärente Risiko durch Faktoren, die sich in allgemeine und prüffeldspezifische Faktoren untergliedern. Beispiele für allgemeine Faktoren sind:82
a) makroökonomische (gesamtwirtschaftliche) Faktoren wie die derzeitige konjunkturelle Lage
b) branchenspezifische Merkmale wie die Einführung neuer Normen im Bezug auf CO2-Emmissionen durch Unternehmen
c) mandantenspezifische Aspekte wie die Integrität und Qualität des Führungspersonals oder die Geschäftsaktivitäten in korruptionsanfälligen Gebieten
Zu a)
Bei einer rezessiven (zurückgehenden) Konjunkturlage besteht die Gefahr, dass die Schuldner in Liquiditätsschwierigkeiten geraten und ihrer Zahlungspflicht gegenüber dem bilanzierenden Gläubiger nicht oder erst nach erheblichem Verzug nachkommen können (Kreditrisiko). Der Wert einer Forderung wäre somit einem Liquiditätsengpass des Kunden ausgesetzt.
Zu b)
In einer innovationsstarken Branche besteht die Gefahr, dass die Produkte und die dazugehörigen Fertigungseinrichtungen bereits nach kürzester Zeit veraltet sind. Dies hat negative Auswirkungen auf die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer. Durch den technologischen Rückstand sind Sonderabschreibungen bei der Bewertung von Sachanlagen zu berücksichtigen.
Zu c)
Wie bereits aus den Beispielen a) und b) deutlich wurde, gibt es mehrere Varianten, Bilanzpositionen zu beeinflussen. So könnte beispielsweise die Geschäftsleitung auf die Idee kommen, im Rahmen ihrer Bilanzpolitik den Abschreibungsbeginn unter Vortäuschung falscher Tatsachen auf das darauffolgende Geschäftsjahr zu verschieben.83
Ermessensspielräume, Schätzgrößen, Prognoseprobleme oder allein die Existenz von komplexen Berechnungen bilden die Grundlage für prüffeldspezifische Faktoren. Die Risiken bestehen unabhängig vom Prüfungsprozess.84
3.2.1.2 Kontrollrisiko
Das Kontrollrisiko stellt – wie es im IDW PS 261 formuliert wird – die Gefahr dar, dass wesentliche Fehler in einer Bilanzposition bzw. in einer Gruppe von Geschäftsfällen durch das interne Kontrollsystem des Unternehmens nicht verhindert oder aufgedeckt und behoben werden.85 Der Grund hierfür liegt meistens in einem nicht angemessen aufgebauten, nicht funktionsfähigen oder zeitweise unwirksamen Konzept des IKS.86
Über die Trennung zwischen inhärentem Risiko und Kontrollrisiko gibt es in der Literatur verschiedene Ansichten, wobei eine Mehrheit einen engen Zusammenhang zwischen beiden Risiken sieht. Nach Krommes ist das Kontrollrisiko strikt vom inhärenten Risiko zu trennen und zu unterscheiden. Laut dem IDW-WP-Handbuch besteht zwischen dem IR und dem KR in vielen Vorfällen ein enger Zusammenhang, da das IKS durch die gesetzlichen Vertreter bereits im Voraus an die inhärenten Risiken adaptiert wurde. Bei einer separaten Betrachtung könnte es zu einer falschen Beurteilung der Fehlerrisiken kommen.87 Somit wäre es möglich, dass die Wirksamkeit und Funktionsfähigkeit des IKS zu Unrecht angezweifelt wird.88
In der Regel kann das Kontrollrisiko nie gleich Null sein, da interne Kontrollen im Rahmen des IKS nicht immer eine vollständige Sicherheit liefern können. Selbst bei einem vollständig wirksamen IKS bestehen aufgrund inhärenter Systembeschränkungen, wie unverständlichen Kontrollanweisungen oder aufgrund menschlichen Versagens durch mangelnde Sorgfalt oder aus Übermüdung oder Ablenkung, immer gewisse Kontrollrisiken. Weitere Beispiele wären betrügerisches Zusammenwirken von Mitarbeitern oder beabsichtigte Fehler durch das Management (management override of controls).89
Für die ordnungsgemäße Abschätzung des Kontrollrisikos werden Aufbau- und Funktionsprüfungen des IKS vorgenommen.90 Wie beim inhärenten Risiko kann der AP das Kontrollrisiko schätzen, jedoch hat er keinen direkten Einfluss auf die Höhe des Risikos. Er kann es lediglich indirekt steuern, indem dem Mandanten bewusst ist, dass der AP das IKS einer Kontrolle unterziehen wird und somit präventiv den Unternehmer dazu verleitet, darauf zu achten, dass seine internen Kontrollen ordnungsgemäß arbeiten.91
"Je unzuverlässiger das IKS, umso höher ist der notwendige Umfang an ergebnisorientierten, prozessunabhängigen Prüfungshandlungen", wird von Graumann als Leitsatz der risikoorientierten Prüfungsplanung deklariert. Somit wären bei geringen inhärenten Risiken, einem einwandfreien und funktionsfähigen IKS nur im geringen Umfang Prüfungshandlungen relevant, da die Unternehmensumwelt und auch die prüfungsrelevante Unternehmensorganisation als risikoarm eingestuft werden.92
3.2.2 Entdeckungsrisiko
Im Gegensatz zu den Fehlerrisiken, bestehend aus inhärentem Risiko und Kontrollrisiko, hat der Wirtschaftsprüfer direkten Einfluss auf das Entdeckungsrisiko. Das Entdeckungsrisiko (Aufdeckungsrisiko) beschreibt das Risiko, dass die vom Abschlussprüfer aufgestellten Prüfungshandlungen93 nicht zur Aufdeckung der wesentlichen Unrichtigkeiten oder wesentlichen Verstöße im jeweiligen Prüfungsfeld führen.94 Somit liegt die Entdeckung der wesentlichen Fehler in der Hand des Abschlussprüfers. Deshalb bezeichnet der IDW das Entdeckungsrisiko auch als ‚Berufsrisiko’ des Prüfers.95
Das Aufdeckungsrisiko besteht aus zwei Komponenten. Zum einen aus dem Stichprobenrisiko und zum anderen aus dem nicht stichprobenbezogene Entdeckungsrisiko. Der Unterschied liegt darin, dass das Stichprobenrisiko besteht, sobald Prüfungen mittels Stichproben durchgeführt werden. Wohingegen das nicht stichprobenbezogene Entdeckungsrisiko bei jeder Art von Prüfungsverfahren auftreten kann. Aufgrund der Zielgrößen des risikoorientierten Prüfungsprozesses und der komplexen Unternehmenswelt wird die Prüfung stichprobenartig ausgeführt. Das Stichprobenrisiko besteht darin, dass der AP zu Schlussfolgerungen kommen kann, zu denen er nicht gelangt wäre, wenn er alle Elemente der Grundgesamtheit geprüft hätte. Das nicht stichprobenbezogene Entdeckungsrisiko liegt darin, dass falsche Erkenntnisse aus bestimmten Sachverhalten oder aus bestehenden Fehlerrisiken gezogen werden. Dies kann in folgenden Varianten auftreten:96
-Nichterkennen fehlerhafter Anwendungen von Bilanzierungs- und Bewertungsvorschriften einzelner Vermögensgegenstände
-Fehlinterpretation der erhaltenen Unternehmensinformationen durch das Personal des Mandanten
-Weglassen wichtiger Prüfungshandlungen wie die fehlende Einsichtnahme in relevante Sitzungsprotokolle
-unangemessene Prüfungshandlungen wie das Erhalten von Saldenbestätigungen unter der Kontrolle des zu prüfenden Unternehmens.
Da der Richtwert des Prüfungsrisikos von ca. 5 % einzuhalten ist und zwischen dem Fehlerrisiko und dem Entdeckungsrisiko eine inverse Beziehung besteht, muss der AP die Variable – das Entdeckungsrisiko –durch den Umfang der Prüfungshandlungen situationsbedingt anpassen. Im Falle eines hohen Fehlerrisikos muss das Entdeckungsrisiko in dem Maße erhöht werden, sodass das Prüfungsrisiko kompensiert wird. Sollte das Fehlerrisiko gering sein, kann das Entdeckungsrisiko niedriger angesetzt werden.97
3.3 Prüfungsrisikomodell
Das Fundament für einen optimalen Prüfungsprozess sowie dessen Planung bildet das Prüfungsrisiko mit seinen einzelnen Bestandteilen.98 Da aufgrund der Vielfalt und Komplexität der zu prüfenden Unternehmen nur einige Prüffelder einer Jahresabschlussprüfung unterzogen werden können, besteht das Risiko einer falschen Beurteilung des Jahresabschlusses des Mandanten. Die Fehlentscheidung kann in Form eines α -Risikos bzw. eines Fehlers 1. Art oder eines β -Risikos bzw. Fehlers 2. Art auftauchen:99
α-Risiko
Die Nullhypothese, dass der Abschluss ein zulässiges Maß an Fehlern enthält, ist richtig und somit liegt ein ordnungsgemäßer Abschluss vor. Jedoch wird vom Abschlussprüfer eine irrtümliche Ablehnung der Nullhypothese abgegeben und somit dem Mandanten kein uneingeschränkter Bestätigungsvermerk erteilt.100
β-Risiko
In diesem Fall ist die Nullhypothese falsch und die Gegenhypothese richtig. Diese lautet, dass der Jahresabschluss einen unzulässigen Fehleranteil aufweist. Jedoch wird der JA vom Prüfer als ordnungsgemäß akzeptiert und es wird fälschlicherweise ein uneingeschränkter Bestätigungsvermerk erteilt.101, 102
Da die Konsequenzen bezüglich α- bzw. β-Risiko sehr unterschiedlich sind, besteht auch ein Unterschied in der Häufigkeit der jeweiligen Fehlerart. Wohingegen beim Fehler der 1. Art mit hoher Wahrscheinlichkeit bei jedem geprüften Unternehmen die Fehlentscheidung angezweifelt wird, da keine wesentlichen Mängel im Jahresabschluss103 enthalten sind. Somit werden die Frequenz und die Wahrscheinlichkeit für ein α-Risiko auf ein Minimum reduziert, da es in der Praxis eher selten vorkommt. Eine problematischere Rolle für den Prüfer spielt in der Praxis der Fehler 2. Art, da ein zu Unrecht erteilter Bestätigungsvermerk meist die endgültige Beurteilung darstellt. Schließlich wird sich keine der involvierten Parteien, wie Mandant oder Abschlussprüfer, dazu verpflichtet fühlen, das bereits entschiedene Urteil noch mal zu überdenken.104 Demnach wird deutlich, dass sich das Prüfungsrisiko im Prüfungsrisikomodell grundsätzlich auf den Fehler 2. Art, der für die unzutreffende Annahme eines ordnungsgemäßen Abschlusses trotz wesentlicher Fehler steht, beschränkt.105
Um dementsprechend das Prüfungsrisiko (Fehler 2. Art) so gering wie möglich zu halten, muss die Prüfung entsprechend des Prüfungsziels angepasst werden. Um die bereits erläuterte Abhängigkeit zwischen Fehlerrisiko und Entdeckungsrisiko so genau wie möglich quantifizieren zu können, gibt es diverse Risikomodelle.106 Ein Beispiel für ein solches Risikomodell ist das Joint-Risikomodell, das vom AICPA107 veröffentlicht wurde. Das AICPA ist in den Vereinigten Staaten ein sehr großer Berufsverband und ist mit dem Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) zu vergleichen. Das Modell wird in Form einer mathematischen Gleichung dargestellt und sieht nach SAS 47 wie folgt aus:108, 109
AR = IR ∙ CR ∙ DR
AR
AR steht im Englischen für Audit Risk und entspricht im Deutschen dem Prüfungsrisiko. Es beschreibt die Wahrscheinlichkeit, dass ein wesentlicher Fehler in einem Prüffeld auftritt, aber der Prüfer dies als ordnungsgemäß empfindet.
IR
Das ‚Inherent Risk’ wird im Deutschen als innewohnendes Risiko deklariert und gibt die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten wesentlicher Fehler unter der Annahme wieder, dass kein IKS vorhanden ist.
CR
Das ‚Control Risk’ oder zu Deutsch das Kontrollrisiko gibt die Wahrscheinlichkeit an, dass wesentliche Fehler die Funktion des IKS umgehen.
DR
Das Entdeckungsrisiko oder im Englischen ‚Detection Risk’ bildet die Wahrscheinlichkeit ab, dass der Abschlussprüfer wesentliche Falschangaben nicht aufgedeckt und ausbessert.110
Auch wenn keine offiziellen IDW-Verlautbarungen zur Höhe des Prüfungsrisikos vorliegen, wird in Fachkreisen ein Schwellenwert von 1–5 % angeführt. Um die Abhängigkeit der einzelnen Risiken111 und die Funktionsweise der Formel konkreter darzustellen, wird eine Beispielrechnung durchgeführt. Dafür muss zunächst die Gleichung nach DR, dem Entdeckungsrisiko aufgelöst werden.112 Dabei ist zu beachten, dass die Bestimmung der Werte rein subjektiv erfolgt und keine Objektivierungsmöglichkeiten bestehen.113
Bei richtiger Umstellung nach dem Entdeckungsrisiko ergibt sich zunächst folgende Formel:114
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Gegeben sind folgende Werte für das Prüffeld fertige Erzeugnisse:
-Prüfungsrisiko (DR) entspricht 5%.
-Inhärentes Risiko liegt bei 60%.
-Kontrollrisiko besteht in Höhe von 85%.
Werden diese Werte in die Formel eingesetzt, lautet das Ergebnis:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Es ergibt sich ein maximal zulässiges Entdeckungsrisiko von 9,8 % für das Prüffeld ‚fertige Erzeugnisse’. Würden beispielsweise als Fehlerrisiko für den Prüfungsbereich‚ Personalaufwand’ jeweils 100 % für die einzelnen Risiken angenommen, ergäbe sich bei einem identischen Prüfungsrisiko i. H. v. 5 % folgendes Entdeckungsrisiko:115
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Nun ist nur noch ein maximal zulässiges Entdeckungsrisiko in Höhe von 5 Prozent erlaubt. Dies hat zur Folge, dass der AP beim Prüfungsbereich Personalaufwand aussagebezogene Prüfungshandlungen höherer Qualität bzw. Quantität anzuwenden hat. Ein erhöhter Stichprobenumfang wäre für eine angehobene Quantität oder die Durchführung von Einzelfallprüfungen anstatt analytischer Prüfungshandlungen für höhere Zuverlässigkeit (Qualität) beispielhaft.116
Da zwischen dem Fehlerrisiko und dem Entdeckungsrisiko eine inverse117 Beziehung besteht, bilden sich folgende Grundsätze für das Joint-Risiko-Modell:118
-Je höher das innewohnende Risiko und das Kontrollrisiko eingeschätzt werden, desto umfangreicher müssen die aussagebezogenen Prüfungshandlungen geplant werden, um das Prüfungsrisiko zu kompensieren.
-Je niedriger das inhärente Risiko und das Kontrollrisiko eingeschätzt werden, desto weniger können die aussagebezogenen Prüfungshandlungen geplant werden.119
3.4 Wasserhahn-Sieb-Analogie
Die folgende Illustration beschreibt den Prozess der Entstehung des Prüfungsrisikos und die Wechselwirkung der Risiken.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Zusammenspiel der Komponenten des Prüfungsrisikos120
Die Möglichkeit, dass wesentliche Fehler in einem Prüffeld auftreten, wird durch den Wasserhahn bzw. Wasserstrahl illustriert. Dies entspricht dem inhärenten Risiko. Um diesem Risiko entgegenzuwirken, installiert der Mandant ein internes Kontrollsystem. Dieses hat die Aufgabe, die entstandenen Falschangaben zu entdecken und dementsprechend zu korrigieren.121 Jedoch beseitigt das IKS die Gefahr nicht völlig, dass wesentliche Fehler das IKS umgehen oder unentdeckt die Kontrollen passieren. Daher liegt es in der Verantwortung das Abschlussprüfers, darauf abgestimmte Prüfungshandlungen zu entwickeln, mit denen er falsche Angaben mit angemessener Sicherheit aufdecken kann, sodass keine wesentlichen Fehler in den Jahresabschluss eingehen.122 Nichtsdestotrotz besteht immer noch die Möglichkeit, dass wesentliche Unstimmigkeiten existieren, die weder durch das IKS des zu prüfenden Unternehmens noch durch die Prüfungshandlungen des Abschlussprüfers aufgedeckt wurden. Deshalb besteht stets ein gewisses Prüfungsrisiko123, das in einem angemessen Maß zu halten ist.124
3.5 Fehlerwesentlichkeit und Wesentlichkeitsebenen
"Die Prüfung ist so anzulegen, dass Unrichtigkeiten und Verstöße gegen die in Satz 2 aufgeführten Bestimmungen125, die sich auf die Darstellung des sich nach § 264 Abs. 2 ergebenden Bildes der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens wesentlich auswirken, bei gewissenhafter Berufsausübung erkannt werden." 126 Diese Passage aus dem Gesetz beschreibt die Erfordernis einer Ausrichtung des prüferischen Vorgehens im Rahmen des risikoorientierten Prüfungsansatzes auf die wesentlichen Fehlerrisiken. Die Definitionen der einzelnen Risikobestandteile des Risikomodells stellen jeweils auf die Wahrscheinlichkeit für wesentliche Fehler ab.127
Demnach stehen das Prüfungsrisiko und die Wesentlichkeit in einem wechselseitigen Zusammenhang.128 Dies bedeutet, dass sich bei der Erhöhung des Wesentlichkeitsgrades gleichzeitig das Prüfungsrisiko bzw. die einzelnen Bestandteileverringern.129 Wird jedoch die Wesentlichkeitsschwelle wesentlicher Verluste ab 1 % von zuvor 5 % des wirtschaftlichen Eigenkapitals reduziert, erhöht sich das Prüfungsrisiko.130
In der Literatur werden zwei leicht unterschiedliche Interpretationen des Begriffs "Wesentlichkeit" diskutiert. Einerseits im Bezug auf die Rechnungslegung und andererseits im Bezug auf die Abschlussprüfung. Zum einen ist das Konzept der Wesentlichkeit adressatenorientiert. Daher sind Rechnungslegungsinformationen dann als wesentlich anzusehen, wenn vernünftigerweise zu erwarten ist, dass deren falsche Darstellung oder deren Weglassen im Einzelnen oder insgesamt die auf Basis der Rechnungslegung zu treffenden Entscheidungen der Adressaten beeinflusst.131 Ein Beispiel für einen solchen wesentlichen Fehler ist, wenn sich ein potenzieller Kapitalanleger letztendlich gegen eine Investition in ein Unternehmen entscheidet, weil ein Fehler in der Rechnungslegung vorliegt.132 Deshalb soll die Prüfung die Sicherheit bieten, dass die vom Abschlussadressaten benötigten Informationen zum Jahresabschluss nicht entscheidungsrelevant verfälscht sind.133
Zum anderen beschreibt der Grundsatz der Wesentlichkeit die Gestaltung der Abschlussprüfung. Die Prüfung des Jahresabschlusses und des Lageberichts bzw. des Konzernabschlusses und des Konzernlageberichts ist darauf auszurichten, dass mit hinreichender Sicherheit falsche Angaben, die wegen ihrer Größenordnung oder Bedeutung einen Einfluss auf den Aussagewert der Rechnungslegung für die Rechnungslegungsadressaten haben und entscheidungsrelevant sind, aufgedeckt werden.134
Der Materiality-Grundsatz (Wesentlichkeitsgrundsatz) wird im Rahmen der Abschlussprüfung in mehreren Bereichen angewandt.135 Zu diesen gehören die Prüfungsplanung, Prüfungsdurchführung, Berichterstattung und Urteilsbildung:136
-Prüfungsplanung: Prüfungshandlungen zur Risikobeurteilung sowie die Festlegung von Art, zeitlichem Aufwand und Umfang der Prüfungshandlungen
-Prüfungsdurchführung: Beurteilung der Auswirkungen von festgestellten falschen Angaben auf die Prüfungsdurchführung und von nicht korrigierten falschen Angaben auf die Rechnungslegung
-Berichterstattung: wesentliche Informationen im an die Prüfung anschließenden Prüfungsbericht
-Urteilsbildung: Bildung des Prüfungsurteils, Urteilsbildung im Hinblick auf Relevanz von wesentlichen Informationen für den Jahresabschlussadressaten.137
Die Entscheidung über die Wesentlichkeit eines Fehlers liegt grundsätzlich im Ermessen des Abschlussprüfers, da eine Bemessung des Wesentlichkeitsgrades anhand des Informationsbedarfs der Urteilsempfänger nicht objektiv bestimmbar und praktisch schwer umsetzbar ist.138 Die Festlegung der Grenzen durch den AP wirkt sich neben dem Umfang der Prüfungshandlungen auch auf die Höhe der Akzeptanz von Unrichtigkeiten und Verstößen aus, ohne den Bestätigungsvermerk (BV) beschränken oder versagen zu müssen.139
Da sich die Bestimmung der Wesentlichkeitsgrenzen in den meisten Fällen komplexer und problematischer gestaltet, da eine ‚falsche’ Grenze fatale Folgen haben kann, hilft beispielsweise der Autor Kai-Uwe Ruhnke in Form von quantitativen Grenzwerten und qualitativen Eigenschaften, die geeignet sind, das Entscheidungsverhalten der Rechnungslegungsadressaten zu beeinflussen.140
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- Ali Ercan (Author), 2018, Die risikoorientierte Jahresabschlussprüfung. Planung, Strategie und Durchführung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/444783
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