Als der Konvent in Paris am 4. Februar 1794 das Dekret zur Abschaffung der Sklaverei erließ, befanden sich die Abgeordneten auf einer Woge der Euphorie. Vergessen waren die über Jahre andauernden Konflikte, zum einen die kolonialen Probleme, zum anderen die Sklavenfrage betreffend, die über Jahre hinweg zu erbitterten Kämpfen der einzelnen Interessengruppen vor der Pariser Versammlung geführt hatten. Die Abgeordneten betrachteten ihre Entscheidung als Sieg der Prinzipien über die politischen Realitäten, und vergaßen dabei, dass ihre Entscheidung nur ein Produkt eben dieser Realitäten war. Die Stimmung in der Konventsversammlung prägte auch die öffentliche Meinung zu diesem Ereignis und zeichnete die unmittelbare historische Einschätzung der Entscheidung vor. Dementsprechend fand die Abschaffung der Sklaverei auch seinen Eingang in die bildpublizistische Darstellung der Revolutionsereignisse, so zum Beispiel in den uns vorliegenden Holzstich „La Liberté des Côlon“. Im Folgenden sollen nun durch die Analyse des Bildes und der Kontrastierung ihrer Ergebnisse mit der historischen Wirklichkeit Rückschlüsse auf Bildgenese, Ereigniswahrnehmung sowie ihre Verbindungen und Diskrepanzen gezogen werden. Hierfür scheint es erforderlich, sich in einem ersten Schritt über seine Einordnung und Beschreibung mit dem Bild als historischer Quelle und als Medium der Ereignisdokumentation vertraut zu machen. Anschließend daran sollen in einem zweiten Schritt die einzelnen Bildelemente vor ihrem historischen Hintergrund untersucht werden, was natürlich nicht geschehen kann, ohne dabei ereignisgeschichtliche und zeitspezifische Bedingungen in größerem Rahmen zu erläutern. In einem letzten Schritt wird dann der Versuch im Mittelpunkt stehen, die aus den ersten beiden Abschnitten gewonnenen Erkenntnisse in den Kontext der Bildpublizistik des revolutionären Frankreichs zu stellen. Hierbei soll der Verortung des Bildes als einem zwischen Vergangenheit und Zukunft kommunizierenden Medium besondere Aufmerksamkeit zukommen. Die zentral wiederkehrende Frage in der gesamten Untersuchung wird dabei sein, wie das historische Ereignis seinen Eingang in die bildliche Darstellung fand, und welche Deutung es darin erfuhr.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 La Liberté des Côlon
2.1 Das Bild
2.1.1 Bildbeschreibung
2.1.2 Einordnung
2.2 Die Bildelemente vor ihrem historischen Hintergrund
2.2.1 Bedeutung und Situation der französischen Kolonie St. Domingue
2.2.2 Die Menschenrechte zwischen Aufklärung und Sklaverei
2.2.3 Die Interessengruppen
2.2.3.1 In Frankreich
2.2.3.2 In den Kolonien
2.2.3.3 Wechselwirkungen und –hemmnisse
2.2.4 Vom Sklavenaufstand zum Krieg
2.2.5 Freiheit?
2.3 Geschichte, Bild, Geschichtsbild
3 Zusammenfassung
Bibliographie
1 Einleitung
Als der Konvent in Paris am 4. Februar 1794 das Dekret zur Abschaffung der Sklaverei erließ, befanden sich die Abgeordneten auf einer Woge der Euphorie. Vergessen waren die über Jahre andauernden Konflikte, zum einen die kolonialen Probleme, zum anderen die Sklavenfrage betreffend, die über Jahre hinweg zu erbitterten Kämpfen der einzelnen Interessengruppen vor der Pariser Versammlung geführt hatten. Die Abgeordneten betrachteten ihre Entscheidung als Sieg der Prinzipien über die politischen Realitäten, und vergaßen dabei, dass ihre Entscheidung nur ein Produkt eben dieser Realitäten war. Die Stimmung in der Konventsversammlung prägte auch die öffentliche Meinung zu diesem Ereignis und zeichnete die unmittelbare historische Einschätzung der Entscheidung vor. Dementsprechend fand die Abschaffung der Sklaverei auch seinen Eingang in die bildpublizistische Darstellung der Revolutionsereignisse, so zum Beispiel in den uns vorliegenden Holzstich „La Liberté des Côlon“[1]. Im Folgenden sollen nun durch die Analyse des Bildes und der Kontrastierung ihrer Ergebnisse mit der historischen Wirklichkeit Rückschlüsse auf Bildgenese, Ereigniswahrnehmung sowie ihre Verbindungen und Diskrepanzen gezogen werden. Hierfür scheint es erforderlich, sich in einem ersten Schritt über seine Einordnung und Beschreibung mit dem Bild als historischer Quelle und als Medium der Ereignisdokumentation vertraut zu machen. Anschließend daran sollen in einem zweiten Schritt die einzelnen Bildelemente vor ihrem historischen Hintergrund untersucht werden, was natürlich nicht geschehen kann, ohne dabei ereignisgeschichtliche und zeitspezifische Bedingungen in größerem Rahmen zu erläutern. In einem letzten Schritt wird dann der Versuch im Mittelpunkt stehen, die aus den ersten beiden Abschnitten gewonnenen Erkenntnisse in den Kontext der Bildpublizistik des revolutionären Frankreichs zu stellen. Hierbei soll der Verortung des Bildes als einem zwischen Vergangenheit und Zukunft kommunizierenden Medium besondere Aufmerksamkeit zukommen. Die zentral wiederkehrende Frage in der gesamten Untersuchung wird dabei sein, wie das historische Ereignis seinen Eingang in die bildliche Darstellung fand, und welche Deutung es darin erfuhr.
In den Ausführungen zum ereignisgeschichtlichen Hintergrund stütze ich mich hauptsächlich auf die Gesamtdarstellung von Jean Meyer[2] und das Werk von Yves Benot[3], ergänzt durch einen Aufsatz von Jean Tarrade zu den Interdependenzen zwischen der legislativen Tätigkeit in Paris und den Ereignissen in den Kolonien[4]. Hierzu ist außerdem anzumerken, dass die ereignisgeschichtliche Darstellung weitgehend auf die Geschichte St. Domingues beschränkt bleibt. Dies erscheint sinnvoll, da St. Domingue aufgrund seiner besonderen Bedeutung die entscheidende Rolle in der französischen Kolonialpolitik spielte, und an diesem Beispiel die zur Diskussion gestellten Problematiken am deutlichsten sichtbar werden. In den Fragen der Mentalitätsgeschichte beziehe ich mich weitgehend auf die Arbeit von Christian Delacampagne[5], vervollständigt durch die Ergebnisse von David Geggus hinsichtlich der Zusammenhänge von Ideologie und Revolution in den Kolonien[6]. Der dritte Teil der Arbeit, die Analyse des Bildes unter bildpublizistischen Gesichtspunkten, ist beeinflusst durch die Untersuchung Klaus Herdings zur Visualität der Revolutionsgraphik[7].
2. „La Liberté des Côlon“
2.1 Das Bild
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
„La Liberté des Côlon“, anonym ca. 1794.
2.1.1 Bildbeschreibung
Das Bild trägt die Untertitelung „La Liberté des Côlon“[8], die im unteren Teil des Bildkreises klar von den übrigen Bildelementen abgesetzt ist. Das Pendant hierzu hinsichtlich der Bildaufteilung, ist die im oberen Bildviertel vor blauem Himmel freischwebende Trikolore, die die Aufschrift „Les Droits de l’Homme“ trägt. Unter diesem Banner, in einer erd- oder sandfarbenen, hügeligen Landschaft stehend, befindet sich eine Gruppe von vier Personen: am linken Rand ist eine farbige Person zu sehen, von der man weder zweifelsfrei feststellen kann, ob sie männlich oder weiblich ist, noch, ob sie schwarz oder mullattisch[9] ist. Sie trägt ein kurzes rotes Röckchen, einen Ohrring und, zumindest am linken Fuß, eine Sandale. Ihren linken Arm hat sie um den Rücken des weißen Mannes zu ihrer Linken gelegt. Dieser hat ihr wiederum seinen rechten Arm um die Schultern gelegt, während er seinen linken Arm in die Richtung des Trikolore-Banners am Himmel hebt. Der Mann, durch Kniehosen, Redingote und vor allem die Kokarde an seinem Hut als revolutionärer Franzose gekennzeichnet, trägt einen Säbel, der rechts an seiner Hüfte in der Scheide zu stecken scheint. Ihm rechts gegenüber steht ein farbiger Mann, zwar ohne Schuhe, aber bekleidet mit einem grünen Röckchen und einer Federkrone in den Farben rot, grün und blau, bei dem ebenfalls die Zugehörigkeit zu Schwarzen oder Mulatten nicht klar ersichtlich ist. Er hebt seine rechte Hand ähnlich dem weißen Mann in die Richtung des Banners, während er seine geöffnete Linke dem weißen Mann anzubieten scheint. Hinter ihm, auf der rechten Seite des Stichs, befindet sich eine weiße Frau, die, eine Redingote in Händen, im Begriff scheint, diese dem Farbigen zu überreichen oder gar anzuziehen. Sie trägt einen blauen, mit Federn geschmückten Hut, eine grüne Bluse, sowie rote Schuhe und ein rotes Kleid, das wie der Rest ihrer Kleidung von einem gehobenen Status zeugt, oder zumindest einen festlichen Eindruck erweckt. Am Boden, zu den Füßen der vier Personen, liegen, von diesen weiter nicht beachtet, ein Säbel sowie ein Gewehr mit aufgepflanztem Bajonett. Auf dessen Tragegurt ruht der Fuß des farbigen Mannes, während der weiße Mann mit einem Fuß auf dem Gurt des Säbels steht. Im Hintergrund zwischen den beiden Männern ist in der Bildmitte eine Palme zu erkennen, die den Ort des Geschehens im Zusammenspiel mit dem als sandig gekennzeichneten Erdboden in den südlich-maritimen Raum verlagert. Betrachtet man den Bildhintergrund, sticht seine horizontale Dreiteilung ins Auge: im oberen Teil der blaue Himmel, in der Mitte ein leicht rötlicher, weißer Streifen, vor dem sich die Oberkörper der Personen befinden, sowie im unteren Bildteil der bräunliche Boden. Bezieht man die roten Flächen im Vordergrund, wie zum Beispiel das Kleid der weißen Frau, mit in die Betrachtung ein, erinnern Aufteilung und Farbgebung an die Trikolore, die sich am Himmel befindet.
2.1.2 Einordnung
Bei dem vorliegenden Bild „La Liberté des Côlon“ handelt es sich um einen kolorierten Holzstich, der wahrscheinlich nach dem Erlass des Dekrets vom 4.2.1794 entstanden ist. Der Urheber sowie das exakte Entstehungsdatum sind unbekannt und lassen sich auch kaum zweifelsfrei zuweisen. Denn dass das Bild die Abschaffung der Sklaverei zeigt, wie Markov durch seine Zuordnung[10] suggeriert, darf keineswegs als gesichert betrachtet werden. So spricht der Bildtitel nicht von „esclaves“ sondern von „côlon“, was entweder die Kolonien selbst oder deren Bewohner bezeichnet[11], die keine einheitliche Gruppe darstellten und dementsprechend keinen gemeinsamen Begriff von „La Liberté“ hatten, wie dies der Bildtitel behauptet. Demnach könnte sich das Bild ebenso auf das Dekret vom 8.3.1790[12] oder jenes vom 28.3.1792[13] beziehen. Während ersteres auszuschließen ist, da sich die Farbigen im Bild explizit auf die Menschenrechte berufen, ist das zweite aus dem gleichen Grund im Bereich des Denkbaren. Dagegen lässt sich ins Feld führen, dass dieses Dekret in der Praxis nie zur Umsetzung gelangt ist, was allerdings auf das Dekret vom 4.2.1794 in ähnlicher Weise zutrifft. Während die zeitliche Einordnung des Bildes vorerst nicht genauer zu definieren ist, lässt sich über den Urheber zumindest eines feststellen: er dürfte sein Werk, fern dem kolonialen Geschehen, in Frankreich angefertigt haben, ohne genaueres Wissen über die Verhältnisse und Ereignisse in den Kolonien. Diese Vermutung ergibt sich vor allem aus der Darstellung der Farbigen, die in ihrer Klischeehaftigkeit nichts mit der Realität gemein gehabt haben dürfte. Das Bild von fast nackten, quasi-wilden Insulanern war die europäische Vorstellung einer fernen und fremden kolonialen Welt; und speziell die Etikettierung des einen Farbigen mit der Federkrone zeugt von Unwissenheit, war diese doch ein altes indianisches Häuptlingssymbol[14] und kein Zeichen der unterdrückten Farbigen, ob nun frei oder versklavt.
Man muss also festhalten, dass das Bild keineswegs als exaktes Abbild eines historischen Geschehens betrachtet werden darf. Darüber hinaus ist es nicht möglich, sein Zustandekommen sowie seine Intentionen exakt zu rekonstruieren, da weder Urheber noch Ursprungszeit zweifelsfrei feststehen. Stellt man allerdings seine subjektive und zeittypisch gefärbte Perspektive in Rechnung und entkoppelt es von einer konkreten zeitlichen Definition, kann das Bild dennoch als aufschlussreiche Hintergrundfolie für die historischen Entwicklungen dienen.
[...]
[1] Markov, Walter (Hg.): Die Französische Revolution. Bilder und Berichte 1789-1799, Leipzig 1989, S.275; die grundsätzliche Frage, ob sich das vorliegende Bild überhaupt auf die Abschaffung der Sklaverei bezieht wird im Folgenden noch zu diskutieren sein.
[2] Meyer, Jean / Tarrade, Jean / Rey-Goldzeiguer, Annie / Thobie, Jacques: Histoire de la France coloniale des origines à 1914, Paris 1991 ; mit Ergänzungen durch Sieberg, Herward: Französische Revolution und Sklavenfrage in Westindien, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 42 (1991), S.405-416.
[3] Benot, Yves: La révolution française et la fin des colonies, Paris 1987.
[4] Tarrade, Jean : Les colonies et les principes de 1789 : Les Assemblées révolutionnaires face au problème de l’esclavage, in: Ders. (Hrsg.): La Révolution Française et les colonies, Paris 1989, S.7-35.
[5] Delacampagne, Christian: Histoire de l’Esclavage. De l’antiquité a nos jours, Paris 2002; ergänzend hierzu Osterhammel, Jürgen: Sklaverei und die Zivilisation des Westens, München 2000.
[6] Geggus, David: The French and Haitan Revolutions and Resistance to Slavery in the Americas: An Overview, in: Tarrade, Jean (Hrsg.): La Révolution Française et les colonies, Paris 1989, S.107-124.
[7] Herding, Klaus : Visuelle Zeichensysteme in der Graphik der französischen Revolution, in: Koselleck, Reinhart /Reichardt,Rolf: Die Französische Revolution als Bruch des gesellschaftlichen Bewusstseins, München 1988.
[8] Markov bezeichnet das Bild mit dem Titel „Die Freiheit der Kolonien“, doch in den meisten Darstellungen findet die Bezeichnung „Côlon“ ihre Verwendung für die Bewohner der Kolonien. Um welche und wessen Freiheit es sich hier also dreht wird weiter unten noch zu erörtern sein.
[9] Die Begriffe „schwarz“ und „mullattisch“ dienen hier wie auch im Folgenden zur Abgrenzung, zum einen der Gruppe der schwarzen Sklaven, zum anderen der sogenannten „gens de couleur“.
[10] Vgl. Markov, Walter (Hg.): Die Französische Revolution. Bilder und Berichte 1789-1799, Leipzig 1989, S.275.
[11] Vgl. Anmerkung 8.
[12] Die Nationalversammlung gestand den Kolonien eine weitreichende Autonomie, wie z.B. die Wahl eigener Parlamente, zu. Dabei wurden jedoch die Rechte der (freien) Farbigen nicht explizit erwähnt.
[13] Die Konstituante definierte für die „gens de couleur“ die gleichen Rechte wie für die Weißen, wogegen sich die weißen „Côlon“ allerdings heftig zur Wehr setzten.
[14] Die Federkrone ist heute noch auf Präsidentenflagge und Wappen von Französisch-Guyana zu finden.
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.