Diese Arbeit beschäftigt sich im Folgenden zunächst mit dem Generationsbegriff in der Theorie. Woher kommt er? Wie wird er verwendet? Was bedeutet Generation und welche Merkmale haben Generationenromane? In dem theoretischen Überblick geht es zudem um die Frage, wie umfassend und disziplinübergreifend die Generationenforschung bereits betrieben wird, bevor schließlich die aktuelle soziologische Forschung zur Generation Y betrachtet wird. Die Selbstbeschreibungen der Generation Y dienen dieser Arbeit als Quellen und vermitteln einen interessanten Einblick in die Eigenwahrnehmung. Die soziologische Analyse soll aufdecken, welches Bild sich die Gesellschaft von der Generation Y macht: Welche Eigenschaften verbindet sie? Wodurch unterscheiden sie sich von Vorgängergenerationen? Welche Art von Bildung erfährt sie? Wie verhält sie sich im Beruf? Welche Beziehungen geht sie ein und wie steht sie zur Familie? Sowohl ihr politisches Interesse beziehungsweise Nichtinteresse wird analysiert als auch ihr Medien- und Freizeitverhalten.
Das mediale Interesse für Generationenzuschreibungen hat gerade in den letzten zwei Jahrzehnten Hochkonjunktur. So werden die Generationen seit Neuestem mit pauschalisierenden Etiketten versehen, wie etwa Generation Internet oder Generation Ego. Natürlich sind alle Zuschreibungen einer so großen heterogenen Gruppe wie einer Generation stark pauschalisierend. Dennoch kristallisieren sich einige Gemeinsamkeiten und Denkmuster in jeder Alterskohorte heraus.
Die Skeptische Generation wurde von der 68er-Generation abgelöst, darauf folgten die Babyboomer, dann die Generation X, welche Florian Illies als Generation Golf betitelte, dessen gleichnamiger Roman im Jahr 2000 ein durchschlagender Erfolg war, da sich so viele Menschen angesprochen fühlten. Und schließlich die heutige Generation Jugendlicher und junger Erwachsener – die Generation Y, mit der sich diese Arbeit hauptsächlich befasst. Die zwischen 1985 und 2000 Geborenen, sind die ersten Digitale Natives und besonders im Wirtschaftsteil der Tageszeitungen in aller Munde.
Auf der einen Seite werden sie als faul und arbeitsscheu, als beziehungsunfähig und gefühlsarm beschrieben, auf der anderen Seite heißt es, ihre Beziehungen sind durch den ständigen elektronischen Kontakt intensiver und sie wollen arbeiten, nur eben anders als ihre Vorgängergeneration.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Generationenbegriff und die Charakteristik des Generationenromans
2.1. Genre: Familien- und Generationenroman
2.2. Forschungsfelder
2.3. Generationen in der Literatur
2.4. Begründer der Generationenforschung: Karl Mannheim
2.5. Generation als Identitätsstifter
3. Generation Y – eine soziologische Analyse
3.1. Bildung und Beruf
3.2. Familie und Beziehungen
3.3. Politik
3.4. Medien und Freizeit
4. Die Generation Y im Spiegel der Zeitungslandschaft
4.1. Arbeitsdebatte
4.2. Bildungsdebatte
4.3. Internet-Hype
4.3.1. Warum die Generation Y so unglücklich ist
4.3.2 Generation Beziehungsunfähig
5. Die Generation Y in den Gegenwartsromanen
5.1. Schimmernder Dunst über CobyCounty
5.1.1. Erzählstil
5.1.2. Protagonisten
5.1.3. Ort
5.1.4. Themen, Motive und Metaphern
5.1.5. Rezeption
5.2. Die Glücklichen
5.2.1. Erzählsituation
5.2.2. Protagonisten
5.2.3. Ort
5.2.4. Themen, Motive und Metaphern
5.2.5. Rezeption
6. Abgrenzung zu Krachts Faserland
6.1. Exkurs: Popliteratur
6.2. Faserland
7. Fazit
8. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Ist die Rede von Generationen scheint jeder sofort zu wissen, was mit dem Begriff gemeint ist. So wird hauptsächlich assoziiert, dass sich die Generationen im Kreise der Familie rhythmisch reproduzieren - Großeltern, Eltern und Kinder durchlaufen diese Entwicklungsschritte. In der Regel besteht eine Familie also aus drei Generationen, die sich im Alltag begegnen oder gar zusammen leben, was durch die unterschiedlichen Lebenserfahrungen und daraus resultierenden Mentalitäten ein hohes Konfliktpotenzial in sich birgt. Eine ratlose Großmutter, die ihre augenscheinlich immer nur auf Handydisplays starrenden Enkel nicht versteht, sowie ein, von den veralteten politischen Ansichten ihres Großvaters entnervtes, Enkelkind, sind wohl ein häufig verbreitetes Phänomen. Dass diese Familienmodelle, mit seinen 20 bis 30 Jahres Zyklen, auf eine sich kontinuierlich reproduzierende Gesellschaft übertragen werden, wiederspricht im Grunde jeder Logik, scheint aber dennoch gebräuchlich zu sein.
Das mediale Interesse für Generationenzuschreibungen hat gerade in den letzten zwei Jahrzehnten Hochkonjunktur. So werden die Generationen seit Neuestem mit pauschalisierenden Etiketten versehen, die entweder attributartig oder nummerierend angehängt werden und so schnelllebig sind, dass sich die Generationenforschung weitgehend davon distanziert. Diese ist seit dem ersten Weltkrieg stark angestiegen und wird nun von Disziplinen wie Geschichte, Kultur- und Literaturwissenschaft, Pädagogik, Psychoanalyse als auch Biologie betrieben. Natürlich sind alle Zuschreibungen einer so großen heterogenen Gruppe wie der Generation stark pauschalisierend. Dennoch werden sie seitdem in ihren Gemeinsamkeiten und Denkmustern zusammengefasst, die sich eben auch innerhalb des Familienalltags herauskristallisieren.
Die Skeptische Generation wurde von der 68er-Generation abgelöst, darauf folgten die Babyboomer, dann die Generation X, welche Florian Illies als Generation Golf betitelt, dessen gleichnamiger Roman im Jahr 2000 ein durchschlagender Erfolg war, da sich so viele Menschen dieser Alterskohorte angesprochen fühlten. Und schließlich die heutige Generation Jugendlicher und junger Erwachsener – die Generation Y, mit der sich diese Arbeit hauptsächlich befasst. Die zwischen 1985 und 2000 Geborenen, sind die ersten Digitale Natives und besonders im Wirtschaftsteil der Tageszeitungen in aller Munde. Auf der einen Seite werden sie als faul und arbeitsscheu, als beziehungsunfähig und gefühlsarm beschrieben, auf der anderen Seite heißt es, ihre Beziehungen sind durch den ständigen elektronischen Kontakt intensiver und sie wollen arbeiten, nur eben anders als ihre Vorgängergeneration. Durch die Zeitungsdebatten ist zudem die Wissenschaft auf die Problematik aufmerksam geworden, so dass renommierte Sozialforscher wie Klaus Hurrelmann, Leiter der Shell Studien, und Bernhard Heinzlmaier Monografien zum Thema Generation Y verfasst haben. Auch Vertreter der Generation Y selbst tragen mit eigenen Büchern zur Diskussion bei, um die vermeintlichen Mythen aufzudecken.
Diese Arbeit beschäftigt sich im Folgenden zunächst mit dem Generationsbegriff in der Theorie. Woher kommt er? Wie wird er verwendet? Was bedeutet Generation und welche Merkmale haben Generationenromane? In dem theoretischen Überblick geht es zudem um die Frage, wie umfassend und disziplinübergreifend die Generationenforschung bereits betrieben wird, bevor schließlich die aktuelle soziologische Forschung zur Generation Y betrachtet wird. Die Soziologen Hurrelmann, Albrecht[1] und Heinzlmaier[2] geben dabei einen Überblick von außen. Die Selbstbeschreibungen der Generation Y dienen dieser Arbeit als Quellen und vermitteln einen interessanten Einblick in die Eigenwahrnehmung.[3] Die soziologische Analyse soll aufdecken, welches Bild sich die Gesellschaft von der Generation Y macht: Welche Eigenschaften verbindet sie? Wodurch unterscheiden sie sich von Vorgängergenerationen? Welche Art von Bildung erfährt sie? Wie verhält sie sich im Beruf? Welche Beziehungen geht sie ein und wie steht sie zur Familie? Sowohl ihr politisches Interesse beziehungsweise Nichtinteresse wird analysiert als auch ihr Medien- und Freizeitverhalten.
Im Anschluss daran folgt ein grober Überblick auf die Debatte um die Generation Y in der aktuellen Zeitungslandschaft. Welche negativen und positiven Stereotype werden konstatiert? Welches gesellschaftliche Bild der Generation Y fingieren die unterschiedlichen Zeitungen und Zeitschriften? Anzumerken sei an dieser Stelle noch, dass es in der Arbeit niemals um ein reales Bild der Generation Y geht, sondern nur um Zuschreibungen. Diese Zuschreibungen beziehen sich zudem nur auf einen kleinen Teil der zwischen 1985 und 2000 Geborenen, den der akademischen Mittel- bis Oberschicht. Soziale Brennpunkte werden in den Studien trotz der breiten Masse ausgelassen, da seit jeher vor allem Akademiker und Intellektuelle verstärkten Einfluss auf das Gesellschaftsbild nahmen, man vergleiche nur die 1968er Bewegung.
Inwiefern sich die skizzierte Gesellschaftsdiagnose der jungen Generation in der Literatur wiederspiegelt, wird im zweiten Teil der Arbeit abgehandelt. Um die Frage beantworten zu können, in welcher Korrelation der gesellschaftliche Wandel und die literarische Produktion zueinander stehen, wird eine literatursoziologische Vorgehensweise angewendet. Obwohl die Rolle der Literatur durch die heutige enorme Medienvielfalt an Einfluss eingebüßt hat, dient der literarische Text weiterhin als Reflexions- und Verarbeitungsmedium gesellschaftlicher Bedingungen.[4] Daher lautet die Leitfrage: ist die soziologische Beschreibung der Generation Y genauso im Gegenwartsroman anzutreffen? Die hierfür ausgewählten Romane sind Leif Randts Schimmernder Dunst über Coby County, der 2011 im Berlin Verlag erschien[5] und Kristine Bilkaus Die Glücklichen, erschienen 2015 im Luchterhand Literaturverlag[6]. Zunächst wird die Sprache der Romane analysiert und der Frage auf den Grund gegangen, was der jeweilige Erzählstil bereits über die Lebensweise der Protagonisten aussagt. Danach steht das Verhalten der Generation-Y-Romanfiguren im Fokus – ist es mit den dargestellten soziologischen Studien konform? In welchem Milieu leben sie, an welchem Ort und unter welchen Bedingungen findet ihr Alltag statt? Als nächstes werden die in der Soziologie charakterisierten Aspekte wie Kommunikationsverhalten, Beziehungen, Einstellung der jungen Menschen zum Beruf anhand der in den Romanen präsentierten Themen, Motiven und Metaphern überprüft. Wo stimmen sie überein, wo finden Auslassungen oder Übertreibungen statt? Welche Erkenntnis gewinnt der Leser aus diesem Vergleich? Im letzten Punkt dieser Arbeit wird dazu vergleichend das zwanzig Jahre vorher erschienene „Gründungsbuch der neuen deutschsprachigen Popliteratur“[7] gegenübergestellt, Christian Krachts Faserland [8] . Was ist gleich geblieben und was hat sich verändert? Wo lassen sich die Lebensstationen punktuell vergleichen, an welchen ähnlichen Aspekten arbeiten sich die Figuren ab, inwiefern hat sich die Jugendgeneration zwanzig Jahre später signifikant verändert? Welche Themen sind ihrer Adoleszenz relevant? Zum besseren Verständnis von Faserland enthält die Arbeit einen kurzen Exkurs zum Genre Popliteratur.
2. Generationenbegriff und die Charakteristik des Generationenromans
2.1. Genre: Familien- und Generationenroman
Eine Schwierigkeit besteht darin, das Genre Generationenroman überhaupt zu definieren, denn es überschneidet sich in seinen Merkmalen mit dem verwandten Familienroman, Familienchroniken sowie der Erinnerungs- und Väterliteratur. Neuschäfer arbeitet in einer Abgrenzung zwischen Familien- und Generationen-roman heraus, dass der Begriff Familienroman um einiges ungenauer ist, da der Familienbegriff selbst zu unscharf bestimmt ist und er durch „präzisere Termini wie ,Kleinfamilie, häusliche Gemeinschaft oder Verwandtschaftsbeziehungen’ zu ersetzen“[9] sei. Generationenromane sowie Chroniken spielen sich meist nicht im Kreise der Kleinfamilie ab, sondern sind auf breitere Verwandtschaftsbeziehungen ausgelegt. Anders als die einschlägigen Genrebezeichnungen Bildungs -, Künstler - oder Entwicklungsroman, gibt es weder für den Familien- noch den Generationen-roman eindeutige Gattungsmerkmale, sondern eine Fülle an eher unklaren Charakteristika. Auch Costagli und Galli versuchen die Unterschiede beider Begriffe zu demonstrieren und kommen zum selben Schluss wie Neuschäfer: „Ersterer [Begriff Familienroman] kann als allgemeine Bezeichnung für Texte mit Handlungsfokus innerhalb einer Familie gelten, während der zweite [Begriff Generationenroman] Romane betrifft, die chronologisch mehrere Generationen umfassen.“[10] Zudem untersuchen sie Lexikaartikel und stellen fest, dass der „Familienroman“ als literarische Gattung vor allem in älteren Wörterbüchern sowie in neueren Nachschlagewerken Platz fand, zwischenzeitlich jedoch nicht verzeichnet war. Lexikauntersuchungen von 1964 und 1986 ergeben, dass der Familienroman um 1800 vom Entwicklungs- und Gesellschaftsroman abgelöst wurde und lediglich in der Trivialliteratur Bestand hatte, bis er schließlich zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert unter anderem durch den Erfolg der Buddenbrooks erneut „zum Medium sozialkrit. Gestaltung von Epochenproblemen“[11] avancierte. Der Termini Generationenroman wird im Sachwörterbuch der Literatur von 1955 als „eine neue Form“[12] des Familienromans an den Artikelschluss von jenem gestellt. Costagli und Galli unterscheiden beide Begriffe, erklären jedoch, warum in der Forschung häufig auch beide „in der üblichen Doppelformel“[13] verwendet werden. So geht es oftmals um dieselben Themen, sie sind Varianten in einem Modell, das Familie entweder räumlich oder zeitlich fasst. Bei der zeitlichen Ausdehnung ließe sich demnach auf Generationenromane schließen, während das räumliche Format hingegen als beispielsweise familientypischer Eheroman gelesen werden kann. Für die zeitgenössischen deutschen Generationenromane, wie auch für die hier behandelten Romane, wird konstatiert, „nicht mehr ausschließlich mit der einzigen Typologie des Mehrgenerationenschemas“[14] zu tun zu haben. Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass neuerdings „die Renaissance des Familienromans als ein globales, und dementsprechend von der Erinnerung an die deutsche Vergangenheit unbelastetes Phänomen betrachtet“[15] wird.
2.2. Forschungsfelder
Die geschichtliche Einteilung in Epochen, Jahrgängen und Generationen ist vor allem dazu da, um „komplexitätsreduzierende Konstruktionen literar-historischer Wirklichkeit“[16] zu schaffen. Zwar können unterschiedliche Altersgruppen ein Ereignis oder eine Erfahrung gleichzeitig wahrnehmen, dennoch nehmen sie je nach Alter und sozialem Stand eine ähnliche Perspektive ein, die sie wiederum in ihre Generationszugehörigkeit verortet.[17] Ähnlich wie Stand, Schicht und Klasse ist Generation eine „sozialkulturelle[...] Ordnungskategorie“[18], die ein Kollektiv einordnet und „als Rahmen für Zeitdiagnose und historische Sinnorientierung“[19] dient. Abzugrenzen sei hier noch der Begriff Alterskohorte von dem der Generation, denn er hat eher eine nummerische Funktion in Bezug auf demographische Entwicklung, anstatt inhaltlicher Zuschreibungen bestimmter Altersklassen. Für Jureit ist Generation „ein soziologischer Grundbegriff“[20], der jedoch auch in anderen Disziplinen Eingang findet. So beschränkt sich die Forschung zu Generationen nicht nur auf die Soziologie, auch Historiker, Kultur- und Literaturwissenschaftler, Pädagogen und Psychoanalytiker setzen sich mit den spezifischen alters- und epochentypischen Deutungen auseinander. Dieser Umstand trägt ebenso zur unpräzisen Nutzung des Begriffs bei, wie die daraus entstehende thematische Vielfalt. Dass der ursprüngliche Begriff aus der Biologie und Genealogie stammt, erschwert den Umgang zusätzlich und erweitert das Forschungsfeld umso mehr. Weigel kritisiert die geisteswissenschaftliche Lesart, dass sich Generationen rein gesellschaftlich entwickeln, denn auch die angeblich soziologisch geprägte Jugendphase impliziert laut ihm, dass „ein viriles biologisches Moment subkutan fortgeführt“[21] werde. So ist der Begriff dem lateinischen generatio entlehnt, was Zeugungskraft und Nachkommenschaft bedeutet und leitet sich von genus her, der Gattung, dem Geschlecht und der Abstammung. Dadurch spaltet sich die Generationenforschung in weitere zwei Ebenen: einer diachronen und einer synchronen Dimension. Die diachrone Dimension fasst Generationen als biologische Reproduktionen auf, sozusagen einer zeitlichen Kette oder Abfolge, die auf „Zeugung oder Entstehung eines Organismus“[22] beruht. Die synchrone Bedeutungsebene bricht mit diesem Ansatz, indem sie Generation nicht mehr als genealogische Abfolge betrachtet, sondern stattdessen als „Konfrontationsmodell“[23] gegenüber der vorherigen. Gemeinsame Erlebnisse, ähnliche Verarbeitungen und Handlungen prägen die Generation und lassen sie sich von ihren Vorgängern abgrenzen.
Bohnenkamp verwendet statt dem Ausdruck Generationenroman die erweiterte Form generationelle Erzählung und stellt diese unter vier Standpunkte: „Generation als Argument, als Mythos, als Auftrag und als Konstrukt.“[24] Man kann sich selbst argumentativ einer Generation zuschreiben oder abgrenzen, genauso wie eine fundierte Fremdzuschreibung möglich ist – Selbst- und Fremdbeschreibung können dabei auseinanderfallen, wie beispielsweise die „89er“, welche von der Wissenschaft erkannt, von der Generation selbst hingegen verkannt wurden.[25] Beides geschieht häufig in einer Wechselbeziehung zwischen den Älteren und den Jüngeren, die den Anspruch hat Erstere abzulösen.[26] Der Mythos geht auf ein Ursprungserlebnis zurück, das als Ausgangspunkt einer generationellen Abfolge dient, ähnlich wie Eigler die Generationenfolgen nach dem zweiten Weltkrieg durchnummeriert. Der Auftrag hat weniger mit der Vergangenheit als mit der Zukunft zu tun, bei dem Generationen ihre Erfahrungen narrativ weitergeben sollen, unter Umständen als Mahnmal für die nachfolgenden. Generationenerzählungen als Konstrukte sind laut Bohnenkamp die vielen „medial inszenierten bzw. öffentlich ausgerufenen Generationenlabels“[27], denen die sinnstiftenden Erfahrungen oder prägenden Brüche fehlten. Er bezieht sich hier auf Wehler, der konstatiert, nach den 68ern gibt es keine echte Generation mehr.[28] Für Bohnenkamp ist der Begriff Generation vor allem ein zeitlicher Ordnungsversuch, der selbst jedoch nicht klar einzuordnen ist, da Generationen sowohl innerhalb der Familie als auch in der Gesamtgesellschaft vorkommen und in der Forschung häufig angenommen wird, Generationen sind Ausnahmen, die sich lediglich unter bestimmen historischen Bedingungen herausbilden, während andererseits davon ausgegangen wird, jeder sei Teil einer Generation.[29] Generell sind in der Forschung ziemlich alle Generationenkonzepte, auch die, die sich auf den familiären Kontext beschränken, auf die Erfahrungsgemeinschaft fixiert. Diese Erfahrungen müssen keine einschneidenden politischen oder historische Großereignisse sein, es reicht völlig sich mit einer Gruppe identifizieren zu können, die in etwa ähnliche alltägliche oder biographische Erfahrungen gemacht hat, entsprechend gefühlt hat und gleichartige Schlüsse gezogen hat.[30] Bohnenkamp wiederum sieht das anders, für ihn ist der nicht-familiäre, synchrone Generationenbegriff an ein bedeutendes historisches Moment geknüpft:
„Nur dann, wenn bestimmte Ereignisse eine Altersgruppe so entscheidend prägen, dass ihr Leben einen ganz besonderen Verlauf nimmt, entsteht eine Generation. Das erste [diachrone] Modell geht davon aus, dass Generationen die Regel sind, im zweiten [synchronen] Modell sind Generationen die Ausnahme.“[31]
Besonders der erste Weltkrieg hat in einer unvergleichbaren Weise zur Generationenbildung beigetragen, die es so kein zweites Mal gab, weder nach dem zweiten Weltkrieg, noch nach dem Fall der Mauer oder den Anschlägen vom 11. September, so dass sich feststellen lässt, nicht das historische Großereignis stiftet generationelle Gesellschaftsmodelle, sondern erst „der totale, alle Lebensbereiche verändernde Systemwechsel, durch den eine bestehende Ordnung demontiert wird und politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Neuordnungen entstehen.“[32] Und dennoch bilden sich zumindest Generationenzuschreibungen auch in friedlicheren Zeiten.
2.3. Generationen in der Literatur
Neuschäfer plädiert nach einer Romanuntersuchung von Autoren unterschiedlicher Jahrgänge wie Günter Grass (*1927), Stephan Wackwitz (*1952) und Moritz Rinke (*1967) dafür, dass für eine Generationszuordnung „der Veröffentlichungszeitraum eine plausiblere Vergleichsgrundlage bildet als der ,Jahrgang’ der Autoren“.[33] Eigler wiederspricht dieser Auffassung, indem sie bereits einleitend von Autorengenerationen ausgeht, diese vom zweiten Weltkrieg ab zählt und konstatiert, dass „sich das Genre des Generationenromans durch seine besondere Position zwischen Fiktionalität und Referentialität auszeichnet, der biographische und sozialgeschichtliche Hintergrund der AutorInnen also durchaus eine Rolle spielt.“[34] Die Generationenromane gelten als Gedächtnisorte, in denen familiäre Brüche aufgedeckt werden und die generationellen Unterschiede bzw. Gleichheiten vom Umgang mit Traumata vorgeführt werden.[35]
Maase wertete Buchtitel seit den 1950er Jahren aus, die den Begriff Generation innehatten.[36] Dabei kommt er auf erstaunliche Werte: so waren es zwischen 1950 und 1959 lediglich sieben Werke pro Jahr, in den 1970ern bereits 25, in den 1990ern 85 und von 2000 bis 2002 allein 112. Die größte Steigerung fand also in den 1990er Jahren statt, einer Dekade, die vor allem für die Wende, den kalten Krieg und den ersten Einstieg in die Welt des Internets bekannt ist. So bildeten sich erste mediale, politische und personenbezogenen Etiketten, wie „Generation Soap“, „Generation@“, „Generation ohne Bindungen“ und „Die 89er“. Dem erfolgreichsten Generationenwerk zur Jahrtausendwende fehlte eine solche Etikette, es besaß stattdessen den Begriff eines Wohlstandsymbols des Massenkonsums – die Generation Golf von Florian Illies. Ähnlich wie Illies Werk ist die Generation Ally sowohl Bestseller als auch gängiger Begriff in der deutschen Feuilleton-Landschaft geworden. Im Vergleich zu den Generationenbildungen vor den „68ern“ wirken die bis in die Gegenwart reichenden Generationslabels wie ein experimentelles Spiel, die „starke Gefühle und schwache Handlungsverpflichtungen“[37] hervorrufen. In der Forschung ging dieser Umstand als „postheroische Generationsentwürfe“[38] ein. So facettenreich der Generationenbegriff in den Sozialwissenschaften auch ist, so erstaunlich einseitig ist die „gegenwärtige Fixierung der Literaturwissenschaft auf die erinnerungskulturelle Funktion von Generationenromanen.“[39] Reidy stellt in Bezug auf Neuschäfer fest, dass der größte Teil der Forschung Generationenromane zu sehr als Komponenten von vergangenheitsbewältigender Erinnerungs- und Väterliteratur definiert oder sie als Vergleichsgröße zu Manns Buddenbrooks heranzieht und trennt seinen Sammelband konsequent in zwei Teile: Erstens, der „rekonstruktive Generationenroman“ und zweitens der „postheroische Generationenroman“.[40]
2.4. Begründer der Generationenforschung: Karl Mannheim
Mit dem eindeutigen zumindest definitorischen „Problem der Generationen“ hat sich als erster der Soziologe Karl Mannheim in seinem gleichnamigen Aufsatz von 1928 auseinandergesetzt, dessen Erkenntnisse Ausgangspunkt sämtlicher weiterer Beschäftigungen mit dem Thema bis heute sind.[41] Für Mannheim handelte es sich bei der Generation nicht um eine bestimmte Gruppe oder gar Gemeinschaft, sondern um einen Zusammenhang von Individuen, die sich zueinander zugehörig und damit verbunden fühlten. Mit seinem aufgeworfenen Begriff ,Generationenlagerung’ erweitert er Max Webers Termini ,Klassenlage’, also eine Einordnung, in der sich jeder befindet, und zwar „nicht wie die Zugehörigkeit zu einem Verbande durch einen intellektuellen willensmäßigen Akt kündbar“[42], sowie unabhängig „ob man davon weiß oder nicht, ob man sich ihr zurechnet oder diese Zurechenbarkeit vor sich verhüllt.“[43] Als erster stellt Mannheim daher einen Generationenzusammenhang her, der sich auf einen gemeinsamen historisch-sozialen Lebensraum gründet:
„Nicht das Faktum der in derselben chronologischen Zeit erfolgten Geburt, des zur selben Zeit Jung-, Erwachsen-, Altgewordenseins, konstituiert die gemeinsame Lagerung im sozialen Raume, sondern erst die daraus entstehende Möglichkeit an denselben Ereignissen, Lebensgehalten usw. zu partizipieren und noch mehr, von derselben Art der Bewußtseinsschichtung aus dies zu tun.“[44]
So besteht zwar zwischen Gleichaltrigen in verschiedenen sozialen Räumen, wie unterschiedlichen Ländern, kein Generationszusammenhang, erst das gemeinsame Lebensgefühl im selben kulturellen Kontext ermöglicht ihn.
„Während verwandte Generationslagerung nur etwas Potentielles ist, konstituiert sich ein Generationszusammenhang durch eine Partizipation der derselben Generationslagerung angehörenden Individuen am gemeinsamen Schicksal und an den dazugehörenden, irgendwie zusammenhängenden Gehalten. Innerhalb dieser Schicksalsgemeinschaft können dann die besonderen Generationseinheiten bestehen.“[45]
Im Gegensatz zum Zusammenhang stellen die Einheiten also nicht nur eine bloße Verbindung dar, sondern entstehen laut Mannheim durch einheitliches Reagieren auf Ereignisse, ausgehend von einer gemeinsamen Grundstimmung. So gehörte die Jugend um 1819 dem selben Generationszusammenhang an, verortete sich aber in polarisierende Generationseinheiten, einerseits den romantisch-konservativen, andererseits den liberalen-rationalistischen. Mannheims beinahe hundert Jahre alter Text gilt bis heute als so überzeugend, insbesondere wohl in Bezug auf die generationelle Erklärung für historische Dynamik, dass, zugespitzt formuliert, „die gesamte Generationenforschung nur aus einer Reihe von Fußnoten zu Mannheim besteht.“[46] Es gibt Meinungen, dass Mannheims Konzept in der Forschungspraxis nicht in vollem Maße ausgeschöpft wurde,[47] aber auch die Kritik, er würde als kanonischer Referenztext „in der Mehrzahl der Fälle als relativ oberflächliche Legitimation für die eigenen Untersuchungen herhalten“[48] müssen. Kritikpunkte waren unter anderem, dass sich Mannheim auf eine zu allgemeine makrogesellschaftliche Ebene beschränkt, zudem an einem zu engen Bezug zur Jugendgeneration verhaftet bleibt und sein Konzept vor allem auf männerdominierenden, gesellschaftlichen Eliten basiert.[49]
2.5. Generation als Identitätsstifter
War damals die Identität noch geprägt von Geschlechtern, Weltbildern, Religion und Nationen haben im 20. Jahrhundert „viele Identitätsangebote an Attraktivität verloren.“[50] Daher steigt die Nachfrage nach eben diesen so enorm und Bücher wie Generation Golf oder Generation Ally haben Erfolg. Durch die Identitätsangebote, die sie stiften, fühlt sich der Einzelne weniger verloren, in Abgrenzung oder Zuschreibung kann er sich verorten. „Denn nach ,Generation’ zu fragen, heißt stets auch über den einzelnen hinaus nach altersspezifischen, überindividuellen Mustern zu forschen und damit ein wesentliches, für manche sogar das einzig relevante Element im Verhältnis von Individuum und Gruppe zu markieren.“[51]
Im Austausch von Erfahrungen oder prägenden Ereignissen sind „die Medien an die Stelle eines historischen Index für die Markierung von Generationen getreten.“[52] Daraus, dass die mediale Entwicklung, gefühlt stündlich fortschreitet und sich revolutioniert, resultiert ein umso schnelllebigerer Generationenwechsel, der sich auch an den gehäuften Begriffen zeigt.
3. Generation Y – eine soziologische Analyse
Der Übergang ins Erwachsenenalter ist laut Jugendforschung an vier Hürden festzumachen, welche die jungen Menschen zu bewältigen haben. Erstens die Berufsfindung und damit finanzielle Unabhängigkeit, zweitens die eigene Familiengründung bzw. Partnerwahl, drittens eine vernünftige Konsumentenrolle sowie verantwortliche Mediennutzung, viertens die Entwicklung zu einem sozial engagierten und wertorientierten, politischen Bürger.[53] Diese Hürden mussten alle Generationen nehmen, dennoch sind sie für die heutige Generation Y ungleich schwieriger zu erreichen. Leiharbeit, befristete Verträge und Langzeitpraktika verschieben die sichere Karriere nach hinten, wodurch sich wiederum die Familienplanung hinauszögert. Die Rolle als Konsument und Mediennutzer hingegen nimmt der Ypsiloner ungleich früher ein, wodurch er sich auch von Anfang an früher sozial engagieren kann als die Generationen vor ihm. Ihre Jugend erleben die jungen Menschen der Generation Y „als einen lang gestreckten Zeitraum mit offenen Ausgang.“[54] Offen deshalb, weil nichts mehr planbar ist, weder ob noch wann man eine absichernde Arbeit findet, genauso offen, ob und wann man den Partner fürs Leben findet. Offen aber auch, weil es keine endgültigen Ziele mehr gibt, die zu erreichen sind, sondern alles immer weiter gesteigert werden kann und muss. Dies korreliert mit dem unglaublichen Zuwachs der Möglichkeiten, der daraus resultierenden Angst, etwas zu verpassen oder falsche Entscheidungen zu treffen, gefolgt vom Selbstoptimierungswahn und dem „Dasein als ein immerwährendes Entwicklungsprojekt“[55].
Vormals Wünschenswertes und typisch Erwachsenes wie Stabilität, Kontinuität, langfristige Planungssicherheit, gelten gegenwärtig eher als Hindernis denn als Garanten für eine gelungene Lebensführung. An ihre Stelle treten lebenslanges Lernen, regelmäßige berufliche Neuorientierungen und Partnerschaften auf Zeit, sogenannte „Lebensabschnittspartnerschaften“, also, je nach Sichtweise, Privilegien oder Lasten, die einst nur jungen Menschen zugestanden wurden.[56] Dadurch, dass nichts mehr sicher ist, ist es nötig, immer wieder Kursänderungen bei der eigenen Lebensplanung vorzunehmen, sich möglichst alle Chancen offenzuhalten sowie den größtmöglichen Gewinn und Nutzen für sich selbst zu ziehen – Hurrelmann schreibt dieses Verhalten einer Generation voller „Egotaktiker“[57] zu. Eine gute Bildung ist dabei die Grundvoraussetzung, weshalb die Generation Y schon seit ihrer Schulzeit mit allen Mitteln um gute Noten kämpft. Das Y klingt im englischen ausgesprochen wie „why“ und ist das passende Synonym einer Gesellschaft, die alles angezweifelt und hinterfragt, sich gleichzeitig auf nichts festlegt und sich nie sicher ist – eine Generation Maybe.[58] Trotz aller Krisengefühle, die die Ypsiloner von klein auf erfahren, sind sie dennoch überwiegend selbstbewusst und selbstständig. Bund sieht darin keinen Widerspruch: „Auf die Unsicherheit, die wir als Dauerzustand erleben, reagieren wir mit einem starken Glauben an uns selbst. Von der Gesellschaft hingegen erwarten wir wenig.“[59]
3.1. Bildung und Beruf
Der Sozialwissenschaftler Bernhard Heinzlmaier fällt wohl das härteste Urteil über die aktuelle Generation, wie bereits seine Buchtitel „Generation Ego“ und „Performer, Styler, Egoisten“ vermuten lassen. Als Jugendforscher und Leiter der Shell-Studien setzt er sich seit Jahren mit dem Thema auseinander und stellt fest, der junge Mensch von heute ist ein „homo oeconomicus“[60] Seine Grundthese lautet:
„Die betriebswirtschaftliche Logik hat das ganze Denken des Individuums erfasst. Es ist so selbstverständlich geworden, betriebswirtschaftlich zu denken, dass es dem Menschen nicht einmal mehr auffällt, wenn er es nicht tut. Das ganze Denken und Handeln ist auf den instrumentellen Nutzen in einem wirtschaftlichen Sinn ausgerichtet. Jeder Gedanke und jedes Tun muss seine Zweckmäßigkeit an etwas verbürgen, das außerhalb seiner selbst liegt, und das ist entweder ein ökonomischer oder ein machttechnischer Nutzen.“[61]
Schuld daran ist laut ihm, die Bildungsmisere, die durch den Ersatz von Bildung durch Ausbildung ausgelöst wurde, statt humanistischer Bildung nach Humboldt werden heutzutage bevorzugt Fachkompetenzen vermittelt. Er prangert Fachhochschulen und privat bezahlte Universitäten dafür ebenso an, wie die Einführung von Multiple-Choice-Prüfungen an elitären Universitäten[62] und fordert, „dass Schulen und Universitäten nicht mehr länger in erster Linie Informationen vermitteln, sondern auch Menschen erziehen und bilden sollen.“[63] Geisteswissenschaftliche Fächer werden von naturwissenschaftlichen verdrängt, Kultur wird abgelöst von Technologie und profitorientierte bildungspolitische Leitmetaphern wie Teamgeist, Flexibilität und Kommunikationsfähigkeit durchziehen die Schulen und Universitäten von heute.[64] Darunter leidet vor allem die Allgemeinbildung der Hochschulabsolventen, was im Umkehrschluss den Unternehmen schadet. Dennoch wird die Generation Y durch die ökonomisierte Bildung bereits optimal auf das kommende Arbeitsleben vorbereitet, in welchem sie, egal ob selbstständig oder angestellt als Entrepreneur agieren muss. Statt Arbeitnehmerunterweisungen vom Arbeitgeber zu erhalten, muss sich der Arbeitnehmer der Gegenwart als „unternehmerisches Selbst“ oder auch als „Arbeitskraftunternehmer“[65] inszenieren und seine Arbeitskräfte aus sich selbst heraus mobilisieren. Seit den 1990er Jahren vollzieht sich ein gesellschaftlicher Wandel von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft. Die Disziplinargesellschaft fand hinter verschlossenen Türen statt und es herrschte Gehorsam, wie zum Beispiel in Familien, Schulen und Fabriken. Die jetzigen Strukturen sind zwar unter dem Deckmantel der Freiheit aber dennoch kontrollierend. Aus der Fabrik wurde das Unternehmen, in dem jeder augenscheinlich seine Ideen und Ansätze beitragen kann, in dem in Wirklichkeit jedoch statt Fremdzwang lediglich Selbstzwang herrscht – „die Aktivierung von Selbststeuerungspotentialen tritt an die Stelle von Überwachen und Strafen“[66]. Die vermeintliche Freiheit wird jedoch zur Last, da der Arbeitnehmer unter permanentem Druck steht, eigenverantwortlich zu arbeiten, auf Abruf kreativ[67] zu sein und als Einzelkämpfer zu agieren. Zunehmende Burnout-Zahlen sind der Beweis für den hohen Preis der angeblichen Freiheit einer Gesellschaft, deren „Denken und Handeln [...] sich marktwissenschaftlichen Regeln wie Effizienz, Nützlichkeit, Verwertbarkeit, Funktionsfähigkeit und Rentabilität unterordnen“[68] muss. Bei dem Thema Arbeit und Selbstverwirklichung unterscheiden sich die Auffassungen. Heinzlmaier konstatiert, es werde für den jungen Menschen der Gegenwart immer schwieriger sich selbst in der Arbeit zu verwirklichen, wie das noch die Generation der 68er forderten. Stattdessen ist Arbeit nur dafür da, um sich finanziell in der Freizeit selbstverwirklichen zu können. Sicherheit, Konsum und soziales Prestige haben eine höhere Priorität als eigene Interessen und Leidenschaften. Drastisch ausgedrückt: „Kühl kalkulierend und mit stark begrenztem Horizont und engem Herz geht diese neue Elite der Ungebildeten durch die Welt, die Angst im Nacken, von anderen, ebenso „coolen“ Charakteren wie ihre eigenen übervorteilt und aus dem Weg geschlagen zu werden.“[69] Auf der anderen Seite gibt es einen Widerspruch wenn Heinzlmaier davon spricht, dass die Kontrollgesellschaft darauf ausgelegt ist, Arbeit mit Freude zu verrichten und sich zunehmend danach ausrichtet, alle anderen Lebensbereiche der selbstverwirklichenden Arbeit unterzuordnen, insbesondere Freundschaften, Beziehungen und die Familie.[70] Der gleichen Ansicht ist auch Hurrelmann, wenn er sagt, er sieht in den verwischten Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit sogar positive Auswirkungen für die Unternehmen, denn sie sind Systemveränderer der überkommenen Hierarchien: „die Ypsiloner schneiden viele unproduktive alte Zöpfe ab.“[71]
Ältere Generationen sind irritiert davon, dass Karriere, Status und Erfolg als Prioritäten verdrängt werden. „Der Beginn des guten Teils des Lebens wird nicht mehr, wie bei uns üblich, auf den ersten Tag nach dem Ende des Arbeitslebens geschoben“[72], schreibt Kosser, Vorgesetzte und Mutter einer Y-Tochter, stattdessen fragen die jungen Leute sogar schon beim Vorstellungsgespräch nach Home-Office und Sabbaticals.
3.2. Familie und Beziehungen
Die Shell Studien beweisen: „Familie ist in.“[73] Die Männer der Generation Y halten zu 71% eine eigene Familie als Garant für ein glückliches Lebens, bei den Y-Frauen sind es sogar 81%. Dennoch können nicht alle Ypsiloner dieses Vorhaben umsetzen, durch die verlängerten Ausbildungszeiten, verschiebt sich die Familienplanung immer mehr nach hinten und fällt zum Teil ganz aus. Hurrelmann stellt dabei wieder die Beweggründe des Egotaktikers in den Vordergrund, bei denen Hochzeit und Kinderkriegen heutzutage keine Normalität mehr sind, sondern „nicht mehr als denkbare Optionen“[74], die vor allem die unliebsame Festlegung bedeutet. Generell sind Beziehungen austauschbarer geworden, man trennt sich schneller, auf der anderen Seite sind sie heute intensiver, da die Partner mehr auf die Bedürfnisse des anderen eingehen, ohne gesellschaftliche Verpflichtungen wie noch vor 50 Jahren. Intensiver aber auch deshalb, weil die Partnerschaft in einer Konkurrenz- und Leistungsgesellschaft als einziger Rückzugsort verstanden wird, in der kein Schein und keine Selbstdarstellung gewahrt werden muss.
„In einer Welt der totalen sozialen Flexibilität, des Netzwerkens um den eigenen Vorteil, in der auch das zwischenmenschliche Beziehungsleben immer stärker der ökonomischen Rationalität unterliegt, bedeutet der Verlust der Partnerschaft eine soziale Katastrophe, die den jungen Menschen alleine in einer Welt von Gegnern und Feinden zurückbleiben lässt. Gerade deshalb hat das Zerbrechen von romantischen Beziehungen mehr als früher das Potenzial für emotionale Katastrophen bis hin zum totalen psychischen Zusammenbruch.“[75]
[...]
[1] Klaus Hurrelmann/Erich Albrecht, Die heimlichen Revolutionäre. Wie die Generation Y unsere Welt verändert, Weinheim 2013 .
[2] Bernhard Heinzlmaier/Phillip Ikrath, Generation Ego. Die Werte der Jugend im 21. Jahrhundert, Wien 2013; Ders., "Performer, Styler, Egoisten. Über eine Jugend, der die Alten die Ideale abgewöhnt haben", Berlin, 2013.
[3] Vgl. Phillip Riederle, Wer wir sind und was wir wollen, Ein digital Native erklärt seine Generation. München 2014.
[4] Vgl. Georg Bollenbeck/Gerhard Kaiser, Kulturwissenschaftliche Ansätze in den Literaturwissenschaften, in: Friedrich Jäger/Jürgen Straub (Hg.), Handbuch der Kulturwissenschaften. Bd. 2: Paradigmen und Disziplinen, Stuttgart/Weimar 2004, S. 615-637, hier: S. 633.
[5] Leif Randt, Schimmernder Dunst über Coby County, Berlin 2011. Die zitierten Romanauszüge werden in dieser Arbeit innerhalb des Textes in Klammern hinter das Zitat gestellt und mit der Abkürzung SD und der jeweiligen Seitenzahl versehen.
[6] Kristine Bilkau, Die Glücklichen, München 2015. Erstmals als Taschenbuch erscheint der Roman am 09.01.2017 im btb Verlag. Die zitierten Romanauszüge werden in dieser Arbeit innerhalb des Textes in Klammern hinter das Zitat gestellt und mit der Abkürzung DG und der jeweiligen Seitenzahl versehen.
[7] Thomas Andre, Der Generationenkonflikt in der deutschen Popliteratur, Bremen 2006, S. 11.
[8] Christian Kracht, Faserland, Köln 1995. Die zitierten Romanauszüge werden in dieser Arbeit innerhalb des Textes in Klammern hinter das Zitat gestellt und mit der Abkürzung KF und der jeweiligen Seitenzahl versehen.
[9] Markus Neuschäfer, Das bedingte Selbst. Familie, Identität und Geschichte im zeitgenössischen Generationenroman, Göttingen 2013, S. 15.
[10] Simone Costagli/Matteo Galli (Hg.), Deutsche Familienromane. Literarische Genealogien und internationaler Kontext, München [u.a.] 2010, S. 8f.
[11] Zitat aus ebd. S. 8. Zitiert aus A. Klingenberg/ C. Träger, „Familienroman“, in: Wörterbuch der Literaturwissenschaft, hg. von Claus Träger, Leipzig 1986, S. 158.
[12] Ebd. S. 7.
[13] Ebd. S. 16.
[14] Ebd. S. 17.
[15] Ebd.S. 18.
[16] Thomas Anz, Epochenumbruch und Generationenwechsel? Zur Konjunktur von Generationenkonstrukten seit 1989, in: Gerhard Fischer/David Roberts (Hg.), Schreiben nach der Wende, Ein Jahrzehnt deutscher Literatur 1989-1999, 2. Auflage, Tübingen 2007, S. 31-40, hier: S. 36.
[17] Vgl. Ute Daniel, Kompendium Kulturgeschichte. Theorien, Praxis, Schlüsselwörter, 5. durchgesehene und aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2006, S. 333.
[18] Ulrike Jureit/Michael Wildt, Generationen, in: dies. (Hg.), Generationen. Zur Relevanz eines wissenschaftlichen Grundbegriffs, Hamburg 2005, S. 7- 26, hier: S. 7.
[19] Bernhard Giesen, Generation und Trauma, in: Jürgen Reulecke (Hg.), Generationalität und Lebensgeschichte im 20. Jahrhundert, München 2003, S. 59-71, S. 59.
[20] Jureit, Generationen, S. 8.
[21] Andreas Kraft/Mark Weißhaupt, Erfahrung – Erzählung – Identität und die Grenzen des Verstehens. Überlegungen zum Generationenbegriff, in: dies. (Hg.), Generationen. Erfahrung – Erzählung – Identität, Konstanz 2009, S. 17-47, hier: S. 19.
[22] Sigrid Weigel, Generation, Genealogie, Geschlecht. Zur Geschichte des Generationskonzepts und seiner wissenschaftlichen Konzeptualisierung seit Ende des 18. Jahrhundert, in: Lutz Musner/Gotthart Wunberg (Hg.), Kulturwissenschaften. Forschung – Praxis – Positionen, Freiburg im Breisgau 2003, S. 177-208, hier: S. 179.
[23] Björn Bohnenkamp, Generation als Erzählung. Zur narrativen Inszenierung sozialer Beziehungen, in: Hajnalka Nagy/Werner Wintersteiner (Hg.), Immer wieder Familie. Familien- und Generationenromane in der neueren Literatur, Innsbruck [u.a.] 2012, S. 27-40, hier: S. 30.
[24] Björn Bohnenkamp/Till Manning/Eva-Maria Silies, Argumentation, Mythos, Auftrag, Konstrukt. Generationelle Erzählungen in interdisziplinärer Perspektive, in: dies. (Hg.), Generation als Erzählung. Neue Perspektiven auf ein kulturelles Deutungsmuster, Göttingen 2009, S. 9-29, hier: S. 10.
[25] Martin Gloger, Die soziologische Generationenforschung als Mythenjagd - Überlegungen zum Thema 89er-Generation als Forschungegenstand, in: Generationen-gerechtigkeit. Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen, 2 (2007), S.7-9.
[26] Vgl. Daniel, Kompendium, S. 331; Jureit, Generationen, S. 17.
[27] Bohnenkamp/Manning/Silies, Argumentation, S. 12.
[28] Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte [1700 - 1990]. Bundesrepublik und DDR: 1949-1990, Bd. 5, München 2008.
[29] Vgl. Bohnenkamp, Generation als Erzählung, v.a. S. 27, 29, 33.
[30] Vgl. Ulrike Jureit, Generationenforschung, Göttingen 2006, S. 13f.
[31] Bohnenkamp, Generation als Erzählung, S. 31.
[32] Jureit/Wildt, Generationen, S. 21.
[33] Neuschäfer, Das bedingte Selbst, S. 17.
[34] Friederike Eigler, Gedächtnis und Geschichte in Generationenromanen seit der Wende, Berlin 2005, S. 32.
[35] Vgl. ebd., S. 25
[36] Kaspar Maase, Farbige Bescheidenheit. Anmerkungen zum postheroischen Generationsverständnis, in: Ulrike Jureit/Michael Wildt (Hg.), Generationen. Zur Relevanz eines wissenschaftlichen Grundbegriffs, Hamburg 2005, S. 220-242.
[37] Ebd., S. 239.
[38] Jureit, Generationenforschung, S. 96.
[39] Markus Neuschäfer, Vom doppelten Fortschreiben der Geschichte. Familiengeheimnisse im Generationenroman, in: Gerhard Lauer (Hg.), Literaturwissenschaftliche Beiträge zur Generationsforschung , Göttingen 2010, S. 164-203, hier: S. 164; vgl. auch Eigler, Gedächntis und Aleida Assmann, Unbewältigte Erbschaften. Fakten und Fiktionen im zeitgenössischen Generationenroman, in: Andreas Kraft/Mark Weißhaupt (Hg.), Generationen. Erfahrung – Erzählung – Identität, Konstanz 2009, S. 49-69.
[40] Julian Reidy, Rekonstruktion und Entheroisierung. Paradigmen des ,Generationenromans’ in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, Bielefeld 2013.
[41] Karl Mannheim, Das Problem der Generationen, in: ders., Wissenssoziologie, Berlin, Neuwied 1984, S. 509-565.
[42] Mannheim, Problem, S. 525f.
[43] Ebd. S. 526.
[44] Ebd. S. 536.
[45] Ebd. S. 547. Kursiv markierte Wörter so im Aufsatz.
[46] Björn Bohnenkamp, Vom Zählen und Erzählen. Generationen als Effekt von Kulturtechniken in: ders. [u.a.] (Hg.), Generation als Erzählung. Neue Perspektiven auf ein kulturelles Deutungsmuster, Göttingen 2009, S, 72-88, hier: S. 87.
[47] Vgl. Jureit, Generationen, S. 12f.
[48] Jürgen Zinnecker, „Das Problem der Generationen“. Überlegungen zu Karl Mannheims kanonischen Text, in: Reulecke, Generationalität, S. 33-58, hier: S. 33.
[49] Ebd. S. 45f.
[50] Bohnenkamp, Generation als Erzählung, S. 32.
[51] Jureit/Wildt, Generationen, S. 9.
[52] Sigrid Weigel, Familienbande, Phantome und die Vergangenheitspolitik des Generationsdiskurses. Abwehr von und Sehnsucht nach Herkunft, in: Jureit, Generationen, S. 108-126, hier: S. 115.
[53] Vgl. Hurrelmann, Revolutionäre, S. 28.
[54] Ebd. S. 29.
[55] Heinzlmaier, Generation Ego, S. 16.
[56] Ebd.
[57] Hurrelmann, Revolutionäre, S. 31.
[58] Vgl. Oliver Jeges, Generation Maybe. Die Signatur einer Epoche, Berlin 2014.
[59] Kerstin Bund, Glück schlägt Geld. Generation Y: Was wir wirklich wollen, Hamburg 2014, S. 46.
[60] Heinzlmaier, Performer, S. 9.
[61] Ebd., S. 17.
[62] Ebd. S. 12.
[63] Ebd. S. 25.
[64] Vgl. ebd., S. 8ff; Ders. Generation Ego, S. 131ff.
[65] Heinzlmaier, Performer S. 16 und 17.
[66] Ebd. S. 20.
[67] Vgl. zur Pficht der Kreativität: Ders. Generation Ego, S. 64.
[68] Ebd. S. 40; vgl. auch ebd. S. 69 Tabelle über Druck und Stressempfinden Jugendlicher und junger Erwachsener nach Altersgruppen, die deutlich macht, junge Menschen stehen heute unter enormen Leistungsdruck.
[69] Ders. Performer, S. 12.
[70] Ebd. S. 20f.
[71] Hurrelmann, Revolutionäre, S. 82.
[72] Ursula Kosser, Ohne uns. Die Generation Y und ihre Absage an das Leistungsdenken, Köln 2014., S. 11.
[73] Ebd. S. 86.
[74] Ebd. S. 88.
[75] Heinzlmaier, Generation Ego. S. 44.
- Arbeit zitieren
- Ronja Menzel (Autor:in), 2017, Generation Y. Literarische und Soziologische Aspekte eines Begriffes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/443983
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.