1. Problemstellung
Das Interview ist die häufigste angewandte Methode zur Gewinnung von
Informationen. Dies ist jedoch schon der kleinste gemeinsame Nenner, den
alle Sozialwissenschaftler vertreten. Aus den Überlegungen über das „richtige“
Interview hat sich eine Vielzahl von Darstellungen, Techniken und Stilen des
Interviews herausgebildet. Grund dieser Diversifikationen ist – auch indirekt -
der Umgang mit dem Problem des Interviews als sozialer Beziehung.
Wie jede Art der Kommunikation birgt auch das Interview einige
Fehlerquellen, so daß der Forscher nicht zu der Information kommen könnte,
die er eigentlich haben möchte. Zwar ähnelt die Interviewsituation einem
Alltagsgespräch, bleibt aber nie frei von einer gewissen Künstlichkeit. Diese
ist gekennzeichnet durch: 1.Frager und Befragter sind sich einander fremd, 2.
es handelt sich um eine asymmetrische, dyadische Beziehung und 3.
Äußerungen des Befragten bleiben folgenlos, was dem Befragten aber nicht
bewußt sein muss.
zu 1: Trotz der Fremdheit übernehmen beide Personen Rollen, wobei für den
Interviewer Rollenvorschriften existieren, die sich z.B. an der Vorgabe
orientieren, ob das Interview weich, neutral oder hart durchgeführt werden soll.
Für den Befragten gelten diese Rollenvorschriften so nicht, er muss aus seiner
Erfahrung eine ähnliche Situation abrufen. Dem Befragten wird lediglich
unterstellt, daß er seine Informationen für mitteilenswert hält.
zu 2: Die Asymmetrie besteht darin, daß alle Aktivitäten vom Interviewer
ausgehen. Der Befragte ist passiv und „nur“ Datenträger; er trägt die
Merkmale, die den Forscher interessieren und die der Interviewer abfragen soll.
zu 3: Äußerungen in der Öffentlichkeit oder auch im Privatleben können für
das einzelne Individuum Folgen haben (Ehepartner, Freunde, Arbeitgeber,
Polizei etc.), im Interview hingegen bleiben Äußerungen folgenlos. Trotz Zusicherung von Anonymität kann dies bei Fragestellungen mit schwierigem
Inhalt zu nicht gewünschten Äußerungen, sprich Artefakten kommen.
[...]
Gliederung
1. Problemstellung
2. Kommunikation im Interview
2.1 SàR oder SàPàR Modell?
2.1.1 SàR Modell
2.1.2 SàPàR Modell
2.2 Grad der Gemeinsamkeit
2.3 weitere kommunikationstheoretische Ansätze
3. Reaktivität im Interview
3.1 Interviewstil: weich, neutral, hart?
3.1.1 Der weiche Stil
3.1.2 Der harte Stil
3.1.3 Der neutrale Stil
3.2 Soziale Erwünschtheit
3.3 Zustimmungstendenz
3.4 Merkmale des Interviewers
3.5 Merkmale des Befragten
3.6 weitere Formen der Reaktivität
4. Schlussbemerkung
Literaturverzeichnis
Anhang
1. Problemstellung
Das Interview ist die häufigste angewandte Methode zur Gewinnung von Informationen.[1] Dies ist jedoch schon der kleinste gemeinsame Nenner, den alle Sozialwissenschaftler vertreten. Aus den Überlegungen über das „richtige“ Interview hat sich eine Vielzahl von Darstellungen, Techniken und Stilen des Interviews herausgebildet. Grund dieser Diversifikationen ist – auch indirekt - der Umgang mit dem Problem des Interviews als sozialer Beziehung.
Wie jede Art der Kommunikation birgt auch das Interview einige Fehlerquellen, so daß der Forscher nicht zu der Information kommen könnte, die er eigentlich haben möchte. Zwar ähnelt die Interviewsituation einem Alltagsgespräch,[2] bleibt aber nie frei von einer gewissen Künstlichkeit. Diese ist gekennzeichnet durch: 1.Frager und Befragter sind sich einander fremd,[3] 2. es handelt sich um eine asymmetrische, dyadische Beziehung[4] und 3. Äußerungen des Befragten bleiben folgenlos, was dem Befragten aber nicht bewußt sein muss.[5]
zu 1: Trotz der Fremdheit übernehmen beide Personen Rollen, wobei für den Interviewer Rollenvorschriften existieren, die sich z.B. an der Vorgabe orientieren, ob das Interview weich, neutral oder hart durchgeführt werden soll. Für den Befragten gelten diese Rollenvorschriften so nicht, er muss aus seiner Erfahrung eine ähnliche Situation abrufen. Dem Befragten wird lediglich unterstellt, daß er seine Informationen für mitteilenswert hält.
zu 2: Die Asymmetrie besteht darin, daß alle Aktivitäten vom Interviewer ausgehen. Der Befragte ist passiv und „nur“ Datenträger;[6] er trägt die Merkmale, die den Forscher interessieren und die der Interviewer abfragen soll.
zu 3: Äußerungen in der Öffentlichkeit oder auch im Privatleben können für das einzelne Individuum Folgen haben (Ehepartner, Freunde, Arbeitgeber, Polizei etc.), im Interview hingegen bleiben Äußerungen folgenlos. Trotz Zusicherung von Anonymität kann dies bei Fragestellungen mit schwierigem Inhalt zu nicht gewünschten Äußerungen, sprich Artefakten kommen.
Unter einem Artefakt wird eine durch das Messinstrument eingeschränkte oder provozierte Meinungsäußerung verstanden.[7]
Artefakte entstehen immer dann, wenn der Befragte mit der Befragungssituation nicht umgehen kann, sei es aufgrund der inhaltlichen Fragestellung oder aufgrund der Befragungssituation.
Eine ähnliche Definition gibt Scholl für die Reaktivität:
„Der Begriff der Reaktivität besagt, dass das Forschungsobjekt aufgrund der Anwesenheit des Forschers (in diesem Fall des Interviewers als sein Stellvertreter) anders reagiert, als es bei dessen Abwesenheit reagiert hätte oder als es in sonstigen sozialen Interaktionen reagieren würde.“[8]
Egal ob Artefakte oder Reaktivität – im Englischen „response sets“ genannt -, beide können zu falschen Interpretationen des Interviews durch den Forscher führen. Grundlegend ist hierbei auch die Annahme, dass der Befragte in einem Interview nie lügt.[9]
Die Forschung spaltet sich in verschiedene Richtungen, Methoden, Ansätze auf. Im folgenden sollen die beiden grundlegenden kommunikationstheoretischen Ansätze – das SàR und das SàPàR Modell - erläutert werden. Nahezu alle Ansätze in der Literatur lassen sich dem einen oder andern zuordnen.[10] Darüber hinaus kann man daraus die wichtigsten Reaktivitäten und Artefakte ableiten. Diese müssen in jedem Forschungsprozess, welcher das Interview als Methode nutzen will, bedacht werden, wenn man zu validen Ergebnissen kommen will. Die wichtigsten Reaktivitäten und Ansätze sollen hier erläutert werden.
2. Kommunikation im Interview
Um die Fehlervariablen zu minimieren, gibt es mehrere Ansätze, welche Herangehensweise die richtige ist. Wie gesagt lassen sich nach Atteslander alle Überlegungen im Endeffekt auf zwei Grundhaltungen zurückführen: entweder geht man von dem SàR oder von dem SàPàR Modell aus.[11] Dabei steht S für Stimulus, P für Person und R für Response oder Reaktion.
Der Stimulus wird vom Interviewer ausgelöst und repräsentiert hierbei jede einzelne Frage.
Die Reaktion ist die Beantwortung der Frage und stellt somit das zu bewertende Ergebnis für den Forscher dar.
Ein weitere Ansatz ist die Frage nach dem Grad der Übereinstimmung der Kommunikation zwischen Interviewer und Befragten, welcher in 2.2 behandelt werden soll. Abschließend soll in 2.3 ein weiteres Modell eines möglichen Kommunikationsablaufes dargestellt werden.
2.1 SàR oder SàPàR Modell?
2.1.1 SàR Modell
Anhänger dieser Sichtweise gehen davon aus, daß es einen zwingenden Zusammenhang zwischen dem gegebenen Stimulus S - also der Frage - und der Reaktion R gibt.[12] Der Mensch als Träger der Information wird sozusagen als „black box“ betrachtet. Es interessieren hierbei die internen Verarbeitungsvorgänge im Menschen nicht. Demzufolge legen jene Autoren auch großen Wert auf die Kontrolle des Stimulus.[13] Die Forschung konzentriert sich auf den Interviewer und Gestaltung der Fragen und des Fragebogens. Die extremste Ausgestaltung der Anhänger liegt darin, daß noch nicht einmal der Interviewer geschult, sondern der Fragebogen perfekt sein muss: „Nicht der Interviewer, der Fragebogen muss schlau sein.“[14]
Das SàR Modell ist trotz der Anerkennung der Problematik der sozialen Beziehung immer noch sehr häufig bei Repräsentativumfragen zu finden.[15]
2.1.2 SàPàR Modell
Bei diesem Modell wird davon ausgegangen, daß es keine zwingende Verbindung zwischen dem Stimulus S und Reaktion R gibt.[16] Die Entwicklung hin zu diesem Modell fand eher indirekt in einzelnen Forschungsprojekten statt, die der Problematik mehr Aufmerksamkeit schenkten; es wird systematisch bisher nur von Atteslander vertreten, während andere Autoren, die sich im Ganzen mit den Methoden der empirischen Sozialwissenschaft beschäftigen, nur unterschwellig diese Position vertreten.[17]
Dieses Modell ermöglicht erst das Einbringung und das Erkennen weiterer möglicher Variablen, somit entspricht es der komplexen Wirklichkeit des Interviews eher als das SàR Modell.
Der Stimulus S steht in einem sogenannten Zeit-Raum Zusammenhang – zusätzlich zum Stimulus Reiz genannt, welche nicht miteinander verwechselt werden dürfen -. In der Variable Zeit findet man Bedingungen, ob z.B. der Befragte in Eile ist oder ob genug Zeit hat, den Fragen des Interviewers Aufmerksamkeit zu schenken.[18] Mit der Variable Raum ist gemeint, ob das Interview zu Hause, auf der Strasse, beim Auftraggeber etc. durchgeführt wird.[19] Zusätzlich ist im Reiz auch die gesamte „Ausstrahlung“ und das Verhalten des Interviewers und des Fragebogens intendiert.[20]
Beide zusammen, also Reiz und Stimulus, wirken auf den Befragten. „Empfindungen, Ängste und Erwartungen beziehen sich also beim Befragten nicht nur auf die Frage selbst, sondern auf die gesamte Befragungssituation.“[21]
Die Antwort wird nicht kausal gesehen, sondern als ein durch eine mögliche Vielzahl von Variablen beeinflußtes Reaktionssystem – siehe Abb. Anhang -.
Der Stimulus ist immer noch ausschlaggebend, allerdings wird er vom Reiz beeinflußt. Die befragte Person bewertet den Reiz oder den Stimulus und deutet ihn. Die Reaktionsermittlung führt dann zur Antwort. Alle drei Schritte bedingen sich einander und sind zusätzlich zum Reiz noch von den Normvorstellungen des Befragten abhängig.
Somit kann alles Denkbare in den Prozess des Interviews mit hinein spielen: Eventuell reagiert der Befragte auf die Kleidung, Hautfarbe oder das Aussehen des Interviewers, wobei es hier klassische Untersuchungen zu Befragungen von Schwarzen durch Weiße bzw. Schwarze und den Unterschieden der Ergebnisse von Befragungen durch Frauen bzw. Männer gibt.[22] Oder aber der Befragte reagiert auf den Inhalt der Fragen in Bezug zum Interviewer - siehe 3.2 – und gibt eine sozial erwünschte Antwort. Oder er wird durch den Fragebogen in seinen Antworten gelenkt und zu bestimmten Aussagen „gezwungen“.
Wichtig ist hierbei , daß alle diese Variablen nicht mehr als Störfaktoren angesehen werden, sondern als Bedingungen der Reaktionsermittlung. Damit rückt die gesamte Situation des Interviews in die Forschungsperspektive.[23]
[...]
[1] siehe J. Reine>
[2] siehe A. Scholl: Die Befragung als Kommunikationssituation. Zur Reaktivität im Forschungsinterview, Opladen, 1993, S. 13.
[3] siehe H. Kromrey: Empirische Sozialforschung, 4. Aufl., Opladen, 1990, S. 198.
[4] siehe ebda., S. 198f.
[5] siehe ebda., S. 199.
[6] siehe auch A. Scholl, a.a.O., S. 13.
[7] P. Atteslander: Methode der empirischen Sozialforschung, Berlin, 2000, S. 128.
[8] A. Scholl, a.a.O., S. 14.
[9] siehe P. Atteslander, a.a.O., S. 121.
[10] vgl. P. Atteslander, a.a.O., S. 118.
[11] vgl. P. Atteslander, a.a.O., S. 118.
[12] siehe ebda., S. 118.
[13] siehe ebda., S. 118.
[14] siehe ebda., S. 118.
[15] siehe P. Atteslander, a.a.O., S. 118.
[16] siehe ebda., S. 119.
[17] siehe ebda., S. 119.
[18] siehe ebda., S. 120.
[19] siehe ebda., S. 120.
[20] siehe ebda., Abb. S. 119 o. Anhang.
[21] ebda., S. 119.
[22] vgl. P. Atteslander, a.a.O., S. 122-124.
[23] siehe ebda., S. 120.
- Quote paper
- Jan Oswald (Author), 2002, Das Interview als soziale Beziehung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/44221