Der persische Arzt und Philosoph Avicenna (Ibn Sina) lebte von ca. 980-1037. Er war ein überaus begabter und reger Wissenschaftler in Medizin, Philosophie, Mathematik, Physik, Logik und vielen anderen Fachgebieten. Der Überlieferung nach hat er etwa 400-450 Bücher geschrieben. Darüber hinaus war er als Arzt, Lehrer, politischer Berater und Regierungsangestellter an vielen verschiedenen Orten des damaligen Irans tätig. Avicenna, der auch bekannt wurde als Prinz der Ärzte, leistete dies gänzlich ohne die zahlreichen technischen Errungenschaften, die uns heute zur Verfügung stehen. Seine beeindruckende Leistungskraft und sein umfangreiches Wissen zu würdigen und auch in Erinnerung zu erhalten, soll die Kurzbiografie „Avicenna, der Prinz der Ärzte“ beitragen.
Vorwort
Über Avicennas Leben und Werk sind bereits viele Fachbücher und wissenschaftliche Aufsätze in Arabisch, Englisch, Deutsch und vielen anderen Sprachen geschrieben worden. Auch etliche Biografien sind über ihn in Buchform oder als Online-Veröffentlichungen herausgegeben worden. Dennoch will ich es wagen, eine kurze biografische Skizze hinzufügen, obwohl ich erst vor etwa zwei Jahren zum allerersten Mal den Namen Avicenna gehört habe. Ich bin damit also eine absolute Laiin im Blick auf sein umfangreiches Schaffen und Wissen. Aber all das, was Avicenna in seinem relativ kurzen Leben geleistet und an Wissen entwickelt hat, hat mich tief beeindruckt.
Dieser begabte Gelehrte lebte im 10./11. Jahrhundert und hat der Überlieferung nach mehr als 400 Bücher verfasst. Darüber hinaus hat er als Arzt, Lehrer und politischer Berater gearbeitet. Auch hat er relativ oft seinen Wohn- und Arbeitsort gewechselt und ist, wenn auch meist unfreiwillig, viel gereist. Zu seiner Zeit gab es keine Automobile oder Flugzeuge, keine Schreibmaschinen oder Computer – kein Telefon, kein Internet. Avicenna verrichtete all seine mannigfaltigen Arbeiten ohne die vielen technischen Errungenschaften und technologischen Erfindungen, die uns heute zur Verfügung stehen. Seine beeindruckende Leistungskraft und sein umfangreiches Wissen in Medizin, Philosophie, Mathematik und vielen anderen Fachbereichen zu würdigen und für immer in Erinnerung zu erhalten, soll die hier vorliegende Kurzbiografie beitragen.
Jerusalem, September 2018
1. Einleitung: Das Goldene Zeitalter
Der Begriff „Goldenes Zeitalter” wurde erst im 19. Jahrhundert geprägt und bezieht sich auf einen ganz bestimmten Zeitraum der islamischen Geschichte, und zwar auf die Zeit vom 7./8. Jahrhundert bis zum 11./12. Jahrhundert. Während dieser Epoche wurde die islamische Welt von verschiedenen Kalifen regiert und sehr oft durch massive, interne Machtkämpfe zerrissen. Dennoch brachte diese Epoche bemerkenswerte Fortschritte in den Bereichen Wissenschaft, Wirtschaft und kulturelles Schaffen hervor.[1] „Diese Periode ... begann während der Herrschaft des abbasidischen Kalifen Harun al-Rashid (786 bis 809) mit der Einweihung des Hauses der Weisheit in Bagdad, wo Gelehrte aus verschiedenen Teilen der Welt mit vielen unterschiedlichen kulturellen Hintergründen zusammenkamen und beauftragt wurden, alles klassische Wissen der Welt in die arabische Sprache zu übersetzen.“[2]
Das hatte zur Folge, dass sich das damalige Zentralasien zu einem intellektuellen Zentrum für Wissenschaft, Philosophie und Medizin entwickelte. Es wurde zu einem Schmelztiegel der Kulturen, wo Gelehrte Wissen aus sehr vielen früheren Hochkulturen[3] zusammentrugen und weiter entwickelten. In diese Zeit fallen auch der Aufstieg und Niedergang des Samanidenreiches (819 bis 999). Dieses sunnitisch-iranische Reich wurde vor allem bekannt, weil es Bildung und Wissenschaft sowie das persische Nationalgefühl sehr gefördert hat. Es unterstützte die Wiederbelebung der persischen Sprache und Kultur nach der arabischen Vorherrschaft.[4] „Viele Autoren beschreiben diese Jahre als das goldene Zeitalter der Samaniden-Herrschaft, weil Literatur, Philosophie und Kultur zu dieser Zeit ihre Blüte erlebten. Die wichtigste Rolle in diesem Prozess spielten die samanidischen Wesire, die selbst zu den Gelehrten ihrer Zeit gehörten.“[5]
In diese turbulente und gleichzeitig interessante und neu-aufblühende Zeitperiode wurde Abū-ʿAlī al-Ḥusayn ibn-ʿAbdallāh Ibn-Sīnā hineingeboren.
2. Avicennas Herkunft und Ausbildung
Ibn Sin, der in der westlichen Welt unter dem Namen Avicenna bekannt ist, wurde 980 geboren oder, wie der Forscher Dimitri Gutas vermutet, um 970 oder sogar noch etwas früher.[6] Seine ersten Lebensjahre verbrachte Avicenna in Afschana, in einem Dorf in der Nähe von Buchara im heutigen Usbekistan. Seine Mutter stammte aus Afschana. Ihr Name Setareh bedeutet „Stern” und kommt aus dem Persischen. Dies weist darauf hin, dass Avicennas Mutter persischer Abstammung war. Ob auch sein Vater persischer Herkunft war, ist nach Aussagen des Autors Soheil Afnan bis heute nicht ganz eindeutig.[7]
Avicennas Vater, Abdullah, kam aus Balkh, das im heutigen Afghanistan liegt. Balkh war zu jener Zeit eine wichtige wirtschaftliche und politische Metropole, die sowohl Gelehrten als auch gläubigen Anhängern verschiedener Religionen als intellektuelles und religiöses Zentrum diente. „Hier trafen sich Zoroastrismus, Buddhismus, Manichäismus, Nestorianisches Christentum und schließlich auch der Islam.“[8] Ab etwa 977 diente Avicennas Vater als Gouverneur des nahe gelegenen Bezirks Karmaytan.[9] Er stand somit im Dienst der persischen Samaniden-Dynastie, die Transoxanien und Chorasan mit Buchara als Hauptstadt regierte.[10]
Avicenna hatte einen jüngeren Bruder. Beide wuchsen in einem religiösen, nicht-orthodoxen Elternhaus auf, ein Umstand, den Avicenna sein Leben lang versuchte, geheim zu halten, der uns aber vielleicht hilft, viele seiner Schwierigkeiten und Probleme im Leben und Beruf zu verstehen.[11]
Nur einige Jahre nach Avicennas Geburt zog die Familie nach Buchara, der Hauptstadt des Samanidenreiches seit 850. Die alte persische Stadt diente Jahrhunderte lang als ein wichtiges Zentrum der islamischen Kultur und zog Gelehrte und Intellektuelle an. Avicenna profitierte von der kulturellen Entwicklung dieser Stadt, in der er seine Jugend verbrachte und eine hervorragende Ausbildung erhielt.[12]
„Er zeigte schon von früher Kindheit an eine bemerkenswerte Begabung zum Lernen. Er hatte auch das Glück, dass sein Vater, ein Ismaili[13], großes Interesse an seiner Ausbildung zeigte und dessen Haus ein Treffpunkt für Gelehrte aus nah und fern war.“[14] Avicenna wurde von ausgezeichneten Lehrern in verschiedenen Fachgebieten unterrichtet, wie zum Beispiel in Rechtsprechung, Naturwissenschaften und Physik.[15] „Schon im Alter von zehn Jahren lernte Avicenna den gesamten Koran auswendig. Er lernte auch Grammatik, und danach machte er sich daran, Mathematik und die Wissenschaft der Logik zu studieren ... Nachdem er diese Fächer schnell gemeistert hatte, wandte er sich der Physik, Metaphysik und Medizin zu ... Im Alter von sechzehn Jahren galt er bereits als ein Meister aller Wissenschaften seiner Zeit, mit Ausnahme der Metaphysik [bei der er Verständnisschwierigkeiten hatte] ...“[16] Aber er löste dieses Problem ganz für sich allein, indem er sachbezogene Bücher las. Besonders hilfreich war ihm dabei das Buch von Abu Nasr al-Farabi, Purposes of the Metaphysics of Aristotle.[17]
Avicennas berufliche Karriere begann bereits im Alter von etwa siebzehn Jahren, als er zur Behandlung des schwerkranken Amir Nuh b. Mansur (Regierungszeit: 976-997) gerufen wurde.[18] „Es geschah ..., dass Nuh b. Mansur, der regierende Prinz, krank wurde. Unfähig ihm zu helfen, schlugen seine Ärzte vor, dass Avicenna, von dessen Belesenheit sie viel gehört hatten, herbeigeholt werden sollte. Er wurde rechtzeitig gerufen, und in Zusammenarbeit mit den anderen Ärzten behandelte er erfolgreich den royalen Patienten und wurde daraufhin in seinen Dienst aufgenommen.“[19] Avicenna wurde aufgrund seines Fachwissens und seiner medizinischen Kompetenz bald zum Liebling des Herrschers. Er erhielt die spezielle Erlaubnis, die königliche Bibliothek der samanidischen Herrscher zu benutzen, die als eine der besten in der mittelalterlichen Welt galt. Der Beschreibung nach war diese Bibliothek „... ein großes herrschaftlich wirkendes Haus mit vielen Räumen, in denen Truhen über Truhen mit Büchern standen ... Jeder Raum war einem besonderen Thema gewidmet; und als er die griechische Abteilung erreichte, äußerte er: ‘Ich sah Bücher, deren Namen vielen noch unbekannt sind - Werke, die ich nie zuvor gesehen und seitdem nicht mehr gesehen habe. Ich lese diese Bücher und mache mir Notizen zu ihren Inhalten.’“[20] Da Avicenna Zugang zu wissenschaftlichen, philosophischen und anderen Büchern hatte und von gut ausgebildeten Lehrern unterrichtet wurde, kannte Avicenna sich sehr wahrscheinlich schon im Alter von achtzehn Jahren hervorragend in den griechischen Wissenschaften aus.[21]
Als Avicenna etwa einundzwanzig Jahre alt war, starb sein Vater.[22] Sein Leben änderte sich dramatisch nach dessen Tod.[23] Danach nahm Avicenna nach Dimitri Gutas' Ausführungen auch administrative Aufgaben an und folgte so den Fußspuren seines Vaters als Gouverneur von Karmaytan.[24] Schon in relativ jungen Jahren übte er zwei Berufe gleichzeitig aus – den des Arztes und des politischen Verwalters.[25]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2. Landkartenausschnitt, Avicennas Reisen/Wanderungen
[...]
[1] Vgl. Lombard, Maurice: The Golden Age of Islam. Princeton, 2009.
[2] https://en.wikipedia.org/wiki/Islamic_Golden_Age#History_of_the_concept
[3] Hochkulturen wie zum Beispiel die römische, griechische, persische, chinesische, indische und ägyptische Kultur.
[4] Shahmiri, Cyrus: Samanid Dynasty, online: http://www.iranchamber.com/history/samanids/samanids.php (Iran Chamber Society).
[5] Ebd.; siehe auch: Afnan, Soheil: Avicenna, his Life and Works. London, 1958: 56.
[6] Gutas, Dimitri, “Ibn Sina [Avicenna]”, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Herbst 2016 Edition), Zalta, Edward N. (Hg.); online: https://plato.stanford.edu/archives/fall2016/entries/ibn-sina/
[7] Afnan, 1958: 41ff, 57f.
[8] Afnan, 1958: 57.
[9] Afnan, 1958: 58; Gutas, 2015, 6.
[10] Siehe Fußnote 6.
[11] Afnan, 1958: 58-59.
[12] Gutas, 2015: 6.
[13] „Der Ismailismus entwickelte sich zum größten Zweig des schiitischen Islams. Er erreichte seinen Höhepunkt im 10.-12. Jahrhundert. Seine Mitglieder sehen Mohammed als den letzten Propheten und die Familie von Mohammed als göttlich erwählt, um die islamische Gemeinschaft zu führen, eine Überzeugung, die sie von der mehrheitlich sunnitischen Seite des Islam unterscheidet.“ Zitat: Daftary, Farhad: A Short History of the Ismailis: Traditions of a Muslim Community. Edinburgh, 1998: 1-2, 34ff.
[14] Nasr, 1964: 20.
[15] Janssens, 2006: 15.
[16] Nasr, 1964: 20.
[17] Nasr, 1964: 20; Janssens, 2006: 15.
[18] Gutas, 2014: 6.
[19] Afnan, 1958: 60.
[20] Afnan, 1958: 60-61.
[21] Gutas, 2014: 6.
[22] Gutas, 2014: 6.
[23] Afnan, 1958: 61f.
[24] Gutas, 2014: 6-7; http://www.philosophers.co.uk/avicenna-ibn-sina.html
[25] Gutas, 2014: 7.
- Arbeit zitieren
- Dr. Heidemarie Wawrzyn (Autor:in), 2018, Avicenna, der Prinz der Ärzte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/441602
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