Die Lektüre des Romans gibt dem Rezipienten das Gefühl, Zeuge eines unaufhaltsamen Niedergangs zu sein, des Niedergangs der Idee vom Vielvölkerstaat Österreich/Ungarn. Metaphorisch zeichnet Joseph Roth den sukzessiven Untergang der Monarchie am Verfall der fiktiven Familie Trotta, die eng verwoben mit dem Schicksal des Kaiserreiches ist, nach. Der Todeskampf der Monarchie zwischen Solferino und Sarajewo wird in den Biographien dreier Generationen der Trottas nachgebildet. Dieses Gefühl des Lebendig- Totseins durchzieht den gesamten Roman. Die Suche nach Leben, die Verdrängung des unvermeidlichen Endes stehen vor der Allgewalt des Todes.
Die Ambivalenz, der Kampf ums Dasein und doch den Hauch des Todes schon im Nacken zu spüren, hat mich beim Lesen des Romans besonders fasziniert. Ich möchte daher in meiner Arbeit diese Ambivalenz, anhand der Verbindung der Familie Trotta zum Haus Habsburg, betrachten. Denn die Familie Trotta, wie auch der Kaiser, konnten Österreich nicht überleben.
Das Hauptaugenmerk wird dabei auf der Analyse der Hauptfiguren des Romans liegen. Ich werde dabei verschiedene Aspekte in den Mittelpunkt meiner Untersuchung rücken, um die Verhältnisse der einzelnen Familienmitglieder zur Armee, Bürokratie, Krieg und den Bezug zur Figur des Kaisers zu beleuchten.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1. Der Held von Solferino – der Anfang vom Untergang
1.1. Die Rettung des Kaisers – Geburt und beginnender Verfall der Familie Trotta von Sipolje
1.2. Die Schulbuchaffäre – der Auslöser für die Rückkehr zu den eigenen Wurzeln?
1.3. Das Vater-Sohn-Verhältnis
1.4. Tod und doch am Leben
2. Der Bezirkshauptmann – die Macht der Bürokratie
2.1. Ein Leben für Österreich
2.2. Der Tod als Auslöser von Zweifeln
2.3. Der Bezirkshauptmann – „Kaiser im kleinen Rahmen“
3. Carl Joseph – „Widerspruch zwischen Realität und Mythos“?
3.1. Leben im Schatten eines Helden
3.2. „Wieder liegen Tote auf seinem Weg.“
3.3. Kritik am Stand der Armee
3.4. Versuch der Selbstfindung
4. Exkurs: „Einmal in der Woche, am Sonntag, war Österreich.“ – Der Radetzkymarsch
5. „Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut.“ – Franz Joseph I.
6. Resümee
7. Literaturangabe
Primärtext
Lexika
Sekundärliteratur
Vorwort
Die Lektüre des Romans gibt dem Rezipienten das Gefühl, Zeuge eines unaufhaltsamen Niedergangs zu sein, des Niedergangs der Idee vom Vielvölkerstaat Österreich/Ungarn. Metaphorisch zeichnet Joseph Roth den sukzessiven Untergang der Monarchie am Verfall der fiktiven Familie Trotta, die eng verwoben mit dem Schicksal des Kaiserreiches ist, nach. Der Todeskampf der Monarchie zwischen Solferino und Sarajewo wird in den Biographien dreier Generationen der Trottas nachgebildet.
Dieses Gefühl des Lebendig-Totseins durchzieht den gesamten Roman. Die Suche nach Leben, die Verdrängung des unvermeidlichen Endes stehen vor der Allgewalt des Todes.
Die Ambivalenz, der Kampf ums Dasein und doch den Hauch des Todes schon im Nacken zu spüren, hat mich beim Lesen des Romans besonders fasziniert. Ich möchte daher in meiner Arbeit diese Ambivalenz, anhand der Verbindung der Familie Trotta zum Haus Habsburg, betrachten. Denn die Familie Trotta, wie auch der Kaiser, konnten Österreich nicht überleben.
Das Hauptaugenmerk wird dabei auf der Analyse der Hauptfiguren des Romans liegen. Ich werde dabei verschiedene Aspekte in den Mittelpunkt meiner Untersuchung rücken, um die Verhältnisse der einzelnen Familienmitglieder zur Armee, Bürokratie, Krieg und den Bezug zur Figur des Kaisers zu beleuchten.
1. Der Held von Solferino – der Anfang vom Untergang
1.1. Die Rettung des Kaisers – Geburt und beginnender Verfall der Familie Trotta von Sipolje
Gleich zu Beginn des Romans sieht sich der Rezipient mit dem Massensterben in den Schlachtreihen von Solferino konfrontiert. Das Todesmotiv wird auf der ersten Seite mit der Beschreibung der Toten und Verwundeten aufgenommen, durchzieht den gesamten Handlungsverlauf und mündet auf dem Schlachtfeld des 1. Weltkrieges und dem Tod des Kaisers im Jahre 1916.
In der historisch bedeutenden Schlacht von Solferino am 24. Juni 1859[1], die den Untergang der Monarchie Österreich/Ungarn einläutet, rettet Leutnant Joseph Trotta dem österreichischen Kaiser das Leben. Trotta reagiert auf die drohende Gefahr unbewusst und spontan, geleitet von seinen Erfahrungen aus früheren Schlachten, ohne jede Rücksicht auf die Etikette. Eine Heldentat, auch wenn sich Leutnant Trotta nicht dementsprechend benimmt. Eine Kugel, die ihm das linke Schlüsselbein zerschmetterte, wurde ihm unter wenig heldenhaften und „unmenschlichen Gebrüll“[2] entfernt.
Zum Dank für seine Rettung erhebt ihn der Kaiser in den Adelsstand und befördert ihn zum Hauptmann von Sipolje, entsprechend des Namens seines Heimatdorfes an der östlichen Grenze des Reiches. Die Gegensätze, die schon in seinem Titel zum Ausdruck kommen, gestalten das gesamte Leben des jungen Helden – die Verleihung des Adelprädikats bindet ihn und sein Geschlecht eng an das Haus Habsburg, doch „von Sipolje“ verweist auf seine wirkliche bäuerliche Herkunft. Diese innere Zerrissenheit, durch die kaiserlichen Gaben hervorgerufen, die der Hauptmann beinah als Beleidigung versteht, wird noch einmal durch die Ignoranz des eigenen Vaters verstärkt.
Die „Phraseologie der Altersegozentrik“[3] des Vaters: „Gratuliere, gratuliere...“[4] relativiert seine Heldentat, so dass der erlangte Ruhm und Stand zu einer „totalen Selbstentfremdung“[5] des jungen Mannes führt, dem „der leibliche Vater plötzlich ferngerückt (war)“[6]. Das zerstörte Verhältnis zum Vater verbietet Hauptmann Trotta seine Identität aus seiner slowenischen Herkunft abzuleiten, der Versuch sie auf die Armee und seine Uniform umzuprojizieren scheitert kläglich an der „Schulbuchaffäre“.
1.2. Die Schulbuchaffäre – der Auslöser für die Rückkehr zu den eigenen Wurzeln?
Im Lehrbuch seines Sohnes findet Hauptmann Trotta die „Heldengeschichte“ des Jahres 1859, den wahren Tatsachen widersprechend und stark patriotisch angehaucht, niedergeschrieben. Das durch die Distanzierung des Vaters hervorgerufene Gefühl der Selbstentfremdung beim Hauptmann wird nun durch die verbreitete Legende zur Aufgabe seiner Identität in der Armee gesteigert. Schmerzlich muss er nach der Audienz beim Kaiser erkennen, dass der Mythos Österreich, für den er sein Leben riskiert hat und zu dessen Stabilisierung er selbst beigetragen hat, auf Lügen basiert, gegen die selbst der Kaiser machtlos ist. Der Glaube des Hauptmannes an Österreich ist erschüttert, seine persönliche Identifikation mit dem Mythos Österreich zerstört. Er sieht sich aus diesem Grund gezwungen, seinen Abschied aus der Armee zu nehmen. Diese Entscheidung trifft er selbstbewusst und aus eigenem Antrieb. Zur Kompensation wird er durch die kaiserliche Gnade als Major entlassen, in den Freiherrenstand erhoben und er erhält eine finanzielle Unterstützung aus der kaiserlichen Schatulle.[7]
Der Major Trotta zieht sich mit seiner Familie auf ein slowenisches Gut zurück, wo er das Leben eines Bauern führen möchte, inspiriert vom Leben seiner bäuerlichen Vorfahren. Jedoch bleibt ihm ein wirkliches Leben nach seinen bäuerlichen Wurzeln versagt.
Denn dieses Stadium seines Lebens ist gekennzeichnet vom Schweben zwischen zwei Polen, der Armee und dem bäuerlichen Dasein, doch zu keinem der Pole ist er mehr fähig einen echten Bezug zu finden. Der Armee hat er selbständig den Rücken gekehrt und auch wenn er sich bemüht, verhindert es der Adelstitel, sein Leben nach der Art eines einfachen Bauern zu gestalten. Er ist kein einfacher Bauer, wie seine Vorfahren, sondern ein wohlhabender Gutsherr.
1.3. Das Vater-Sohn-Verhältnis
Schon das Verhältnis des Majors zu seinem eigenen Vater lässt auf die Beziehung zwischen dem Major und seinem eigenen Sohn Franz schließen. Der zumeist schriftliche Kontakt des Majors zu seinem Vater bleibt stets in einem sehr kühlen Ton gehalten. Die Briefe, die zwar mit „Mein lieber Vater“[8] eingleitet werden, gleichen eher einem Rapport an den Vorgesetzten als ein paar liebevoll geschriebenen Zeilen. Auch war es zwischen den beiden Männern nicht möglich persönlichen Kontakt zu halten, da „der Sohn die Kosten scheute“ den Vater zu besuchen. Aus Angst, dass sich seine Frau für den Schwiegervater schämen würde, lud er ihn nicht ein. Nicht nur der militärische Rang, sondern auch die Unfähigkeit Gefühle zu zeigen prägen dieses Verhältnis, dass sich auf die Beziehung zwischen dem Major und seinem Sohn überträgt. Sie stehen sich eher kühl und sachlich gegenüber, wie der Vorgesetzten seinem Untergegeben. Befehlstonartig und in kurzen Sätzen teilt der Vater seine Wünsche mit, die der Sohn ohne Widerspruch zu dulden hat. So auch akzeptiert Franz die Entscheidung des Vaters über seine Zukunft nicht in die Armee einzutreten, sondern Jurist zu werden.[9]
Diese gestörten Verhältnisse zwischen Vater und Sohn durchziehen den gesamten Roman, sie bergen schon den Atem des Todes in sich, da alle drei Hauptfiguren unfähig sind langanhaltende zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen; sie sind unter diesem Aspekt betrachtet schon tot.
1.4. Tod und doch am Leben
Das Porträt des verstorbenen Großvaters führt zu einer ständigen Präsenz im Leben seines Sohnes, vor allem aber seines Enkels. Das Bildnis etabliert einen neuen Mythos, den des heldenhaften Großvaters, der auf den Enkel Carl Joseph eine besondere Faszination auslöst. Allein das Bild, nicht ein geliebter Mensch, gibt ihm die Kraft weiter zu machen. Jedoch behindert das Porträt des Großvaters seinen Blick nach vorn in Richtung Zukunft, er orientiert sich allein an der Vergangenheit, wie auch sein Vater verzweifelt an dem alten Glanz des Reiches und des Kaisers festhält. Die Nachkommen des selbstständigen Majors, der in ihrem Leben stets eine zentrale Rolle spielt, sind demnach durch ihre Fremdbestimmung nicht imstande eigenverantwortlich zu handeln. Um agieren zu können müssen sie sich an Idolen orientieren - dem Kaiser und dem Großvater.
Eben diese Unfähigkeit positiv in die Zukunft zu schauen, macht es den Figuren unmöglich die Vergangenheit zu überleben.
[...]
[1] Hinweise zum katastrophalen Ausgang dieser blutigen Schlacht gibt der Autor nicht, allein die Rettung des Herrschers steht im Mittelpunkt.
[2] Roth, J.: Radetzkymarsch, S. 8.
[3] Hackert, F.: Joseph Roth: Radetzkymarsch, In: Lützeler, P. M. (Hrsg.): Deutsche Romane des 20. Jahrhunderts. Neue Interpretationen, Königstein 1983, S. 185.
[4] Roth, J.: Radetzkymarsch, S. 11.
[5] Müller, K.-D.: Joseph Roth: Radetzkymarsch, In: Interpretationen Romane des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 1993, S. 303.
[6] Roth, J.: Radetzkymarsch, S. 9; Änderung d. A.
[7] Vgl. ebd., S. 16/17.
[8] Roth, J.: Radetzkymarsch, S. 18.
[9] Vgl. ebd., S. 21.
- Arbeit zitieren
- Isabel Liebig (Autor:in), 2002, Sie konnten Österreich nicht überleben - Zum Gefühl des 'Lebendig-Totseins' in Joseph Roths Roman 'Radetzkymarsch', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/44128
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