Wer ist dieser Mensch auf der Leinwand? Er macht ja im Film einen ganz netten Eindruck, aber wie kommt dieser Eindruck zustande?
Wer sich im Kino hin und wieder einen Film anschaut, wird sich schon manchmal gefragt haben, ob ein Schauspieler im realen Leben mit den gleichen Charakterzügen ausgestattet ist, wie im Film. Jeder Zuschauer, im folgenden „Rezipient“ genannt, setzt sich aus den bewegten Bildern eines Films ein festes Bild vom Charakter der dargestellten Figuren zusammen.
Welche Faktoren bei dieser „Charakterzuschreibung“ eine Rolle spielen, wie diese Zusammenwirken und was letztendlich dadurch beim Rezipienten erreicht wird, hat der Medienwissenschaftler Prof. Dr. Hans Jürgen Wulff, derzeit beschäftigt an der Universität Kiel, untersucht.
Obwohl Wulffs Thesen auch auf andere mediale Bereiche übertragbar sind, beschränkt er sich in seiner Untersuchung auf die Schauspielerei, also auf die „gespielte Fiktion“, wobei er zunächst eine neue Personenklassifikation für sein Konzept einführt, die sogenannte „Para-Person“.
In dieser Arbeit will ich die wesentlichen Erkenntnisse und Thesen Wulffs darstellen und anhand von Thomas Gottschalks Rolle in Helmut Dietls Komödie „Lateshow“ aus dem Jahre 1998 anschaulich machen. Des Weiteren möchte ich prüfen, inwiefern sich Wulffs Konzept auf Para-Personen außerhalb der gespielten Fiktion übertragen lässt und ob es Para-Personen gibt, auf die Wulffs Konzept nicht übertragbar ist.
Als Quellengrundlage nutze ich Wulffs Beitrag „Charaktersynthese und Para-Person. Das Rollenverhältnis der gespielten Fiktion“ aus dem Jahre 1996, enthalten im Sammelband „Fernsehen als `Beziehungskiste´. Parasoziale Beziehungen und Interaktionen mit TV-Personen“ von Peter Vorderer.
Inhalt
1. Einleitung
2. Para-Person
2.1 Begriffsdefinition
2.2 Kommunikation mit der Para-Person?
3. Charaktersynthese
3.1 Was ist ein Charakter?
3.2 Eindruck von „Persönlichkeit“ der Para-Person beim Rezipienten
3.2.1 Das Medium verändert den Charakter
3.2.2 Der Star lenkt ab
3.2.3 Das Wissen um den Hintergrund
3.3 Spannungen zwischen den Dimensionen
4. Wissenschaftlicher Untersuchungsansatz
5. Übertragbarkeit des Konzeptes
5.1 Der Moderator als Para-Person
5.2 Konzeption weiterer Para-Personen?
6. Resümee
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Wer ist dieser Mensch auf der Leinwand? Er macht ja im Film einen ganz netten Eindruck, aber wie kommt dieser Eindruck zustande?
Wer sich im Kino hin und wieder einen Film anschaut, wird sich schon manchmal gefragt haben, ob ein Schauspieler im realen Leben mit den gleichen Charakterzügen ausgestattet ist, wie im Film. Jeder Zuschauer, im folgenden „Rezipient“ genannt, setzt sich aus den bewegten Bildern eines Films ein festes Bild vom Charakter der dargestellten Figuren zusammen. Welche Faktoren bei dieser „Charakterzuschreibung“ eine Rolle spielen, wie diese Zusammenwirken und was letztendlich dadurch beim Rezipienten erreicht wird, hat der Medienwissenschaftler Prof. Dr. Hans Jürgen Wulff, derzeit beschäftigt an der Universität Kiel, untersucht.
Obwohl Wulffs Thesen auch auf andere mediale Bereiche übertragbar sind, beschränkt er sich in seiner Untersuchung auf die Schauspielerei, also auf die „gespielte Fiktion“, wobei er zunächst eine neue Personenklassifikation für sein Konzept einführt, die sogenannte „Para-Person“.
In dieser Arbeit will ich die wesentlichen Erkenntnisse und Thesen Wulffs darstellen und anhand von Thomas Gottschalks Rolle in Helmut Dietls Komödie „Lateshow“ aus dem Jahre 1998 anschaulich machen. Des Weiteren möchte ich prüfen, inwiefern sich Wulffs Konzept auf Para-Personen außerhalb der gespielten Fiktion übertragen lässt und ob es Para-Personen gibt, auf die Wulffs Konzept nicht übertragbar ist.
Als Quellengrundlage nutze ich Wulffs Beitrag „Charaktersynthese und Para-Person. Das Rollenverhältnis der gespielten Fiktion“ aus dem Jahre 1996, enthalten im Sammelband „Fernsehen als `Beziehungskiste´. Parasoziale Beziehungen und Interaktionen mit TV-Personen“ von Peter Vorderer.
2. Para-Person
2.1 Begriffsdefinition
Der Begriff „Para-Person“ geht auf Prof. Dr. Wulff zurück, welcher damit eine Person meint, die nicht real existiert, sondern abgebildet ist. Sie ist die Verkörperung einer Rolle, wobei sich der Rollen-Begriff nicht nur auf Schauspieler beschränkt, sondern z.B. auch Nachrichtensprecher oder Entertainer mit einbezieht. In dem Moment, in dem z.B. Jo Brauner in der Tagesschau beginnt, die Nachrichten vorzulesen, tut er das in dem Bewusstsein, zu einer großen Öffentlichkeit zu sprechen. Er führt diese Tätigkeit auf eine ganz bestimmte Art und Weise aus, die sich speziell in der Rolle des Nachrichtensprechers verorten lässt.
Die Para-Person gibt sich dem Rezipienten gegenüber unverbindlich, d.h. sie versucht nicht, eine enge persönliche Bindung zum Rezipienten aufzubauen.
Sie handelt stets in Bezug auf ein anonymes Publikum, sie wendet sich nie an einen bestimmten Rezipienten allein.
Auf den ersten Blick scheint es kaum Unterschiede gegenüber der Wahrnehmung realer Personen zu geben, jedoch existieren bereits allein durch das Vorhandensein des zwischengeschalteten Mediums und des gesamten kommunikativen Rahmens enorme Unterschiede bei der Rezeption von Para-Personen.[1]
2.2 Kommunikation mit der Para-Person?
Bedingt durch das stets zwischen Para-Person und Rezipient geschaltete Medium, welches ein Radio, ein Fernseher, eine Zeitung, ein Film aber auch ein Theaterstück oder das Internet sein kann, wird die Kommunikation insofern eingeschränkt, als dass der Kommunikationsfluss nur in einer Richtung erfolgen kann. Wenn der Moderator einer Fernsehshow die Zuschauer an den Empfangsgeräten zu Hause gesondert begrüßt, dann können diese den Gruß zwar wahrnehmen und auch erwidern, jedoch kann diese Erwiderung nicht vom Moderator wahrgenommen werden. Der Rezipient hat lediglich die Möglichkeit, sich durch die Auswahl eines Programms bzw. einer Sendung unmittelbar am Kommunikationsprozess zu beteiligen, er selbst kann keine individuellen Beziehungsangebote erstellen. Zwar kann der Rezipient per Brief oder auf telefonischem Wege versuchen, mit dem Moderator in Kontakt zu treten, jedoch bleibt es hierbei einerseits meistens beim Versuch, oder es wird lediglich mit einer zwischengeschalteten Redaktion kommuniziert, sodass nicht von einer direkten und unmittelbaren zweiseitigen Kommunikation gesprochen werden kann. Der Vorteil für den Rezipienten liegt darin, dass er keinerlei Verpflichtung oder Verantwortung der Para-Person gegenüber hat. Anders verhält es sich für die Para-Person. Für diese ist der Rezipient unverzichtbar, weil die Handlung der Para-Person auf den Erwartungen des Rezipienten basiert. Durch diesen Umstand ist der Rezipient in diesen - formal einseitigen - Kommunikationsprozess mit einbezogen.
Klemens Hippel formulierte zwei grundlegende Möglichkeiten, wie die Para-Person den Rezipienten adressieren kann und zwar zum einen auf direkte und zum anderen auf indirekte Art und Weise. Von „direkter Adressierung“ ist demzufolge zu sprechen, wenn der Moderator einer Fernsehsendung dem Rezipienten z.B. eine direkte Frage stellt: „Guten Abend allerseits! Haben Sie auch manchmal das Gefühl, dass...“ Handelt es sich allerdings um eine rhetorische Frage in der Art: „Hat er das nicht wieder toll gemacht,“ z.B. bei einem Fußballkommentator, wird der Rezipient indirekt zu Zustimmung bzw. Ablehnung aufgefordert, es ist eine „indirekte Adressierung“.[2]
Durch die ständige Entwicklung neuer technischer Partizipationsmöglichkeiten für Rezipienten, wie z.B. die Abstimmung per Telefondialog „TED“, verschwimmt die Grenze zwischen Uni- und Bidirektionalität immer mehr, es kommt zu einer qualitativen Veränderung der parasozialen Interaktionssituation. Jedoch wird sich der einseitige Kommunikationsfluss nie komplett in einen zweiseitigen wandeln, solange ein Medium zwischengeschaltet ist. Man stelle sich die Sinnlosigkeit der Situation vor, in der 2 Millionen Fernsehzuschauer für einen Moderator akustisch wahrnehmbar auf eine von ihm gestellte Frage antworten.
3. Charaktersynthese
3.1 Was ist ein Charakter?
Wenn man von einer Person sagt, sie habe „Charakter“, dann meint man dies in der Regel positiv, der Begriff „Charakter“ erfährt in diesem Zusammenhang eine positive Aufladung. Es wäre jedoch falsch zu behaupten, ein Charakter müsse generell positiv und gutartig sein. Bei Wulff ist der Charakter lediglich das „Konzept von einer Person“, ohne dass er hierbei eine Wertung vornimmt. Diese Wertung, eine positive oder negative Aufladung des Begriffs, kann erst entstehen, wenn sich die verschiedenen Eigenarten einer Para-Person, die „Charakteristika“, zusammenschließen. Das ergibt dann den Charakter. Dieser Zusammenschließungsprozess nennt sich „Charakterisierung“, es werden alle Fakten über eine Person bzw. Para-Person erfasst. Wenn wir wieder konkret von nicht realen Para-Personen sprechen, wird die Aufgabe der Charakterisierung nicht nur vom Rezipienten, sondern auch von der Para-Person selbst bzw. auch vom Regisseur übernommen, welcher die Para-Person, verkörpert durch den Schauspieler, inszeniert, sie auf bestimmte Art und Weise handeln lässt und ihr dadurch ebenfalls gewisse Charakteristika aneignet.[3]
[...]
[1] vgl. Wulff, Hans Jürgen (1996): Charaktersynthese und Paraperson. Das Rollenverhältnis der gespielten Fiktion. In: Vorderer, Peter (Hg.): Fernsehen als „Beziehungskiste“. Parasoziale Beziehungen und Interaktionen mit TV-Personen, Opladen 1996, S. 29.
[2] vgl. Hippel, Klemens (1993): Vorbemerkungen zu einer Theorie der Adressierung. In: Hügel, Hans-Otto/Müller, Eggo (Hgg.): Fernsehshows. Form- und Rezeptionsanalyse. Dokumentation einer Arbeitstagung an der Universität Hildesheim, Januar 1993. Hildesheim 1993, S. 85 ff..
[3] vgl. Wulff (1996), S. 31 f.
- Quote paper
- B.A. Mario Müller (Author), 2002, Das Konzept der 'Para-Person' in der gespielten Fiktion und seine Übertragbarkeit auf andere Darstellungsformen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/44109
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