Franz Kafkas Novelle "Die Verwandlung" war in den über neunzig Jahren ihrer Existenz bemerkenswert häufig Gegenstand literaturwissenschaftlichen Interesses. Immer wieder wurde dabei auch die Schwierigkeit betont, den Dichter aufgrund seines einzigartigen Schreib- und Sprachstils epochal bzw. stilistisch einzuordnen (Expressionismus? Realismus? etc.), zumal er selbst sich zu keiner bestimmten Richtung zugehörig fühlte. Diesbezügliche Erklärungsversuche führten unter anderem zur Beschäftigung mit der Sprachbiografie des in Prag lebenden deutschsprachigen jüdischen Schriftstellers. Allerdings wurden in diesem Zusammenhang drei entscheidende Fehler gemacht, die gegenwärtig der Wissenschaftler Marek Nekula (2003) ins Zentrum seiner Kritik stellt: Zum einen wurde Sprache weitläufig als alleinige Determinante und alleiniger Ausdruck persönlicher Identität, Selbstdefinition und Kultur gesehen, zum anderen wurde für Kafka allein das Deutsche (und somit nur "eine" Sprache) als diese identitätsstiftende Sprache in Betracht gezogen, und drittens wurde diese Sprache relativ pauschal als "Prager Deutsch" bezeichnet, wobei dieser Begriff als ein einheitlicher Terminus für alle spezifischen Gruppensprachen im damaligen Prag verwendet wurde, ohne deren Unterschiede zu berücksichtigen und vor allem ohne genauer zu untersuchen, inwieweit deren Merkmale im Einzelnen auf Kafkas Sprache zutreffen.
Ohne Zweifel spielt die sprachliche Komponente in Kafkas literarischen Werken, so auch in der "Verwandlung", eine wichtige Rolle. Literatur ohne Sprache wäre nicht denkbar. Um daher herauszufinden, welchen konkreten Einfluss die Sprachbiografie des mehrsprachigen Kafka auf seine literarischen Texte hatte und um das "nachweisbare Ineinander von Biographie und Werk" (Beicken, 1983: 100) auch sprachlich zu belegen, gelten die Bemühungen der vorliegenden Arbeit dem Versuch, im Sinne einer Verbindung von Literaturwissenschaft und Sprachwissenschaft zunächst Kafkas sprach- und schriebbiografische Hintergründe zu untersuchen sowie diese auf die Sprache in der "Verwandlung" zu beziehen. Der Fokus der Untersuchung liegt wohlgemerkt nicht auf dem bereits oft beschriebenen literarischen Schreibstil des Dichters, sondern auf dem Wechselspiel zwischen seinem Multilingualismus bzw. seiner dadurch entwickelten Sprachsensibilität und Sprachbewusstheit sowie seinem literarischen Schaffen, in diesem Fall konkret bezogen auf die "Verwandlung".
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Kafkas als bilingualer Sprecher und Vertreter randständigen Schreibens: historische, familiäre und persönliche Bedingungen
- Prager deutsche Juden
- ,Prager Deutsche' und ihr Deutsch
- Prager (deutsche) Juden und ihr Deutsch
- Bedeutung Prags für Prager deutsche Schriftsteller
- Die Familie Kafka
- Kafka als Außenseiter in seiner Familie
- Sprachverhältnisse in der Familie Kafka
- Vater Hermann Kafka
- Mutter Julie Kafka, geb. Löwy
- Hausangestellte
- Kafkas Sprache(n)
- Kafkas (sprachliche) Identität, Selbstdefinierung und Sprachenwahl
- Beziehung zur tschechischen Sprache, Kultur und Bevölkerung
- Kafkas Deutsch, Sprachsensibilität und Beziehung zur (deutschen) Sprache
- Auswirkungen von Kafkas Sprache(n) und Sprachsensibilität auf sein literarisches Werk am Beispiel der Verwandlung
- Allgemeine Überlegungen
- Kafkas Sprachsensibilität am Beispiel der Namen Gregor Samsa und Kafka
- Der Name Gregor Samsa
- Der Name Kafka
- Juristen- und Geschäftssprache
- Rechtschreibung
- Morphologie
- Nomen
- Genus
- Deklination
- Kasus Genitiv
- Kasus Dativ
- Numerus
- Pronomina und Artikelwörter
- Verb
- Wortbildung
- Syntax
- Lexik
- Phonologisch-stilistische Besonderheiten
- Interpunktion
- Literarisches Schaffen als Lebenssinn?
- Bedeutung des mündlichen Vorlesens für Kafka
- Bedeutung des Schreibens für Kafka
- Biografischer Bezug durch sprachliche Hinweise im Text
- Abschlussgedanke
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der Bedeutung der Sprachbiografie Franz Kafkas und seinem Schreibverhalten im Kontext seiner Novelle "Die Verwandlung". Sie analysiert den Einfluss von Kafkas Multilingualismus und seiner daraus resultierenden Sprachsensibilität auf seinen literarischen Stil und die Gestaltung der Sprache in "Die Verwandlung".
- Kafkas Multilingualismus und seine sprachliche Identität
- Der Einfluss von Kafkas familiärem und gesellschaftlichem Umfeld auf sein Sprachverhalten
- Die Bedeutung von Kafkas Sprachsensibilität für die Gestaltung der Sprache in "Die Verwandlung"
- Die Analyse von sprachlichen Besonderheiten in "Die Verwandlung" und deren Bezug zu Kafkas Sprachbiografie
- Die Frage, inwieweit Kafkas literarisches Schaffen als Ausdruck seines Lebensgefühls und seiner Biografie zu verstehen ist.
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Einleitung stellt die Relevanz der Sprachbiografie Franz Kafkas für das Verständnis seines literarischen Werkes, insbesondere "Die Verwandlung", dar. Sie kritisiert vereinfachte Ansätze, die Kafkas Sprache ausschließlich als Ausdruck seiner Identität betrachten, und betont die Bedeutung einer differenzierten Analyse seines Multilingualismus.
- Kafkas als bilingualer Sprecher und Vertreter randständigen Schreibens: historische, familiäre und persönliche Bedingungen: Dieses Kapitel beleuchtet die historischen, familiären und persönlichen Bedingungen, die Kafkas Sprach- und Schreibverhalten prägten. Es geht auf seine Position als Prager Deutscher und Jude sowie seine Erfahrungen als Außenseiter in seiner Familie ein.
- Kafkas Sprache(n): Dieses Kapitel analysiert Kafkas (sprachliche) Identität, seine Selbstdefinierung und seine Sprachenwahl. Es beleuchtet die Beziehung Kafkas zur tschechischen Sprache und Kultur sowie seine besondere Beziehung zur deutschen Sprache.
- Auswirkungen von Kafkas Sprache(n) und Sprachsensibilität auf sein literarisches Werk am Beispiel der Verwandlung: Dieses Kapitel untersucht, inwieweit Kafkas Sprache(n) und seine Sprachsensibilität seine literarischen Werke beeinflussten, insbesondere "Die Verwandlung". Es analysiert die Sprache der Novelle, unter anderem die Namen Gregor Samsa und Kafka, die Juristen- und Geschäftssprache sowie morphologische Besonderheiten.
- Literarisches Schaffen als Lebenssinn?: Dieses Kapitel befasst sich mit der Bedeutung des mündlichen Vorlesens und Schreibens für Kafka. Es analysiert, inwieweit Kafkas literarisches Schaffen als Ausdruck seines Lebensgefühls und seiner Biografie zu verstehen ist.
Schlüsselwörter
Franz Kafka, "Die Verwandlung", Sprachbiografie, Multilingualismus, Sprachsensibilität, Prager Deutsch, tschechische Sprache, deutsche Sprache, Außenseiter, Identität, Randständigkeit, literarisches Schaffen, Schreibverhalten.
- Quote paper
- Katja Krenicky-Albert (Author), 2005, Die Bedeutung von Franz Kafkas Sprachbiografie und Schreibverhalten für 'Die Verwandlung', Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/43969