In dieser Bachelorarbeit werden Chancen und Risiken von Boxsportangeboten für die Jugendarbeit herausgearbeitet. Hierfür wurde eine empirische Sozialforschung durchgeführt, deren Ergebnisse und daraus resultierende Schlussfolgerungen nach der Darstellung des theoretischen Hintergrundes präsentiert werden. Im Folgenden wird in groben Zügen der Weg zu dieser Arbeit sowie deren inhaltlicher Aufbau erläutert.
Die Motivation zu dieser Arbeit ging in erster Linie aus meiner engen Verbundenheit mit dem Boxsport hervor, welche sich schon seit meiner frühen Jugend aus meiner Faszination für das Profiboxen sowie aus langjähriger Trainingserfahrung, die bisweilen auch zur aktiven Teilnahme an Wettkämpfen führte, entwickelt hat. Vor allem durch die eigens erlebte Kampferfahrung wurde mir klar, wie stark das Boxen Einfluss auf die Persönlichkeit und die gesamte Lebensführung nehmen kann. Das Gefühl, sich akribisch auf einen Wettkampf vorzubereiten, einem Gegner im Ring unmittelbar gegenüberzustehen sowie diesen dann im direkten Kampf zu bezwingen, war eine Erfahrung, die mich fortan prägte.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Der Weg zu dieser Arbeit
1.2 Aufbau und Zielsetzung der Studie
2 Jugendarbeit
2.1 Auftrag und Ziele
2.2 Grundprinzipien der Jugendarbeit
2.3 Sport in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit
3 Kampfsport
3.1 Kampfsport und Kampfkunst
3.2 Zur gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Gewalt und Kampf
3.2.1 Zur Gewalt
3.2.2 Zum Kampf
3.3 Kampfsport und Gesellschaft
3.3.1 Die Ambivalenz des Kampfsports am Beispiel der UFC
3.3.2 Der Boxsport als Repräsentant des Kampfsports
3.4 Kampfsport in der Pädagogik
3.5 Kampfsport als Gewaltprävention
3.6 Kampfsport als Medium zur Wertevermittlung
3.7 Kampfsport als Ressource zur Selbstverteidigung
3.8 Kampfsport und Kohärenz/Resilienz/Selbstwirksamkeit
4 Boxsport
4.1 Boxen als Kampfsport
4.2 Besonderheiten und Vorteile des Boxens
4.3 Trainingsformen im Boxtraining
4.4 Aktives Amateurboxen
5 Zusammenfassung und Entwicklung der forschungsleitenden Hypothesen
6 Methodik
6.1 Qualitatives Interview
6.2 Konstruktion des Interviewleitfadens
6.3 Auswahl der Personen
6.4 Durchführung
7 Auswertung
7.1 Auswertungsverfahren
7.2 Darstellung der Ergebnisse
7.2.1 Personenbezogene Daten der Befragten
7.2.2 Aggressionsabbau
7.2.3 Wertevermittlung
7.2.4 Selbstverteidigung
7.2.5 Psychische Gesundheit, Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit
8 Fazit
9 Reflexion und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
Kodierleitfaden
Interviewleitfaden
Interview 1
Interview 2
Interview 3
Interview 4
Interview 5
Danksagung
An dieser Stelle möchte ich mich bei all denjenigen bedanken, die mich sowohl bei der Anfertigung der vorliegenden Bachelorarbeit als auch auf meinem Weg dorthin auf jegliche Art und Weise unterstützt haben.
Zuerst gebührt mein Dank Herrn Prof. Dr. Rainer Patjens für die unkomplizierte Betreuung und für die hilfreichen Anregungen zu dieser Arbeit.
Ein besonderer Dank gilt zudem allen Teilnehmern meiner Befragung, ohne deren Informationsbereitschaft die Untersuchung dieser Arbeit nicht hätte durchgeführt werden können.
Ebenso gilt mein Dank meinem einstigen Lehrer Dieter Günzler für das Korrekturlesen.
Meinen beiden Kommilitonen und Freunden Lukas Ilikca und Camay Ludwig danke ich besonders für die gegenseitige Motivation. Unsere Zusammenarbeit und reziproke Unterstützung während den zahlreichen produktiven Stunden in der Bibliothek haben in höchstem Maße zur Fertigstellung dieser Arbeit beigetragen.
Abschließend möchte ich mich bei meiner Familie - insbesondere meinem Vater Heinz Weberruss - für den starken emotionalen Rückhalt über die Dauer meines gesamten Studiums bedanken.
„The world ain’t all sunshine and rainbows. It is a very mean and nasty place and it will beat you to your knees and keep you there permanently if you let it. You, me, or nobody is gonna hit as hard as life. But it ain’t about how hard you hit; it’s about how hard you can get hit, and keep moving forward. How much you can take, and keep moving forward. That’s how winning is done!“
(Rocky in Rocky Balboa, 2006)
1 Einleitung
In der vorliegenden Bachelorarbeit werden Chancen und Risiken von Boxsportangeboten für die Jugendarbeit herausgearbeitet. Hierfür wurde eine empirische Sozialforschung durchgeführt, deren Ergebnisse und daraus resultierende Schlussfolgerungen nach der Darstellung des theoretischen Hintergrundes präsentiert werden. Im Folgenden wird in groben Zügen der Weg zu dieser Arbeit sowie deren inhaltlicher Aufbau erläutert.
1.1 Der Weg zu dieser Arbeit
Die Motivation zu dieser Arbeit ging in erster Linie aus meiner engen Verbundenheit mit dem Boxsport hervor, welche sich schon seit meiner frühen Jugend aus meiner Faszination für das Profiboxen sowie aus langjähriger Trainingserfahrung, die bisweilen auch zur aktiven Teilnahme an Wettkämpfen führte, entwickelt hat. Vor allem durch die eigens erlebte Kampferfahrung wurde mir klar, wie stark das Boxen Einfluss auf die Persönlichkeit und die gesamte Lebensführung nehmen kann. Das Gefühl, sich akribisch auf einen Wettkampf vorzubereiten, einem Gegner im Ring unmittelbar gegenüberzustehen sowie diesen dann im direkten Kampf zu bezwingen, war eine Erfahrung, die mich fortan prägte.
Wer schon einmal eine Boxveranstaltung besucht hat, wird vermutlich die Anspannung der Kämpfer/innen im Vorfeld und die Intensität der Kampfbegegnungen hautnah miterlebt haben. In der Literatur wird der Boxsport daher nicht selten als - sowohl im positiven wie auch im negativen Sinne – Metapher für das Leben herangezogen. Während im Profiboxen ein Sieg für den/die Kämpfer/in oftmals eine Chance zum finanziellen und sozialen Aufstieg darstellt, kann eine Niederlage nicht selten zu physischen oder psychischen Folgeschäden führen, die eine künftige wettkampfbezogene Ausführung der Sportart ausschließen. Das Amateurboxen hingegen mag derartige Risiken in Bezug auf Existenz und Gesundheit der Kämpfer/innen zwar weniger implizieren; im Hinblick auf die Selbstwahrnehmung können ein Sieg oder eine Niederlage in mancher Hinsicht jedoch ebenso richtungsweisend sein, was ich im Rahmen meiner persönlichen Erfahrungen im Boxen selbst miterleben durfte.
Die eigentliche Inspiration zu dieser Arbeit war jedoch weniger meine persönliche Wettkampferfahrung, sondern vielmehr die Beobachtungen, die ich im Laufe der Jahre bei einigen Jugendlichen machen durfte. Seit geraumer Zeit bin ich in meiner Freizeit in die Wettkampfvorbereitung von jugendlichen Amateurboxern involviert, wobei ich feststellen konnte, dass sich das Boxtraining bei einigen äußerst positiv auf deren persönliche Entwicklung auswirkte. Dies machte sich vor allem in Bezug auf das Selbstbewusstsein und den Umgang mit den für das Jugendalter kennzeichnenden Anforderungen bemerkbar. In einzelnen Fällen konnten auch negative Folgen diesbezüglich registriert werden, wobei diese häufig auf eine unzureichende beziehungsweise mangelhafte Trainerbegleitung zurückzuführen waren.
Aufgrund dieser Beobachtungen ist es mir ein Anliegen, das Boxen auch in meine berufliche Praxis im Kontext der Jugendarbeit miteinzubeziehen, zumal die eben genannten Chancen auch für die Jugendarbeit von wesentlicher Bedeutung sind. Da eine Integration des Boxsports in die Jugendarbeit grundsätzlich nicht ganz unbedenklich erscheint, erfordert diese eine besondere Konzeption. Hinzu kommt, dass das Boxen in der Gesellschaft erfahrungsgemäß keinen hohen Stellenwert genießt. Von Seiten mehrerer Trainer wurde mir bereits mitgeteilt, dass ihre Vereine trotz mehrfacher Anfragen von der jeweiligen Stadt finanziell kaum gefördert werden und ihnen keine geeigneten Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt werden. Eine Legitimation solcher Angebote bedarf somit grundsätzlich immer einer wissenschaftlich fundierten Theorie. Da die pädagogischen Chancen von Boxsportangeboten in der Literatur bislang nur geringfügig behandelt wurden und es hierbei vor allem an empirischen Untersuchungen fehlt, fasste ich ins Auge, mittels einer qualitativen Forschung auf diese hinzuweisen. Hierzu wurden mehrere Jugendliche aus unterschiedlichen Vereinen interviewt. Ziel dieser Arbeit war es, die Chancen des Boxsports empirisch zu belegen und damit eine Grundlage für sowohl die Legitimation als auch die Konzeption im Hinblick auf dessen Einbeziehung in die Jugendarbeit zu schaffen.
Die vorliegende Arbeit legt ihr Augenmerk folglich in erster Linie auf die Chancen des Boxsports. Da diese jedoch oftmals mit diversen Risiken verbunden sind, können sie dabei nicht gänzlich außeracht gelassen werden. Im Rahmen der pädagogischen Chancen des Boxsports sollen aus diesem Grund auch dessen Risiken untersucht werden.
1.2 Aufbau und Zielsetzung der Studie
Da die Chancen des Boxsports im Zusammenhang mit der Jugendarbeit erforscht werden sollten, war es wichtig, dass die Befragung nicht inkohärent erfolgte, sondern auf einer wissenschaftlichen Grundlage beruhte, an welche sie anknüpfen sollte. Hierzu stellte sich jedoch bereits im Vorfeld heraus, dass die pädagogischen Chancen des Boxsports bislang nicht ausreichend erforscht wurden, um auf diesen aufzubauen. Aus diesem Grund wurde das Boxen in dieser Arbeit unter dem Oberbegriff „Kampfsport“ untersucht, dessen pädagogische Implikationen der Wissenschaft im weiteren Fortgang als Grundlage für die empirische Forschung dienten.
In Kapitel 2 wird jedoch zuerst die Jugendarbeit vorgestellt, auf welche die dokumentierten Chancen des Boxsports aus dem Forschungsteil im Fazit übertragen werden. Hierbei werden vorrangig der gesetzliche Auftrag sowie die prinzipiellen Ziele der Jugendarbeit beschrieben. Als Ausgangspunkt für die spätere Analyse der aus der Befragung gewonnenen Daten werden in diesem Kapitel zudem die Grundprinzipien der Jugendarbeit und die Bedeutung des Sports für die Arbeit mit jungen Menschen dargelegt.
In Kapitel 3 werden daraufhin die soziologischen und pädagogischen Zusammenhänge von Kampfsport in der Wissenschaft veranschaulicht. Hierzu wird Kampfsport zunächst von der Kampfkunst abgegrenzt und anhand dieser Differenzierung definiert. Darauf wird erläutert, warum Kampfsport in der Gesellschaft einen eher negativen Stellenwert innehat und weshalb nicht nur das Boxen, sondern auch das Kämpfen generell im pädagogischen Zusammenhang bislang stark inkriminiert wurde. Davon ausgehend wird anschließend der bisherige Forschungsstand zum pädagogischen Potential von Kampfsport vorgestellt. Schließlich werden die zentralen Chancen in der Literatur zum Thema Kampfsport referiert, welche als Fundament für die Untersuchung im empirischen Teil dienten.
Kapitel 4 widmet sich explizit dem Boxsport. Diesbezüglich wird zunächst geklärt, warum eine Untersuchung von dessen pädagogischen Chancen mittels der wissenschaftlichen Zusammenhänge von Kampfsport allgemein Sinn ergibt und welche Vorteile dem Boxen gegenüber anderen Kampfsportarten und Kampfkünsten prognostiziert werden können. Zum besseren Verständnis der Ergebnisse im empirischen Teil werden in diesem Kapitel außerdem die wichtigsten Trainingsformen sowie die Charakteristik des wettkampfbezogenen Boxens dargestellt.
Kapitel 5 schließt den theoretischen Teil dieser Arbeit ab, indem die wichtigsten Ergebnisse aus der Forschung noch einmal zusammengefasst werden. Angesichts dieser wird erarbeitet, welche Rückschlüsse auf die darauffolgende empirische Untersuchung gezogen werden können.
Als Einstieg in den empirischen Teil wird in Kapitel 6 die methodische Vorgehensweise der vorliegenden Untersuchung entsprechend den Grundsätzen der qualitativen Forschung näher beschrieben.
In Kapitel 7 werden die Forschungsergebnisse präsentiert und ausgewertet. Davon ausgehend werden jeweils Schlussfolgerungen in Bezug auf die pädagogischen Chancen des Boxsports allgemein gezogen. In Kapitel 8 wird ein Fazit gezogen, in welchem die Schlussfolgerungen auf die Jugendarbeit übertragen werden. In Kapitel 9 erfolgen abschließend eine kurze Reflexion zur vorliegenden Untersuchung sowie ein Ausblick für eine weiterführende wissenschaftliche Forschung.
2 Jugendarbeit
Da sich die vorliegende Arbeit nicht nur mit den Chancen und Risiken von Boxsportangeboten generell auseinandersetzt, sondern diese auch im Kontext der Jugendarbeit untersucht werden, soll im Folgenden zunächst veranschaulicht werden, was man unter der Jugendarbeit versteht und welche Ziele diese verfolgt. Dabei sollen vor allem auch die wesentlichen Grundprinzipien der Jugendarbeit und ihre Verbindung zum Sport dargelegt werden. Eine Illustration der Jugendarbeit ist außerdem insofern wichtig, als die Arbeit eine Basis für eine zukünftige weiterführende Forschung für die explizite Übertragung in die Jugendarbeit darstellen soll.
2.1 Auftrag und Ziele
Die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen gilt, nicht zuletzt dank der wissenschaftlichen Neuausrichtung im Hinblick auf die Kindheit als eigenständige Lebensphase im Laufe des 20. Jahrhunderts, als eine zentrale Grundaufgabe der Sozialen Arbeit. Grundsätzlich können nach Maja HEINER die Aufgabenfelder der Sozialen Arbeit in Analogie zu den Etappen des Lebenslaufs sowie zu bestimmten Zielsetzungen unterteilt werden (vgl. HEINER, 2007, S. 88ff). Dementsprechend ist die Jugendarbeit als Teil der Jugendhilfe eine autonome Bildungsinstitution, welche die Personalisation[1] von Jugendlichen als gesonderte Zielsetzung verfolgt. Ihre gesetzliche Grundlage ist im Jugendhilfegesetz verankert (KJHG – Sozialgesetzbuch VIII), in welchem der Auftrag und die Ziele der Jugendarbeit fest konzipiert sind. Diesbezüglich fungiert § 11 SGB VIII als rechtliche Grundlage für alle Arbeitsformen der Kinder- und Jugendarbeit. Die zentrale Aufgabe der Jugendarbeit wird demnach wie folgt bestimmt:
„Jungen Menschen sind die zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen. Sie sollen an den Interessen junger Menschen anknüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden, sie zur Selbstbestimmung befähigen und zu gesellschaftlicher Mitverantwortung und zu sozialem Engagement anregen und hinführen.“
Junge Menschen sind nach § 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII alle Personen, welche das 27. Lebensjahr noch nicht erreicht haben. Auf eine trennscharfe Abgrenzung der Jugendphase zur Kindheit – wie beispielsweise im strafrechtlichen Rahmen (vgl. § 1 Abs. 2 JGG) - wird im SGB VIII bewusst verzichtet. Jugendarbeit kann vielmehr als ein Überbegriff für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen angesehen werden, weshalb zur Verdeutlichung dessen im fachbezogenen Kontext nicht selten der Begriff Kinder- und Jugendarbeit verwendet wird. Die Bezeichnung „Jugendliche“ umfasst in dieser Arbeit somit alle Kinder und Jugendliche unter 27 Jahren.
Die Rechtsformulierungen in diesem Paragraphen wurden dabei bewusst offen formuliert, da die Jugendarbeit eine eigenständige Bildungseinrichtung darstellt, die weder staatlichen Zielvorgaben untergeordnet ist noch Bildungsleistungen gemäß festgelegten Lehrplänen vorschreibt. Demzufolge darf die Jugendarbeit nicht zur staatlichen Vergesellschaftung instrumentalisiert werden, sondern obliegt der Aufgabe, die Entwicklung junger Menschen zu fördern, indem sie für diese einen Raum schafft, in welchem sie selbst mitbestimmen dürfen und ihre eigenen Interessen miteinbringen können. Im Gegensatz zur Schule soll die Jugendarbeit die Jugendlichen dabei in ihrer Individualität wahrnehmen und deren individuelle Bedürfnisse berücksichtigen. (vgl. ILG, 2013, S. 13)
Aufgrund ihres umfangreichen Mandats inkludiert die Jugendarbeit vielfältige Aufgaben. Eine Auflistung ihrer Schwerpunkte wird in § 11 Absatz 3 SGB VIII verzeichnet:
1. „außerschulische Jugendbildung mit allgemeiner, politischer, sozialer, gesundheitlicher, kultureller, naturkundlicher und technischer Bildung
2. Jugendarbeit in Sport, Spiel und Geselligkeit,
3. Arbeitswelt-, schul- und familienbezogene Jugendarbeit
4. Internationale Jugendarbeit
5. Kinder- und Jugenderholung
6. Jugendberatung“
Es muss jedoch betont werden, dass hierbei lediglich die Schwerpunkte aufgezählt werden; einen vollständigen Katalog der Arbeitsfelder zu erstellen ist unmöglich, da dies dem Grundgedanken des Paragraphen widersprechen würde, der die Jugendarbeit als ein Arbeitsfeld beschreit, welches an die Interessen von Jugendlichen anknüpfen soll und sich daher stets weiterentwickeln muss. Zudem ist eine trennscharfe Systematisierung der Arbeitsfelder nicht zweckmäßig, da die Erscheinungsformen in der Praxis oft fließend ineinander übergehen und nur selten ausschließlich ein Aspekt zum Tragen kommt. Eine wirkungsvolle Jugendarbeit versucht dabei stets mehrere Dimensionen miteinander zu verknüpfen, sodass Jugendarbeit in einem Wechselspiel zwischen Bildung und Spaß, Sozialisation und Individualisierung erfolgt. (vgl. ILG, 2013, S. 14)
Auch der Einsatz von Kampfsport lässt sich demnach legitimieren und kann im Rahmen von unterschiedlichen Arbeitsfeldern seine Wirkung entfalten. Zum einen ist Sport ein grundsätzliches Medium in der Jugendarbeit, welches in Anbetracht des anscheinend immer größeren Leistungsdrucks und der Fülle aus unterschiedlichen Anforderungen aus dem Schulalltag und im Familienleben als Ausgleich und Spaßfaktor dienen kann. Zum anderen können im Sport auch soziale und persönliche Kompetenzen erworben werben. Wie in den späteren Kapiteln noch näher beschrieben wird, kann dem Kampfsport dabei eine besondere Rolle zugesprochen werden, welcher für die Persönlichkeitsentwicklung sowohl in Bezug auf die Sozialisation als auch auf die Individualisierung Potential freisetzen kann.
2.2 Grundprinzipien der Jugendarbeit
Wie man sieht, ist die Jugendarbeit in ihren einzelnen Erscheinungsformen sehr umfangreich und in ihren Ausführungen kaum eingeschränkt. Trotzdem erfolgt sie bestimmten Grundsätzen, welchen sie sich unterordnen muss, um sich als qualitative Jugendarbeit legitimieren zu lassen.
Der § 11 SGB VIII lässt diverse Grundsätze dabei schon verlauten: Demnach sind Mitbestimmung, Selbstbestimmung und das Anknüpfen an die Interessen der jungen Menschen rechtlich vorgegebene Leitlinien der Jugendarbeit. Da Jugendarbeit ein Arbeitsfeld ist, das sich permanent weiterentwickelt, wurden - auf diese Vorgaben aufbauend - im Laufe der Jahre von unterschiedlichen Soziologen/innen noch weitere Prinzipien herausgearbeitet, welche im Folgenden näher beleuchtet werden sollen. Diese können als eine Art Qualitätsstandard betrachtet werden und sollen die Jugendarbeit davor schützen, dass sie nicht von bestimmten Institutionen instrumentalisiert und missbraucht wird, sondern ihren Wurzeln treu bleibt. Dass dabei nicht jedes Prinzip in jedem Arbeitsfeld allumfassend berücksichtigt werden kann, versteht sich von selbst. Vielmehr sollen es Leitlinien sein, die je nach Arbeitsfeld unterschiedlich stark ins Gewicht fallen (vgl. ILG, 2013, S. 16f).
Auch hier handelt es sich wiederum nicht um eine vollständige Auflistung aller Grundprinzipien. In diesem Zusammenhang sollen vor allem die Prinzipien genannt werden, die zum einen am häufigsten in der Literatur vorkommen oder zum anderen für die spätere Verknüpfung mit dem Kampfsport am relevantesten erscheinen.
Offenheit
Das Prinzip der Offenheit ist häufig der erstgenannte Grundsatz, der mit der Jugendarbeit in Verbindung gebracht wird, was möglicherweise auch daran liegt, dass er im Wortlaut der offenen Kinder- und Jugendarbeit schon enthalten ist. Dieses Prinzip bezieht sich jedoch auf mehrere Aspekte, unter welche auch Gesichtspunkte fallen, die nicht selten unterminiert werden.
„Offen“ soll die Jugendarbeit in erster Linie deswegen sein, da sie sich gemäß ihrem Grundsatz an alle Jugendliche richtet und diese hierfür keine Voraussetzungen erfüllen müssen. Offene Kinder- und Jugendarbeit ist nicht ausschließlich auf eine bestimmte Zielgruppe ausgerichtet, sondern soll ungeachtet des Geschlechts, der Nationalität oder der sozialen Problemlage für alle Jugendliche erreichbar sein. Offenheit impliziert jedoch keineswegs nur die Erreichbarkeit, sondern auch die Inhalte der Angebote. Diese sollen an die verschiedenen Lebenslagen, Lebensstile und Lebensbedingungen der Jugendlichen anknüpfen und nicht ohne jeglichen Bezug hierauf vorgegeben sein. Offenheit bezieht sich aber auch auf die Flexibilität der Zielsetzung in der Praxis. Die Anliegen und Themen der Jugendlichen sollen hier Vorrang haben und nicht als Störungen der Angebote und ihren ursprünglichen Zielsetzungen aufgefasst werden. Diese Offenheit sei die wesentliche Grundlage für das Erreichen der pädagogischen Ziele. (vgl. Arbeitsgemeinschaft Jugendfreizeitstätten, S. 8)
Freiwilligkeit
Freiwilligkeit wird oft in einem Atemzug mit dem Prinzip der Offenheit genannt, da diese beiden Prinzipien sich sehr ähneln und teilweise überschneiden. Trotzdem beschreibt der Grundsatz der Freiwilligkeit eine eigene Dimension.
Angebote der Jugendarbeit sollen demnach nicht nur offen, sondern auch freiwillig stattfinden. Gemäß dem Grundsatz der Selbstbestimmung soll die Teilnahmeentscheidung bei den Jugendlichen selbst liegen. Sie sollen selbst entscheiden, an welchen Angeboten sie teilnehmen wollen und an welchen nicht. Im Gegensatz zur Schule, welche in Hinblick auf die Schulzeit und die Anforderungen in unserer heutigen Zeit immer mehr Raum auch in der Freizeit einnimmt und tendenziell mit Zwang arbeitet, soll die Jugendarbeit hier einen Gegenakzent setzen und ihre Angebote so frei wie nur möglich gestalten. Freiwilligkeit fördert dabei nicht nur die Selbstbestimmung der Jugendlichen, sondern auch ihre Motivation, an den Angeboten tatsächlich teilzunehmen und sich einzubringen. (vgl. ILG, 2013, S. 17)
Das Prinzip der Freiwilligkeit birgt jedoch auch diverse Nachteile in sich: Zum einen schadet sie teils notwendiger Verbindlichkeit, Kontinuität und dadurch der Planung von Angeboten (vgl. Arbeitsgemeinschaft Jugendfreizeitstätten, S. 9). Zum anderen werden Angebote dadurch häufig gar nicht erst wahrgenommen, sodass viele Jugendliche aus den unterschiedlichsten Gründen nie mit der Jugendarbeit in Kontakt kommen, da ihnen hierzu der Zugang fehlt (vgl. ILG, 2013, S. 17). Dies ist insofern problematisch, da im Gegensatz zur Schule oder kirchlichen Angeboten kein automatischer Kontakt im Lebenslauf zur Jugendarbeit sichergestellt ist (vgl. Arbeitsgemeinschaft Jugendfreizeitstätten, S. 9).
Partizipation und Selbstorganisation
Ein weiteres essentielles Merkmal der Jugendarbeit, welche sich dadurch elementar von der Schule unterscheidet, ist die Partizipation beziehungsweise Selbstorganisation. Diese wird in § 11 SGB VIII mehrfach betont. Jugendliche sind also nicht nur Adressaten/innen, sondern sollen die Angebote auch selbständig mitbestimmen und mitorganisieren. Angebote sollen demnach nicht nur „für“ Jugendliche bestimmt sein, sondern auch „von“ diesen angeregt werden. Die Jugendlichen sollen demzufolge nicht nur in eine bestehende Gesellschaft sozialisiert werden, sondern im selben Maße auch zu selbstbestimmtem Handeln und reflektiertem Denken angeregt werden. Dies diene auch der politischen Bildung und könne als Prävention einer Instrumentalisierung eines extremistischen und/oder autoritären Systems angesehen werden. Mitbestimmung kann in der Jugendarbeit auf unterschiedlichen Wegen erfolgen: Sie kann sich mittels Entscheidungen in kleineren Ebenen bis hin zur Leitungsposition in der (verbandlichen) Jugendarbeit ereignen. Aufgrund fehlender bürokratischer Bestimmungen ist es daher unentbehrlich, dass die Jugendarbeit dieses Prinzip immer wieder thematisiert und auf die Notwendigkeit von dessen Gebrauch hinweist. Es ist somit nicht nur ein Arbeitsprinzip, sondern im selben Maße auch ein Lernziel. (vgl. ILG, 2013, S.17f, Arbeitsgemeinschaft Jugendfreizeitstätten, S. 9)
Natürlich kann Partizipation auch schnell zu einem Nachteil werden, wenn nicht genügend Jugendliche sich bereit erklären, Verantwortung zu übernehmen. Angebote, die auf die Teilhabe junger Menschen setzten, können daher immer als Risiko angesehen werden. Insofern ist die Jugendarbeit nicht nur für die Befähigung zur Selbstbestimmung, sondern auch für die Motivation zu deren Wahrnehmung verantwortlich. (vgl. ILG, 2013, S. 18).
Lebenswelt- und Sozialraumorientierung
Das Prinzip der Lebenswelt- und Sozialraumorientierung ist ebenfalls ein für die Jugendarbeit charakteristisches Qualitätsmerkmal, welchem gerade in Bezug auf den Einsatz von Kampfsport im späteren Verlauf eine besondere Gewichtung zukommt.
Dieser Grundsatz bezieht sich auf den Leitgedanken der Jugendarbeit, die Jugendlichen in ihrer Lebenswelt abzuholen, deren Erfahrungen, Wünsche und Interessen ernst zu nehmen und darauf aufbauend alltagsnahe Angebote zu entwickeln. Die Jugendliche sollen sich also nicht an die Jugendarbeit assimilieren – wie dies zum Beispiel in der Schule der Fall ist -, sondern die Jugendarbeit an die Jugendlichen und deren Milieu. Der sozialräumliche Ansatz soll dabei die konkreten Lebensräume der Jugendliche im Blick haben und ausforschen, wie und wo diese am besten erreicht werden können. Hierbei sollen die örtlichen Gegebenheiten sowie jugendrelevante Institutionen mitintegriert werden, sodass diese von den Jugendlichen genutzt und angeeignet werden können. (vgl. ILG, 2013, S. 19, Arbeitsgemeinschaft Jugendfreizeitstätten, S. 9f)
Die hierdurch bedingte unklare Grenze zwischen Alltag und professioneller Jugendarbeit birgt jedoch auch Problematiken. Einerseits wird die Jugendarbeit daher oftmals nicht als ein professionelles Bildungsinstitut wahrgenommen und gerät dadurch leicht aus dem Blick der Öffentlichkeit. Andererseits kann die Orientierung an der Lebenswelt und an dem Sozialraum nie alle Jugendlichen umfassen. Zumeist passen sich die Angebote somit an die größten Gruppierungen an, sodass einzelne Jugendliche, welche sich in ihren äußeren Merkmalen klar von dieser Gruppe unterscheiden, nicht angesprochen und bisweilen sogar ausgegrenzt werden. Zwar soll sich die Jugendarbeit gemäß ihren Grundsätzen an alle Jugendlichen gleichermaßen richten. Eine umfassende Orientierung an allen Lebenswelten ist jedoch schon rein theoretisch nicht möglich. Die Jugendarbeit steht hierbei also vor der Aufgabe, Prioritäten zu setzen, und muss entscheiden, welche Gruppen sie besonders erreichen möchte. (vgl. ILG, 2013, S. 19)
Integration
Ein Leitgedanke der Jugendarbeit, welcher in der Auflistung der Grundprinzipien nur selten direkt erwähnt wird, aber häufig im Rahmen von anderen Punkten sich abzeichnet, ist die Integration. Integration wurde in diesem Rahmen bewusst herangezogen, da deren Wichtigkeit angesichts des zunehmenden Zulaufs von Geflüchteten stetig wächst und in den kommenden Jahren vermutlich auch in der Literatur verstärkt behandelt wird. Obwohl Integration eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft ist und auch strukturelle Veränderungen hierfür notwendig sind, erscheint gerade die Jugendarbeit hier eine besonders wichtige Rolle zu spielen.
Jugendarbeit soll sich gemäß § 11 SGB VIII an alle Jugendlichen richten und alle Gruppen gleichermaßen erreichen. Dies setzt Integration voraus und erfordert die gezielte Ausrichtung auch auf Gruppierungen, die sich in Bezug auf ihren kulturellen und religiösen Hintergrund, ihre Sprache und ihr Milieu von der gesellschaftlichen Norm unterscheiden. Jugendarbeit soll diesbezüglich integrativ arbeiten und ein Begegnungsort für Jugendliche aller Herkunft sein.
2.3 Sport in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit
Sport ist in Anlehnung an § 11 Absatz 3 SGB VIII ein grundlegendes Medium in der Jugendarbeit und wird aufgrund seiner Einfachheit und Beliebtheit gerne genutzt. Sport kann jedoch auch insofern als effizient erachtet werden, als sportliche Angebote in der Regel sich gut mit den Grundprinzipien der Jugendarbeit vereinbaren lassen und die Jugendlichen dabei nicht nur passive Adressaten sind, sondern sich aktiv miteinbringen können.
Das pädagogische Potential von Sport wurde dabei lange Zeit unterschätzt, da Sport oft mit Leistungsdruck und Konkurrenz in Verbindung gebracht wird; Begriffe, die in der Pädagogik prinzipiell abgelehnt werden. Nicht auszuschließen ist zudem, dass der missbräuchliche Einsatz von Sport im Nationalsozialismus das Thema Sport und Pädagogik in ein eher negatives Licht rücken ließ. Mit der Entwicklung der Jugendarbeit und dem Gedeihen von deren Grundprinzipien geriet der Sport wieder zunehmend ins Blickfeld der Pädagogik, da erkannt wurde, dass Sport für die Jugendlichen eine wichtige Ressource zur Selbstfindung, Erwerb von Anerkennung und Raumgewinnung von öffentlichen Plätzen darstellt. Im Zuge der Lebenswelt- und Sozialraumorientierung ist es für die Jugendarbeit somit unerlässlich, diesen in ihr Arbeitsfeld miteinzubeziehen. Indem sie Sportangebote in ihre Arbeit integriert, kann sie so Kontakte zu den Jugendlichen knüpfen und mittels dieser die informelle Bildung von Jugendlichen fördern. Auch darüber hinaus ergeben sich jedoch noch pädagogische Chancen, welche im Folgenden kurz veranschaulicht werden sollen. (vgl. BARDE, 2013, S. 181f)
Kontakt zu Zielgruppen durch Sport und Bewegung
Da Jugendarbeit grundsätzlich entsprechend ihrem Grundsatz auf freiwilliger Ebene erfolgt, verfügt sie über keine zwangsläufigen Berührungspunkte zu den Jugendlichen. Dies hat zur Folge, dass viele Jugendliche nie mit der Jugendarbeit in Kontakt kommen und sie daher auch nicht deren Vorzüge nutzen können. Dies betrifft vorwiegend Jugendliche in einem sozial schwachen Umfeld, die aufgrund ihres Milieus oder fehlender Sprachkenntnisse kaum über die Angebote der Jugendarbeit informiert sind. Mit Hilfe von Sport besteht hier die Möglichkeit, diese Hürde zu überwinden, indem sie an den Sport- und Bewegungsinteressen der Jugend ansetzt. Dies kann zum einen über eigens von der Jugendarbeit initiierte Sportangebote geschehen, sie kann aber auch Jugendlichen dabei helfen, mittels Beteiligungsprozessen ihre Anliegen zu äußern, um diese im öffentlichen Raum zu realisieren. Daneben kann sie auch anderweitige Bildungsprozesse fördern. (vgl. ebd., S. 182)
Sport als Medium zur Selbstbestimmung und Wertevermittlung
Signifikant für die Jugendarbeit sind vor allem auch die Effekte, die sich bei der Ausübung von Sport ergeben. Im Gegensatz zur Schule, in welcher Lerninhalte in der Regel bewusst angeeignet werden, treten diese im Sport zumeist unbewusst und somit weniger gezwungen ein. Von großer Bedeutung ist hier zum einen die Selbstorganisation, die im Sport häufig automatisch eintritt. Jugendliche lernen dabei ohne größere Hilfestellung von außen sich selbst zu organisieren und den reibungslosen Ablauf selbst zu regeln (z.B. Regeln beim Straßenfußball). Darüber hinaus erfahren sie durch den Sport die Notwendigkeit von Fairness und den gegenseitigen Respekt, den die gemeinsame Ausübung erfordert. Außerdem lernen sie den Umgang mit Siegen und Niederlagen, über den mit pädagogischer Begleitung im Anschluss reflektiert werden kann. (vgl. ebd., S. 182.)
Selbstwirksamkeit und soziales Lernen
Das eigene Erleben im Sport weckt jedoch noch bedeutungsvollere Potentiale als ausschließlich die Wahrnehmung von niederschwelliger Teilhabe und Werte für ein ungestörtes Zusammenleben. Weitreichende Chancen können vor allem hinsichtlich der Erfahrungen vermutet werden, in denen die teilnehmende Person sich selbst und ihre Fähigkeiten wahrnehmen kann. Indem sie im Sport an ihre Grenzen gelangt, ist sie dabei auf ihre eigenen Ressourcen angewiesen und lernt diese optimal einzusetzen. Im Sport können diese Grenzen ausgetestet werden und zugleich die eigenen Fähigkeiten durch konkrete Zielsetzungen individuell erfahren und verbessert werden. (vgl. ebd., S. 182)
Hierbei kann angenommen werden, dass gerade anspruchsvollere und extremere Sportarten – vorwiegend Einzelsportarten - großes Potential beinhalten, da in diesen die teilnehmende Person häufiger an ihre Grenzen kommt und sie dabei vermehrt ihre persönlichen Ressourcen eigenständig mobilisieren muss. Aus diesem Grund liegt es nahe, dass auch dem Kampfsport hier eine besondere Wirksamkeit beigemessen kann, was in dieser Arbeit untersucht werden soll.
3 Kampfsport
In diesem Kapitel sollen die soziologischen und pädagogischen Zusammenhänge von Kampfsport dargestellt werden. Dabei soll zunächst aufgezeigt werden, was unter Kampfsport zu verstehen ist und wie er sich von der Kampfkunst abgrenzen lässt. Im weiteren Verlauf soll anschließend seine ambivalente Stellung in der heutigen Gesellschaft sowie seine derzeitige Bedeutung in der Pädagogik untersucht werden. Anhand dieser Ergebnisse werden daraufhin die wesentlichen pädagogischen Chancen von Kampfsport skizziert, die in der Literatur aufgeführt werden.
3.1 Kampfsport und Kampfkunst
Vermutlich wurde jeder, der schon einmal mit dem Phänomen des Kämpfens auf direkte oder indirekte Weise in Berührung gekommen ist, mit den Begriffen Kampfsport und Kampfkunst konfrontiert. Die Begriffe Kampfsport und Kampfkunst werden in der Literatur und in den Medien häufig – nicht selten aufgrund mangelnder Hintergrundinformationen - als Synonyme verwendet, da beide Bezeichnungen Formen der praktischen Kampfausübung repräsentieren und in ihrer Bedeutung nicht ganz trennscharf voneinander zu unterscheiden sind. Eine Abgrenzung der beiden Termini macht jedoch durchaus Sinn, weil sie jeweils unterschiedliche Dimensionen widerspiegeln, auch wenn diese dennoch teilweise fließend ineinander übergehen.
Eine Unterscheidung der Begriffe Kampfsport und Kampfkunst kann zunächst mit Hilfe der zusammengesetzten Wörter „Kampf“ sowie „Sport“ und „Kunst“ erfolgen, welche deutlich auf einen unterschiedlichen Kontext verweisen. Während „Kunst“ eher auf die ästhetische Darstellung und auf den Lehrsatz von Kampf verweist, deutet das Wort „Sport“ vielmehr auf die praktische und wettkampfbezogene Dimension des Kämpfens hin. Diese Schlussfolgerung kann auch in der Literatur festgemacht werden, in welcher der Kampfkunst überwiegend eine theorie- und charakterbezogene Bedeutung zukommt, während Kampfsport vor allem mit dem sportlichen Wettkampf in Verbindung gebracht wird. Eine schlüssige Abgrenzung der beiden Kampfesformen wird hierzu von Timm STAEGLICH gezogen, auch wenn dieser auf eine strikte Definition verzichtet.
STAEGLICH verdeutlicht seine Unterscheidung dabei in erster Linie anhand der Konzentration auf den Ursprung und auf die Zielsetzung der beiden Formen von Kampf. Traditionelle Kampfkünste, vorherrschend aus Ost-Asien, entwickelten sich dementsprechend aus den damaligen Kriegstechniken und zielten neben dem sicheren Umgang mit Waffen vor allem auf die Selbstvervollkommnung. Kampfkunst hatte somit eine stark religiöse und rituell gebundene Bedeutung und war fest verflochten mit der Erziehung des Charakters. Moderne Kampfkünste erstreben in ihrer oftmals zeitgemäßen Deutung der traditionellen Lehren zwar in erster Linie die Ertüchtigung des Körpers und die Selbstverteidigung, dennoch ist ihr Bezug zur Spiritualität kaum wegzudenken. In der Kampfkunst liegt der Fokus insofern vermehrt auf dem Geist. (vgl. STAEGLICH, 2010, S. 37)
Im Kampsport dagegen liege, wie bereits die bloße Assoziation des Wortes mutmaßen lässt, die Konzentration vor allem auf der sportlichen Auseinandersetzung und dem Wettkampf. Zudem seien die angewendeten Techniken im Kampfsport vielmehr vom Regelwerk abhängig, während diese in der Kampfkunst aufgrund ihrer Loslösung vom Wettkampf deutlich freier und individueller ausgeführt werden können. Folglich bestehe in der Ausführung einer Kampfkunst auch deutlich weniger Druck, da hierbei Konkurrenz und sportlicher Erfolg eine eher untergeordnete Rolle spielen und dafür umso mehr persönlichkeitsbezogene Motive relevant sind. Aufgrund seiner sportlichen Dimension liegt das Augenmerk im Kampfsport auch deutlich weniger auf dem Geist, sondern auf dem Körper, weshalb Kampfsport auch ohne Wettkampfbezogenheit häufig im Rahmen von körperlicher Fitness und Gewichtsreduzierung praktiziert wird. (ebd., S. 37)
Trotz der Differenzierung dieser zwei Begriffe anhand der soeben angeführten Punkte, welche in der Literatur überwiegend bestätigt und von manchen Autoren/innen teilweise sogar im Hinblick auf noch weitere Aspekte ausgeweitet wird[2], ist eine klare Trennung in der Untersuchung von Kampfsport und Kampkunst nicht möglich, da auch in der Literatur die beiden Erscheinungen oftmals fälschlicherweise gleichbedeutend angewendet werden (vgl. LEFFLER, 2010, S. 171). Dies liegt höchstwahrscheinlich auch daran, dass sich die beiden Formen immer mehr vermischen und sich in ihren Ideologien anpassen, wodurch auch der Kampfkunst zunehmend ein wettkampfbezogener Charakter zukommt (vgl. STAEGLICH, 2010, S. 38). Grundsätzlich richtet sich die Zuordnung eines Kampfstils in erster Linie nach den Intentionen des jeweils Trainierenden, auch wenn es natürlich Disziplinen gibt, die zweifellos einer der beiden Kampfformen zugeordnet werden können (vgl. ebd., S. 43).
Da die vorliegende Arbeit sich jedoch speziell auf die Chancen und Risiken von Boxsportangeboten in der Jugendarbeit konzentriert, wird im Folgenden überwiegend das Kämpfen unter dem Begriff Kampfsport untersucht, da der Boxsport – der Name weist schon darauf hin – aufgrund seiner starken Wettkampfbezogenheit zweifellos eher in diese Kategorie eingeordnet werden kann. Eine ausführlichere Begründung hierzu wird in Kapitel 4.1 angeführt. Die Trennung dieser beiden Dimensionen ist darüber hinaus insofern wichtig, als den beiden Formen auch in der Gesellschaft und vor allem der Pädagogik eine unterschiedliche Gewichtung zukommt, was sich im späteren Verlauf dieser Arbeit noch herausstellen wird. An dieser Stelle kann bereits angedeutet werden, dass dem Kampfsport allem Anschein nach kritischer begegnet wird als der Kampfkunst. Aufgrund der schwierigen Unterscheidung der beiden Formen kann daher auf Bezüge zur Kampfkunst in der wissenschaftlichen Literatur im Folgenden nicht ganz verzichtet werden, da sich die jeweiligen Aspekte stark überschneiden und auch Gesichtspunkte der Kampfkunst für die Untersuchung von Boxsportangeboten relevant sein können.
3.2 Zur gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Gewalt und Kampf
Um die, wie bereits angedeutet, eher geringe pädagogische Tragweite des Kampfsports nachvollziehen zu können, auf welche womöglich auch der Mangel an empirischen Untersuchungen zum Thema Boxsport zurückgeführt werden kann, sollte daher die gesellschaftliche Bedeutsamkeit betrachtet werden, die ihm innewohnt.
Unverkennbar ist hierbei, dass Kampfsport in der Gesellschaft eine ambivalente Einschätzung genießt, welche einerseits von Faszination und Bewunderung geprägt ist, andrerseits aber auch von einer permanenten Skepsis begleitet wird, von der er sich trotz vieler Bemühungen allem Anschein nach nicht zu lösen vermag. Dies ist nur wenig verwunderlich, da Kampfsport unweigerlich immer in irgendeiner Form, sei es direkt oder indirekt, an Gewalt und Kampf gekoppelt ist und diese zwei Termini daher oftmals die ersten Assoziationen sind, die Außenstehende mit dem Begriff Kampfsport verknüpfen. Die Auseinandersetzung mit Gewalt und Kampf ohne direkten Bezug zum Kampfsport soll zwar an sich keinen wesentlichen Bestandteil der vorliegenden Arbeit darstellen, sie ist aber für die Analyse des pädagogischen Potentials von Kampfsport für den späteren Verlauf subsidiär.
3.2.1 Zur Gewalt
Der Gewalt kommt dabei überwiegend eine negative Bedeutung zu, auch wenn diese von einem zwiespältigen gesellschaftlichen Verhältnis geprägt ist. Gemäß dem deutschen Soziologen und Sozialarbeitswissenschaftler Albert SCHERR, welcher sich in seiner Publikation aus dem Jahr 2004 kritisch mit dem Umgang mit Gewalt auseinandersetzt, müsse Gewalt zunächst in zwei unterschiedliche Dimensionen aufgeteilt werden: die legitime und die illegitime Gewalt (vgl. SCHERR, 2004, S. 208f). Unter legitimer Gewalt verstehe man demnach jegliche gewaltsame Handlung, welche als staatliches Durchsetzungsmittel angewandt wird, während sich illegitime Gewalt auf alle anderen Formen außerhalb dieses Rahmens, einschließlich dessen Missbrauchs, beziehe. Legitime Gewalt in ihrer Funktion als „Mittel der Aufrechthaltung [der] Ordnung“ (ebd., S. 208) sei somit seit Entstehung der ersten Gesellschaftsformen nicht nur ein natürlicher, sondern ebenso notwendiger Bestandteil einer Gesellschaft und werde in diesem Kontext auch weitgehend akzeptiert.
Die Ambivalenz bestehe laut SCHERR darin, dass zum einen die legitime Gewalt, welche sich in ihrer Erscheinung und Härte oftmals nur geringfügig von der illegitimen Gewalt unterscheidet, größtenteils bedingungslos hingenommen und kaum in Frage gestellt werde. Zugleich könne jedoch auch eine zunehmende Distanz und Verachtung von Gewalt registriert werden, was sich vor allem in der Erziehung und der zunehmend kritischeren Haltung auch gegenüber legitimer Gewalt (z.B. Demonstrationen gegen Polizeigewalt) widerspiegele. Im Gegensatz dazu könne nach wie vor eine immense Faszination der Gesellschaft von Gewalt wahrgenommen werden. Dies zeige sich vor allem anhand der enormen medialen Aufmerksamkeit. (vgl. ebd., S. 209ff)
An dieser Stelle sollte allerdings angemerkt werden, dass sich Gewalt nicht auf körperliche Aggressionen reduzieren lässt, sondern auch rein verbal oder auch passiv, zum Beispiel durch Mobbing, Ignoranz, den Entzug von essentieller Fürsorge oder auch durch strukturelle Gewalt, erfolgen kann (vgl. BINHACK, 2010, S. 139). Der Gewaltbegriff impliziert also deutlich mehr als nur die sichtbare äußerliche Gewalt. Grundsätzlich bezieht sich Gewalt auch immer auf das subjektive Empfinden: Miketta definiert Gewalt daher als das, was von einer anderen Person passiv erfahren wird und „seelisch weh tut“ (Miketta in BINHACK, 2010, S. 139).
3.2.2 Zum Kampf
Die Gedankenverbindung von Kampfsport mit dem ihm inbegriffenen Ausdruck „Kampf“ scheint dagegen deutlich weniger negativ behaftet zu sein, auch wenn ihm zuweilen eine ähnlich gegensätzliche Bedeutung in der Gesellschaft zukommt. Wirft man einen Blick auf die heutige Medienlandschaft und insbesondere auf die Filmindustrie, so kristallisiert sich trotz zunehmender Distanzierung zur Gewalt offenbar noch immer eine überwiegend positive Positionierung zum Kämpfen heraus. Natürlich ist die Unterscheidung von Gewalt und Kampf dabei nicht ganz trennscharf. Dargestellte Formen des Kämpfens können zum Teil auch auf die latente Begeisterung für Gewalt zurückgeführt werden. Im Kriegsfilmgenre werden diese zwei Elemente jedoch teilweise bewusst differenziert, indem die bestehende Gewalt im Krieg größtenteils als abstoßend, brutal und barbarisch dargestellt wird, während das Sich-zur-Wehrsetzen gegen die feindliche Übermacht dagegen größtenteils als heldenhaft, vorbildlich und würdevoll charakterisiert wird. Das Kämpfen wird in diesem Zusammenhang als Gegenstück zum Aufgeben definiert.
BINHACK begründet die positive gesellschaftliche Betrachtung des Phänomens Kämpfen mit der engen Verbindung zum Leben, welche diesem innewohnt. Er verweist dabei zunächst auf die unweigerliche Natur des Kämpfens, welche sich im biologischen, von Rivalität geprägten Überlebenskampf der Arten offenbart (vgl. BINHACK, 1998, S. 11). Zweifelsohne ist diese Argumentation in unserer heutigen Gesellschaft mit Vorsicht zu genießen, weil diese Denkweise in der Vergangenheit häufig auch als Rechtfertigungsgrund für Rassismus fungierte und das Kämpfen dadurch nicht unbedingt in ein gutes Licht rückte.
BINHACK relativiert dies jedoch, indem er auf die individuelle Fähigkeit des Menschen aufmerksam macht, trotz innerlicher Triebe gegen seine Natur handeln zu können. Dadurch könne dem Kampf ein anderer Charakter zukommen, auch wenn dieser trotzdem nie gänzlich von seinem natürlichen Ursprung losgelöst werden kann. Abgelöst von seiner Verbindung mit Gewalt und Krieg sei der Kampf laut BINHACK zuerst die Gegnerschaft mindestens zweier Parteien, die in Bezug auf ein bestimmtes Gut im Wettstreit stehen. Im Gegensatz zum Krieg sei das begriffliche Verständnis des Kampfes deutlich breiter gefasst und beziehe sich mehr auf den direkten Zweikampf. Kampf sei in erster Linie ein soziales Phänomen. Diese Definition von Kampf projiziere sich dabei auf die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Ebenen und drücke sich auch in der Alltagssprache aus, in der in unterschiedlichen Fachdisziplinen häufig von dem Terminus „Kampf“ Gebrauch gemacht wird. (vgl. ebd., S. 12)
In Bezug auf seine sprachliche Verwendung können laut BINHACK klar die unterschiedlichen Vorstellungen des Begriffs „Kampf“ dargelegt werden, was wiederum auf die positive Haltung der Gesellschaft zum Kämpfen schließen lässt. Dementsprechend könne dem Begriff eine sehr breite Bedeutung zugewiesen werden, auch wenn er im Gegensatz zu den Nomina Streit und Konflikt, welche von Soziologen oftmals als Synonyme für Kampf angewendet werden, eine deutlich persönlichere und stärker mit der gegnerischen Konfrontation behaftete Übertragung einschließt. (vgl. ebd., 1998, S. 12f)
LANGE bekräftigt dies, indem er nachdrücklich anmerkt, dass ein Kampf immer ein direktes Aufeinandertreffen impliziere. Er verweist dabei auch auf die körperliche und spielerische Dimension des Begriffs, welche, ungeachtet des Kontexts, immer unterschwellig mitschwinge. Ein Kampf sei demnach immer mit einem Wettstreit um ein bestimmtes Gut verknüpft, der einen gewissen – körperlichen oder geistigen - Kraftaufwand voraussetze. Bei dem Gut handle es sich dabei um eine Sache, die „aufs Spiel“ gesetzt wird, um eine Materie, die entweder gewonnen oder aber auch verloren werden kann. Diese Eigenschaft bringt gemäß Lange jedoch auch die Ambivalenz des Kämpfens hervor, da durch das Risiko einer Niederlage automatisch auch negative Gefühle wie Hass, Neid, Missgunst und das Verlangen nach Macht hervorgerufen werden können. (vgl. LANGE, 2010, S. 192f)
Aufgrund der direkten Konfrontation im Kampf kann laut LANGE das Kämpfen auch als eine Art Kommunikationsform angesehen werden. Die Interaktion kann dabei durch das köperbezogene Dialogisieren auch völlig ohne Worte stattfinden, was das Kämpfen dadurch zu einer besonders pädagogisch wertvollen, aber auch umstrittenen Form der Verständigung macht (vgl. ebd., S. 193). BINHACK, selbst Gymnasiallehrer und Karatelehrer, verleiht in einer späteren Publikation dieser These Nachdruck, indem er den hohen kommunikativen Wert des Kämpfens betont (vgl. BINHACK, 2010, S. 139f). Zwar verweist auch er auf die teilweise sehr kontroverse Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Kämpfens, indem er auf die lange Zeit vorherrschende Meinung Bezug nimmt, welche das körperliche Kämpfen aufgrund seiner Nähe zur Gewalt als primitiven und verrohten Gegensatz zur Kommunikation ansah. Demzufolge setze das Kämpfen eben gerade dann ein, wenn die verbale Kommunikation versage und der gewaltbestimmte Umgang seinen Anfang nehme. Jedoch gelte auch hier der oft zitierte Grundsatz von Watzlawick: „Man kann nicht nicht kommunizieren“ (Watzlawick zit. n. BINHACK, 2010, S. 140). Gerade in Situationen, in denen die Sprachebene aussetze und die Interaktion sich stattdessen sehr massiv in einem rein körperlichen Austausch vollziehe, repräsentiere dies beileibe nicht das Ende eines Dialogs, sondern verschiebe sich auf eine eher unbewusste und zugleich komplexere Ebene der Kommunikation. Das Kämpfen sei somit keineswegs das Versagen von Kommunikation, sondern, mit den abgewandelten Worten Clausewitzs, „die Fortsetzung der Kommunikation mit anderen Mitteln“ (Clausewitz zit. n. BINHACK, ebd.). Zudem könne in vielen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens ernsthaft und verbissen gekämpft werden, ohne dass dabei Gewalt in seiner eigentlichen Bedeutung angewendet werde, was anhand der verschiedensten Arten von Wettkämpfen in den unterschiedlichsten Bereichen, wie zum Beispiel Sport, Musik oder Rhetorik, registriert werden könne (vgl. ebd.).
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Begriffe Gewalt und Kampf in ihrer Bedeutung differenziert werden müssen, auch wenn ihr Zusammenhang stark verflochten und daher nur schwer zu trennen ist. Während Gewalt in der Gesellschaft trotz der verborgenen Faszination vorherrschend negativ behaftet ist, wird dem Phänomen des Kämpfens zunehmend eine positive Symbolik zugeschrieben. Dies ist wie bereits erwähnt in erster Linie auf seine Nähe zum Leben sowie insbesondere auf seine Notwendigkeit für das Überleben in einer noch immer von Konflikten und unterschwelliger Gewalt geprägten Gesellschaft zurückzuführen. Kampf werde deshalb bewusst immer mehr von Gewalt abgegrenzt, da er ein unentbehrlicher Bestandteil des Lebens ist. Aufgrund dieser Abgrenzung kommt auch das pädagogische Potential des Kämpfens immer mehr zum Vorschein, wodurch durch Kampfsport auch für die Pädagogik zunehmend interessanter wird. Ganz durchgedrungen scheint diese Entwicklung allerdings noch nicht zu sein, was im Folgenden anhand des gesellschaftlichen Stellenwerts von Kampfsport veranschaulicht werden soll.
3.3 Kampfsport und Gesellschaft
Wie im vorherigen Kapitel bereits erwähnt, ist der Stellenwert von Kampfsport aufgrund seiner Verbindung zu Gewalt und Kampf in der Gesellschaft äußerst widersprüchlich. Dies liegt vor allem daran, dass Kampfsport der wohl expliziteste Ausdruck des Kämpfens in einem gesellschaftlichen akzeptierten Rahmen ist und eine Trennung von der Gewalt dadurch umso schwerer wird. Während Sport generell angesichts seiner körperlichen Wettkämpfe (die Vermeidung des Begriffs „Kampf“ in einem sportlichen Kontext ist schier unmöglich), in denen es stets einen Gewinner und einen Verlierer gibt, eng mit dem Phänomen Kampf verbunden ist, so kann Kampfsport als die absolute Zuspitzung dieser Verbundenheit betrachtet werden. Man spricht beispielsweise im Fußball von einem Fußball spiel, im Boxen dagegen von einem Box kampf. Gerade diese unmittelbare Nähe zum Phänomen des Kämpfens scheint vermutlich die Grundlage für die gesellschaftliche ambivalente Beziehung zum Kampfsport zu sein, welche sich in Begeisterung und Empörung äußert. Dieses paradoxe Verhältnis kam auch unlängst angesichts der noch relativ jungen Erscheinung der Mixed Martial Arts (MMA) in der Ultimate Fighting Championships (UFC) zum Vorschein, welche im Folgenden als Beispiel hierfür herangezogen werden soll. Die gesellschaftliche Beziehung zur UFC ist möglicherweise das derzeit prägnanteste und zugleich aktuellste Exempel für die ambivalente Stellung von Kampfsport in der Gesellschaft, weil sie aufgrund ihres spärlichen Regelwerks wohl die härteste Ausführung von Kampfsport darstellt.
3.3.1 Die Ambivalenz des Kampfsports am Beispiel der UFC
Die UFC gilt als der weltweit größte MMA-Veranstalter und ist maßgebend für die internationale Ausdehnung der Mixed Martial Arts verantwortlich. Mittlerweile gilt die umstrittene Sportattraktion als die kommerziell erfolgreichste Kampfsportart in den USA und erzielt im amerikanischen Pay-TV teilweise höhere Einschaltquoten als das Profi-Boxen. Das erste UFC-Event fand 1993 in Denver (Colorado, USA) statt, obgleich das Debut sich damals bezüglich des Reglements und der Organisation noch stark von den heutigen Events unterschied. In Form eines Ausscheidungsturniers traten sich acht Kämpfer aus unterschiedlichen Kampfsport-Disziplinen jeweils in Zweierpaarungen in dem bis heute bewährten Oktagon gegenüber. Das Ziel dieser Veranstaltung war vor allem, herauszufinden, welche Disziplin sich im Vergleich am meisten bewährt. Aufgrund der jeweils grundverschiedenen Disziplinen war die Spanne an Körpertechniken und Manövern nahezu unbegrenzt. Neben Schlägen, Tritten, Clinchs und Wurftechniken im Standkampf kamen auch Hebel, Würgegriffe sowie Schläge im Bodenkampf zum Einsatz. Die Events haben sich hinsichtlich ihrer Organisation zwar inzwischen stark verändert. Das Regelwerk gilt bis auf wenige Einschränkungen jedoch als nahezu unbegrenzt. (vgl. RÖDEL, 2012, S. 203f)
In Deutschland wurde die Debatte um die UFC vor allem durch deren angekündigte Expansion im Jahr 2009 ausgelöst und gelangte sogar bis auf die politische Ebene vor. Die Resonanzen fielen dabei äußerst heterogen aus. Während Kritiker/innen wie zum Beispiel Bündnis 90/Die Grünen die Mixed Martial Arts scharf verurteilten und den Kampfsport als unzivilisiert und mit den Werten des Humanismus und der Aufklärung in unserer heutigen Zeit nicht kompatibel beschrieben, weisen andere Stimmen immer wieder auf deren Natürlichkeit und Verbindung zum antiken Allkampf hin. Kampfsport-Fans sehen in den MMA nicht die Inszenierung von brutaler Gewalt, sondern ein natürliches Kräftemessen. Demnach werden die MMA unter Fans oft als Königsdisziplin der Kampfsportarten betrachtet, während Kritiker/innen vielmehr in ihm einen normwidrigen Gegenentwurf zum Boxsport sehen, welcher deutlich stärker reglementiert und mit pädagogischen Werten assoziiert wird. (vgl. ebd.)
3.3.2 Der Boxsport als Repräsentant des Kampfsports
Der Boxsport, auf den im Rahmen dieser Arbeit entsprechend des Forschungsgegenstands besonders das Augenmerk gelegt werden soll, ist in unserer westlichen Gesellschaft dabei trotz zunehmender Popularität der MMA noch immer die verbreitetste Kampfsportart, was anhand der Einschaltquotenrekorde registriert werden kann.[3] Er kann somit quasi als der Medienvertreter des Kampfsports angesehen werden, da sich in ihm die aktuelle Haltung der Gesellschaft widerspiegelt. Im Gegensatz zu den MMA ist er zumindest in seiner Erscheinung als Unterhaltungssport, wahrnehmbar durch seine überproportionale Präsenz in den Medien und der Filmwelt, gesellschaftlich weitgehend anerkannt, was vermutlich auf seine deutlich strengere Reglementierung zurückzuführen ist. Auffällig ist jedoch, dass der Ruf und Einfluss des Boxsports immer sehr an seine bekanntesten Vertreter gebunden sind, in welchen sich auch die Gegensätzlichkeit des Sports offenbart.
Der wohl bekannteste Vertreter des Boxsports, dessen Popularität bis heute unübertroffen bleibt und der die Faszination für das Boxen zu seiner Zeit auf neue Ebenen führte, ist der im Juni 2016 verstorbene Boxer Muhammad Ali. Muhammad Ali gelang es durch seine charismatische Art nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb des Rings zu großer Aufmerksamkeit zu gelangen. Durch Muhammad Ali rückte das Boxen in ein besseres Licht, da dieser sich auch in der Öffentlichkeit in vieler Hinsicht vorbildhaft gab, indem er als Kriegsdienstverweigerer ein Zeichen gegen den Vietnamkrieg setze und sich zudem für Rassengleichheit einsetzte. Im Ring distanzierte er sich zugleich durch seinen kunstvollen und vorrangig defensiven Boxstil vom typischen Klischeeboxer. Seine Kämpfe fesselten seinerzeit die ganze Welt, da sie sowohl die künstlerische als auch die kämpferische Dimension des Boxens widerspiegelten. (vgl. AHRENS, 2016)
Eine weitere Figur, die sehr häufig mit dem Boxsport assoziiert wird, ist Mike Tyson, welcher Ende der 80er Jahre als jüngster Schwergewichtsweltmeister aller Zeiten erneut einen regelrechten Box-Boom auslöste (vgl. ZIMMERMANN, 2016). Tyson warf im Gegensatz zu Muhammad Ali aufgrund seiner vielen Skandale[4] hingegen kein gutes Licht auf das Boxen. Zwar konnte von Seiten der Sportfans eine enorme Begeisterung für seine Kämpfe verzeichnet werden, da er mit seinem erbarmungslosen Stil seine Gegner zumeist innerhalb kürzester Zeit ausknockte. Durch sein rüpelhaftes Auftreten - sowohl außerhalb als auch innerhalb des Rings - bekam das Boxen jedoch eher ein negatives Image, welches bis heute wohl noch immer nicht ganz abgeklungen zu sein scheint.
Nachdem die Popularität für das Boxen aufgrund eines fehlenden Aushängeschilds sowie fehlender signifikanter Kampfansetzungen in den Jahren darauf etwas zurückging und die MMA stattdessen die Aufmerksamkeit für Kampfsport in der Medienlandschaft einnahmen,[5] trat das Boxen im Jahr 2015 erstmals durch die langersehnte Begegnung zwischen Floyd Mayweather und Manny Pacquiao wieder in den Mittelpunkt der Sportwelt. Das Aufeinandertreffen der beiden Kontrahenten sorgte vor allem deshalb für derartige mediale Zuwendung, da es sich hierbei um die gewichtklassenübergreifend besten Boxer des vergangenen Jahrzehnts handelte und diese sich zuvor jahrelang aus dem Weg gingen (vgl. n-tv.de, 2015). Während der eigentliche Kampf über weite Strecken unspektakulär verlief und mit dem zuvor prognostizierten Sieg des Favoriten Mayweathers endete, brach der Kampf sämtliche Rekorde hinsichtlich der TV-Einnahmen (vgl. spox.com, 2015). Aussagekräftig war dabei jedoch weniger das eigentlich Geschehen im Ring, sondern die Reaktion der Außenwelt, welche zu erkennen gab, dass das Boxen noch immer die populärste Kampfsportart darstellt und daher als Repräsentant des Kampfsports betrachtet werden kann.
Kennzeichnend für den Kampf waren vor allem die Gegensätze, die in diesem Duell zur Geltung kamen und die für diesen Sport und dessen gesellschaftlichen Umgang charakteristisch sind. Während dem in der Öffentlichkeit eher zurückhaltenden Manny Pacquiao, welcher unter ärmlichsten Verhältnissen in den philippinischen Slums aufgewachsen ist, seit den letzten Jahren als Pastor und Politiker in seiner Heimat arbeitet und für seinen wohltätigen Einsatz bekannt ist, ein weitgehend positives Image nachgesagt wurde, repräsentierte Floyd Mayweather, welcher sich vor allem durch seine Prahlerei und seinem verschwenderischen Umgang mit Geld auszeichnete, dagegen die Schattenseite des Boxsports (vgl. MEINHARDT/CÖLN, 2015).
3.4 Kampfsport in der Pädagogik
Wie bereits angedeutet, rückt Kampfsport in den letzten Jahren auch in den Erziehungswissenschaften vermehrt in den Blickpunkt der Forschung, was sich an der zunehmenden Thematisierung des pädagogischen Potentials von Kampfsportarten widerspiegelt. Trotz der langjährigen Tradition von Kampfsport ist die Fokussierung auf sein pädagogisches Potential jedoch eine noch recht junge Erscheinung. Eine strömende Zuwendung zum Thema Kampfsport im Kontext von pädagogischen Aspekten konnte erstmals anfangs der 90er-Jahren registriert werden, auch wenn die Aufmerksamkeit damals noch vorwiegend den fernöstlichen Kampfkünsten galt (vgl. MARQUARD, 2010, S. 6). Die Publikationen setzten sich damals noch vor allem mit den Tugenden der Kampfkünste und deren Wert für die Pädagogik auseinander. Gerade im letzten Jahrzehnt konnte in Deutschland jedoch eine erneute Welle an Arbeiten – unter anderem auch die Literaturbeiträge, die für die vorliegende Arbeit herangezogen wurden - zur pädagogischen Verknüpfung von Kampfsport und Kampfkunst beobachtet werden, wodurch auch die sportliche Dimension des Kampfes näher beleuchtet wurde. Eine strikte Trennung von Kampfsport und Kampfkunst wird in diesen zwar in der Regel nicht vollzogen. Dennoch kann eindeutig ein stärkerer Bezug auf das wettkampfbezogene Kämpfen verzeichnet werden. Auffällig ist jedoch, dass die meisten Arbeiten zu diesem Thema überwiegend in Sammelbänden auftauchen und häufig relativ kurz sind. Es lässt sich daraus ableiten, dass sich die Thematisierung von Kampfsport in der Pädagogik noch immer in der Anfangsphase befindet, woraus auf eine nach wie vor bestehende gesellschaftliche Skepsis gegenüber dem Thema geschlossen werden kann.
Der zentrale Gegenstand dieser Veröffentlichungen war dabei anfangs in erster Linie das Einsetzen von Kampsport als Mittel zur Prävention von Gewalt.[6] Sämtliche anderweitige pädagogische Chancen wurden in diesen Publikationen stets unter dieser Thematik aufgearbeitet. Unabhängig vom Thema Gewaltprävention wurde das pädagogische Potential erstmalig im Sammelband „Kampkunst und Kampfsport in Forschung und Lehre 2012“ von Sigrid HAPP und Olaf ZAJONC analysiert, auf welches in dieser Arbeit mehrfach Bezug genommen wird. In diesem ist im Besonderen eine umfassende Aufzählung der pädagogischen Vorzüge von Kampfsport und Kampfkunst augenfällig, welche als Inspiration für die vorliegende Untersuchung dient, nicht zuletzt, da die aufgeführten Chancen schon im Vorfeld auch in Bezug auf das Boxen vermutet wurden. Diese wurde hierbei jedoch nur indirekt zitiert und entstammt ursprünglich einem bereits im Jahre 1994 veröffentlichten Artikel von Hubert Kuhn, welche trotz persönlicher Nachfrage für diese Arbeit nicht ausfindig gemacht werden konnte. KUHN schreibt dem Kampfsport dabei folgende Effekte zu:
- „Körperliche Aktivität, Kondition, Fitness;
- „Sicherheit und Orientierung durch klare Werte;
- Selbstbewusstsein durch Stärke und Technik, Gefühl der Überlegenheit und Unangreifbarkeit, Überwindung von Ohnmacht;
- Fähigkeit zur Selbstverteidigung;
- Stabilisierung (traditioneller) männlicher Identität durch Aggressivität, Körperkraft, Konkurrenz;
- Raum für das Erleben und Ausleben eigener aggressiver Impulse;
- Suche nach einer starken, möglicherweise auch fördernden Autorität“ (Kuhn nach FUNKE-WIENEKE, 2012, S. 14)
Auffällig ist jedoch, dass der Boxsport an sich trotz seiner medialen Popularität in diesen Veröffentlichungen kaum Beachtung findet und zumeist nur am Rande erwähnt wird. In der Pädagogik kann also im Gegensatz zur gesellschaftlichen Tragweite des Profiboxens eindeutig eine Abwertung des Boxsports registriert werden, was möglicherweise sowohl auf seine Verbindung zum Rotlichtmilieu (vgl. MARQUARDT, 2010, S. 8) als auch auf seine missbräuchliche Anwendung in der Pädagogik im Dritten Reich zurückzuführen ist.[7] In der Literatur kann stattdessen vielmehr eine signifikante Faszination für die Kultur und Soziologie des Boxens wahrgenommen werden.[8] Trotz der jeweils unterschiedlichen thematisierten Aspekte wird dem Boxen dabei durchgehend ein Merkmal zugeschrieben, das für die Pädagogik und insbesondere für die Jugendarbeit äußerst bedeutungsvoll erscheint: die Nähe zu den sozialschwächeren Schichten. Insbesondere in den Vereinigten Staaten scheint das Boxen für viele Unterschichtsangehörige oftmals die einzige Hoffnung, aus einem von Armut, Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und Kriminalität geprägten Habitus zu entkommen (vgl. ebd.).
In jüngster Vergangenheit ist in Deutschland dennoch eine zunehmende Zuwendung zum Boxsport auf pädagogischer Ebene erkennbar, was aller Wahrscheinlichkeit nach einer positiveren gesellschaftlichen Haltung in Bezug auf das Boxen selbst zu verdanken ist. Dieser Wandel ist maßgeblich auf das vorbildhafte Erscheinungsbild von Henry Maske zurückzuführen, welcher sich vom typischen Klischeeboxer abhob und Anfang der 90er Jahre einen regelrechten „Box-Boom“ auslöste (vgl. Luckas in ebd.). Im Mittelpunkt der Arbeiten, welche seitdem publiziert wurden, steht dabei überwiegend die Einbeziehung des Boxens in den Schulsport. Eine hinreichende wissenschaftlich fundierte Grundlage hinsichtlich der Chancen induzieren diese jedoch nicht. Vielmehr setzen sich diese Arbeiten mit konzeptionellen Ansätzen im Hinblick auf die konkrete Integration in den Schulsport auseinander.[9] Die Konzepte, welche in diesen Arbeiten ausgearbeitet beziehungsweise weiterentwickelt und speziell auf den Schulsport übertragen werden, sind für die Jugendarbeit zwar äußerst aussagekräftig und im Rahmen einer expliziten Konzipierung unabdingbar. Ohne eine empirische Erforschung der pädagogischen Chancen und Risiken des Boxsports kann jedoch eine Integration des Boxsports in die Jugendarbeit als eher destruktiv angesehen werden.
Trotzdem sollte an dieser Stelle erwähnt werden, dass verheißungsvolle Ansätze diesbezüglich bereits entwickelt wurden, was einer Einbeziehung in die Jugendarbeit zumindest in der Theorie einen deutlichen Vorteil einräumen würde. Als besonders Erfolg versprechend kann diesbezüglich das Boxé Educative - eine Form des Leichtkontakt-Boxens, welche in Frankreich in pädagogischen Einrichtungen bereits eingesetzt wird (vgl. KÄSER, 2003, S. 9) – angesehen werden, auch wenn auf eine detaillierte Beschreibung dieser Anwendungsform aufgrund des Umfangs in dieser Arbeit verzichtet werden muss. Eine Reihe von Schulen wagte bereits den Selbstversuch, das Boxen in den Schulsport zu integrieren, indem sie gerade vom Boxé Educative Gebrauch machten.[10] Hierbei handelte es sich jedoch stets um Projekte; eine offizielle Integration in den Schulsport blieb bislang aus. Gemäß dem Beschluss der Kultusminister besteht noch immer die Untersagung, dass Kampfsportarten mit Schlagtechniken grundsätzlich nicht an Schulen als Teil des Sportunterrichts genehmigt werden, was vermutlich den noch immer existenten Vorurteilen in Bezug auf das Boxen geschuldet ist (vgl. MARQUARDT, 2010, S. 8f).
Auch in der Sozialen Arbeit sind Praxisprojekte, in denen das Boxen zur Anwendung kommt, keine Seltenheit mehr.[11] Diese sind bisweilen jedoch vorwiegend auf verhaltensauffällige Jugendliche ausgerichtet und fungieren in erster Linie als Maßnahme zur Gewaltprävention (vgl. ebd. S. 8). Längsschnittstudien hinsichtlich deren pädagogischer Auswirkungen sucht man jedoch vergebens. Im Rahmen dieser Arbeit konnte lediglich ein Verweis auf eine empirische Untersuchung von Christian Görrisch diesbezüglich konstatiert werden, auch wenn diese nicht auffindbar war und somit nicht als Forschungsgrundlage herangezogen worden konnte. Seine Erhebungen basierten dabei auf einem eigens initiiertem Boxsportprojekt in Hamburg, welches sich mittlerweile als beständiges Angebot der Jugendhilfe etabliert hat. Seine Studie bestätigte die gewaltpräventive Wirkung von Boxsportangeboten auf Jugendliche und untermauerte die pädagogischen Vorzüge des Amateurboxens als Ergänzung zum Schulsport (vgl. Görrisch in ebd., S. 7).
Trotz der zunehmenden Bedeutsamkeit von Boxsportangeboten in der Pädagogik kann die Forschungslage dennoch als unzureichend betrachtet werden, da es noch immer an umfangreichen empirischen Untersuchungen mit Blick auf die Rückwirkung von Boxsportangeboten mangelt. Deren kategorische Erforschung ist insofern zwingend erforderlich, da der Einsatz von Kampfsport in der Arbeit mit Jugendlichen auch verschiedene Risiken nach sich ziehen kann. Darüber hinaus wurde bislang vorwiegend immer nur die gewaltpräventive Wirkung des Boxsports thematisiert. Dabei offenbaren sich gerade für die Jugendarbeit vermöge seiner überwiegend praktischen Ausführung noch anderweitige Chancen. Im Folgenden sollen aufgrund der unzulänglichen Forschungslage hinsichtlich des pädagogischen Potentials von Boxsportangeboten zunächst die in der Literatur behandelten Chancen von Kampfsport im Allgemeinen behandelt werden, auf welche später im empirischen Teil dieser Arbeit zurückgegriffen wird. Selbstverständlich können dabei nicht alle Vorzüge von Kampfsport beleuchtet werden. Vielmehr werden jeweils die in der Literatur am meisten thematisierten beziehungsweise erfolgversprechenden Chancen behandelt.
3.5 Kampfsport als Gewaltprävention
Befasst man sich mit den pädagogischen Chancen von Kampfsport, so sticht dabei überwiegend ein zentraler Punkt hervor: die Prävention von Gewalt. Unter Gewaltprävention können dabei zunächst alle Bemühungen umfasst werden, die auf die Vorbeugung und Vermeidung von Gewalt abzielen. In der Literatur findet man dennoch keine allgemein anerkannte Definition von Gewaltprävention, da Gewalt, wie eingangs erwähnt, ein sehr komplexes Phänomen ist und der Begriff dadurch in den unterschiedlichsten Kontexten verwendet wird (GUGEL, 2010, S. 22). Hierbei sollte außerdem noch einmal betont werden, dass Gewalt sich nicht ausschließlich auf körperliche Formen bezieht und auch verbal oder passiv erfolgen kann, was eine Prävention mit Hilfe von Kampfsport äußerst anspruchsvoll macht.
Dass Kampfsport vorrangig unter dem Blickpunkt Gewaltprävention untersucht wird, verdeutlicht abermals die negative Haltung der Gesellschaft zum Thema Gewalt. Ihr wird eine klar negative Bedeutung beigemessen; sie ist inakzeptabel und muss bekämpft werden. Dies erscheint jedoch nur wenig verwunderlich, da in den letzten Jahren eine zunehmende Tendenz der Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen verzeichnet werden kann und die Gewaltproblematik dadurch sehr medienpräsent ist (vgl. Statista, 2015)[12]. Kampfsport wird dabei gerade bei Jugendlichen als Präventionsmaßnahme erwägt, auch wenn das Erlernen von Kampffertigkeiten für die Vermeidung von Gewalt Außenstehenden auf den ersten Blick äußerst paradox erscheinen vermag. Der zentrale Punkt in den Arbeiten zum Thema Kampfsport als Gewaltprävention ist dabei der Abbau von Aggressionen.
Der Begriff Aggression leitet sich von dem lateinischen Wort „aggredi“ ab und bedeutet in etwa (her-)angehen, darauf zu gehen oder etwas anpacken, schließlich auch: angreifen. Eine umfassende Bestimmung von Aggression lässt sich nur schwer entwickeln, da sich nach Nolting (1997) eine klare Abgrenzung zwischen aggressivem und nicht aggressivem Verhalten als äußerst schwer erweist. In der Literatur kommt es somit zu unterschiedlichen Definitionen von Aggression. Während Felson (1984) Aggressionen auf Handlungen bezieht, bei der eine Person bewusst oder unbewusst versucht, eine andere zu verletzen, oder nur damit droht, terminiert Fürntratt (1974) aggressive Verhaltensweisen als solche, die Individuen oder Gegenstände aktiv und intentional schädigen oder schwächen. Deutlich geeigneter erscheint hierzu die Definition von Selg (1988), der mehr auf die innerpsychische Ebene von Aggressionen eingeht und sie weniger konkretisiert. Aggressionen seien demnach schädigende Reize, die von einer Person auf eine andere übertragen werden. Sie können dabei äußerlich oder innerlich, positiv oder negativ sein. (vgl. STAEGLICH, 2010, S. 13)
Unterschieden werden müssen außerdem die Arten von Aggressionen. Berkowitz (1962) und Michaelis (1976) teilen diese in zwei Grundtypen: die emotionalen Aggressionen und die instrumentellen Aggressionen. Die emotionalen Aggressionen seinen Reaktionen auf innere, unbewusste Emotionen und sind nicht rational gesteuert. Instrumentelle Aggressionen beruhen dagegen auf bewussten Reaktionen und dienen als Mittel, um eine Intention durchzusetzen. (vgl. ebd., S. 13f)
Alle Formen von Aggressionen haben jedoch eine Gemeinsamkeit: Sie zielen auf die Befriedigung eines Bedürfnisses ab. Aggressionen selbst sind folglich keine Triebe, sondern das Mittel einer Triebregung, welches einsetzt, wenn ein Trieb nicht ausreichend befriedigt wird. Insofern gestaltet sich eine problemzentriete Prävention von Aggressionen äußerst schwierig, weil ihnen unterschiedliche Ursachen zugrunde liegen. Diesbezüglich stellt sich darüber hinaus die Frage, inwieweit die bloße Stillung der Aggression überhaupt sinnvoll ist. Da Aggressionen Ausdruck einer inneren Anspannung sind, liegt die Vermutung nahe, dass sie selbst gar nicht vermindert werden können, sondern lediglich ihre gewalttätige Ausführung. Grundsätzlich seien Aggressionen auch nicht ausschließlich als negativ anzusehen, weil sie sowohl deskonstruktives als auch konstruktives Verhalten hervorrufen können. Vielmehr können sie als wichtige Grundbedingung für den Menschen angesehen werden, da ohne sie menschliches Überleben nicht möglich wäre. Im Rahmen von Gewaltprävention sollte also eher der nutzbringende Umgang mit den aggressiven Energien gelehrt werden, anstatt diese vollends liquidieren zu wollen. (vgl. ebd., S. 34f)
Im Rahmen der Auseinandersetzung um Kampfsport als Gewaltprävention wird dabei oft darauf verwiesen, dass durch gezieltes Ausüben von aggressiven Handlungen (zum Beispiel durch das Schlagen auf den Sandsack) angestaute Aggressionen abgebaut werden können. Diese Theorie wurde dabei erstmals von Dollard (1971) entwickelt und nennt sich Katharsis- Hypothese (griech.: Reinigung). Gemäß dieser Hypothese reduziere jede ausgeführte aggressive Handlung den Drang zur Ausübung weiterer Aggressionen. Auf den Kampfsport übertragen, stelle dieser somit ein Ventil für die aggressiven Reize dar, wodurch das Aggressionsbedürfnis gestillt und das innere Gleichgewicht wiederhergestellt werden kann. Die gezielte und kontrollierte Ausübung von Aggressionen im Kampfsport diene folglich der Aggressionsverminderung. (vgl. ebd. S. 29)
STAEGLICH wendet hierzu jedoch ein, dass zur Überprüfung dieser These nie empirische Untersuchungen durchgeführt wurden. Ihr wissenschaftlicher Wert ist außerdem insofern umstritten, da zahlreiche Experimente belegen, dass die Ausübung von aggressiven Reizen das Gewaltpotential unter Umständen sogar noch begünstigen könne.[13] Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus gesehen ist diese Theorie daher nicht ganz haltbar und mit Vorsicht zu betrachten. Als Legitimation für die Anwendung von Kampfsport zur Gewaltprävention eigne sie sich somit definitiv nicht. Sie blende zudem auch die Bedeutung und Ursachen von Aggression aus und unterscheide nicht zwischen den unterschiedlichen Aggressionsarten. (vgl. ebd. S. 29f)
Nach STAEGLICH lernt man jedoch in der Kampfkunst nicht das bloße Herauslassen von Aggressionen, sondern vielmehr den kontrollierten Umgang mit ihnen. Ziel sei es, sie zu beherrschen und ihr positives Potential konstruktiv einzusetzen. Ausschlaggebend für den Erfolg in der Kampfkunst seien nicht die körperlichen Fähigkeiten, sondern die des Geistes; die Beherrschung der eigenen Gefühle und Aggressionen. Er sieht darin die Chance, dass durch Kampfkunst Aggressionen vermindert werden können, da durch die Kontrolle und Stärkung des geistigen Teils des Menschen ein inneres Gleichgewicht hergestellt würde. Er hebt in seinen Schilderungen dabei den Begriff Kampfkunst klar vom Kampfsport ab. Kampfsport dagegen entziehe nur die Kraft für anderweitiges aggressives Handeln. Er spricht dem Kampfsport somit jeglichen Nutzen für den geistigen Ausgleich ab. Eine frustrierte Person sei nach einer Stunde Training am Sandsack lediglich erschöpft. Die Frustration bestehe jedoch weiterhin. Gemäß STAEGLICH bezieht sich die gewaltpräventive Wirkung des Kämpfens infolgedessen auf die Kampfkunst. Den Einsatz von Kampfsport als Mittel zur Gewaltprävention dagegen sieht er kritisch. (vgl. ebd. 30f.)
ZAJONC, welcher im Einsatz von Kampfsport und Kampfkunst in der Pädagogik auch mehrdimensionale Risiken sieht, bekräftigt die Auffassung STAEGLICHs zwar größtenteils, stellt ihr jedoch gegenüber, dass die modernen Kampfkünste sich stark von ihren fernöstlichen Wurzeln entfernt haben. Der spirituelle Gehalt des Kämpfens sei mittlerweile weitgehend in den Hintergrund gerückt. Dabei werde gerade der (zen)buddhistischen Weg-Lehre – im Zentrum das „Zen“ und „Do“[14] – ein friedenspädagogischer Effekt attestiert. Er sieht somit auch die von ihrer Tradition losgelöste Kampfkunst als Mittel zur Gewaltprävention kritisch und plädiert für die Rückbesinnung auf die fernöstlichen Wurzeln in pädagogischen Kontexten. (vgl. ZAJONC, 2012, S. 41f).
Die weitgehend negative Haltung von STAEGLICH und ZAJONIC in Bezug auf den Gebrauch von Kampfsport als Gewaltprävention kann jedoch auch kritisch betrachtet werden. STAEGLICHs Dementieren von jedweder Nützlichkeit von Kampfsport auf den Geist und das innere Erleben zeugt in erster Linie von Unkenntnis. Eine strikte Trennung von Kampfkunst und Kampfsport ist in diesem Kontext unangebracht, da auch im Kampfsport ein starker Bezug zur emotionalen Selbstbeherrschung und Kontrolle der Aggressionen hergestellt wird. Im Kampfsport kommt dem Training der körperlichen Fähigkeiten im Vergleich zur Kampfkunst möglicherweise eine höhere Gewichtung zu. Das Training beinhaltet jedoch weitaus mehr als das bloße Einschlagen auf den Sandsack und/oder Gegner/in. Die Beherrschung der eigenen Aggressivität und die technische Ausführung spielen dabei eine ebenso bedeutende Rolle, was im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch deutlicher werden wird. Wildes und unkontrolliertes Vorgehen im Training wird im Normalfall sofort sanktioniert.[15] Die Selbstdisziplinierung und die innere Ausgeglichenheit sind somit auch im Kampfsport ein wesentlicher Bestandteil des Trainings, auch wenn dieses keiner spirituellen Lehre unterliegt.
Auch die Auffassung ZAJONICs erscheint ein wenig fragwürdig. Zwar ist eine friedenspädagogische Wirkung in der Vermittlung der buddhistischen Lehre im Rahmen von Kampfkunstangeboten nicht zu leugnen. Dass die starke spirituelle Gewichtung im Zusammenhang mit dem Kämpfen auch bei Jugendlichen auf Anklang stößt, ist allerdings zweifelhaft oder sogar utopisch. Unklar ist in diesem Zusammenhang außerdem, inwieweit die zu starke Fokussierung auf den Geist in der Arbeit mit Jugendlichen überhaupt sinnvoll ist. Gerade in unserer heutigen Zeit, in der Kinder und Jugendliche ihre Freizeit zunehmend mit dem Konsum von Medien verbringen, ist ein inneres Ungleichgewicht möglicherweise gar auf die fehlende körperliche Betätigung zurückzuführen. Selbstverständlich kann dem Kampfsporttraining keine gewaltpräventive Funktion zugesprochen werden, sofern dieser lediglich als Ventil für aggressive Energien fungiert. In einem betreuten Rahmen kann jedoch gerade dem Austesten der körperlichen Grenzen sowie dem Herauslassen der aggressiven Energie ein positiver Effekt für die innere Ausgeglichenheit beigemessen werden, vorausgesetzt, dass auch die Kontrolle der inneren Aggressionen thematisiert wird.
Diese Chance sieht auch LANGE, der in seiner Ausführung zur gewaltpräventiven Wirkung des Kämpfens keine Unterscheidung zwischen Kampfkunst und Kampfsport vornimmt. LANGE sieht das Kämpfen in einem betreuten Rahmen dabei gerade als Abgrenzung zur Gewalt. Das körperliche Kämpfen im pädagogischen Kontext habe für ihn umfangreiches pädagogisches Potential, da sich im Kampf unterschiedliche Gefühle wie Hass, Neid, Missgunst oder Macht zeigen, die hier reflektiert werden können. Die Jugendlichen haben im reglementierten Kampf die Chance, ihre körperlichen und geistigen Grenzen auszutesten, ohne dass sie dabei in ernsthafte Gefahr geraten. LANGE sieht also gerade im wettkampfbezogenen Kämpfen pädagogisches Potential, da Jugendliche hierbei lernen, auch mit Niederlagen umzugehen. Der Umgang mit den eigenen Emotionen und der inneren Spannung sei laut LANGE eine geeignete Basis für die Abgrenzung von Kampf und Gewalt. Pädagogen/innen oder Trainer/innen können mit den Jugendlichen gemeinsam eine klare Trennung von legitimem und illegitimem Kämpfen vornehmen, wodurch eine Hemmschwelle der Gewaltanwendung außerhalb des Trainings aufgebaut werden könne. Dies ist vor allem insofern wichtig, als das Kämpfen eine natürliche Erscheinung ist und jeder Jugendliche über aggressives Potential verfügt. Im Rahmen von Kampfkunst und insbesondere Kampfsport könne die aggressive Energie erlebt werden und zugleich ein Lerneffekt daraus gezogen werden. (vgl. LANGE, 2010, S. 192f)
Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die Anwendung von Kampfsport als Gewaltprävention in der Literatur nicht nur positiv, sondern auch kritisch angesehen wird, zumal es noch immer an Langzeitstudien fehlt, welche die gewaltpräventive Wirkung empirisch untermauern. Im Kontext der Gewaltprävention wird außerdem mehrfach eine strikte Trennung zwischen Kampfsport und Kampfkunst vollzogen und dabei eher der Kampfkunst eine gewaltpräventive Wirkung zugeschrieben. Dies ist möglicherweise auch der Grund dafür, weshalb in pädagogischen Zusammenhängen zumeist fernöstliche Kampfkünste angewendet und Kampfsportarten eher gemieden werden. An dieser Stelle sollte jedoch nochmal betont werden, dass in der Behandlung von Kampfsport als Gewaltprävention überwiegend der Abbau von Aggressionen im Vordergrund steht und dieser in der Literatur stark kritisiert wird, auch wenn die Argumente diesbezüglich nicht vollends überzeugen. Grundsätzlich kann jedoch auch anderen positiven Effekten von Kampfsport eine gewaltpräventive Wirkung beigemessen werden. Auffällig ist, dass sämtliche Chancen von Kampfsport in der Literatur nahezu immer im Rahmen von Gewaltprävention behandelt werden. Die Betonung auf die gewaltpräventive Intention dient dabei häufig deren Legitimation und der Förderung von Mitteln (vgl. GUGEL, 2010, S. 22). Hier spiegelt sich die problemzentrierte Haltung der Gesellschaft wider. Kampfsport wird nur akzeptiert, sofern negative Ursachen damit bekämpft werden. Die Soziale Arbeit arbeitet im Gegensatz dazu eher ressourcenorientiert. Im Kontext der Sozialarbeit sind demnach vielmehr die positiven Effekte für die Persönlichkeitsentwicklung der Jugendlichen relevant, welche letztendlich ebenso eine gewaltpräventive Auswirkung haben können. In dieser Arbeit soll Kampfsport aus diesem Grund vor allem als Ressource angesehen werden. Im Folgenden sollen diesbezüglich auch anderweitige pädagogische Chancen beleuchtet werden.
3.6 Kampfsport als Medium zur Wertevermittlung
Neben seiner Beziehung zur Gewaltprävention wird Kampfsport nicht selten auch mit gehaltvollen Werten assoziiert, was auch stark auf die Darstellungen von Kampfsport in der Filmwelt zurückzuführen ist. Charakteristisch für das Kampsport-Filmgenre (auch bekannt als Martial-Arts-Filme) ist der starke Fokus auf das Trainer-Schüler-Verhältnis, in welchem der Trainer seinen Schüler nicht nur in den jeweiligen Kampftechniken unterweist, sondern ihm im selben Maße auch gewisse Werte und deren allumfassende Wichtigkeit beibringt. Grund für die starke Verbundenheit zu ethischen Werten im Kampfsport ist möglicherweise die eingangs erwähnte, starke Beziehung zum Leben, für welches der Kampfsport häufig als bildhafter Vergleich herangezogen wird. Zum anderen kann auch die starke Verbindung zur Gewalt als Ursache hierfür angesehen werden, wodurch der Sport sich mittels der Werte rechtfertigen möchte. Auch in der Literatur wird dem Kampfsport eine starke Verbindung zu persönlichkeitsfördernden Werten nachgesagt, welche gerade im Rahmen der Gewaltprävention oftmals hervorgehoben werden. Natürlich ist Gewaltprävention immer auf die eine oder andere Weise mit bestimmten Werten verknüpft. Diese sollen aber im Folgenden weniger in einem gewaltpräventiven Bezug behandelt, sondern vielmehr in einen ganzheitlichen Zusammenhang gestellt werden. Die oberste Intention soll der Nutzen für die Persönlichkeitsentwicklung der Jugendlichen sein, welche sich nach und nach auch gewaltpräventiv auswirken kann.
Hier sei noch einmal hervorgehoben, dass in der Literatur der Kampfkunst deutlich mehr Beachtung geschenkt wird und dass die Verbindung zu persönlichkeitsfördernden Werten dadurch umso mehr der Kampfkunst zugeschrieben wird. Grund hierfür ist vermutlich deren starker spiritueller Hintergrund, weshalb, vor allem fernöstliche, Kampfkünste auf vielfältige Weise mit positiven Werten verbunden sind. Wie in Kapitel 2.1 bereits konstatiert, zielen Kampfkünste in ihrer ursprünglichen Form nicht auf den Erfolg im Wettkampf, sondern auf die Erziehung des Charakters. Die Persönlichkeitsschulung ist in der Kampfkunst also nicht nur ein Nebeneffekt, sondern der zentrale Gedanke.
Wie es im vorherigen Kapitel im Zusammenhang mit dem Abbau beziehungsweise der Kontrolle der Aggressionen schon sichtbar wurde, liegt dabei vor allem auf der (Selbst)Disziplin ein sehr großes Gewicht. In der Kampfkunst wird dieses natürlich vor allem aus der Ertüchtigung des Geistes gemäß der (zen-)buddhistischen Lehre gewonnen, auf welche jedoch in dieser Arbeit aufgrund des Umfangs und ihrer weitaus untergeordneten Rolle im Kampfsport nicht näher darauf eingegangen werden soll. Da die zu starke Konzentration auf die religiös-spirituellen Seiten von Kampfsport und Kampfkunst in der Jugendarbeit kritisch angesehen werden kann, soll daher die Selbstdisziplinierung vielmehr aus einem anderen Blickwinkel betrachtet werden. Aus einer pädagogischen Sichtweise ist zudem vor allem die Wertevermittlung pädagogisch wertvoll, die ein persönliches Erleben und Reflektieren der Jugendlichen impliziert. Von einer rein didaktischen Erziehung zu positiven Werten mittels fernöstlicher Lehren sollte in der Jugendarbeit eher abgesehen werden.
MARQUARDT, welcher über mehrere Jahre ethnographische und autoethnographische Untersuchungen in mehreren Taekwondo- und Boxsportvereinen durchgeführt hat, beleuchtet die Disziplin und deren Vermittlung in Kampfsystemen, ohne dabei Kampfsport von der Kampfkunst zu unterscheiden. Er verwendet stattdessen die Begriffe „Kampfsystem“ und „Kampfstil“ als übergeordnete Bezeichnungen. MARQUARDT sieht im Körper das zentrale Fundament für Ordnungs- und Lernprozesse. Das Erlernen von Disziplin und Selbstbeherrschung im Kampfsport erfolge dabei auf unterschiedlichen Ebenen. Je nach Lernmethode könnten dabei auch andere Werte aufgezeigt und/oder übermittelt werden. (vgl. MARQUARDT, 2012, S. 106)
Er sieht im Kampfsport also auch ohne den fernöstlichen spirituellen Einfluss der Kampfkünste ein Medium zur Vermittlung von Werten. (Selbst-)Disziplin könne dabei auch ohne die direkte Konzentration auf den Geist stattfinden und werde gerade durch die praktische Ausführung erlernt. Sowohl im Kampfsport als auch in der Kampfkunst komme diese in aller Deutlichkeit zum Tragen. Er bezeichnet sie daher als die „Metaphysik der Kampfsysteme“ (ebd., S. 107).
MARQUARDT sieht in der Disziplinierung in Kampfsystemen allerdings nicht nur Chancen, sondern auch Risiken, da die angewandten Methoden in der Regel nicht auf pädagogischen Grundsätzen beruhen. Er verweist dabei vor allem auf die oftmals äußerst inadäquaten Sanktionen, die bei einem Regelbruch in den Vereinen verübt werden. Neben zusätzlichen körperlichen Übungen kämen hier je nach Trainer bisweilen auch körperliche Züchtigungen (z.B. Stockschläge auf die Fußsohlen) und Demütigungen (Küssen des Mattenbodens) zum Einsatz. Es werde innerhalb der Vereine außerdem kaum Kritik an autoritären Reaktionen vorgenommen, was in Bezug auf die Persönlichkeitsentwicklung Jugendlicher äußerst fatal sein kann. Der Trainingsinhalt, welcher sich auch innerhalb einer Kampfsportart von Verein zu Verein unterscheiden kann, werde dabei häufig nicht in Frage gestellt. Es bestehe die Gefahr, dass so Kinder und Jugendliche zu sehr zur Sozialisation genötigt würden, ohne dabei selbst herauszufinden, was richtig und falsch sei. (vgl. ebd., S. 108ff)
[...]
[1] Personalisation ist ein von HEINER eigens entwickelter Begriff für die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung (vgl. HEINER, 2007, S. 92).
[2] Vgl. hierzu LEFFLER, 2010, S. 175ff; VON SALDERN, 2010, S. 215ff
[3] Die Begegnung zwischen Floyd Mayweather und Manny Pacquiao am 02. Mai 2015 hält noch immer den unangefochtenen Rekord der meisten Pay-Per-View-Verkäufe mit 4,4 Millionen Verkäufen. Das erfolgreichste UFC-Pay-Per-View-Event erreichte zum Vergleich lediglich 1,6 Millionen Verkäufe. (vgl. www.power-wrestling.de/worldwide/news/3601/mayweather-vs-pacquiao-schlaegt-alle-ppv-rekorde, abgerufen am 08.04.2017)
[4] Als Beispiele können unter anderem hierzu seine Verurteilung zu sechs Jahren Haft wegen Vergewaltigung sowie sein Ohr-Biss im Rahmen der Begegnung mit Evander Holyfield genannt werden (vgl. Zimmermann, 2016).
[5] Als Grund hierfür kann möglicherweise auch die Entstehung neuer Gewichtsklassen und Verbände angesehen werden, wodurch teilweise die Übersicht sowie die Bedeutung der Weltmeistertitel beeinträchtigt wurde.
[6] Vgl. hierzu STAEGLICH, 2010; LANGE/LEFFLER, 2010
[7] Vgl. hierzu COESFELD, 2012
[8] Besonders herausragend ist diesbezüglich die Lektüre „Leben für den Ring: Boxen im amerikanischen Ghetto“ des französischen Soziologen Loic WACQUANT (2003), welcher für mehrere Jahre in die Szene eines amerikanischen Box-Clubs eintauchte und im Zuge dessen seine persönlichen Erfahrungen ausführlich schildert.
[9] Vgl. hierzu KÄSER, 2003, 2013
[10] Vgl. hierzu MARQUARDT, 2010
[11] Als Beispiel hierfür kann die Work and Box Company Stuttgart angeführt werden, welche auf die Eingliederung in den Arbeitsmarkt von straffälligen Jugendlichen anstrebt.
[12] Hierbei sollte angemerkt werden, dass seit dem Jahr 2007 wieder eine rückläufige Tendenz registriert werden kann.
[13] Unter anderem findet man in der Literatur hierzu auch Querschnittsstudien, die auf ein erhöhtes Gewaltpotential unter Kampfsportlern verweisen (vgl. HOFMANN, 2010, S. 122ff). Inwieweit dieses jedoch wirklich auf die Ausübung von Kampfsport zurückzuführen ist, konnte nicht nachgewiesen werden. Möglich ist stattdessen, dass Jugendliche mit besonders starkem Hang zu gewalttätigen Verhaltensweisen dazu neigen, Kampfsport zu betreiben, um ihre Aggressionen ausleben zu können.
[14] Auf eine Darstellung dieser Lehre wird in dieser Arbeit verzichtet. Vgl. hierzu STAEGLICH, 2010, S. 39ff
[15] Vgl. hierzu WACQUANT, 2010, S. 116
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