„Die von unterschiedlichen Ansätzen ausgehende Forschung kommt zu bemerkenswert uneinheitlichen Deutungen des Textes.“1 Diese Feststellung Kaisers gilt vor allem hinsichtlich des Freitodes des Hauptprotagonisten, des Leutnants Wilhelm Kasda. Die Motivation für den Selbstmord sehen die einen in Kasdas Ehrverlust durch die Nichtbegleichung der Spielschulden2. Für andere ist die schockhafte Selbsterkenntnis3 ausschlaggebend für Kasdas Freitod. Auch eine Doppelmotivation4 sehen einige vorliegen, die den Freitod sowohl als Sieg als auch als Niederlage 5 Kasdas erscheinen lasse.
Auch was die Bewertung der Tat anlangt, divergieren die Meinungen: einem würdevollen Tod6, den die einen erkennen, stellen die anderen ein ins grotesk- Komische7 entrücktes Ableben gegenüber, das lediglich eine ironisierte Moralität8 des „Helden“ zulasse.
Die vorliegende Arbeit soll sich damit beschäftigen, welche Ursachen dem Selbstmord von Wilhelm Kasda zugrunde liegen, woher sie rühren und wie sie zu bewerten sind. Dazu muss zunächst der Frage nachgegangen werden, ob an der Figur des Leutnants im Laufe der Erzählung eine charakterliche Entwicklung festzustellen ist, und wenn ja, ob diese zu nennenswerten Erkenntnissen bei Wilhelm Kasda führt, welche geeignet sein könnten, seinen Freitod in einem besonderen Licht erscheinen zu lassen. Es soll also zuerst die Figur des Leutnants Kasda auf ihre individuelle oder möglicherweise prototypische Beschaffenheit hin untersucht werden, so wie sie sich dem Leser am Anfang der Erzählung präsentiert.
Von diesem „Grundbefund“ ausgehend wird in einem zweiten Schritt der Leutnant Kasda hinsichtlich seines Verhaltens innerhalb des Spannungsfeldes zwischen dem Konsul Schnabel und der Leopoldine Lebus überprüft, d. h. seine Persönlichkeitsentwicklung oder auch ihr Stillstand im Laufe der beiden großen Spielereignisse, die die Hauptblöcke der Erzählung bilden, nämlich des Glücks- und des Liebesspiels, sollen untersucht werden. Im Lichte dieser Ergebnisse soll schließlich der Selbstmord Kasdas analysiert und zu bewerten versucht werden.
Inhaltsverzeichnis
I. Ein Selbstmord scheidet die Geister
II. Wilhelm Kasda – ein typischer Leutnant Schnitzlerscher Prägung
III. Das Glücksspiel..
1. Der Weg ins Spiel.
2. Verlauf und Ausgang
IV. Das Liebesspiel
1. Der Weg ins Spiel.
2. Verlauf und Ausgang
V. Der Selbstmord.
Bibliographie..
I. Ein Selbstmord scheidet die Geister
„Die von unterschiedlichen Ansätzen ausgehende Forschung kommt zu bemerkenswert uneinheitlichen Deutungen des Textes.“[1] Diese Feststellung Kaisers gilt vor allem hinsichtlich des Freitodes des Hauptprotagonisten, des Leutnants Wilhelm Kasda.
Die Motivation für den Selbstmord sehen die einen in Kasdas Ehrverlust durch die Nichtbegleichung der Spielschulden[2]. Für andere ist die schockhafte Selbsterkenntnis[3] ausschlaggebend für Kasdas Freitod. Auch eine Doppelmotivation[4] sehen einige vorliegen, die den Freitod sowohl als Sieg als auch als Niederlage[5] Kasdas erscheinen lasse.
Auch was die Bewertung der Tat anlangt, divergieren die Meinungen: einem würdevollen Tod[6], den die einen erkennen, stellen die anderen ein ins grotesk-Komische[7] entrücktes Ableben gegenüber, das lediglich eine ironisierte Moralität[8] des „Helden“ zulasse.
Die vorliegende Arbeit soll sich damit beschäftigen, welche Ursachen dem Selbstmord von Wilhelm Kasda zugrunde liegen, woher sie rühren und wie sie zu bewerten sind.
Dazu muss zunächst der Frage nachgegangen werden, ob an der Figur des Leutnants im Laufe der Erzählung eine charakterliche Entwicklung festzustellen ist, und wenn ja, ob diese zu nennenswerten Erkenntnissen bei Wilhelm Kasda führt, welche geeignet sein könnten, seinen Freitod in einem besonderen Licht erscheinen zu lassen.
Es soll also zuerst die Figur des Leutnants Kasda auf ihre individuelle oder möglicherweise prototypische Beschaffenheit hin untersucht werden, so wie sie sich dem Leser am Anfang der Erzählung präsentiert.
Von diesem „Grundbefund“ ausgehend wird in einem zweiten Schritt der Leutnant Kasda hinsichtlich seines Verhaltens innerhalb des Spannungsfeldes zwischen dem Konsul Schnabel und der Leopoldine Lebus überprüft, d. h. seine Persönlichkeitsentwicklung oder auch ihr Stillstand im Laufe der beiden großen Spielereignisse, die die Hauptblöcke der Erzählung bilden, nämlich des Glücks- und des Liebesspiels, sollen untersucht werden.
Im Lichte dieser Ergebnisse soll schließlich der Selbstmord Kasdas analysiert und zu bewerten versucht werden.
II. Wilhelm Kasda – ein typischer Leutnant Schnitzlerscher Prägung
Es ist vielfach auf die Ähnlichkeiten des Leutnants Wilhelm Kasda und des Leutnants Gustl hingewiesen worden.[9] Beide sind sie „ein Teil des gesamten großen österreichischen Offiziersthemas“[10]. Dem Anti-Helden[11] Leutnant Gustl allerdings bleibt eine wie auch immer geartete charakterliche Entwicklung verwehrt, Schnitzler entlässt den „Gustl am Ende als den Gustl des Anfangs“.[12]
Wie Gustl ist auch Kasda einem überholten militärischen Standesethos verhaftet.[13] Beide sind unfähig in Kategorien zu denken, die über ihren engen militärischen Horizont hinausgehen[14]: „Bei Tische war zuerst in allerlei für den Leutnant nicht ganz verständlichen Ausdrücken von einem Prozeß die Rede“(S 27)[15].
Das Produkt eines solchermaßen beschränkten und eindimensionalen Daseins tritt dem Leser in Gestalt des Leutnants Willi Kasda geradezu idealtypisch gegenüber: ein hinsichtlich eigenverantwortlich intendierten Handelns passiver und durch seine militärische Begrenztheit lebensfremder Militär[16], der in seinen Konventionen nicht nur gefangen, sondern in fataler Wechselwirkung auch maßgeblich von ihnen gestützt, durch eine grundsätzliche Beziehungslosigkeit[17] zu seiner Umwelt gekennzeichnet ist – „Herr Leutnant, sie sind jetzt allein, brauchen niemandem einen Pflanz vorzumachen...“(G 351)[18] bemerkt bitter der Leutnant Gustl – und auch keine individuelle, sondern lediglich eine institutionalisierte Identität[19] zu haben scheint.
Seine Beziehung zu anderen Charakteren erschöpft sich in „ritualisierten Begegnungen“[20] (der im Grunde nicht kommentgemäßen Begegnung mit seinem ehemaligen Offizierskameraden Otto von Bogner steht er verunsichert und ablehnend gegenüber: „Abweisen? – Unmöglich! – Auch eigentlich kein Grund.“S 10). Er ist eine „in der Stupidität seines täglichen Dienstbetriebs“[21] dahinvegetierende Figur mit stark limitierten menschlich-sozialen Fähigkeiten.
Schnitzler zeichnet also das Bild eines in größtmöglicher Oberflächlichkeit („ Mit dem Zustand seiner Uniform war er übrigens nicht sehr zufrieden.“S 23f.) und Realitätsferne (Angesichts des kaum noch abwendbaren Unheils verwendet er seine Aufmerksamkeit vor allem darauf, den „Augenaufschlag“(S 131) irgendwelcher junger Damen zu registrieren) dahinlebenden k. u. k. Offiziers, der in seiner Dekadenz und dem gesamten Anachronismus seiner Existenz „eine Leitfigur der Epoche“[22], des Fin de siècle, darstellt.
Ist diese Charakterisierung des Leutnants Kasda, die zu Beginn der Geschichte keinerlei persönliche Züge und individuelle Anlagen erkennen lässt, im Grunde deckungsgleich mit der von Gustl[23], so zeigt sich im Fortschreiten der Erzählung, dass die Figur Kasdas doch weitaus komplexer angelegt ist und auch sehr viel differenzierter dargestellt wird als der Leutnant Gustl.[24]
III. Das Glücksspiel
1. Der Weg ins Spiel
Äußerlich motiviert wird der Eintritt Kasdas ins Glücksspielgeschehen durch seinen ehemaligen Offizierskameraden Bogner. Beider Wege kreuzen sich und ihr Schicksal vertauscht sich gewissermaßen[25], Willi erleidet den finanziellen Ruin, der Bogner sicher schien und Bogner steht am Ende der Geschichte finanziell leidlich saniert da, gerade so wie Willi in seiner Ausgangsposition.
Sieht man die Erzählung von ihrem Ausgang her im Lichte einer Todesmetaphorik, so ist Bogner der erste in einer Reihe von Todesboten[26], die Kasda begegnen. Das drohende Unheil wird angedeutet in seinen Worten: „und ganz bestimmt wär’s besser, wenn ich auch heut nicht hätt’ kommen müssen.“(S 13).
Neben der äußeren Motivation ist aber auch noch eine „innere Kraft“[27] bei Kasda festzustellen, die ihn in die für ihn existentiell bedrohliche Spiel-Situation treibt. Dass sich Willi als krankhafter Spieler erweist, wird noch gezeigt werden; die Frage ist: war er es schon vor dem Besuch Bogners und ist dessen Bitte um Geld nicht die Initialzündung des Verhängnisses, sondern vielmehr ein willkommener Vorwand[28], um tieferliegenden Zwängen willfährig nachgeben zu können?
Allerdissen vermutet in Willi „zwar keine Spielernatur“[29], bleibt die Begründung dafür aber schuldig. Richtig ist vielmehr, dass Kasda keineswegs nur „höchst bescheiden“(S 21), wie er wort- und einschränkungsreich versichert, und nur gelegentlich spielt, sondern dass seine derzeitige Barschaft zum Großteil aus Spielgewinnen besteht. Außerdem ist er derjenige, der den Einfall hat, das benötigte Geld auf dem Wege des Kartenspiels beizubringen. Ein typisches Suchtverhalten legt Kasda auch im weiteren Verlauf der Geschichte an den Tag; so wird er nicht müde – vor allem vor sich selbst – zu betonen, er täte das alles nur „dem einstigen Oberleutnant Bogner zuliebe“(S 29) und konsequenterweise sein Unglück dann auch diesem anzulasten „als stände in Bogner die eigentliche und einzige Ursache seines Unglücks ihm gegenüber“(S 98).
[...]
[1] Erich Kaiser: Arthur Schnitzler. Leutnant Gustl und andere Erzählungen. München 11997 (= Oldenbourg-Interpretationen; Bd. 84), S. 70.
[2] Klaus Laermann: Spiel im Morgengrauen. – In: Akten des internationalen Symposiums Arthur Schnitzler und seine Zeit (hrsg. von Giuseppe Farese). Bern et al. 1985 (= Jahrbuch für Internationale Germanistik; Reihe A, Bd. 13), S. 182.
[3] Maria-Regina Knecht: Analyse der sozialen Realität in Schnitzlers Spiel im Morgengrauen. – In: Modern Austrian Literature Vol. 25, No. 4 (1992), S. 197.
[4] Alfred Doppler: Leutnant Gustl und Leutnant Willi Kasda. Die Leutnantsgeschichten Arthur Schnitzlers. – In: Im Takte des Radetzkymarschs... Der Beamte und der Offizier in der österreichischen Literatur (hrsg. von Joseph P. Strelka). Bern et al. 1994 (= New Yorker Beiträge zur Österreichischen Literaturgeschichte; Bd. 1), S. 251.
[5] Rolf Allerdissen: Arthur Schnitzler: impressionistisches Rollenspiel und skeptischer Moralismus in seinen Erzählungen. Bonn 1985 (= Studien zur Literatur der Moderne; Bd. 11), S. 78.
[6] William Henry Rey: Arthur Schnitzler. Die späte Prosa als Gipfel seines Schaffens. Berlin 1968, S. 135.
[7] Hans Ulrich Lindken: Arthur Schnitzler: Spiel im Morgengrauen. – In: Österreich in Geschichte und Literatur 13. Jahrgang, Folge 1 (1969), S. 425.
[8] Rolf Geißler: Die Welt als Spiel – Arthur Schnitzlers Erzählung „Spiel im Morgengrauen“. – In: Literatur für Leser (1986), S. 211.
[9] Dazu u. a.: Werner G. Hoffmeister: ‚Eine ganz bestimmte Art von Sympathie’ – Erzählhaltung und Gedankenschilderung im „Radetzkymarsch“. – In: Joseph Roth und die Tradition. Aufsatz- und Materialiensammlung (hrsg. v. David Bronsen). Darmstadt 1975 (= Schriftenreihe Agora; Bd. 27), S. 175. Henri Plard: Joseph Roth und das alte Österreich. – In: Joseph Roth und die Tradition. Aufsatz- und Materialiensammlung (hrsg. v. David Bronsen). Darmstadt 1975 (= Schriftenreihe Agora; Bd. 27), S. 102. Jenncke A. Oosterhoff: Die Männer sind infam, solang sie Männer sind: Konstruktionen der Männlichkeit in den Werken Arthur Schnitzlers. Tübingen 2000 (= Stauffenberg Colloqium; Bd. 53) (zgl. Diss. Phil. St Louis 1998), S. 58. Andrew C. Wisely: Arthur Schnitzler and the discourse of honor and dueling. New York et al. 1996 (= Austrian culture; Vol. 20), S. 14. Brenda Keiser: Deadly dishonor: the duel and the honor code in the works of Arthur Schnitzler. New York et al. 1989 (= Studies in Modern German Literature; Vol. 33), S. 19.
[10] Joseph P. Strelka: Der Offizier in der österreichischen Literatur. Drei Hauptaspekte und ihre breite Skala. – In: Im Takte des Radetzkymarschs... Der Beamte und der Offizier in der österreichischen Literatur (hrsg. von Joseph P. Strelka). Bern et al. 1994 (= New Yorker Beiträge zur Österreichischen Literaturgeschichte; Bd. 1), S. 190.
[11] Erhard Friedrichsmeyer: Bemerkungen zum Heldischen bei Schnitzler. – In: Modern Austrian Literature Vol. 2, No. 4 (1969), S. 40.
[12] Hans Ulrich Lindken: Interpretationen zu Arthur Schnitzler. München 1970, S. 80.
[13] Lindken, Spiel, S. 408.
[14] Doppler, S. 250.
[15] Zitiert nach Arthur Schnitzler: Spiel im Morgengrauen. S. Fischer Frankfurt am Main 71998. Im folgenden zitiert mit (S und Seitenzahl).
[16] Dazu Lindken, Spiel, S. 418; Geißler, S. 205; Rey, S. 137; Allerdissen, S. 61; Knecht, S. 187; Doppler, S. 243.
[17] Vgl. Geißler, S. 205; Rey, S. 136; Knecht, S. 187.
[18] Zitiert nach Arthur Schnitzler: Leutnant Gustl. Erzählungen. S. Fischer Frankfurt am Main 1999. Im folgenden zitiert mit (G und Seitenzahl).
[19] Knecht, S. 186.
[20] Ebd., S. 185.
[21] Lindken, Spiel, S. 408f.
[22] Rolf-Peter Janz/ Klaus Laermann: Arthur Schnitzler: Zur Diagnose des Wiener Bürgertums im Fin de siècle. Stuttgart 11977, S. 111.
[23] Doppler, S. 246.
[24] Vgl. Rey, S. 127; Kaiser, S. 74.
[25] Lindken, Spiel, S. 416.
[26] Ebd., S. 410.
[27] Allerdissen, S. 65.
[28] Laermann, S. 184.
[29] Allerdissen, S. 63.
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