Im Folgenden werde ich den Begriff der Lüge in der Kantischen Philosophie untersuchen. Dabei soll anhand des Aufsatzes „Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen“ von Immanuel Kant untersucht werden, ob eine Lüge in bestimmten Situationen als moralisch korrektes Verhalten angesehen werden kann.
Dazu lege ich als erstes die Position Kants zur Lüge dar und diskutiere sie anhand des im oben genannten Aufsatzes kasuistischen Falls. Dabei soll genauer untersucht werden, ob die kategorischen Argumente Kants ausnahmslos gelten, oder inwiefern sie nicht sogar teilweise selbst miteinander konkurrieren und eine Person A in Situationen bringen, in denen es nicht deutlich zu sein scheint, ob die kategorischen Ansichten Kants plausibel sind.
INHALTSVERZEICHNIS
1. Kurze Einleitung
2. Der Status der Lüge in der Kantischen Philosophie
3. Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen
3.1 Die Ausgangssituation
3.2 Analyse der Ausgangssituation
4. Pflicht der Wahrhaftigkeit vs. Fremde Glückseligkeit
4.1 Die Pflicht gegenüber dem Gesetz
4.2 Die Pflicht der Selbsterhaltung
5. Schlussbetrachtung
6. Literaturverzeichnis
1. KURZE EINLEITUNG
Im Folgenden werde ich den Begriff der Lüge in der Kantischen Philosophie untersuchen. Dabei soll anhand des Aufsatzes „Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen“ von Immanuel Kant untersucht werden, ob eine Lüge in bestimmten Situationen als moralisch korrektes Verhalten angesehen werden kann.
Dazu lege ich als erstes die Position Kants zur Lüge dar und diskutiere sie anhand des im oben genannten Aufsatzes kasuistischen Falls. Dabei soll genauer untersucht werden, ob die kategorischen Argumente Kants ausnahmslos gelten, oder inwiefern sie nicht sogar teilweise selbst miteinander konkurrieren und eine Person A in Situationen bringen, in denen es nicht deutlich zu sein scheint, ob die kategorischen Ansichten Kants plausibel sind.
2. DER STATUS DER LÜGE IN DER KANTISCHEN PHILOSOPHIE
„Die größte Verletzung der Pflicht gegen sich selbst, bloß als moralisches Wesen betrachtet (die Menschheit in seiner Person), ist das Widerspiel der Wahrhaftigkeit: die Lüge…“[1]. So beginnt Immanuel Kant den Paragraphen §9 „Von der Lüge“ in der „Metaphysik der Sitten“. Schnell wird der Status der Lüge deutlich. Sie ist mithin das schlimmste Vergehen, das ein Mensch als moralisches Wesen ausüben kann. Die Lüge an sich wird von Kant als jede vorsätzliche Unwahrheit in Äußerung seiner Gedanken definiert. Dabei werde die Lüge von Ehrlosigkeit begleitet und auch der Lügner als Person besitze keinerlei Ehre. Kant teilt die Lüge in eine Innere und eine Äußere ein. Eine äußere Lüge könnte man auch als direkte Lüge bezeichnen. Dies kann zum Beispiel eine bewusste Falschaussage auf eine profane Frage sein. Der Lügner hintergeht wissentlich mit voller Absicht eine zweite Person. Die innere Lüge beschränkt sich auf den Lügner selbst. Es ist die Fähigkeit des Menschen, sich selbst vorsätzlich zu betrügen. Das heißt der Mensch betrügt und hintergeht sich selbst, ohne dass dabei eine zweite Person involviert ist. Dies sei laut Kant ein Widerspruch in sich und doch tritt dieses Phänomen offensichtlich auf.
Die äußere Lüge habe zur Folge, dass sich der Lügner in den Augen anderer zum Gegenstand der Verachtung mache, während die innere Lüge den Lügner in seinen eigenen Augen zum Gegenstand der Verachtung mache. Letztere sei somit die schlimmere Variante. Kant geht so weit, dass er einem Lügner die Subjektivität abspricht: „Ein Mensch, der sich selbst nicht glaubt, was er einem anderen […] sagt, hat einen noch geringeren Wert, als wenn er bloß Sache wäre; denn von dieser ihrer Eigenschaft, etwas zu nutzen, kann ein anderer doch irgend einen Gebrauch machen, weil sie etwas Wirkliches und Gegebenes ist;…“[2] Die Person, die sich einer Lüge bedient wird regelrecht als nutzlos beschrieben. Dabei spiele es keine Rolle, ob die Auswirkungen einer Lüge einer anderen Person schaden. Die Verächtlichkeit der Lüge an sich macht sie nach Kant absolut verwerflich: „Die Lüge…, als vorsätzliche Unwahrheit überhaupt, bedarf es auch nicht, anderen schädlich zu sein, um für verwerflich erklärt zu werden;…Es kann auch bloß Leichtsinn oder gar Gutmütigkeit die Ursache davon sein, ja selbst ein wirklich guter Zweck beabsichtigt werden: so ist doch die Art ihm nachzugehen durch die bloße Form ein Verbrechen des Menschen an seiner eigenen Person und eine Nichtswürdigkeit, die den Menschen in seinen eigenen Augen verächtlich machen muss.“[3] Diese These führt genau zum Kernpunkt der hier diskutierten Problematik, nämlich aus reiner Gutmütigkeit heraus eine Lüge zu vollziehen.
3. ÜBER EIN VERMEINTES RECHT AUS MENSCHENLIEBE ZU LÜGEN
3.1 Die Ausgangssituation
Gibt es Situationen, in denen ein Mensch das Recht haben kann zu lügen? Genauer spezifiziert, gibt es ein Recht aus reiner Menschenliebe zu lügen? Hier sei sowohl eine enge freundschaftliche Beziehung zweier Personen zueinander, als auch eine Konstellation aus zwei Menschen, die sich nicht kennen, gemeint. Die Freundschaft kann sowohl rein platonischer Art, als auch eine Liebesbeziehung sein. Voraussetzung ist, dass eine Person A aus reiner Menschenliebe eine Person B mit allen Mitteln aus guter Absicht vor drohendem Unheil bewahren möchte. Hier sei nochmals darauf hingewiesen, dass es tatsächlich irrelevant ist, ob die Person B tatsächlich den Status eines Freundes hat. Wenn man die Kantische Definition von „Menschenliebe“ zu Rate zieht, kann dieser Begriff durchaus auf die gesamte Menschheit ausgedehnt werden: „Andere Menschen nach unserem Vermögen wohlzutun ist Pflicht, man mag sie lieben oder nicht…“[4] Das heißt, dass es prinzipiell das Anliegen einer Person A sein kann (bzw. ist), eine beliebige Person X vor Unheil zu schützen.
Zur Diskussion steht folgendes Beispiel, das Immanuel Kant im Aufsatz „Über ein vermeintes Menschenrecht aus Liebe zu lügen“ darstellt:
Ein potentieller Mörder sucht eine Person A auf und fragt diese nach dem Verbleib einer Person B, weil er letztere umbringen möchte. Person B befindet sich im Haus von Person A. Aus Freundschaft bzw. „Menschenliebe“ zu Person B, leugnet Person A, zu wissen, an welchem Ort sich Person B aufhält, da sie diesen Mord mit allen Mitteln vermeiden möchte.
Auf den ersten Blick erscheint diese Lüge sehr plausibel und nahezu niemand in der heutigen Zeit würde behaupten, dass Person A in dieser Situation falsch gehandelt habe. Im Gegenteil, die Entscheidung von Person A, den potentiellen Mörder von Person B anzulügen erscheint uns selbstverständlich. Denn aus welchem Grund sollte man einen Mörder unterstützen?
Doch genau hier behauptet Immanuel Kant das Gegenteil. Die oberste Pflicht des Menschen sei es, in jeder Lage die Wahrheit zu sagen, auch in einer solchen Situation wie der oben dargestellten.[5] Um diese Position genauer zu beleuchten, soll zunächst in Zusammenhang dieses Kontextes eine Gegenposition des französischen Philosophen Benjamin Constant aufgenommen werden, die wie folgt lautet:
[...]
[1] Kant, Immanuel: Die Metaphysik der Sitten. Reclam, 1990. S.312.
[2] Kant, Immanuel: Die Metaphysik der Sitten. Reclam, 1990. S.312, 313.
[3] Ebd. S.313.
[4] Kant, Immanuel: Die Metaphysik der Sitten. Reclam, 1990. S.279.
[5] Vgl.: Kant, Immanuel: In: Kants Werke. Akademie Textausgabe, Band VIII. Abhandlungen nach 1781. Walter de Gryter & Co. Berlin 1912/23, S. 427.
- Quote paper
- Boris Böhles (Author), 2004, "Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen". Der Begriff der Lüge bei Immanuel Kant, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/43809
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